Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Barbaresken.
von Marokko wieder einmal ein preußisches Schiff genommen hatten, schrieb
Gentz höhnend: "sollte denn dieser gute Mann nicht wie andere Souveräne
das Recht haben, Feindseligkeiten auszuüben wenn er beleidigt wird?"

Währenddem riefen die Hansestädte die Hilfe des Bundes an (16. Juni
1817), und der Bundestag erkühnte sich zur Einsetzung einer Commission.
Graf Goltz hielt für nöthig diese unerhörte Verwegenheit zu entschuldigen und
betheuerte seinem Könige, "daß es die Absicht der Versammlung weder
jetzt noch künftig sein kann und wird, sich unberufen in Beziehungen der
europäischen Politik zu mischen; sie handelt nicht aus Anmaßung, sondern
in der Ueberzeugung, daß Ew. K. Maj. und die Großmächte Europas dies
durch den Zweck ihrer Bestimmung und ihren guten Willen, demselben
treu zu entsprechen, zu entschuldigen geneigt sein werden."*) Und wahrlich,
demüthig wie diese Entschuldigung lautete auch der Antrag der Commission:
der Bundestag möge Oesterreich und Preußen ersuchen, daß sie ihrerseits
mit Hilfe Frankreichs, Rußlands und der anderen Seemächte den englischen
Hof bewögen, gemeinsamen Maßregeln gegen die Barbaresken beizutreten.
Unter allen deutschen Höfen fand sich nur einer, der die ganze Schmach eines
solchen Antrags empfand. Vermuthlich war dem Württemberger Mandelsloh,
der die Stimme Badens führte, von Nebenius oder einem andern der
zahlreichen fähigen jungen Beamten in Karlsruhe ein Gutachten zugesendet
worden; genug, im Namen Badens regte Mandelsloh zuerst den Gedanken
einer deutschen Flotte an, freilich noch in sehr unbestimmten Umrissen.
Er fragte: ob man den Seemächten mit Anstand zumuthen könne, den
deutschen Handel auf ihre Kosten zu beschützen? ob das Volk, das einst den
gewaltigen Seeräuberbund der Vitalienbrüder vernichtete, nicht im Stande
sei einige Fregatten in See zu stellen und "ein paar elende Raubschiffe"
aus den deutschen Meeren zu vertreiben? Verstand doch selbst das kleine
Portugal sich seiner Haut zu wehren gegen die Barbaresken! Der binnen-
ländische Stumpfsinn der deutschen Bundespolitik fand auf solche Fragen
keine Antwort. Nach einem halben Jahre (22. Decbr.) ersuchte der Bun-
destag seine Commission in ihren Bemühungen fortzufahren, und damit
war die Sache für den Bund erledigt. Die Barbaresken raubten fröhlich
weiter. Umsonst bestürmte der antipiratische Verein, der in den Seeplätzen
zusammengetreten war, noch drei Jahre später die Wiener Ministerconfe-
renzen mit seinen Bitten. Nach wiederholten schweren Verlusten schrieben
die Hansestädte endlich im Jahre 1829 unterthänigst an "den erhabenen
und ruhmwürdigen Monarchen, den mächtigen und sehr edlen Fürsten,
Seine Kaiserliche Majestät Sultan Abderrhaman" von Marokko und er-
boten sich, unter Englands Vermittlung wegen einer Tributzahlung zu ver-
handeln. Bevor diese Unterhandlung zum Ziele gelangt war, zogen jedoch
die französischen Eroberer in Algier ein, erzwangen den Frieden an den

*) Goltz's Bericht an den König 17. Juni 1817.

Die Barbaresken.
von Marokko wieder einmal ein preußiſches Schiff genommen hatten, ſchrieb
Gentz höhnend: „ſollte denn dieſer gute Mann nicht wie andere Souveräne
das Recht haben, Feindſeligkeiten auszuüben wenn er beleidigt wird?“

Währenddem riefen die Hanſeſtädte die Hilfe des Bundes an (16. Juni
1817), und der Bundestag erkühnte ſich zur Einſetzung einer Commiſſion.
