II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
des Fürsten völlig täuschen und liebte ihn zärtlich. Aber nichts entging den lauernden Blicken dieser falschen grauen Augen; mit unversöhnlichem stillem Hasse verfolgte Wittgenstein Alles was an Stein und die stürmische nationale Bewegung der Kriegsjahre erinnerte, und nicht lange so fand er auch den Staatskanzler selbst des teutonischen Jakobinerthums verdächtig und begann ihn unmerklich Schritt für Schritt zur Seite zu drängen. Die verrufene "höhere" Polizei, welche einst Justus Gruner zur Nothwehr gegen die napoleonischen Späher eingerichtet hatte, wurde zwar nach dem Frieden aufgehoben; doch blieben mehrere ihrer geheimen Agenten noch in Thätigkeit, und nach ihren Berichten bildete sich Wittgenstein sein Urtheil über die Gesinnung der Nation.
Ganz einsam stand der junge Finanzminister Graf Bülow unter den Genossen, der Vetter Hardenbergs, ein schöner blonder Mann, der mit seiner vornehmen, weltmännischen Anmuth, seiner leichten, oft leichtfertigen Geschäftsgewandtheit den Staatskanzler an seine eigene Jugend erinnerte und von ihm wie ein Sohn geliebt wurde. Er war nach dem Tilsiter Frieden, gleich vielen anderen wackeren Beamten des Magdeburger Landes, widerwillig in den Dienst des Königs Jerome getreten, da die alte Heimath ihn nicht unterbringen konnte, und hatte dann als westphälischer Minister für die Entfesselung des inneren Verkehrs, für die Durchführung ver- ständiger handelspolitischer Grundsätze viel gethan, bis er endlich wegen seiner deutschen Gesinnung und seines unabhängigen Auftretens entlassen wurde. Trotzdem ward er von den altpreußischen Beamten wie ein Ver- räther angesehen; der Stolz der Preußen vergab es nicht, daß Hardenberg noch während des Krieges gegen Napoleon einen Diener Jeromes in das Ministerium einführte. In der That war Bülow von den Anschauungen der französischen Bureaukratie nicht unberührt geblieben; er bewunderte das napoleonische Steuersystem und hatte sich unter den westphälischen Präfekten an einen herrischen Ton und eine durchfahrende Eigenmächtigkeit gewöhnt, die dem preußischen Beamtenthum unerträglich schienen. Als- bald überwarf er sich mit mehreren Oberpräsidenten; auch mit seinem Vetter und Gönner gerieth er in Streit, da ein geordneter Staatshaus- halt allerdings unmöglich war, so lange der Staatskanzler ohne den Finanz- minister zu befragen über beliebige Summen frei verfügen durfte. Die ewigen Händel verbitterten den Heftigen, und bald erkannte man in seinem reizbaren, zänkischen Wesen die alte Liebenswürdigkeit kaum noch wieder.
Die reaktionäre Partei des Ministeriums fand bei Hofe eine mächtige Stütze an dem Commandeur der Garde, dem Herzog Karl von Mecklen- burg. Der Bruder der Königin Luise hatte sich auf dem Schlachtfelde und dem Exercierplatz stets als tüchtiger Offizier bewährt, aber für die refor- matorischen Ideen der Freunde seiner Schwester hegte er kein Verständniß. Eine schöne ritterliche Erscheinung, ein angenehmer unterrichteter Gesell- schafter, auf den Hoffesten als begabter Poet und Schauspieler viel bewundert,
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
des Fürſten völlig täuſchen und liebte ihn zärtlich. Aber nichts entging den lauernden Blicken dieſer falſchen grauen Augen; mit unverſöhnlichem ſtillem Haſſe verfolgte Wittgenſtein Alles was an Stein und die ſtürmiſche nationale Bewegung der Kriegsjahre erinnerte, und nicht lange ſo fand er auch den Staatskanzler ſelbſt des teutoniſchen Jakobinerthums verdächtig und begann ihn unmerklich Schritt für Schritt zur Seite zu drängen. Die verrufene „höhere“ Polizei, welche einſt Juſtus Gruner zur Nothwehr gegen die napoleoniſchen Späher eingerichtet hatte, wurde zwar nach dem Frieden aufgehoben; doch blieben mehrere ihrer geheimen Agenten noch in Thätigkeit, und nach ihren Berichten bildete ſich Wittgenſtein ſein Urtheil über die Geſinnung der Nation.
Ganz einſam ſtand der junge Finanzminiſter Graf Bülow unter den Genoſſen, der Vetter Hardenbergs, ein ſchöner blonder Mann, der mit ſeiner vornehmen, weltmänniſchen Anmuth, ſeiner leichten, oft leichtfertigen Geſchäftsgewandtheit den Staatskanzler an ſeine eigene Jugend erinnerte und von ihm wie ein Sohn geliebt wurde. Er war nach dem Tilſiter Frieden, gleich vielen anderen wackeren Beamten des Magdeburger Landes, widerwillig in den Dienſt des Königs Jerome getreten, da die alte Heimath ihn nicht unterbringen konnte, und hatte dann als weſtphäliſcher Miniſter für die Entfeſſelung des inneren Verkehrs, für die Durchführung ver- ſtändiger handelspolitiſcher Grundſätze viel gethan, bis er endlich wegen ſeiner deutſchen Geſinnung und ſeines unabhängigen Auftretens entlaſſen wurde. Trotzdem ward er von den altpreußiſchen Beamten wie ein Ver- räther angeſehen; der Stolz der Preußen vergab es nicht, daß Hardenberg noch während des Krieges gegen Napoleon einen Diener Jeromes in das Miniſterium einführte. In der That war Bülow von den Anſchauungen der franzöſiſchen Bureaukratie nicht unberührt geblieben; er bewunderte das napoleoniſche Steuerſyſtem und hatte ſich unter den weſtphäliſchen Präfekten an einen herriſchen Ton und eine durchfahrende Eigenmächtigkeit gewöhnt, die dem preußiſchen Beamtenthum unerträglich ſchienen. Als- bald überwarf er ſich mit mehreren Oberpräſidenten; auch mit ſeinem Vetter und Gönner gerieth er in Streit, da ein geordneter Staatshaus- halt allerdings unmöglich war, ſo lange der Staatskanzler ohne den Finanz- miniſter zu befragen über beliebige Summen frei verfügen durfte. Die ewigen Händel verbitterten den Heftigen, und bald erkannte man in ſeinem reizbaren, zänkiſchen Weſen die alte Liebenswürdigkeit kaum noch wieder.
