II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Und der freie Geist allerdings blieb dem Greise bis zum Ende. Wie er einst unter dem Drucke der Fremdherrschaft den Gedanken der Be- freiung des Vaterlandes unwandelbar festgehalten hatte, so verfolgte er nunmehr unausgesetzt den Plan, das Werk der innern Reform durch die verheißene reichsständische Verfassung zu krönen; dies sollte sein politisches Vermächtniß, der Abschluß seiner langen Laufbahn werden. Im persön- lichen Verkehre bewährte er noch immer seine bestrickende Liebenswürdigkeit und zeigte eine so jugendliche Begeisterung für alles Schöne und Große, ging so geistreich und liebevoll auf jeden neuen Gedanken ein, daß selbst strenge Richter, wie Gneisenau und Clausewitz trotz mancher Mißhellig- keiten dem hochverdienten Manne nicht gram werden konnten. Das feste Handeln aber war ihm schon in rüstigeren Tagen nicht immer gelungen; jetzt da er alternd sich festklammerte an sein hohes Amt, fand er nur noch selten den Muth seinen Feinden die freie Stirn zu zeigen und glaubte oft selber zu leiten wenn die Gegner ihn mißbrauchten. Die dictatorische Macht des Staatskanzlers hatte wohlthätig gewirkt, so lange er selbst noch alle Ministerien bis auf zwei in seiner Hand vereinigte; seit er nur noch die auswärtigen Angelegenheiten unmittelbar leitete und fünf Fachminister unter ihm standen, gerieth er allmählich in eine ebenso unhaltbare Mittel- stellung wie einst die vortragenden Kabinetsräthe. Streitigkeiten mit den Ministern, Klagen über die Verschleppung der Geschäfte konnten nicht aus- bleiben, da -- außer Boyen, Witzleben und dem Kabinetsrath Albrecht -- der Staatskanzler allein dem Monarchen regelmäßig Vortrag hielt und gleichwohl von den Ministern forderte, daß sie die volle Verantwortlichkeit für ihre Verwaltung übernähmen.
Nur Unkenntniß und Tadelsucht beschuldigten den greisen Staats- mann der Trägheit; alle Eingeweihten wußten, welche Unzahl von Denk- schriften und Randbemerkungen, Verfügungen und Berichten diese rasche Feder, immer geistreich und gewandt, auf das Papier warf. Aber auf pünktliche Ordnung hatte er sich nie verstanden, und die Last dieser das gesammte Staatsleben umfassenden Thätigkeit ward nach der Ver- größerung des Staatsgebiets auch seinen Schultern zu schwer. Drin- gende Arbeiten blieben oft monatelang liegen, wenn der Fürst sich in seinem Schlosse zu Glienicke vergrub und dann ruckweise, nach Zufall und Laune, dies oder jenes Stück von seinen Aktenbergen abhob. Wer dort am träu- merischen Havelsee den schönen Park durchwanderte oder auf dem Dota- tionsgute Neuhardenberg in der Neumark die gewählte Kunstsammlung und die neue von Schinkel erbaute Kirche betrachtete, der fühlte wohl, daß ein edler, hochgebildeter Geist hier waltete. Aber welch ein Aergerniß, wenn man die freche Gesellschaft musterte, die sich in diesen vornehmen Räumen umhertrieb und den großmüthigen Hausherrn an seinem eigenen reichen Tische verhöhnte: die klatschsüchtigen Literaten Schöll und Dorow, die magnetischen Aerzte Koreff und Wohlfart, die Somnambüle Friederike
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Und der freie Geiſt allerdings blieb dem Greiſe bis zum Ende. Wie er einſt unter dem Drucke der Fremdherrſchaft den Gedanken der Be- freiung des Vaterlandes unwandelbar feſtgehalten hatte, ſo verfolgte er nunmehr unausgeſetzt den Plan, das Werk der innern Reform durch die verheißene reichsſtändiſche Verfaſſung zu krönen; dies ſollte ſein politiſches Vermächtniß, der Abſchluß ſeiner langen Laufbahn werden. Im perſön- lichen Verkehre bewährte er noch immer ſeine beſtrickende Liebenswürdigkeit und zeigte eine ſo jugendliche Begeiſterung für alles Schöne und Große, ging ſo geiſtreich und liebevoll auf jeden neuen Gedanken ein, daß ſelbſt ſtrenge Richter, wie Gneiſenau und Clauſewitz trotz mancher Mißhellig- keiten dem hochverdienten Manne nicht gram werden konnten. Das feſte Handeln aber war ihm ſchon in rüſtigeren Tagen nicht immer gelungen; jetzt da er alternd ſich feſtklammerte an ſein hohes Amt, fand er nur noch ſelten den Muth ſeinen Feinden die freie Stirn zu zeigen und glaubte oft ſelber zu leiten wenn die Gegner ihn mißbrauchten. Die dictatoriſche Macht des Staatskanzlers hatte wohlthätig gewirkt, ſo lange er ſelbſt noch alle Miniſterien bis auf zwei in ſeiner Hand vereinigte; ſeit er nur noch die auswärtigen Angelegenheiten unmittelbar leitete und fünf Fachminiſter unter ihm ſtanden, gerieth er allmählich in eine ebenſo unhaltbare Mittel- ſtellung wie einſt die vortragenden Kabinetsräthe. Streitigkeiten mit den Miniſtern, Klagen über die Verſchleppung der Geſchäfte konnten nicht aus- bleiben, da — außer Boyen, Witzleben und dem Kabinetsrath Albrecht — der Staatskanzler allein dem Monarchen regelmäßig Vortrag hielt und gleichwohl von den Miniſtern forderte, daß ſie die volle Verantwortlichkeit für ihre Verwaltung übernähmen.