Graf Goltz hielt für nöthig dieſe unerhörte Verwegenheit zu entſchuldigen und
betheuerte ſeinem Könige, „daß es die Abſicht der Verſammlung weder
jetzt noch künftig ſein kann und wird, ſich unberufen in Beziehungen der
europäiſchen Politik zu miſchen; ſie handelt nicht aus Anmaßung, ſondern
in der Ueberzeugung, daß Ew. K. Maj. und die Großmächte Europas dies
durch den Zweck ihrer Beſtimmung und ihren guten Willen, demſelben
treu zu entſprechen, zu entſchuldigen geneigt ſein werden.“*) Und wahrlich,
demüthig wie dieſe Entſchuldigung lautete auch der Antrag der Commiſſion:
der Bundestag möge Oeſterreich und Preußen erſuchen, daß ſie ihrerſeits
mit Hilfe Frankreichs, Rußlands und der anderen Seemächte den engliſchen
Hof bewögen, gemeinſamen Maßregeln gegen die Barbaresken beizutreten.
Unter allen deutſchen Höfen fand ſich nur einer, der die ganze Schmach eines
ſolchen Antrags empfand. Vermuthlich war dem Württemberger Mandelsloh,
der die Stimme Badens führte, von Nebenius oder einem andern der
zahlreichen fähigen jungen Beamten in Karlsruhe ein Gutachten zugeſendet
worden; genug, im Namen Badens regte Mandelsloh zuerſt den Gedanken
einer deutſchen Flotte an, freilich noch in ſehr unbeſtimmten Umriſſen.
Er fragte: ob man den Seemächten mit Anſtand zumuthen könne, den
deutſchen Handel auf ihre Koſten zu beſchützen? ob das Volk, das einſt den
gewaltigen Seeräuberbund der Vitalienbrüder vernichtete, nicht im Stande
ſei einige Fregatten in See zu ſtellen und „ein paar elende Raubſchiffe“
aus den deutſchen Meeren zu vertreiben? Verſtand doch ſelbſt das kleine
Portugal ſich ſeiner Haut zu wehren gegen die Barbaresken! Der binnen-
ländiſche Stumpfſinn der deutſchen Bundespolitik fand auf ſolche Fragen
keine Antwort. Nach einem halben Jahre (22. Decbr.) erſuchte der Bun-
destag ſeine Commiſſion in ihren Bemühungen fortzufahren, und damit
war die Sache für den Bund erledigt. Die Barbaresken raubten fröhlich
weiter. Umſonſt beſtürmte der antipiratiſche Verein, der in den Seeplätzen
zuſammengetreten war, noch drei Jahre ſpäter die Wiener Miniſterconfe-
renzen mit ſeinen Bitten. Nach wiederholten ſchweren Verluſten ſchrieben
die Hanſeſtädte endlich im Jahre 1829 unterthänigſt an „den erhabenen
und ruhmwürdigen Monarchen, den mächtigen und ſehr edlen Fürſten,
Seine Kaiſerliche Majeſtät Sultan Abderrhaman“ von Marokko und er-
boten ſich, unter Englands Vermittlung wegen einer Tributzahlung zu ver-
handeln. Bevor dieſe Unterhandlung zum Ziele gelangt war, zogen jedoch
die franzöſiſchen Eroberer in Algier ein, erzwangen den Frieden an den

*) Goltz’s Bericht an den König 17. Juni 1817.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0189" n="175"/><fw place="top" type="header">Die Barbaresken.</fw><lb/>
von Marokko wieder einmal ein preußi&#x017F;ches Schiff genommen hatten, &#x017F;chrieb<lb/>
Gentz höhnend: &#x201E;&#x017F;ollte denn die&#x017F;er gute Mann nicht wie andere Souveräne<lb/>
das Recht haben, Feind&#x017F;eligkeiten auszuüben wenn er beleidigt wird?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Währenddem riefen die Han&#x017F;e&#x017F;tädte die Hilfe des Bundes an (16. Juni<lb/>
1817), und der Bundestag erkühnte &#x017F;ich zur Ein&#x017F;etzung einer Commi&#x017F;&#x017F;ion.<lb/>
