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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
schen Bundes noch nicht aufgegeben hatte. Der österreichische Staatsmann
sendete seinem preußischen Freunde einen zärtlichen, hochpathetischen Brief
(9. Jan. 1818), der für Jedermann -- allein den König und den Staats-
kanzler ausgenommen -- ein ewiges Geheimniß bleiben sollte. Er schil-
derte beweglich, wie die glückliche Eintracht der beiden Mächte allein auf
der vollkommenen Gleichheit ihrer Stellung beruhe. "Diese Gleichheit be-
seitigen hieße das ganze Gebäude umstoßen. Hüten wir uns, mein Fürst,
an dieser glücklichen Lage irgend etwas zu verändern!" Eine beigefügte
Denkschrift behauptete mit stolzer Zuversicht: Würde einer der Bundes-
staaten in seinem nicht-deutschen Gebiete unrechtmäßig angegriffen, "so
würde es kaum einmal einer Defensiv-Allianz bedürfen um den Bund in
Thätigkeit zu versetzen; sein eigenes Interesse würde ihn dazu bewegen.
Der Fall, daß Oesterreich oder Preußen getrennt von Rußland angegriffen
würde, ohne daß die eine oder andere Macht für ihren Bundesgenossen
Partei nähme, liegt so sehr außer aller Möglichkeit, daß es überflüssig
wäre dabei zu verweilen." Der König jedoch ward weder durch die Mah-
nungen Oesterreichs noch durch eine neue Denkschrift seines Staatskanzlers
überzeugt und verlangte, obgleich Hardenberg dringend abrieth, ein Gut-
achten der auswärtigen Abtheilung seines Staatsraths.*) Hier stimmten
nach lebhaften Verhandlungen schließlich Alle darin überein, daß der Vor-
schlag des Königs angesichts der Gesinnung der deutschen Bundesstaaten
vorläufig unausführbar sei. Selbst der Vertraute des Monarchen, der
wackere Oberst Witzleben, der anfangs für die Ansicht seines königlichen
Freundes aufgetreten, ward durch die überlegenen Gründe der Gegner ge-
wonnen. Nun endlich gab der König nach und genehmigte (24. April),
daß außer den alten Reichslanden nur noch Geldern, Schlesien und die
Lausitz dem Bunde beitraten. Unmuthig fügte er hinzu, dies geschehe
gegen seine Ueberzeugung.**) Also wurde die Absicht König Friedrich Wil-
helms, das alte Pflanzungsland des deutschen Mittelalters wieder in den
Staatsverband der Nation zurückzuführen, für diesmal vereitelt. Erst ein
Menschenalter darauf, unter den Stürmen der Revolution, sollte der Plan
wieder aufleben, und erst nach abermals achtzehn Jahren, als die Herr-
schaft Oesterreichs zusammenbrach, ward er für die Dauer verwirklicht.

Ebenso unglücklich verliefen die Verhandlungen über das Bundesheer.
König Friedrich Wilhelm betrieb sie mit unermüdlichem Eifer, denn da
Preußen selbst fünf Procent der Bevölkerung zum Heer stellte, so hielt er
sich berechtigt von den Bundesgenossen mindestens annähernd gleiche Lei-
stungen zu fordern. Metternich dagegen legte auf die Organisation der kleinen

*) Ancillons Denkschrift für den Wiener Hof, 5. Decbr. 1817. Metternichs Brief
und Denkschrift an Hardenberg, 9. Januar 1818. Hardenbergs Denkschrift, Engers
22. Februar 1818.
**) Die zwei Gutachten Witzlebens bei Dorow, J. v. Witzleben S. 115 ff. Har-
denbergs Tagebuch 24. April 1818.

II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
ſchen Bundes noch nicht aufgegeben hatte. Der öſterreichiſche Staatsmann
ſendete ſeinem preußiſchen Freunde einen zärtlichen, hochpathetiſchen Brief
(9. Jan. 1818), der für Jedermann — allein den König und den Staats-
kanzler ausgenommen — ein ewiges Geheimniß bleiben ſollte. Er ſchil-
derte beweglich, wie die glückliche Eintracht der beiden Mächte allein auf
der vollkommenen Gleichheit ihrer Stellung beruhe. „Dieſe Gleichheit be-
ſeitigen hieße das ganze Gebäude umſtoßen. Hüten wir uns, mein Fürſt,
an dieſer glücklichen Lage irgend etwas zu verändern!“ Eine beigefügte
Denkſchrift behauptete mit ſtolzer Zuverſicht: Würde einer der Bundes-
ſtaaten in ſeinem nicht-deutſchen Gebiete unrechtmäßig angegriffen, „ſo
würde es kaum einmal einer Defenſiv-Allianz bedürfen um den Bund in
Thätigkeit zu verſetzen; ſein eigenes Intereſſe würde ihn dazu bewegen.
Der Fall, daß Oeſterreich oder Preußen getrennt von Rußland angegriffen
würde, ohne daß die eine oder andere Macht für ihren Bundesgenoſſen
Partei nähme, liegt ſo ſehr außer aller Möglichkeit, daß es überflüſſig
wäre dabei zu verweilen.“ Der König jedoch ward weder durch die Mah-
nungen Oeſterreichs noch durch eine neue Denkſchrift ſeines Staatskanzlers
überzeugt und verlangte, obgleich Hardenberg dringend abrieth, ein Gut-
achten der auswärtigen Abtheilung ſeines Staatsraths.*) Hier ſtimmten
nach lebhaften Verhandlungen ſchließlich Alle darin überein, daß der Vor-
ſchlag des Königs angeſichts der Geſinnung der deutſchen Bundesſtaaten
vorläufig unausführbar ſei. Selbſt der Vertraute des Monarchen, der
wackere Oberſt Witzleben, der anfangs für die Anſicht ſeines königlichen
Freundes aufgetreten, ward durch die überlegenen Gründe der Gegner ge-
wonnen. Nun endlich gab der König nach und genehmigte (24. April),
daß außer den alten Reichslanden nur noch Geldern, Schleſien und die
Lauſitz dem Bunde beitraten. Unmuthig fügte er hinzu, dies geſchehe
gegen ſeine Ueberzeugung.**) Alſo wurde die Abſicht König Friedrich Wil-
helms, das alte Pflanzungsland des deutſchen Mittelalters wieder in den
Staatsverband der Nation zurückzuführen, für diesmal vereitelt. Erſt ein
Menſchenalter darauf, unter den Stürmen der Revolution, ſollte der Plan
wieder aufleben, und erſt nach abermals achtzehn Jahren, als die Herr-
ſchaft Oeſterreichs zuſammenbrach, ward er für die Dauer verwirklicht.

