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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
die Ueberzahl der Oesterreicher und der Preußen die Kleinen nicht erdrückte.
Ließ sich dies höchste Ziel nicht erreichen, so mußten die Kleinstaaten min-
destens vor jeder Unterordnung unter die Großmächte bewahrt bleiben. Die-
selben Höfe, welche soeben, als die Zulassung der fremden Gesandten in
Frage stand, die europäische Macht des Deutschen Bundes verherrlicht
hatten, sagten jetzt demüthig: die Aufgabe sei nicht eine gebietende Stellung
im europäischen Staatensysteme einzunehmen, sondern nur eine vertheidi-
gende mit Würde zu behaupten -- so lautete der erste Commissionsbericht
des Bundestages in Sachen des Heerwesens. Baden und Darmstadt
gingen noch weiter und erklärten geradezu, gegen Sinn und Wortlaut
der Bundesakte: Neutralität sei das einzige Princip des Bundes. Da die
kleinen Höfe allesammt fest auf eine lange Zeit ungestörten Friedens hofften,
so wollten sie ihren ermüdeten Völkern, ihren zerrütteten Finanzen nur
geringe Kriegsleistungen zumuthen. Die Landwehr, welche die meisten
Kleinstaaten während des Krieges nach preußischem Muster gebildet hatten,
wurde von dem Zunftstolze der rheinbündischen Offiziere mit Verachtung
angesehen, zumal da sie, mit Ausnahme der hannöverschen, nur selten in's
Gefecht gekommen war. Auch an Verdächtigungen fehlte es nicht; hatte
doch Steins verhaßte Centralverwaltung die Volksbewaffnung geleitet!
Nach dem Frieden hob man überall in den Kleinstaaten die Landwehr
auf oder man ließ sie verfallen, so daß sie nur zuweilen, wie die vielbe-
lachten bairischen "Frohnleichnamssoldaten", an Festtagen auf einige Stun-
den zum Vorschein kam; und bald war Preußen der einzige deutsche Staat,
der noch eine kriegstüchtige Landwehr besaß.

In dem Verlangen nach Abrüstung vereinigten sich die gedankenlose
Selbstsucht der kleinen Höfe und der Soldatenhaß des Liberalismus. Auch
darin stimmten alle Mittelstaaten überein, daß man allenfalls für Kriegs-
zeiten eine mäßige Leistung versprechen, doch nimmermehr im Frieden eine
Aufsicht von Bundeswegen ertragen dürfe. An den Höfen von Darm-
stadt und Karlsruhe fragte man unverhohlen: warum Opfer bringen für
ein Bundesheer, das dem engeren Vaterlande doch nichts nützen könne? be-
vor die Oesterreicher und Preußen dem Südwesten zu Hilfe kämen, wür-
den die französischen Heere längst die deutschen Grenzlande überschwemmt
haben. So schnell waren die strahlenden Siege der jüngsten Jahre wieder
vergessen; so lähmend wirkte die Nachbarschaft jener elsassischen Festungen,
welche der faule Friede in Frankreichs Hand gelassen, auf den deutschen
Stolz! Der Kurfürst von Hessen bewährte auch diesmal seine Anhäng-
lichkeit an die gute alte Zeit und schärfte seinem Gesandten ein, Hessen
habe zu dem Reichsheere niemals mehr als 800 Mann gestellt; doch wollte
er aus besonderer Hingebung dem Deutschen Bunde äußersten Falles
2500 Mann gewähren, nur möge man ihn mit den "Hauskriegen" Oester-
reichs und Preußens nicht behelligen. Diese Absichten der kleinen Höfe
wurden schon bei den einleitenden Verhandlungen über das Heerwesen

II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
die Ueberzahl der Oeſterreicher und der Preußen die Kleinen nicht erdrückte.
