Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Die Bundeskriegsverfassung. deutschen Armeen wenig Gewicht, weil er des preußischen Bündnisses sicherwar. Die Frage schien nicht erheblich genug um deßhalb den Argwohn der Mittelstaaten zu erregen; brach ein Krieg aus, so mußten sich die kleinen Contingente doch, wie in den letzten Feldzügen, irgendwie an die größeren Massen anschließen. Ohnehin fehlte dem Wiener Hofe gänzlich der militärische Sinn, das Verständniß für die sittliche Bedeutung der Heeresverfassung. Obgleich die Mängel des schwerfälligen österreichischen Heerwesens während der jüngsten Kriege grell genug hervorgetreten waren, so unterblieb doch im Frieden jede Verbesserung; der mißtrauische Kaiser sprach als Grundsatz aus, daß man niemals einem Offizier, der sich im Kriege her- vorgethan, im Frieden eine einflußreiche Stellung anvertrauen dürfe, und ließ den fähigsten seiner Generale, Radetzky, zehn Jahre lang auf dem Festungscommando zu Olmütz. Die Maschine verrostete mehr und mehr. Die jungen Offiziere spotteten laut über das militärische Philisterthum und ergötzten sich an einer boshaften Satire, die im Jahre 1816 erschien, dem "Standhaften Kriegs-Dienst- und Exercirreglement der Reichsstadt Riblingen" -- denn wie oft hatte nicht das tapfere kaiserliche Heer, gleich der Riblinger Armada, einen Feldherrn aus dem Geschlechte derer von Kraftlos ertragen müssen! Zu Alledem kam noch der dringende Wunsch des Kaisers, alle erregten Verhandlungen in Frankfurt zu vermeiden. Als ihm der Bundestag zum ersten male zum Geburtstage Glück wünschte, ließ er durch Metternich (2. März 1817) seinen Dank aussprechen, und die Auguren der Eschenheimer Gasse vernahmen mit befriedigtem Lächeln, wie der gute Kaiser sie ermahnte: sie sollten nicht vergessen, daß sie als eine permanente Versammlung keinen Grund zu übereilter Arbeit hätten; nimmer- mehr dürfe durch "übertriebenes Drängen der Geschäfte ein nachtheiliger Ausbruch" am Bundestage herbeigeführt werden. Während Kaiser Franz also seine Besorgniß vor dem heißblütigen *) Berstetts Bericht 29. Januar 1817.
Die Bundeskriegsverfaſſung. deutſchen Armeen wenig Gewicht, weil er des preußiſchen Bündniſſes ſicherwar. Die Frage ſchien nicht erheblich genug um deßhalb den Argwohn der Mittelſtaaten zu erregen; brach ein Krieg aus, ſo mußten ſich die kleinen Contingente doch, wie in den letzten Feldzügen, irgendwie an die größeren Maſſen anſchließen. Ohnehin fehlte dem Wiener Hofe gänzlich der militäriſche Sinn, das Verſtändniß für die ſittliche Bedeutung der Heeresverfaſſung. Obgleich die Mängel des ſchwerfälligen öſterreichiſchen Heerweſens während der jüngſten Kriege grell genug hervorgetreten waren, ſo unterblieb doch im Frieden jede Verbeſſerung; der mißtrauiſche Kaiſer ſprach als Grundſatz aus, daß man niemals einem Offizier, der ſich im Kriege her- vorgethan, im Frieden eine einflußreiche Stellung anvertrauen dürfe, und ließ den fähigſten ſeiner Generale, Radetzky, zehn Jahre lang auf dem Feſtungscommando zu Olmütz. Die Maſchine verroſtete mehr und mehr. Die jungen Offiziere ſpotteten laut über das militäriſche Philiſterthum und ergötzten ſich an einer boshaften Satire, die im Jahre 1816 erſchien, dem „Standhaften Kriegs-Dienſt- und Exercirreglement der Reichsſtadt Riblingen“ — denn wie oft hatte nicht das tapfere kaiſerliche Heer, gleich der Riblinger Armada, einen Feldherrn aus dem Geſchlechte derer von Kraftlos ertragen müſſen! Zu Alledem kam noch der dringende Wunſch des Kaiſers, alle erregten Verhandlungen in Frankfurt zu vermeiden. Als ihm der Bundestag zum erſten male zum Geburtstage Glück wünſchte, ließ er durch Metternich (2. März 1817) ſeinen Dank ausſprechen, und die Auguren der Eſchenheimer Gaſſe vernahmen mit befriedigtem Lächeln, wie der gute Kaiſer ſie ermahnte: ſie ſollten nicht vergeſſen, daß ſie als eine permanente Verſammlung keinen Grund zu übereilter Arbeit hätten; nimmer- mehr dürfe durch „übertriebenes Drängen der Geſchäfte ein nachtheiliger Ausbruch“ am Bundestage herbeigeführt werden. Während Kaiſer Franz alſo ſeine Beſorgniß vor dem heißblütigen *) Berſtetts Bericht 29. Januar 1817.
