Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages. Empfang ward dem Unglücklichen! Der Kurfürst hatte sich sogleich beiKaiser Franz beschwert, und Metternich überhäufte den Präsidialgesandten mit Vorwürfen: wie er sich habe unterstehen können, die Würde eines Souveräns in solcher Weise anzutasten! Er drohte ihm mit Abberufung, mit förmlicher Mißbilligung des Bundesbeschlusses. Dies Aeußerste wurde freilich durch Hardenbergs Vermittlung abgewendet. Der Staatskanzler hielt seinem Wiener Freunde eindringlich vor, der Bundestag sei im Rechte und dürfe nicht öffentlich bloßgestellt werden.*) Metternich begnügte sich daher mit einer strengen Verwarnung, und tief niedergeschlagen kehrte Buol auf seinen Posten zurück. Darauf bestätigte der Bundestag seine frühere Entschließung durch einen neuen, überaus behutsam gehaltenen Beschluß, und die Hofmann'sche Beschwerde wurde durch den Kurfürsten in der Stille beigelegt. Aber von einer Sühne für die erlittene Beschimpfung war keine Rede; die deutschen Souveräne wußten jetzt was sie sich gegen den Bund herausnehmen durften. Die Gesandten fühlten sich allesammt beschämt und eingeschüchtert, sie gewöhnten sich fortan, bei jeder noch so ge- ringfügigen Frage besondere Instruktionen einzuholen, so daß alle Ent- scheidungen sich in's Unabsehbare hinauszogen. Der Hofmann'sche Fall bildete nur ein Glied in einer langen Kette *) Hardenberg an Metternich, 12. April 1817. **) Goltz's Bericht 19. Juli; Denkschrift des Staatskanzlers über das Königreich
Westphalen, 18. Nov. 1817. II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. Empfang ward dem Unglücklichen! Der Kurfürſt hatte ſich ſogleich beiKaiſer Franz beſchwert, und Metternich überhäufte den Präſidialgeſandten mit Vorwürfen: wie er ſich habe unterſtehen können, die Würde eines Souveräns in ſolcher Weiſe anzutaſten! Er drohte ihm mit Abberufung, mit förmlicher Mißbilligung des Bundesbeſchluſſes. Dies Aeußerſte wurde freilich durch Hardenbergs Vermittlung abgewendet. Der Staatskanzler hielt ſeinem Wiener Freunde eindringlich vor, der Bundestag ſei im Rechte und dürfe nicht öffentlich bloßgeſtellt werden.*) Metternich begnügte ſich daher mit einer ſtrengen Verwarnung, und tief niedergeſchlagen kehrte Buol auf ſeinen Poſten zurück. Darauf beſtätigte der Bundestag ſeine frühere Entſchließung durch einen neuen, überaus behutſam gehaltenen Beſchluß, und die Hofmann’ſche Beſchwerde wurde durch den Kurfürſten in der Stille beigelegt. Aber von einer Sühne für die erlittene Beſchimpfung war keine Rede; die deutſchen Souveräne wußten jetzt was ſie ſich gegen den Bund herausnehmen durften. Die Geſandten fühlten ſich alleſammt beſchämt und eingeſchüchtert, ſie gewöhnten ſich fortan, bei jeder noch ſo ge- ringfügigen Frage beſondere Inſtruktionen einzuholen, ſo daß alle Ent- ſcheidungen ſich in’s Unabſehbare hinauszogen. Der Hofmann’ſche Fall bildete nur ein Glied in einer langen Kette *) Hardenberg an Metternich, 12. April 1817. **) Goltz’s Bericht 19. Juli; Denkſchrift des Staatskanzlers über das Königreich