Ließ ſich dies höchſte Ziel nicht erreichen, ſo mußten die Kleinſtaaten min-
deſtens vor jeder Unterordnung unter die Großmächte bewahrt bleiben. Die-
ſelben Höfe, welche ſoeben, als die Zulaſſung der fremden Geſandten in
Frage ſtand, die europäiſche Macht des Deutſchen Bundes verherrlicht
hatten, ſagten jetzt demüthig: die Aufgabe ſei nicht eine gebietende Stellung
im europäiſchen Staatenſyſteme einzunehmen, ſondern nur eine vertheidi-
gende mit Würde zu behaupten — ſo lautete der erſte Commiſſionsbericht
des Bundestages in Sachen des Heerweſens. Baden und Darmſtadt
gingen noch weiter und erklärten geradezu, gegen Sinn und Wortlaut
der Bundesakte: Neutralität ſei das einzige Princip des Bundes. Da die
kleinen Höfe alleſammt feſt auf eine lange Zeit ungeſtörten Friedens hofften,
ſo wollten ſie ihren ermüdeten Völkern, ihren zerrütteten Finanzen nur
geringe Kriegsleiſtungen zumuthen. Die Landwehr, welche die meiſten
Kleinſtaaten während des Krieges nach preußiſchem Muſter gebildet hatten,
wurde von dem Zunftſtolze der rheinbündiſchen Offiziere mit Verachtung
angeſehen, zumal da ſie, mit Ausnahme der hannöverſchen, nur ſelten in’s
Gefecht gekommen war. Auch an Verdächtigungen fehlte es nicht; hatte
doch Steins verhaßte Centralverwaltung die Volksbewaffnung geleitet!
Nach dem Frieden hob man überall in den Kleinſtaaten die Landwehr
auf oder man ließ ſie verfallen, ſo daß ſie nur zuweilen, wie die vielbe-
lachten bairiſchen „Frohnleichnamsſoldaten“, an Feſttagen auf einige Stun-
den zum Vorſchein kam; und bald war Preußen der einzige deutſche Staat,
der noch eine kriegstüchtige Landwehr beſaß.

In dem Verlangen nach Abrüſtung vereinigten ſich die gedankenloſe
Selbſtſucht der kleinen Höfe und der Soldatenhaß des Liberalismus. Auch
darin ſtimmten alle Mittelſtaaten überein, daß man allenfalls für Kriegs-
zeiten eine mäßige Leiſtung verſprechen, doch nimmermehr im Frieden eine
Aufſicht von Bundeswegen ertragen dürfe. An den Höfen von Darm-
ſtadt und Karlsruhe fragte man unverhohlen: warum Opfer bringen für
ein Bundesheer, das dem engeren Vaterlande doch nichts nützen könne? be-
vor die Oeſterreicher und Preußen dem Südweſten zu Hilfe kämen, wür-
den die franzöſiſchen Heere längſt die deutſchen Grenzlande überſchwemmt
haben. So ſchnell waren die ſtrahlenden Siege der jüngſten Jahre wieder
vergeſſen; ſo lähmend wirkte die Nachbarſchaft jener elſaſſiſchen Feſtungen,
welche der faule Friede in Frankreichs Hand gelaſſen, auf den deutſchen
Stolz! Der Kurfürſt von Heſſen bewährte auch diesmal ſeine Anhäng-
lichkeit an die gute alte Zeit und ſchärfte ſeinem Geſandten ein, Heſſen
habe zu dem Reichsheere niemals mehr als 800 Mann geſtellt; doch wollte
er aus beſonderer Hingebung dem Deutſchen Bunde äußerſten Falles
2500 Mann gewähren, nur möge man ihn mit den „Hauskriegen“ Oeſter-
reichs und Preußens nicht behelligen. Dieſe Abſichten der kleinen Höfe
wurden ſchon bei den einleitenden Verhandlungen über das Heerweſen

