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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
ufer sein Unwesen trieb, streng unterdrückt, obgleich die kleinen Nachbarn
dem guten Beispiele nicht folgten und namentlich in Reutlingen, unter
dem Schutze der württembergischen Krone, eine schamlose literarische Frei-
beuterei blühte. Nur einmal ließ sich der Staatskanzler, sehr ungern, zu
einer Ungerechtigkeit bestimmen, die dem Rufe Preußens eine schwere Wunde
schlug. Der Rheinische Merkur war seit dem Kriege rasch von seiner
Höhe herabgesunken; für die nüchternen Arbeiten der Friedenszeit reichte
das feurige patriotische Pathos nicht mehr aus. Da Görres über die
Geschäftsfragen der Verfassung und Verwaltung nichts zu sagen wußte,
so verfiel er bald in ein zielloses, terroristisches Poltern. Von allen Höfen,
den deutschen wie den fremden, kamen Klagen wider den unverbesserlichen
gazettier de Coblence. Wenn er höhnend schrieb, die Furcht der Re-
gierungen vor der Preßfreiheit sei nichts anderes als der Haß der öffent-
lichen Dirnen gegen die Straßenbeleuchtung; wenn er nach dem Erscheinen
der Schmalzischen Schrift mit ungeheuerlicher Uebertreibung, in ekelhaften
Bildern ausführte: jetzt hätten sich die sieben Gestänke des preußischen
Staates zu dem einen Schmalz-Gestank vereinigt, und die allgemeine Re-
aktion breche herein -- so war dieser Ton dem reizbaren Gehör der Zeit
zu stark. Nach wiederholten vertraulichen Warnungen entschloß sich Harden-
berg im Januar 1816 den Rheinischen Merkur zu unterdrücken, wenige
Tage nachdem Görres den Neujahrstag mit der zuversichtlichen Weissagung
begrüßt hatte: der Merkur werde das herrschende Gestirn dieses Jahres
sein. Das Verbot erregte allenthalben peinliches Aufsehen. Welch ein Dank
für das Blatt, das in großer Zeit die deutsche Sache so muthig vertreten
hatte; und welche Thorheit, den unberechenbaren, leidenschaftlichen Publi-
cisten, der noch treu zu der preußischen Fahne hielt aber nach seiner phan-
tastischen Art jederzeit umschlagen konnte, also zu kränken! Im Uebrigen
blieb die preußische Presse ziemlich unbelästigt.

Erst im Frühjahr 1817 erinnerte sich der Bundestag der Verheißung
des Art. 18 und beauftragte zunächst den oldenburgischen Gesandten v. Berg
mit einer statistischen Zusammenstellung der deutschen Preßgesetze. Der
schwergelehrte Herr ging mit der ganzen Umständlichkeit eines alten Göt-
tinger Professors an seine mühsame Arbeit. Hardenberg aber sah ein, daß
man auf diesem Wege nie zum Ziele gelangen konnte, und da die Klagen
wider die zügellose Presse, namentlich wider den burschikosen Ton der Jenenser
Zeitungen sich täglich mehrten, so beschloß er im Sommer 1817, durch ge-
meinsame Vorschläge der beiden Großmächte ein Bundes-Preßgesetz zu Stande
zu bringen. Er ließ also durch Geh. Rath v. Raumer eine Denkschrift über
die Preßfreiheit ausarbeiten und befahl seinem Vertrauten Jordan als
dieser im Winter nach Wien ging, sich darüber mit Metternich zu verständigen.
