II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
der alten Provinzen nannte den König jetzt schon, da er noch in der Kraft der Mannesjahre stand, kurzweg den alten Herrn und wußte tausend Ge- schichten von seiner verlegenen und doch so herzlich wohlthuenden Leut- seligkeit. Seine Berliner lebten mit ihm und erwarteten als ihr gutes Recht, daß er häufig in seinem einfachen Soldatenüberrocke durch den Thiergarten ging, daß er Mittags, wenn die Wachparade aufzog, an dem allbekannten Eckfenster seines unscheinbaren Palastes sich zeigte und Abends halb versteckt in seiner Loge einem Lustspiel, einer Oper oder einem Ballet zusah -- denn die Tragödie liebte er wenig, weil das Leben selbst des Traurigen genug biete.
Die Erfahrungen einer großen Zeit hatten sein Selbstgefühl etwas ge- kräftigt; er erschien fester und sicherer, aber auch noch ernster und schweig- samer als vor Jahren. Eine stille Trauer lag auf seinen freundlichen Zügen und schwand nur selten, wenn er etwa seinen lebensfrohen Kindern und dem Großfürsten Nikolaus auf der Pfaueninsel ein ländliches Fest gab. Der be- queme Rationalismus seiner Jugendbildung genügte ihm längst nicht mehr; schon während der schweren Tage in Königsberg hatte er in einem festen Bibelglauben seinen Trost gefunden und sich mit dem ehrwürdigen Bischof Borowsky befreundet. Jetzt wuchs in ihm von Jahr zu Jahr die Sehn- sucht nach dem Ewigen, fromme Betrachtungen und theologische Studien füllten einen guten Theil seiner freien Stunden aus. Obschon er den Gram um seine verlorene Gemahlin nie verwinden konnte, so widerfuhr ihm doch was gerade den tief gebeugten Wittwern häufig geschieht: die Einsamkeit des ehelosen Lebens ward ihm unerträglich. Er faßte eine lebhafte Neigung für eine liebenswürdige junge Französin, die Gräfin Dillon, die seine Liebe leiden- schaftlich erwiderte, und dachte eine Zeit lang ernstlich an eine Ehe zur linken Hand -- denn für sein Volk sollte Königin Luise immer die Königin bleiben. Aber er wollte nicht, daß seine Preußen an ihrem Könige irr würden, und da er in Gewissensfragen dem Rathe seines leichtlebigen Staatskanzlers nicht traute, so ließ er zwei Männer, von denen er eine rückhaltslos freimüthige Antwort erwartete, Gneisenau und Schön ver- traulich befragen, wie man im Heer und im Volke die Heirath mit der katholischen Französin aufnehmen würde. Als Beide übereinstimmend ab- riethen, gab der König tief erschüttert seine Pläne auf. Trüb und ein- tönig verflossen ihm die Tage. Er erledigte jede Eingabe mit der alten Pünktlichkeit, nach gewissenhafter Prüfung, und behielt das Ruder immer in der Hand, jedoch der persönliche Verkehr mit seinen höchsten Beamten blieb dem Schüchternen unbequem; den Staatskanzler sah er selten, noch seltener die Minister.
Weit näher stand dem Könige sein täglicher Begleiter, der Oberst Job v. Witzleben, der im Jahre 1816 kaum dreiunddreißig Jahre alt die Lei- tung des Militärkabinets erhielt, zwei Jahre darauf zum Generalmajor und Generaladjutanten ernannt wurde. Welch ein Abstand zwischen der
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
der alten Provinzen nannte den König jetzt ſchon, da er noch in der Kraft der Mannesjahre ſtand, kurzweg den alten Herrn und wußte tauſend Ge- ſchichten von ſeiner verlegenen und doch ſo herzlich wohlthuenden Leut- ſeligkeit. Seine Berliner lebten mit ihm und erwarteten als ihr gutes Recht, daß er häufig in ſeinem einfachen Soldatenüberrocke durch den Thiergarten ging, daß er Mittags, wenn die Wachparade aufzog, an dem allbekannten Eckfenſter ſeines unſcheinbaren Palaſtes ſich zeigte und Abends halb verſteckt in ſeiner Loge einem Luſtſpiel, einer Oper oder einem Ballet zuſah — denn die Tragödie liebte er wenig, weil das Leben ſelbſt des Traurigen genug biete.