Nur Unkenntniß und Tadelſucht beſchuldigten den greiſen Staats- mann der Trägheit; alle Eingeweihten wußten, welche Unzahl von Denk- ſchriften und Randbemerkungen, Verfügungen und Berichten dieſe raſche Feder, immer geiſtreich und gewandt, auf das Papier warf. Aber auf pünktliche Ordnung hatte er ſich nie verſtanden, und die Laſt dieſer das geſammte Staatsleben umfaſſenden Thätigkeit ward nach der Ver- größerung des Staatsgebiets auch ſeinen Schultern zu ſchwer. Drin- gende Arbeiten blieben oft monatelang liegen, wenn der Fürſt ſich in ſeinem Schloſſe zu Glienicke vergrub und dann ruckweiſe, nach Zufall und Laune, dies oder jenes Stück von ſeinen Aktenbergen abhob. Wer dort am träu- meriſchen Havelſee den ſchönen Park durchwanderte oder auf dem Dota- tionsgute Neuhardenberg in der Neumark die gewählte Kunſtſammlung und die neue von Schinkel erbaute Kirche betrachtete, der fühlte wohl, daß ein edler, hochgebildeter Geiſt hier waltete. Aber welch ein Aergerniß, wenn man die freche Geſellſchaft muſterte, die ſich in dieſen vornehmen Räumen umhertrieb und den großmüthigen Hausherrn an ſeinem eigenen reichen Tiſche verhöhnte: die klatſchſüchtigen Literaten Schöll und Dorow, die magnetiſchen Aerzte Koreff und Wohlfart, die Somnambüle Friederike
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Und der freie Geiſt allerdings blieb dem Greiſe bis zum Ende. Wie
er einſt unter dem Drucke der Fremdherrſchaft den Gedanken der Be-
freiung des Vaterlandes unwandelbar feſtgehalten hatte, ſo verfolgte er
nunmehr unausgeſetzt den Plan, das Werk der innern Reform durch die
verheißene reichsſtändiſche Verfaſſung zu krönen; dies ſollte ſein politiſches
Vermächtniß, der Abſchluß ſeiner langen Laufbahn werden. Im perſön-
lichen Verkehre bewährte er noch immer ſeine beſtrickende Liebenswürdigkeit
und zeigte eine ſo jugendliche Begeiſterung für alles Schöne und Große,
ging ſo geiſtreich und liebevoll auf jeden neuen Gedanken ein, daß ſelbſt
ſtrenge Richter, wie Gneiſenau und Clauſewitz trotz mancher Mißhellig-
keiten dem hochverdienten Manne nicht gram werden konnten. Das feſte
Handeln aber war ihm ſchon in rüſtigeren Tagen nicht immer gelungen;
jetzt da er alternd ſich feſtklammerte an ſein hohes Amt, fand er nur noch
ſelten den Muth ſeinen Feinden die freie Stirn zu zeigen und glaubte
oft ſelber zu leiten wenn die Gegner ihn mißbrauchten. Die dictatoriſche
Macht des Staatskanzlers hatte wohlthätig gewirkt, ſo lange er ſelbſt noch
alle Miniſterien bis auf zwei in ſeiner Hand vereinigte; ſeit er nur noch
die auswärtigen Angelegenheiten unmittelbar leitete und fünf Fachminiſter
unter ihm ſtanden, gerieth er allmählich in eine ebenſo unhaltbare Mittel-
ſtellung wie einſt die vortragenden Kabinetsräthe. Streitigkeiten mit den
Miniſtern, Klagen über die Verſchleppung der Geſchäfte konnten nicht aus-
bleiben, da — außer Boyen, Witzleben und dem Kabinetsrath Albrecht —
der Staatskanzler allein dem Monarchen regelmäßig Vortrag hielt und
gleichwohl von den Miniſtern forderte, daß ſie die volle Verantwortlichkeit
für ihre Verwaltung übernähmen.
Nur Unkenntniß und Tadelſucht beſchuldigten den greiſen Staats-
mann der Trägheit; alle Eingeweihten wußten, welche Unzahl von Denk-
ſchriften und Randbemerkungen, Verfügungen und Berichten dieſe raſche
Feder, immer geiſtreich und gewandt, auf das Papier warf. Aber auf
pünktliche Ordnung hatte er ſich nie verſtanden, und die Laſt dieſer
das geſammte Staatsleben umfaſſenden Thätigkeit ward nach der Ver-
größerung des Staatsgebiets auch ſeinen Schultern zu ſchwer. Drin-
gende Arbeiten blieben oft monatelang liegen, wenn der Fürſt ſich in ſeinem
Schloſſe zu Glienicke vergrub und dann ruckweiſe, nach Zufall und Laune,
dies oder jenes Stück von ſeinen Aktenbergen abhob. Wer dort am träu-
meriſchen Havelſee den ſchönen Park durchwanderte oder auf dem Dota-
tionsgute Neuhardenberg in der Neumark die gewählte Kunſtſammlung
und die neue von Schinkel erbaute Kirche betrachtete, der fühlte wohl, daß
ein edler, hochgebildeter Geiſt hier waltete. Aber welch ein Aergerniß,
wenn man die freche Geſellſchaft muſterte, die ſich in dieſen vornehmen
Räumen umhertrieb und den großmüthigen Hausherrn an ſeinem eigenen
reichen Tiſche verhöhnte: die klatſchſüchtigen Literaten Schöll und Dorow,
die magnetiſchen Aerzte Koreff und Wohlfart, die Somnambüle Friederike
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/200>, abgerufen am 22.11.2024.
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