Ebenſo unglücklich verliefen die Verhandlungen über das Bundesheer.
König Friedrich Wilhelm betrieb ſie mit unermüdlichem Eifer, denn da
Preußen ſelbſt fünf Procent der Bevölkerung zum Heer ſtellte, ſo hielt er
ſich berechtigt von den Bundesgenoſſen mindeſtens annähernd gleiche Lei-
ſtungen zu fordern. Metternich dagegen legte auf die Organiſation der kleinen

*) Ancillons Denkſchrift für den Wiener Hof, 5. Decbr. 1817. Metternichs Brief
und Denkſchrift an Hardenberg, 9. Januar 1818. Hardenbergs Denkſchrift, Engers
22. Februar 1818.
**) Die zwei Gutachten Witzlebens bei Dorow, J. v. Witzleben S. 115 ff. Har-
denbergs Tagebuch 24. April 1818.
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[156/0170] II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. ſchen Bundes noch nicht aufgegeben hatte. Der öſterreichiſche Staatsmann ſendete ſeinem preußiſchen Freunde einen zärtlichen, hochpathetiſchen Brief (9. Jan. 1818), der für Jedermann — allein den König und den Staats- kanzler ausgenommen — ein ewiges Geheimniß bleiben ſollte. Er ſchil- derte beweglich, wie die glückliche Eintracht der beiden Mächte allein auf der vollkommenen Gleichheit ihrer Stellung beruhe. „Dieſe Gleichheit be- ſeitigen hieße das ganze Gebäude umſtoßen. Hüten wir uns, mein Fürſt, an dieſer glücklichen Lage irgend etwas zu verändern!“ Eine beigefügte Denkſchrift behauptete mit ſtolzer Zuverſicht: Würde einer der Bundes- ſtaaten in ſeinem nicht-deutſchen Gebiete unrechtmäßig angegriffen, „ſo würde es kaum einmal einer Defenſiv-Allianz bedürfen um den Bund in Thätigkeit zu verſetzen; ſein eigenes Intereſſe würde ihn dazu bewegen. Der Fall, daß Oeſterreich oder Preußen getrennt von Rußland angegriffen würde, ohne daß die eine oder andere Macht für ihren Bundesgenoſſen Partei nähme, liegt ſo ſehr außer aller Möglichkeit, daß es überflüſſig wäre dabei zu verweilen.“ Der König jedoch ward weder durch die Mah- nungen Oeſterreichs noch durch eine neue Denkſchrift ſeines Staatskanzlers überzeugt und verlangte, obgleich Hardenberg dringend abrieth, ein Gut- achten der auswärtigen Abtheilung ſeines Staatsraths. *) Hier ſtimmten nach lebhaften Verhandlungen ſchließlich Alle darin überein, daß der Vor- ſchlag des Königs angeſichts der Geſinnung der deutſchen Bundesſtaaten vorläufig unausführbar ſei. Selbſt der Vertraute des Monarchen, der wackere Oberſt Witzleben, der anfangs für die Anſicht ſeines königlichen Freundes aufgetreten, ward durch die überlegenen Gründe der Gegner ge- wonnen. Nun endlich gab der König nach und genehmigte (24. April), daß außer den alten Reichslanden nur noch Geldern, Schleſien und die Lauſitz dem Bunde beitraten. Unmuthig fügte er hinzu, dies geſchehe gegen ſeine Ueberzeugung. **) Alſo wurde die Abſicht König Friedrich Wil- helms, das alte Pflanzungsland des deutſchen Mittelalters wieder in den Staatsverband der Nation zurückzuführen, für diesmal vereitelt. Erſt ein Menſchenalter darauf, unter den Stürmen der Revolution, ſollte der Plan wieder aufleben, und erſt nach abermals achtzehn Jahren, als die Herr- ſchaft Oeſterreichs zuſammenbrach, ward er für die Dauer verwirklicht. Ebenſo unglücklich verliefen die Verhandlungen über das Bundesheer. König Friedrich Wilhelm betrieb ſie mit unermüdlichem Eifer, denn da Preußen ſelbſt fünf Procent der Bevölkerung zum Heer ſtellte, ſo hielt er ſich berechtigt von den Bundesgenoſſen mindeſtens annähernd gleiche Lei- ſtungen zu fordern. Metternich dagegen legte auf die Organiſation der kleinen *) Ancillons Denkſchrift für den Wiener Hof, 5. Decbr. 1817. Metternichs Brief und Denkſchrift an Hardenberg, 9. Januar 1818. Hardenbergs Denkſchrift, Engers 22. Februar 1818. **) Die zwei Gutachten Witzlebens bei Dorow, J. v. Witzleben S. 115 ff. Har- denbergs Tagebuch 24. April 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/170>, abgerufen am 25.11.2024.