Die Erfahrungen einer großen Zeit hatten ſein Selbſtgefühl etwas ge- kräftigt; er erſchien feſter und ſicherer, aber auch noch ernſter und ſchweig- ſamer als vor Jahren. Eine ſtille Trauer lag auf ſeinen freundlichen Zügen und ſchwand nur ſelten, wenn er etwa ſeinen lebensfrohen Kindern und dem Großfürſten Nikolaus auf der Pfaueninſel ein ländliches Feſt gab. Der be- queme Rationalismus ſeiner Jugendbildung genügte ihm längſt nicht mehr; ſchon während der ſchweren Tage in Königsberg hatte er in einem feſten Bibelglauben ſeinen Troſt gefunden und ſich mit dem ehrwürdigen Biſchof Borowsky befreundet. Jetzt wuchs in ihm von Jahr zu Jahr die Sehn- ſucht nach dem Ewigen, fromme Betrachtungen und theologiſche Studien füllten einen guten Theil ſeiner freien Stunden aus. Obſchon er den Gram um ſeine verlorene Gemahlin nie verwinden konnte, ſo widerfuhr ihm doch was gerade den tief gebeugten Wittwern häufig geſchieht: die Einſamkeit des eheloſen Lebens ward ihm unerträglich. Er faßte eine lebhafte Neigung für eine liebenswürdige junge Franzöſin, die Gräfin Dillon, die ſeine Liebe leiden- ſchaftlich erwiderte, und dachte eine Zeit lang ernſtlich an eine Ehe zur linken Hand — denn für ſein Volk ſollte Königin Luiſe immer die Königin bleiben. Aber er wollte nicht, daß ſeine Preußen an ihrem Könige irr würden, und da er in Gewiſſensfragen dem Rathe ſeines leichtlebigen Staatskanzlers nicht traute, ſo ließ er zwei Männer, von denen er eine rückhaltslos freimüthige Antwort erwartete, Gneiſenau und Schön ver- traulich befragen, wie man im Heer und im Volke die Heirath mit der katholiſchen Franzöſin aufnehmen würde. Als Beide übereinſtimmend ab- riethen, gab der König tief erſchüttert ſeine Pläne auf. Trüb und ein- tönig verfloſſen ihm die Tage. Er erledigte jede Eingabe mit der alten Pünktlichkeit, nach gewiſſenhafter Prüfung, und behielt das Ruder immer in der Hand, jedoch der perſönliche Verkehr mit ſeinen höchſten Beamten blieb dem Schüchternen unbequem; den Staatskanzler ſah er ſelten, noch ſeltener die Miniſter.
Weit näher ſtand dem Könige ſein täglicher Begleiter, der Oberſt Job v. Witzleben, der im Jahre 1816 kaum dreiunddreißig Jahre alt die Lei- tung des Militärkabinets erhielt, zwei Jahre darauf zum Generalmajor und Generaladjutanten ernannt wurde. Welch ein Abſtand zwiſchen der
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
der alten Provinzen nannte den König jetzt ſchon, da er noch in der Kraft
der Mannesjahre ſtand, kurzweg den alten Herrn und wußte tauſend Ge-
ſchichten von ſeiner verlegenen und doch ſo herzlich wohlthuenden Leut-
ſeligkeit. Seine Berliner lebten mit ihm und erwarteten als ihr gutes
Recht, daß er häufig in ſeinem einfachen Soldatenüberrocke durch den
Thiergarten ging, daß er Mittags, wenn die Wachparade aufzog, an dem
allbekannten Eckfenſter ſeines unſcheinbaren Palaſtes ſich zeigte und Abends
halb verſteckt in ſeiner Loge einem Luſtſpiel, einer Oper oder einem Ballet
zuſah — denn die Tragödie liebte er wenig, weil das Leben ſelbſt des
Traurigen genug biete.
Die Erfahrungen einer großen Zeit hatten ſein Selbſtgefühl etwas ge-
kräftigt; er erſchien feſter und ſicherer, aber auch noch ernſter und ſchweig-
ſamer als vor Jahren. Eine ſtille Trauer lag auf ſeinen freundlichen Zügen
und ſchwand nur ſelten, wenn er etwa ſeinen lebensfrohen Kindern und dem
Großfürſten Nikolaus auf der Pfaueninſel ein ländliches Feſt gab. Der be-
queme Rationalismus ſeiner Jugendbildung genügte ihm längſt nicht mehr;
ſchon während der ſchweren Tage in Königsberg hatte er in einem feſten
Bibelglauben ſeinen Troſt gefunden und ſich mit dem ehrwürdigen Biſchof
Borowsky befreundet. Jetzt wuchs in ihm von Jahr zu Jahr die Sehn-
ſucht nach dem Ewigen, fromme Betrachtungen und theologiſche Studien
füllten einen guten Theil ſeiner freien Stunden aus. Obſchon er den Gram
um ſeine verlorene Gemahlin nie verwinden konnte, ſo widerfuhr ihm doch
was gerade den tief gebeugten Wittwern häufig geſchieht: die Einſamkeit des
eheloſen Lebens ward ihm unerträglich. Er faßte eine lebhafte Neigung für
eine liebenswürdige junge Franzöſin, die Gräfin Dillon, die ſeine Liebe leiden-
ſchaftlich erwiderte, und dachte eine Zeit lang ernſtlich an eine Ehe zur linken
Hand — denn für ſein Volk ſollte Königin Luiſe immer die Königin
bleiben. Aber er wollte nicht, daß ſeine Preußen an ihrem Könige irr
würden, und da er in Gewiſſensfragen dem Rathe ſeines leichtlebigen
Staatskanzlers nicht traute, ſo ließ er zwei Männer, von denen er eine
rückhaltslos freimüthige Antwort erwartete, Gneiſenau und Schön ver-
traulich befragen, wie man im Heer und im Volke die Heirath mit der
katholiſchen Franzöſin aufnehmen würde. Als Beide übereinſtimmend ab-
riethen, gab der König tief erſchüttert ſeine Pläne auf. Trüb und ein-
tönig verfloſſen ihm die Tage. Er erledigte jede Eingabe mit der alten
Pünktlichkeit, nach gewiſſenhafter Prüfung, und behielt das Ruder immer
in der Hand, jedoch der perſönliche Verkehr mit ſeinen höchſten Beamten
blieb dem Schüchternen unbequem; den Staatskanzler ſah er ſelten, noch
ſeltener die Miniſter.
Weit näher ſtand dem Könige ſein täglicher Begleiter, der Oberſt Job
v. Witzleben, der im Jahre 1816 kaum dreiunddreißig Jahre alt die Lei-
tung des Militärkabinets erhielt, zwei Jahre darauf zum Generalmajor
und Generaladjutanten ernannt wurde. Welch ein Abſtand zwiſchen der
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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