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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Verhandlungen über das Bundesheer.
mit cynischer Offenheit ausgesprochen. Baiern fragte kurzab: wozu über-
haupt eine Vorschrift über die Friedensstärke der Contingente? genug, wenn
der Bund für den Kriegsfall das Verhältniß zwischen den Leistungen der
Bundesglieder feststellt; sind diese Simpla vereinbart, so kann alles Weitere
den Umständen und der freien Uebereinkunft der Staaten überlassen werden.
In der That gelangte der Bundestag am 29. Mai 1817 nur zu dem
Beschlusse, einen Ausschuß mit der Aufstellung einer provisorischen Matrikel
zu beauftragen. Aber sollte die Bevölkerung allein den Maßstab für die
Matrikel bilden? Oder auch der Gebietsumfang und die Höhe der Staats-
einkünfte? Selbst hierüber war man noch nicht einig. Die reichen Hanse-
städte empfahlen lebhaft den Bevölkerungsmaßstab, der ihnen ein gutes Ge-
schäft verhieß; das dichtbevölkerte Württemberg sprach ebenso eifrig dawider.

Angesichts solcher Erfahrungen setzte Hardenberg seine letzte Hoffnung
auf die Verständigung mit Oesterreich. Schon um Mitte Mai 1817 ließ
er den Wiener Hof zu Sonderverhandlungen auffordern*), aber erst im
Juli beauftragte Metternich, sichtlich ungern, den General Steigentesch,
in Karlsbad mit Boyen und dem General Wolzogen zusammenzutreffen.
Dort geriethen die beiden alten Freunde Steigentesch und Wolzogen hart
an einander, und nur Boyens ruhige Ueberlegenheit setzte endlich eine
halbe Verständigung durch. Sobald man den Dingen näher trat, kam
sofort zu Tage, wie vollständig Hardenberg sich über die Absichten der Hof-
burg getäuscht hatte. Der preußische Vorschlag der Zweitheilung des Bun-
desheeres erschien den Wiener Staatsmännern schlechthin unannehmbar. Er
bot zwar dem preußischen Staate die Aussicht auf die militärische Beherr-
schung der dichten Wolke der norddeutschen Kleinstaaten; aber was hatte
Oesterreich dabei zu gewinnen, da doch die Unterwerfung der bairischen und
der württembergischen Königskrone unter den kaiserlichen Oberbefehl ganz
undenkbar war? Der Plan entsprang der Politik des friedlichen Dualismus;
doch er konnte, wie die Dinge lagen, nur die Machtstellung Preußens zum
Nachtheil Oesterreichs verstärken. Darum ward er auch von dem einzigen
namhaften preußischen Staatsmanne, welcher damals schon die Trennung
von Oesterreich erstrebte, warm befürwortet. Präsident v. Motz sendete um
die nämliche Zeit dem Staatskanzler eine Denkschrift, die mit genialer
Kühnheit die große Lüge des deutschen Bundesrechts beleuchtete. Hier
ward der Bund kurzerhand als "ein politischer Nothbehelf" bezeichnet,
den die Eifersucht der deutschen Fürsten im Verein mit Oesterreich, Ruß-
land und Frankreich geschaffen habe "um Deutschland in ewiger Kraft-
zersplitterung zu erhalten". Preußen aber müsse schon jetzt den Zeitpunkt
in's Auge fassen, "wo das unhaltbare Bundeswerk wieder in sich selbst zer-
fallen werde", und daher vorläufig, so lange ein einiges deutsches Heer
noch nicht möglich sei, die norddeutschen Contingente durch Militärcon-

*) Hardenbergs Instruktion an Krusemark, 13. Mai 1817.

Verhandlungen über das Bundesheer.
mit cyniſcher Offenheit ausgeſprochen. Baiern fragte kurzab: wozu über-
haupt eine Vorſchrift über die Friedensſtärke der Contingente? genug, wenn
der Bund für den Kriegsfall das Verhältniß zwiſchen den Leiſtungen der
Bundesglieder feſtſtellt; ſind dieſe Simpla vereinbart, ſo kann alles Weitere
den Umſtänden und der freien Uebereinkunft der Staaten überlaſſen werden.
In der That gelangte der Bundestag am 29. Mai 1817 nur zu dem
Beſchluſſe, einen Ausſchuß mit der Aufſtellung einer proviſoriſchen Matrikel
zu beauftragen. Aber ſollte die Bevölkerung allein den Maßſtab für die
Matrikel bilden? Oder auch der Gebietsumfang und die Höhe der Staats-
einkünfte? Selbſt hierüber war man noch nicht einig. Die reichen Hanſe-
ſtädte empfahlen lebhaft den Bevölkerungsmaßſtab, der ihnen ein gutes Ge-
ſchäft verhieß; das dichtbevölkerte Württemberg ſprach ebenſo eifrig dawider.