Graf Goltz hielt für nöthig die&#x017F;e unerhörte Verwegenheit zu ent&#x017F;chuldigen und<lb/>
betheuerte &#x017F;einem Könige, &#x201E;daß es die Ab&#x017F;icht der Ver&#x017F;ammlung weder<lb/>
jetzt noch künftig &#x017F;ein kann und wird, &#x017F;ich unberufen in Beziehungen der<lb/>
europäi&#x017F;chen Politik zu mi&#x017F;chen; &#x017F;ie handelt nicht aus Anmaßung, &#x017F;ondern<lb/>
in der Ueberzeugung, daß Ew. K. Maj. und die Großmächte Europas dies<lb/>
durch den Zweck ihrer Be&#x017F;timmung und ihren guten Willen, dem&#x017F;elben<lb/>
treu zu ent&#x017F;prechen, zu ent&#x017F;chuldigen geneigt &#x017F;ein werden.&#x201C;<note place="foot" n="*)">Goltz&#x2019;s Bericht an den König 17. Juni 1817.</note> Und wahrlich,<lb/>
demüthig wie die&#x017F;e Ent&#x017F;chuldigung lautete auch der Antrag der Commi&#x017F;&#x017F;ion:<lb/>
der Bundestag möge Oe&#x017F;terreich und Preußen er&#x017F;uchen, daß &#x017F;ie ihrer&#x017F;eits<lb/>
mit Hilfe Frankreichs, Rußlands und der anderen Seemächte den engli&#x017F;chen<lb/>
Hof bewögen, gemein&#x017F;amen Maßregeln gegen die Barbaresken beizutreten.<lb/>
Unter allen deut&#x017F;chen Höfen fand &#x017F;ich nur einer, der die ganze Schmach eines<lb/>
&#x017F;olchen Antrags empfand. Vermuthlich war dem Württemberger Mandelsloh,<lb/>
der die Stimme Badens führte, von Nebenius oder einem andern der<lb/>
zahlreichen fähigen jungen Beamten in Karlsruhe ein Gutachten zuge&#x017F;endet<lb/>
worden; genug, im Namen Badens regte Mandelsloh zuer&#x017F;t den Gedanken<lb/>
einer deut&#x017F;chen Flotte an, freilich noch in &#x017F;ehr unbe&#x017F;timmten Umri&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Er fragte: ob man den Seemächten mit An&#x017F;tand zumuthen könne, den<lb/>
deut&#x017F;chen Handel auf ihre Ko&#x017F;ten zu be&#x017F;chützen? ob das Volk, das ein&#x017F;t den<lb/>
gewaltigen Seeräuberbund der Vitalienbrüder vernichtete, nicht im Stande<lb/>
&#x017F;ei einige Fregatten in See zu &#x017F;tellen und &#x201E;ein paar elende Raub&#x017F;chiffe&#x201C;<lb/>
aus den deut&#x017F;chen Meeren zu vertreiben? Ver&#x017F;tand doch &#x017F;elb&#x017F;t das kleine<lb/>
Portugal &#x017F;ich &#x017F;einer Haut zu wehren gegen die Barbaresken! Der binnen-<lb/>
ländi&#x017F;che Stumpf&#x017F;inn der deut&#x017F;chen Bundespolitik fand auf &#x017F;olche Fragen<lb/>
keine Antwort. Nach einem halben Jahre (22. Decbr.) er&#x017F;uchte der Bun-<lb/>
destag &#x017F;eine Commi&#x017F;&#x017F;ion in ihren Bemühungen fortzufahren, und damit<lb/>
war die Sache für den Bund erledigt. Die Barbaresken raubten fröhlich<lb/>
weiter. Um&#x017F;on&#x017F;t be&#x017F;türmte der antipirati&#x017F;che Verein, der in den Seeplätzen<lb/>
zu&#x017F;ammengetreten war, noch drei Jahre &#x017F;päter die Wiener Mini&#x017F;terconfe-<lb/>
renzen mit &#x017F;einen Bitten. Nach wiederholten &#x017F;chweren Verlu&#x017F;ten &#x017F;chrieben<lb/>
die Han&#x017F;e&#x017F;tädte endlich im Jahre 1829 unterthänig&#x017F;t an &#x201E;den erhabenen<lb/>
und ruhmwürdigen Monarchen, den mächtigen und &#x017F;ehr edlen Für&#x017F;ten,<lb/>
Seine Kai&#x017F;erliche Maje&#x017F;tät Sultan Abderrhaman&#x201C; von Marokko und er-<lb/>
boten &#x017F;ich, unter Englands Vermittlung wegen einer Tributzahlung zu ver-<lb/>
handeln. Bevor die&#x017F;e Unterhandlung zum Ziele gelangt war, zogen jedoch<lb/>
