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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Mediatisirten.
stände" des württembergischen Landes unter der Führung des Fürsten
Waldburg-Zeil einen Verein zur gemeinsamen Wahrung der Standes-
rechte; sie wendeten sich an ihr "vormaliges allgemein beglückendes Reichs-
oberhaupt", den Kaiser Franz, auch an viele andere Souveräne, und ver-
langten, daß der Bund ihnen die Curiatstimmen gewähre und Vorschriften
für die Ausführung des Art. 14 erlasse. Einzelne ihrer Wünsche überschritten
unleugbar das Maß der Rechte, welche ein geordneter Staat seinen Unter-
thanen gewähren konnte. Aber der schwäbische Despot hatte seine Ohren
überall; er erfuhr die Umtriebe seines hohen Adels durch seinen Bundes-
tagsbevollmächtigten v. Linden, einen berüchtigten Kundschafter der napo-
leonischen Polizei, der vor Kurzem in Berlin als Gesandter erschienen und
von Hardenberg ohne Weiteres zurückgeschickt worden war. Sofort griff
der König mit einem Dehortatorium ein, ließ den Fürsten Waldburg in den
rohesten Formen verhören und verbot dann den Verein der Mediatisirten
als "null und verrätherisch". Zugleich schlug er Lärm an den Nachbar-
höfen, und der badische Minister Hacke erklärte ihm mit Freuden seine Be-
reitwilligkeit zu gemeinsamen Maßregeln "gegen den Geist des Aufruhrs
und der Widersetzlichkeit, der bei einem großen Theile des Adels an die
Tagesordnung tritt". Hatte doch Fürst Waldburg sich sogar erdreistet den
souveränen Fürsten von Bückeburg mit "Hochzuverehrender Herr Vetter!"
anzureden!*)

Als der Bundestag eröffnet wurde, zeigte sich die große Mehrzahl
der Bundesstaaten so argwöhnisch gegen die Rebellen vom hohen Adel,
daß Hardenberg seinem Gesandten befahl, den Antrag auf Gewährung der
Curiatstimmen als völlig aussichtslos vorläufig ruhen zu lassen. Die Ein-
gaben der Mediatisirten wurden zu den Akten gelegt. Erst im Januar
1818 begannen die Gesandten dem Bundestage über die Ausführung des
Art. 14 in ihren Heimathlanden Bericht zu erstatten, und darauf wurde
am 1. Oktober zur Aufstellung gemeinsamer Grundsätze wieder die unver-
meidliche Commission eingesetzt. Von den Curiatstimmen war nicht mehr
die Rede, und da auch jene gemeinsamen Grundsätze nie zu Stande kamen,
so blieb das Recht der Mediatisirten den Gesetzen der Einzelstaaten an-
heimgegeben, obgleich die meisten der alten reichsständischen Häuser in
mehreren Bundesstaaten zugleich angesessen waren. Der Particularismus,
der so viele köstliche Kräfte unserer Nation zerstörte, wußte auch nichts an-
zufangen mit einer Aristokratie, welche nur dem ganzen Deutschland ange-
hören konnte und für die Armseligkeit der Kleinstaaterei zu hoch stand. Er
zwang sie, von dem politischen Leben sich schmollend zurückzuziehen, so daß
sie nur zuweilen noch, durch Klagen über verletzte Privilegien, das deutsche
Volk unliebsam an ihr vergessenes Dasein erinnerte.