Die Denkschrift verrieth bereits einige Aengstlichkeit, doch überschritt sie
auch noch nicht das Maß des Zwanges, das den meisten Regierungen
jener Zeit unentbehrlich schien: sie forderte gänzliche Freiheit für alle grö-

II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
ufer ſein Unweſen trieb, ſtreng unterdrückt, obgleich die kleinen Nachbarn
dem guten Beiſpiele nicht folgten und namentlich in Reutlingen, unter
dem Schutze der württembergiſchen Krone, eine ſchamloſe literariſche Frei-
beuterei blühte. Nur einmal ließ ſich der Staatskanzler, ſehr ungern, zu
einer Ungerechtigkeit beſtimmen, die dem Rufe Preußens eine ſchwere Wunde
ſchlug. Der Rheiniſche Merkur war ſeit dem Kriege raſch von ſeiner
Höhe herabgeſunken; für die nüchternen Arbeiten der Friedenszeit reichte
das feurige patriotiſche Pathos nicht mehr aus. Da Görres über die
Geſchäftsfragen der Verfaſſung und Verwaltung nichts zu ſagen wußte,
ſo verfiel er bald in ein zielloſes, terroriſtiſches Poltern. Von allen Höfen,
den deutſchen wie den fremden, kamen Klagen wider den unverbeſſerlichen
gazettier de Coblence. Wenn er höhnend ſchrieb, die Furcht der Re-
gierungen vor der Preßfreiheit ſei nichts anderes als der Haß der öffent-
lichen Dirnen gegen die Straßenbeleuchtung; wenn er nach dem Erſcheinen
der Schmalziſchen Schrift mit ungeheuerlicher Uebertreibung, in ekelhaften
Bildern ausführte: jetzt hätten ſich die ſieben Geſtänke des preußiſchen
Staates zu dem einen Schmalz-Geſtank vereinigt, und die allgemeine Re-
aktion breche herein — ſo war dieſer Ton dem reizbaren Gehör der Zeit
zu ſtark. Nach wiederholten vertraulichen Warnungen entſchloß ſich Harden-
berg im Januar 1816 den Rheiniſchen Merkur zu unterdrücken, wenige
Tage nachdem Görres den Neujahrstag mit der zuverſichtlichen Weiſſagung
begrüßt hatte: der Merkur werde das herrſchende Geſtirn dieſes Jahres
ſein. Das Verbot erregte allenthalben peinliches Aufſehen. Welch ein Dank
für das Blatt, das in großer Zeit die deutſche Sache ſo muthig vertreten
hatte; und welche Thorheit, den unberechenbaren, leidenſchaftlichen Publi-
ciſten, der noch treu zu der preußiſchen Fahne hielt aber nach ſeiner phan-
taſtiſchen Art jederzeit umſchlagen konnte, alſo zu kränken! Im Uebrigen
blieb die preußiſche Preſſe ziemlich unbeläſtigt.

Erſt im Frühjahr 1817 erinnerte ſich der Bundestag der Verheißung
des Art. 18 und beauftragte zunächſt den oldenburgiſchen Geſandten v. Berg
mit einer ſtatiſtiſchen Zuſammenſtellung der deutſchen Preßgeſetze. Der
ſchwergelehrte Herr ging mit der ganzen Umſtändlichkeit eines alten Göt-
tinger Profeſſors an ſeine mühſame Arbeit. Hardenberg aber ſah ein, daß
man auf dieſem Wege nie zum Ziele gelangen konnte, und da die Klagen
wider die zügelloſe Preſſe, namentlich wider den burſchikoſen Ton der Jenenſer
Zeitungen ſich täglich mehrten, ſo beſchloß er im Sommer 1817, durch ge-
meinſame Vorſchläge der beiden Großmächte ein Bundes-Preßgeſetz zu Stande
zu bringen. Er ließ alſo durch Geh. Rath v. Raumer eine Denkſchrift über
die Preßfreiheit ausarbeiten und befahl ſeinem Vertrauten Jordan als
dieſer im Winter nach Wien ging, ſich darüber mit Metternich zu verſtändigen.