Die reaktionäre Partei des Miniſteriums fand bei Hofe eine mächtige Stütze an dem Commandeur der Garde, dem Herzog Karl von Mecklen- burg. Der Bruder der Königin Luiſe hatte ſich auf dem Schlachtfelde und dem Exercierplatz ſtets als tüchtiger Offizier bewährt, aber für die refor- matoriſchen Ideen der Freunde ſeiner Schweſter hegte er kein Verſtändniß. Eine ſchöne ritterliche Erſcheinung, ein angenehmer unterrichteter Geſell- ſchafter, auf den Hoffeſten als begabter Poet und Schauſpieler viel bewundert,
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
des Fürſten völlig täuſchen und liebte ihn zärtlich. Aber nichts entging
den lauernden Blicken dieſer falſchen grauen Augen; mit unverſöhnlichem
ſtillem Haſſe verfolgte Wittgenſtein Alles was an Stein und die ſtürmiſche
nationale Bewegung der Kriegsjahre erinnerte, und nicht lange ſo fand
er auch den Staatskanzler ſelbſt des teutoniſchen Jakobinerthums verdächtig
und begann ihn unmerklich Schritt für Schritt zur Seite zu drängen.
Die verrufene „höhere“ Polizei, welche einſt Juſtus Gruner zur Nothwehr
gegen die napoleoniſchen Späher eingerichtet hatte, wurde zwar nach dem
Frieden aufgehoben; doch blieben mehrere ihrer geheimen Agenten noch in
Thätigkeit, und nach ihren Berichten bildete ſich Wittgenſtein ſein Urtheil
über die Geſinnung der Nation.
Ganz einſam ſtand der junge Finanzminiſter Graf Bülow unter den
Genoſſen, der Vetter Hardenbergs, ein ſchöner blonder Mann, der mit
ſeiner vornehmen, weltmänniſchen Anmuth, ſeiner leichten, oft leichtfertigen
Geſchäftsgewandtheit den Staatskanzler an ſeine eigene Jugend erinnerte
und von ihm wie ein Sohn geliebt wurde. Er war nach dem Tilſiter
Frieden, gleich vielen anderen wackeren Beamten des Magdeburger Landes,
widerwillig in den Dienſt des Königs Jerome getreten, da die alte Heimath
ihn nicht unterbringen konnte, und hatte dann als weſtphäliſcher Miniſter
für die Entfeſſelung des inneren Verkehrs, für die Durchführung ver-
ſtändiger handelspolitiſcher Grundſätze viel gethan, bis er endlich wegen
ſeiner deutſchen Geſinnung und ſeines unabhängigen Auftretens entlaſſen
wurde. Trotzdem ward er von den altpreußiſchen Beamten wie ein Ver-
räther angeſehen; der Stolz der Preußen vergab es nicht, daß Hardenberg
noch während des Krieges gegen Napoleon einen Diener Jeromes in das
Miniſterium einführte. In der That war Bülow von den Anſchauungen
der franzöſiſchen Bureaukratie nicht unberührt geblieben; er bewunderte
das napoleoniſche Steuerſyſtem und hatte ſich unter den weſtphäliſchen
Präfekten an einen herriſchen Ton und eine durchfahrende Eigenmächtigkeit
gewöhnt, die dem preußiſchen Beamtenthum unerträglich ſchienen. Als-
bald überwarf er ſich mit mehreren Oberpräſidenten; auch mit ſeinem
Vetter und Gönner gerieth er in Streit, da ein geordneter Staatshaus-
halt allerdings unmöglich war, ſo lange der Staatskanzler ohne den Finanz-
miniſter zu befragen über beliebige Summen frei verfügen durfte. Die
ewigen Händel verbitterten den Heftigen, und bald erkannte man in ſeinem
reizbaren, zänkiſchen Weſen die alte Liebenswürdigkeit kaum noch wieder.
Die reaktionäre Partei des Miniſteriums fand bei Hofe eine mächtige
Stütze an dem Commandeur der Garde, dem Herzog Karl von Mecklen-
burg. Der Bruder der Königin Luiſe hatte ſich auf dem Schlachtfelde
und dem Exercierplatz ſtets als tüchtiger Offizier bewährt, aber für die refor-
matoriſchen Ideen der Freunde ſeiner Schweſter hegte er kein Verſtändniß.
Eine ſchöne ritterliche Erſcheinung, ein angenehmer unterrichteter Geſell-
ſchafter, auf den Hoffeſten als begabter Poet und Schauſpieler viel bewundert,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/202>, abgerufen am 22.11.2024.
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