Angeſichts ſolcher Erfahrungen ſetzte Hardenberg ſeine letzte Hoffnung
auf die Verſtändigung mit Oeſterreich. Schon um Mitte Mai 1817 ließ
er den Wiener Hof zu Sonderverhandlungen auffordern*), aber erſt im
Juli beauftragte Metternich, ſichtlich ungern, den General Steigenteſch,
in Karlsbad mit Boyen und dem General Wolzogen zuſammenzutreffen.
Dort geriethen die beiden alten Freunde Steigenteſch und Wolzogen hart
an einander, und nur Boyens ruhige Ueberlegenheit ſetzte endlich eine
halbe Verſtändigung durch. Sobald man den Dingen näher trat, kam
ſofort zu Tage, wie vollſtändig Hardenberg ſich über die Abſichten der Hof-
burg getäuſcht hatte. Der preußiſche Vorſchlag der Zweitheilung des Bun-
desheeres erſchien den Wiener Staatsmännern ſchlechthin unannehmbar. Er
bot zwar dem preußiſchen Staate die Ausſicht auf die militäriſche Beherr-
ſchung der dichten Wolke der norddeutſchen Kleinſtaaten; aber was hatte
Oeſterreich dabei zu gewinnen, da doch die Unterwerfung der bairiſchen und
der württembergiſchen Königskrone unter den kaiſerlichen Oberbefehl ganz
undenkbar war? Der Plan entſprang der Politik des friedlichen Dualismus;
doch er konnte, wie die Dinge lagen, nur die Machtſtellung Preußens zum
Nachtheil Oeſterreichs verſtärken. Darum ward er auch von dem einzigen
namhaften preußiſchen Staatsmanne, welcher damals ſchon die Trennung
von Oeſterreich erſtrebte, warm befürwortet. Präſident v. Motz ſendete um
die nämliche Zeit dem Staatskanzler eine Denkſchrift, die mit genialer
Kühnheit die große Lüge des deutſchen Bundesrechts beleuchtete. Hier
ward der Bund kurzerhand als „ein politiſcher Nothbehelf“ bezeichnet,
den die Eiferſucht der deutſchen Fürſten im Verein mit Oeſterreich, Ruß-
land und Frankreich geſchaffen habe „um Deutſchland in ewiger Kraft-
zerſplitterung zu erhalten“. Preußen aber müſſe ſchon jetzt den Zeitpunkt
in’s Auge faſſen, „wo das unhaltbare Bundeswerk wieder in ſich ſelbſt zer-
fallen werde“, und daher vorläufig, ſo lange ein einiges deutſches Heer
noch nicht möglich ſei, die norddeutſchen Contingente durch Militärcon-

*) Hardenbergs Inſtruktion an Kruſemark, 13. Mai 1817.
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[159/0173] Verhandlungen über das Bundesheer. mit cyniſcher Offenheit ausgeſprochen. Baiern fragte kurzab: wozu über- haupt eine Vorſchrift über die Friedensſtärke der Contingente? genug, wenn der Bund für den Kriegsfall das Verhältniß zwiſchen den Leiſtungen der Bundesglieder feſtſtellt; ſind dieſe Simpla vereinbart, ſo kann alles Weitere den Umſtänden und der freien Uebereinkunft der Staaten überlaſſen werden. In der That gelangte der Bundestag am 29. Mai 1817 nur zu dem Beſchluſſe, einen Ausſchuß mit der Aufſtellung einer proviſoriſchen Matrikel zu beauftragen. Aber ſollte die Bevölkerung allein den Maßſtab für die Matrikel bilden? Oder auch der Gebietsumfang und die Höhe der Staats- einkünfte? Selbſt hierüber war man noch nicht einig. Die reichen Hanſe- ſtädte empfahlen lebhaft den Bevölkerungsmaßſtab, der ihnen ein gutes Ge- ſchäft verhieß; das dichtbevölkerte Württemberg ſprach ebenſo eifrig dawider. Angeſichts ſolcher Erfahrungen ſetzte Hardenberg ſeine letzte Hoffnung auf die Verſtändigung mit Oeſterreich. Schon um Mitte Mai 1817 ließ er den Wiener Hof zu Sonderverhandlungen auffordern *), aber erſt im Juli beauftragte Metternich, ſichtlich ungern, den General Steigenteſch, in Karlsbad mit Boyen und dem General Wolzogen zuſammenzutreffen. Dort geriethen die beiden alten Freunde Steigenteſch und Wolzogen hart an einander, und nur Boyens ruhige Ueberlegenheit ſetzte endlich eine halbe Verſtändigung durch. Sobald man den Dingen näher trat, kam ſofort zu Tage, wie vollſtändig Hardenberg ſich über die Abſichten der Hof- burg getäuſcht hatte. Der preußiſche Vorſchlag der Zweitheilung des Bun- desheeres erſchien den Wiener Staatsmännern ſchlechthin unannehmbar. Er bot zwar dem preußiſchen Staate die Ausſicht auf die militäriſche Beherr- ſchung der dichten Wolke der norddeutſchen Kleinſtaaten; aber was hatte Oeſterreich dabei zu gewinnen, da doch die Unterwerfung der bairiſchen und der württembergiſchen Königskrone unter den kaiſerlichen Oberbefehl ganz undenkbar war? Der Plan entſprang der Politik des friedlichen Dualismus; doch er konnte, wie die Dinge lagen, nur die Machtſtellung Preußens zum Nachtheil Oeſterreichs verſtärken. Darum ward er auch von dem einzigen namhaften preußiſchen Staatsmanne, welcher damals ſchon die Trennung von Oeſterreich erſtrebte, warm befürwortet. Präſident v. Motz ſendete um die nämliche Zeit dem Staatskanzler eine Denkſchrift, die mit genialer Kühnheit die große Lüge des deutſchen Bundesrechts beleuchtete. Hier ward der Bund kurzerhand als „ein politiſcher Nothbehelf“ bezeichnet, den die Eiferſucht der deutſchen Fürſten im Verein mit Oeſterreich, Ruß- land und Frankreich geſchaffen habe „um Deutſchland in ewiger Kraft- zerſplitterung zu erhalten“. Preußen aber müſſe ſchon jetzt den Zeitpunkt in’s Auge faſſen, „wo das unhaltbare Bundeswerk wieder in ſich ſelbſt zer- fallen werde“, und daher vorläufig, ſo lange ein einiges deutſches Heer noch nicht möglich ſei, die norddeutſchen Contingente durch Militärcon- *) Hardenbergs Inſtruktion an Kruſemark, 13. Mai 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/173>, abgerufen am 25.11.2024.