Die Denkſchrift verrieth bereits einige Aengſtlichkeit, doch überſchritt ſie
auch noch nicht das Maß des Zwanges, das den meiſten Regierungen
jener Zeit unentbehrlich ſchien: ſie forderte gänzliche Freiheit für alle grö-

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[170/0184] II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. ufer ſein Unweſen trieb, ſtreng unterdrückt, obgleich die kleinen Nachbarn dem guten Beiſpiele nicht folgten und namentlich in Reutlingen, unter dem Schutze der württembergiſchen Krone, eine ſchamloſe literariſche Frei- beuterei blühte. Nur einmal ließ ſich der Staatskanzler, ſehr ungern, zu einer Ungerechtigkeit beſtimmen, die dem Rufe Preußens eine ſchwere Wunde ſchlug. Der Rheiniſche Merkur war ſeit dem Kriege raſch von ſeiner Höhe herabgeſunken; für die nüchternen Arbeiten der Friedenszeit reichte das feurige patriotiſche Pathos nicht mehr aus. Da Görres über die Geſchäftsfragen der Verfaſſung und Verwaltung nichts zu ſagen wußte, ſo verfiel er bald in ein zielloſes, terroriſtiſches Poltern. Von allen Höfen, den deutſchen wie den fremden, kamen Klagen wider den unverbeſſerlichen gazettier de Coblence. Wenn er höhnend ſchrieb, die Furcht der Re- gierungen vor der Preßfreiheit ſei nichts anderes als der Haß der öffent- lichen Dirnen gegen die Straßenbeleuchtung; wenn er nach dem Erſcheinen der Schmalziſchen Schrift mit ungeheuerlicher Uebertreibung, in ekelhaften Bildern ausführte: jetzt hätten ſich die ſieben Geſtänke des preußiſchen Staates zu dem einen Schmalz-Geſtank vereinigt, und die allgemeine Re- aktion breche herein — ſo war dieſer Ton dem reizbaren Gehör der Zeit zu ſtark. Nach wiederholten vertraulichen Warnungen entſchloß ſich Harden- berg im Januar 1816 den Rheiniſchen Merkur zu unterdrücken, wenige Tage nachdem Görres den Neujahrstag mit der zuverſichtlichen Weiſſagung begrüßt hatte: der Merkur werde das herrſchende Geſtirn dieſes Jahres ſein. Das Verbot erregte allenthalben peinliches Aufſehen. Welch ein Dank für das Blatt, das in großer Zeit die deutſche Sache ſo muthig vertreten hatte; und welche Thorheit, den unberechenbaren, leidenſchaftlichen Publi- ciſten, der noch treu zu der preußiſchen Fahne hielt aber nach ſeiner phan- taſtiſchen Art jederzeit umſchlagen konnte, alſo zu kränken! Im Uebrigen blieb die preußiſche Preſſe ziemlich unbeläſtigt. Erſt im Frühjahr 1817 erinnerte ſich der Bundestag der Verheißung des Art. 18 und beauftragte zunächſt den oldenburgiſchen Geſandten v. Berg mit einer ſtatiſtiſchen Zuſammenſtellung der deutſchen Preßgeſetze. Der ſchwergelehrte Herr ging mit der ganzen Umſtändlichkeit eines alten Göt- tinger Profeſſors an ſeine mühſame Arbeit. Hardenberg aber ſah ein, daß man auf dieſem Wege nie zum Ziele gelangen konnte, und da die Klagen wider die zügelloſe Preſſe, namentlich wider den burſchikoſen Ton der Jenenſer Zeitungen ſich täglich mehrten, ſo beſchloß er im Sommer 1817, durch ge- meinſame Vorſchläge der beiden Großmächte ein Bundes-Preßgeſetz zu Stande zu bringen. Er ließ alſo durch Geh. Rath v. Raumer eine Denkſchrift über die Preßfreiheit ausarbeiten und befahl ſeinem Vertrauten Jordan als dieſer im Winter nach Wien ging, ſich darüber mit Metternich zu verſtändigen. Die Denkſchrift verrieth bereits einige Aengſtlichkeit, doch überſchritt ſie auch noch nicht das Maß des Zwanges, das den meiſten Regierungen jener Zeit unentbehrlich ſchien: ſie forderte gänzliche Freiheit für alle grö-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/184>, abgerufen am 24.11.2024.