Weſtphalen, 18. Nov. 1817. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0166" n="152"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.</fw><lb/> Empfang ward dem Unglücklichen! Der Kurfürſt hatte ſich ſogleich bei<lb/> Kaiſer Franz beſchwert, und Metternich überhäufte den Präſidialgeſandten<lb/> mit Vorwürfen: wie er ſich habe unterſtehen können, die Würde eines<lb/> Souveräns in ſolcher Weiſe anzutaſten! Er drohte ihm mit Abberufung,<lb/> mit förmlicher Mißbilligung des Bundesbeſchluſſes. Dies Aeußerſte wurde<lb/> freilich durch Hardenbergs Vermittlung abgewendet. Der Staatskanzler<lb/> hielt ſeinem Wiener Freunde eindringlich vor, der Bundestag ſei im Rechte<lb/> und dürfe nicht öffentlich bloßgeſtellt werden.<note place="foot" n="*)">Hardenberg an Metternich, 12. April 1817.</note> Metternich begnügte ſich<lb/> daher mit einer ſtrengen Verwarnung, und tief niedergeſchlagen kehrte<lb/> Buol auf ſeinen Poſten zurück. Darauf beſtätigte der Bundestag ſeine<lb/> frühere Entſchließung durch einen neuen, überaus behutſam gehaltenen<lb/> Beſchluß, und die Hofmann’ſche Beſchwerde wurde durch den Kurfürſten<lb/> in der Stille beigelegt. Aber von einer Sühne für die erlittene Beſchimpfung<lb/> war keine Rede; die deutſchen Souveräne wußten jetzt was ſie ſich gegen<lb/> den Bund herausnehmen durften. Die Geſandten fühlten ſich alleſammt<lb/> beſchämt und eingeſchüchtert, ſie gewöhnten ſich fortan, bei jeder noch ſo ge-<lb/> ringfügigen Frage beſondere Inſtruktionen einzuholen, ſo daß alle Ent-<lb/> ſcheidungen ſich in’s Unabſehbare hinauszogen.</p><lb/> <p>Der Hofmann’ſche Fall bildete nur ein Glied in einer langen Kette<lb/> von Rechtsverletzungen, welche den Bundestag noch durch viele Jahre in<lb/> Athem hielten und dem deutſchen Namen im Auslande, namentlich in<lb/> Frankreich, einen üblen Ruf verſchafften. Es rächte ſich ſchwer, daß die große<lb/> Allianz nach der Auflöſung des Königreichs Weſtphalen die alten Landes-<lb/> herren vertrauensvoll ohne jede Bedingung zurückgeführt hatte. Die<lb/> Krone Preußen freilich verfuhr in ihren vormals weſtphäliſchen Provinzen<lb/> ſtreng nach dem Rechte; ſie hatte das Königreich Weſtphalen im Tilſiter<lb/> Frieden anerkannt und betrachtete mithin alle verfaſſungsmäßigen Hand-<lb/> lungen der weſtphäliſchen Regierung als rechtsgiltig. Die Fürſten von<lb/> Hannover, Braunſchweig und Kurheſſen hingegen waren nur thatſächlich,<lb/> ohne Friedensſchluß, ihrer Länder verluſtig gegangen und ſahen in König<lb/> Jerome nur einen Uſurpator. Vergeblich ſtellte ihnen der Berliner Hof<lb/> vor, daß ſie doch nicht durch eigene Kraft, ſondern durch die Waffen der<lb/> Verbündeten wiederhergeſtellt worden ſeien und demnach jenes napoleoniſche<lb/> Königreich, das einſt die Anerkennung aller großen Mächte gefunden hatte,<lb/> nicht kurzweg als eine widerrechtliche Ordnung behandeln dürften. Preu-<lb/> ßen wünſchte, durch freundſchaftliche Verhandlungen zwiſchen den bethei-<lb/> ligten vier Staaten gemeinſame Rechtsgrundſätze über die Anerkennung<lb/> der weſtphäliſchen Geſetze und Verordnungen zu vereinbaren.<note place="foot" n="**)">Goltz’s Bericht 19. Juli; Denkſchrift des Staatskanzlers über das Königreich<lb/> Weſtphalen, 18. Nov. 1817.</note> Aber keiner<lb/> der drei anderen Höfe ging auf den billigen Vorſchlag ein. In Hannover<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0166]