*) Eingaben des Fürsten v. Waldburg-Zeil an den König v. Württemberg 29. Sept.
1815; an Kaiser Franz 2. April 1816; an den Fürsten v. Bückeburg 23. März; Minister
v. Hacke an Graf Wintzingerode 8. April 1816.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 12

Die Mediatiſirten.
ſtände“ des württembergiſchen Landes unter der Führung des Fürſten
Waldburg-Zeil einen Verein zur gemeinſamen Wahrung der Standes-
rechte; ſie wendeten ſich an ihr „vormaliges allgemein beglückendes Reichs-
oberhaupt“, den Kaiſer Franz, auch an viele andere Souveräne, und ver-
langten, daß der Bund ihnen die Curiatſtimmen gewähre und Vorſchriften
für die Ausführung des Art. 14 erlaſſe. Einzelne ihrer Wünſche überſchritten
unleugbar das Maß der Rechte, welche ein geordneter Staat ſeinen Unter-
thanen gewähren konnte. Aber der ſchwäbiſche Despot hatte ſeine Ohren
überall; er erfuhr die Umtriebe ſeines hohen Adels durch ſeinen Bundes-
tagsbevollmächtigten v. Linden, einen berüchtigten Kundſchafter der napo-
leoniſchen Polizei, der vor Kurzem in Berlin als Geſandter erſchienen und
von Hardenberg ohne Weiteres zurückgeſchickt worden war. Sofort griff
der König mit einem Dehortatorium ein, ließ den Fürſten Waldburg in den
roheſten Formen verhören und verbot dann den Verein der Mediatiſirten
als „null und verrätheriſch“. Zugleich ſchlug er Lärm an den Nachbar-
höfen, und der badiſche Miniſter Hacke erklärte ihm mit Freuden ſeine Be-
reitwilligkeit zu gemeinſamen Maßregeln „gegen den Geiſt des Aufruhrs
und der Widerſetzlichkeit, der bei einem großen Theile des Adels an die
Tagesordnung tritt“. Hatte doch Fürſt Waldburg ſich ſogar erdreiſtet den
ſouveränen Fürſten von Bückeburg mit „Hochzuverehrender Herr Vetter!“
anzureden!*)

Als der Bundestag eröffnet wurde, zeigte ſich die große Mehrzahl
der Bundesſtaaten ſo argwöhniſch gegen die Rebellen vom hohen Adel,
daß Hardenberg ſeinem Geſandten befahl, den Antrag auf Gewährung der
Curiatſtimmen als völlig ausſichtslos vorläufig ruhen zu laſſen. Die Ein-
gaben der Mediatiſirten wurden zu den Akten gelegt. Erſt im Januar
1818 begannen die Geſandten dem Bundestage über die Ausführung des
Art. 14 in ihren Heimathlanden Bericht zu erſtatten, und darauf wurde
am 1. Oktober zur Aufſtellung gemeinſamer Grundſätze wieder die unver-
meidliche Commiſſion eingeſetzt. Von den Curiatſtimmen war nicht mehr
die Rede, und da auch jene gemeinſamen Grundſätze nie zu Stande kamen,
ſo blieb das Recht der Mediatiſirten den Geſetzen der Einzelſtaaten an-
heimgegeben, obgleich die meiſten der alten reichsſtändiſchen Häuſer in
mehreren Bundesſtaaten zugleich angeſeſſen waren. Der Particularismus,
der ſo viele köſtliche Kräfte unſerer Nation zerſtörte, wußte auch nichts an-
zufangen mit einer Ariſtokratie, welche nur dem ganzen Deutſchland ange-
hören konnte und für die Armſeligkeit der Kleinſtaaterei zu hoch ſtand. Er
zwang ſie, von dem politiſchen Leben ſich ſchmollend zurückzuziehen, ſo daß
ſie nur zuweilen noch, durch Klagen über verletzte Privilegien, das deutſche
Volk unliebſam an ihr vergeſſenes Daſein erinnerte.