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Die Bundeskriegsverfaſſung.
deutſchen Armeen wenig Gewicht, weil er des preußiſchen Bündniſſes ſicher
war. Die Frage ſchien nicht erheblich genug um deßhalb den Argwohn
der Mittelſtaaten zu erregen; brach ein Krieg aus, ſo mußten ſich die
kleinen Contingente doch, wie in den letzten Feldzügen, irgendwie an die
größeren Maſſen anſchließen. Ohnehin fehlte dem Wiener Hofe gänzlich
der militäriſche Sinn, das Verſtändniß für die ſittliche Bedeutung der
Heeresverfaſſung. Obgleich die Mängel des ſchwerfälligen öſterreichiſchen
Heerweſens während der jüngſten Kriege grell genug hervorgetreten waren, ſo
unterblieb doch im Frieden jede Verbeſſerung; der mißtrauiſche Kaiſer ſprach
als Grundſatz aus, daß man niemals einem Offizier, der ſich im Kriege her-
vorgethan, im Frieden eine einflußreiche Stellung anvertrauen dürfe, und
ließ den fähigſten ſeiner Generale, Radetzky, zehn Jahre lang auf dem
Feſtungscommando zu Olmütz. Die Maſchine verroſtete mehr und mehr.
Die jungen Offiziere ſpotteten laut über das militäriſche Philiſterthum
und ergötzten ſich an einer boshaften Satire, die im Jahre 1816 erſchien,
dem „Standhaften Kriegs-Dienſt- und Exercirreglement der Reichsſtadt
Riblingen“ — denn wie oft hatte nicht das tapfere kaiſerliche Heer, gleich
der Riblinger Armada, einen Feldherrn aus dem Geſchlechte derer von
Kraftlos ertragen müſſen! Zu Alledem kam noch der dringende Wunſch
des Kaiſers, alle erregten Verhandlungen in Frankfurt zu vermeiden.
Als ihm der Bundestag zum erſten male zum Geburtstage Glück wünſchte,
ließ er durch Metternich (2. März 1817) ſeinen Dank ausſprechen, und die
Auguren der Eſchenheimer Gaſſe vernahmen mit befriedigtem Lächeln, wie
der gute Kaiſer ſie ermahnte: ſie ſollten nicht vergeſſen, daß ſie als eine
permanente Verſammlung keinen Grund zu übereilter Arbeit hätten; nimmer-
mehr dürfe durch „übertriebenes Drängen der Geſchäfte ein nachtheiliger
Ausbruch“ am Bundestage herbeigeführt werden.
Während Kaiſer Franz alſo ſeine Beſorgniß vor dem heißblütigen
Ungeſtüm des jugendlichen Bundestages ausſprach, zeigten ſich die Mittel-
ſtaaten ſämmtlich entſchloſſen, Alles zu verwerfen, was der Einheit eines
wirklichen Heeres auch nur nahe kam. In keiner andern Frage wagte
ſich die noch ungebrochene rheinbündiſche Geſinnung dieſer Höfe ſo ſchamlos
hervor. Nicht die Vertheidigung des Vaterlandes gegen den auswärtigen
Feind, ſondern die Sicherung der kleinköniglichen Souveränität gegen die
Uebermacht der großen Bundesgenoſſen wurde ungeſcheut als der Zweck
der Bundeskriegsverfaſſung bezeichnet. Alle Mittel- und Kleinſtaaten, ſo
berichtete Berſtett zufrieden ſeinem Hofe, wünſchten die Bildung eines
reinen Bundesheeres von mehreren Corps aus den kleinen Contingenten
unter einem gewählten Bundesfeldherrn; daneben mochten noch ein öſter-
reichiſches und ein preußiſches Corps als ſelbſtändige Hilfstruppen geduldet
werden. *) Das deutſche Heer ſollte abſichtlich geſchwächt werden, damit
*) Berſtetts Bericht 29. Januar 1817.
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