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Empfang ward dem Unglücklichen! Der Kurfürſt hatte ſich ſogleich bei
Kaiſer Franz beſchwert, und Metternich überhäufte den Präſidialgeſandten
mit Vorwürfen: wie er ſich habe unterſtehen können, die Würde eines
Souveräns in ſolcher Weiſe anzutaſten! Er drohte ihm mit Abberufung,
mit förmlicher Mißbilligung des Bundesbeſchluſſes. Dies Aeußerſte wurde
freilich durch Hardenbergs Vermittlung abgewendet. Der Staatskanzler
hielt ſeinem Wiener Freunde eindringlich vor, der Bundestag ſei im Rechte
und dürfe nicht öffentlich bloßgeſtellt werden. *) Metternich begnügte ſich
daher mit einer ſtrengen Verwarnung, und tief niedergeſchlagen kehrte
Buol auf ſeinen Poſten zurück. Darauf beſtätigte der Bundestag ſeine
frühere Entſchließung durch einen neuen, überaus behutſam gehaltenen
Beſchluß, und die Hofmann’ſche Beſchwerde wurde durch den Kurfürſten
in der Stille beigelegt. Aber von einer Sühne für die erlittene Beſchimpfung
war keine Rede; die deutſchen Souveräne wußten jetzt was ſie ſich gegen
den Bund herausnehmen durften. Die Geſandten fühlten ſich alleſammt
beſchämt und eingeſchüchtert, ſie gewöhnten ſich fortan, bei jeder noch ſo ge-
ringfügigen Frage beſondere Inſtruktionen einzuholen, ſo daß alle Ent-
ſcheidungen ſich in’s Unabſehbare hinauszogen.
Der Hofmann’ſche Fall bildete nur ein Glied in einer langen Kette
von Rechtsverletzungen, welche den Bundestag noch durch viele Jahre in
Athem hielten und dem deutſchen Namen im Auslande, namentlich in
Frankreich, einen üblen Ruf verſchafften. Es rächte ſich ſchwer, daß die große
Allianz nach der Auflöſung des Königreichs Weſtphalen die alten Landes-
herren vertrauensvoll ohne jede Bedingung zurückgeführt hatte. Die
Krone Preußen freilich verfuhr in ihren vormals weſtphäliſchen Provinzen
ſtreng nach dem Rechte; ſie hatte das Königreich Weſtphalen im Tilſiter
Frieden anerkannt und betrachtete mithin alle verfaſſungsmäßigen Hand-
lungen der weſtphäliſchen Regierung als rechtsgiltig. Die Fürſten von
Hannover, Braunſchweig und Kurheſſen hingegen waren nur thatſächlich,
ohne Friedensſchluß, ihrer Länder verluſtig gegangen und ſahen in König
Jerome nur einen Uſurpator. Vergeblich ſtellte ihnen der Berliner Hof
vor, daß ſie doch nicht durch eigene Kraft, ſondern durch die Waffen der
Verbündeten wiederhergeſtellt worden ſeien und demnach jenes napoleoniſche
Königreich, das einſt die Anerkennung aller großen Mächte gefunden hatte,
nicht kurzweg als eine widerrechtliche Ordnung behandeln dürften. Preu-
ßen wünſchte, durch freundſchaftliche Verhandlungen zwiſchen den bethei-
ligten vier Staaten gemeinſame Rechtsgrundſätze über die Anerkennung
der weſtphäliſchen Geſetze und Verordnungen zu vereinbaren. **) Aber keiner
der drei anderen Höfe ging auf den billigen Vorſchlag ein. In Hannover
*) Hardenberg an Metternich, 12. April 1817.
**) Goltz’s Bericht 19. Juli; Denkſchrift des Staatskanzlers über das Königreich
Weſtphalen, 18. Nov. 1817.
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