*) Eingaben des Fürſten v. Waldburg-Zeil an den König v. Württemberg 29. Sept.
1815; an Kaiſer Franz 2. April 1816; an den Fürſten v. Bückeburg 23. März; Miniſter
v. Hacke an Graf Wintzingerode 8. April 1816.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 12
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[177/0191] Die Mediatiſirten. ſtände“ des württembergiſchen Landes unter der Führung des Fürſten Waldburg-Zeil einen Verein zur gemeinſamen Wahrung der Standes- rechte; ſie wendeten ſich an ihr „vormaliges allgemein beglückendes Reichs- oberhaupt“, den Kaiſer Franz, auch an viele andere Souveräne, und ver- langten, daß der Bund ihnen die Curiatſtimmen gewähre und Vorſchriften für die Ausführung des Art. 14 erlaſſe. Einzelne ihrer Wünſche überſchritten unleugbar das Maß der Rechte, welche ein geordneter Staat ſeinen Unter- thanen gewähren konnte. Aber der ſchwäbiſche Despot hatte ſeine Ohren überall; er erfuhr die Umtriebe ſeines hohen Adels durch ſeinen Bundes- tagsbevollmächtigten v. Linden, einen berüchtigten Kundſchafter der napo- leoniſchen Polizei, der vor Kurzem in Berlin als Geſandter erſchienen und von Hardenberg ohne Weiteres zurückgeſchickt worden war. Sofort griff der König mit einem Dehortatorium ein, ließ den Fürſten Waldburg in den roheſten Formen verhören und verbot dann den Verein der Mediatiſirten als „null und verrätheriſch“. Zugleich ſchlug er Lärm an den Nachbar- höfen, und der badiſche Miniſter Hacke erklärte ihm mit Freuden ſeine Be- reitwilligkeit zu gemeinſamen Maßregeln „gegen den Geiſt des Aufruhrs und der Widerſetzlichkeit, der bei einem großen Theile des Adels an die Tagesordnung tritt“. Hatte doch Fürſt Waldburg ſich ſogar erdreiſtet den ſouveränen Fürſten von Bückeburg mit „Hochzuverehrender Herr Vetter!“ anzureden! *) Als der Bundestag eröffnet wurde, zeigte ſich die große Mehrzahl der Bundesſtaaten ſo argwöhniſch gegen die Rebellen vom hohen Adel, daß Hardenberg ſeinem Geſandten befahl, den Antrag auf Gewährung der Curiatſtimmen als völlig ausſichtslos vorläufig ruhen zu laſſen. Die Ein- gaben der Mediatiſirten wurden zu den Akten gelegt. Erſt im Januar 1818 begannen die Geſandten dem Bundestage über die Ausführung des Art. 14 in ihren Heimathlanden Bericht zu erſtatten, und darauf wurde am 1. Oktober zur Aufſtellung gemeinſamer Grundſätze wieder die unver- meidliche Commiſſion eingeſetzt. Von den Curiatſtimmen war nicht mehr die Rede, und da auch jene gemeinſamen Grundſätze nie zu Stande kamen, ſo blieb das Recht der Mediatiſirten den Geſetzen der Einzelſtaaten an- heimgegeben, obgleich die meiſten der alten reichsſtändiſchen Häuſer in mehreren Bundesſtaaten zugleich angeſeſſen waren. Der Particularismus, der ſo viele köſtliche Kräfte unſerer Nation zerſtörte, wußte auch nichts an- zufangen mit einer Ariſtokratie, welche nur dem ganzen Deutſchland ange- hören konnte und für die Armſeligkeit der Kleinſtaaterei zu hoch ſtand. Er zwang ſie, von dem politiſchen Leben ſich ſchmollend zurückzuziehen, ſo daß ſie nur zuweilen noch, durch Klagen über verletzte Privilegien, das deutſche Volk unliebſam an ihr vergeſſenes Daſein erinnerte. *) Eingaben des Fürſten v. Waldburg-Zeil an den König v. Württemberg 29. Sept. 1815; an Kaiſer Franz 2. April 1816; an den Fürſten v. Bückeburg 23. März; Miniſter v. Hacke an Graf Wintzingerode 8. April 1816. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 12

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/191>, abgerufen am 23.11.2024.