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[158/0172] II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. die Ueberzahl der Oeſterreicher und der Preußen die Kleinen nicht erdrückte. Ließ ſich dies höchſte Ziel nicht erreichen, ſo mußten die Kleinſtaaten min- deſtens vor jeder Unterordnung unter die Großmächte bewahrt bleiben. Die- ſelben Höfe, welche ſoeben, als die Zulaſſung der fremden Geſandten in Frage ſtand, die europäiſche Macht des Deutſchen Bundes verherrlicht hatten, ſagten jetzt demüthig: die Aufgabe ſei nicht eine gebietende Stellung im europäiſchen Staatenſyſteme einzunehmen, ſondern nur eine vertheidi- gende mit Würde zu behaupten — ſo lautete der erſte Commiſſionsbericht des Bundestages in Sachen des Heerweſens. Baden und Darmſtadt gingen noch weiter und erklärten geradezu, gegen Sinn und Wortlaut der Bundesakte: Neutralität ſei das einzige Princip des Bundes. Da die kleinen Höfe alleſammt feſt auf eine lange Zeit ungeſtörten Friedens hofften, ſo wollten ſie ihren ermüdeten Völkern, ihren zerrütteten Finanzen nur geringe Kriegsleiſtungen zumuthen. Die Landwehr, welche die meiſten Kleinſtaaten während des Krieges nach preußiſchem Muſter gebildet hatten, wurde von dem Zunftſtolze der rheinbündiſchen Offiziere mit Verachtung angeſehen, zumal da ſie, mit Ausnahme der hannöverſchen, nur ſelten in’s Gefecht gekommen war. Auch an Verdächtigungen fehlte es nicht; hatte doch Steins verhaßte Centralverwaltung die Volksbewaffnung geleitet! Nach dem Frieden hob man überall in den Kleinſtaaten die Landwehr auf oder man ließ ſie verfallen, ſo daß ſie nur zuweilen, wie die vielbe- lachten bairiſchen „Frohnleichnamsſoldaten“, an Feſttagen auf einige Stun- den zum Vorſchein kam; und bald war Preußen der einzige deutſche Staat, der noch eine kriegstüchtige Landwehr beſaß. In dem Verlangen nach Abrüſtung vereinigten ſich die gedankenloſe Selbſtſucht der kleinen Höfe und der Soldatenhaß des Liberalismus. Auch darin ſtimmten alle Mittelſtaaten überein, daß man allenfalls für Kriegs- zeiten eine mäßige Leiſtung verſprechen, doch nimmermehr im Frieden eine Aufſicht von Bundeswegen ertragen dürfe. An den Höfen von Darm- ſtadt und Karlsruhe fragte man unverhohlen: warum Opfer bringen für ein Bundesheer, das dem engeren Vaterlande doch nichts nützen könne? be- vor die Oeſterreicher und Preußen dem Südweſten zu Hilfe kämen, wür- den die franzöſiſchen Heere längſt die deutſchen Grenzlande überſchwemmt haben. So ſchnell waren die ſtrahlenden Siege der jüngſten Jahre wieder vergeſſen; ſo lähmend wirkte die Nachbarſchaft jener elſaſſiſchen Feſtungen, welche der faule Friede in Frankreichs Hand gelaſſen, auf den deutſchen Stolz! Der Kurfürſt von Heſſen bewährte auch diesmal ſeine Anhäng- lichkeit an die gute alte Zeit und ſchärfte ſeinem Geſandten ein, Heſſen habe zu dem Reichsheere niemals mehr als 800 Mann geſtellt; doch wollte er aus beſonderer Hingebung dem Deutſchen Bunde äußerſten Falles 2500 Mann gewähren, nur möge man ihn mit den „Hauskriegen“ Oeſter- reichs und Preußens nicht behelligen. Dieſe Abſichten der kleinen Höfe wurden ſchon bei den einleitenden Verhandlungen über das Heerweſen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/172>, abgerufen am 25.11.2024.