die franzö&#x017F;i&#x017F;chen Eroberer in Algier ein, erzwangen den Frieden an den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0189] Die Barbaresken. von Marokko wieder einmal ein preußiſches Schiff genommen hatten, ſchrieb Gentz höhnend: „ſollte denn dieſer gute Mann nicht wie andere Souveräne das Recht haben, Feindſeligkeiten auszuüben wenn er beleidigt wird?“ Währenddem riefen die Hanſeſtädte die Hilfe des Bundes an (16. Juni 1817), und der Bundestag erkühnte ſich zur Einſetzung einer Commiſſion. Graf Goltz hielt für nöthig dieſe unerhörte Verwegenheit zu entſchuldigen und betheuerte ſeinem Könige, „daß es die Abſicht der Verſammlung weder jetzt noch künftig ſein kann und wird, ſich unberufen in Beziehungen der europäiſchen Politik zu miſchen; ſie handelt nicht aus Anmaßung, ſondern in der Ueberzeugung, daß Ew. K. Maj. und die Großmächte Europas dies durch den Zweck ihrer Beſtimmung und ihren guten Willen, demſelben treu zu entſprechen, zu entſchuldigen geneigt ſein werden.“ *) Und wahrlich, demüthig wie dieſe Entſchuldigung lautete auch der Antrag der Commiſſion: der Bundestag möge Oeſterreich und Preußen erſuchen, daß ſie ihrerſeits mit Hilfe Frankreichs, Rußlands und der anderen Seemächte den engliſchen Hof bewögen, gemeinſamen Maßregeln gegen die Barbaresken beizutreten. Unter allen deutſchen Höfen fand ſich nur einer, der die ganze Schmach eines ſolchen Antrags empfand. Vermuthlich war dem Württemberger Mandelsloh, der die Stimme Badens führte, von Nebenius oder einem andern der zahlreichen fähigen jungen Beamten in Karlsruhe ein Gutachten zugeſendet worden; genug, im Namen Badens regte Mandelsloh zuerſt den Gedanken einer deutſchen Flotte an, freilich noch in ſehr unbeſtimmten Umriſſen. Er fragte: ob man den Seemächten mit Anſtand zumuthen könne, den deutſchen Handel auf ihre Koſten zu beſchützen? ob das Volk, das einſt den gewaltigen Seeräuberbund der Vitalienbrüder vernichtete, nicht im Stande ſei einige Fregatten in See zu ſtellen und „ein paar elende Raubſchiffe“ aus den deutſchen Meeren zu vertreiben? Verſtand doch ſelbſt das kleine Portugal ſich ſeiner Haut zu wehren gegen die Barbaresken! Der binnen- ländiſche Stumpfſinn der deutſchen Bundespolitik fand auf ſolche Fragen keine Antwort. Nach einem halben Jahre (22. Decbr.) erſuchte der Bun- destag ſeine Commiſſion in ihren Bemühungen fortzufahren, und damit war die Sache für den Bund erledigt. Die Barbaresken raubten fröhlich weiter. Umſonſt beſtürmte der antipiratiſche Verein, der in den Seeplätzen zuſammengetreten war, noch drei Jahre ſpäter die Wiener Miniſterconfe- renzen mit ſeinen Bitten. Nach wiederholten ſchweren Verluſten ſchrieben die Hanſeſtädte endlich im Jahre 1829 unterthänigſt an „den erhabenen und ruhmwürdigen Monarchen, den mächtigen und ſehr edlen Fürſten, Seine Kaiſerliche Majeſtät Sultan Abderrhaman“ von Marokko und er- boten ſich, unter Englands Vermittlung wegen einer Tributzahlung zu ver- handeln. Bevor dieſe Unterhandlung zum Ziele gelangt war, zogen jedoch die franzöſiſchen Eroberer in Algier ein, erzwangen den Frieden an den *) Goltz’s Bericht an den König 17. Juni 1817.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/189
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/189>, abgerufen am 17.07.2024.