Angesichts dieser stillvergnügten Nichtigkeit fielen manche politische Be- sorgnisse, welche Hardenberg anfangs gehegt hatte, von selbst hinweg. Der Staatskanzler gab seinen Widerspruch gegen die Anwesenheit auswärtiger Diplomaten bald auf, als er den Charakter des Bundestages kennen ge- lernt hatte; denn was stand von den Agenten des Auslandes bei einer so ohnmächtigen Versammlung zu befürchten? und was sollte man den großen Mächten antworten, als sie zur Abwendung möglicher Kriegsge- fahren die Zulassung ihrer Gesandten forderten, da die Bundesakte denn doch dem Bundestage das Recht der Kriegserklärung gewährt hatte? In der That fanden die Gesandten der Großmächte in Frankfurt vorderhand gar nichts zu thun. Was verschlug es, wenn die kleinen Diplomaten in dem Rothen Hause, dem Malepartus des schlauen Russen Anstett, viel- geschäftig aus- und eingingen? Ernsthafte Fragen, bei denen der Einfluß des Auslandes schädlich wirken konnte, traten in diesen stillen ersten zwei Jahren noch nicht an den Bundestag heran. Auch die anfangs allgemein verbreitete Furcht vor einem geheimen Sonderbunde der alten rheinbün- dischen Kernlande erwies sich noch als verfrüht. Wohl war König Friedrich von Württemberg, auf die Nachricht von Hänleins Auftreten, alsbald nach Karlsruhe hinübergereist, um den Großherzog von Baden und den König von Baiern, der in Baden weilte, für eine gemeinsame süddeutsche Politik, zum Schutze der ungeschmälerten Souveränität, zu gewinnen; aber Baiern und Baden lebten in bitterer Feindschaft, und Beide mißtrauten dem würt- tembergischen Nachbarn. Der Versuch mißlang vollständig*), und als König Friedrich bald nachher starb, war von diesen rheinbündischen Plänen eine Zeit lang nicht mehr die Rede. Auch der sächsische Bundestagsgesandte, der steife alte Graf Görtz bewährte durchweg eine untadelhafte Harmlosigkeit, da sein König dem Hause Oesterreich nie zu widersprechen wagte.
Der Bundestag konnte indessen selbst jene unschuldigen Reclamations- Angelegenheiten nicht erledigen, ohne mit dem Dünkel der kleinfürstlichen Souveränität heftig zusammenzustoßen. Schon beim Beginn der Ver- handlungen sprach Baiern das Bedenken aus, ob die Bundesversammlung überhaupt befugt sei, Beschwerden deutscher Unterthanen gegen ihre Lan- desherren anzunehmen; doch wurde das bairische Votum vorläufig in einem geheimen Protokolle vergraben. Als aber der Bundestag sich bald nach- her unterstand, eine Beschwerde solcher Art vor sein Forum zu ziehen, ward ihm ungestraft eine schnöde Beleidigung geboten. Aus keinem Lande waren so viele Klagen und Bitten eingelaufen, wie aus dem unglücklichen Kurhessen, das unter seinem heiß ersehnten alten Kurfürsten ein Regiment schamloser Willkür und Habsucht ertragen mußte. Unter den Unzähligen, denen der Kurfürst ihr gutes Recht vorenthielt, befand sich auch ein Guts- besitzer Hofmann. Der Mann hatte von der Kronkasse einige secularisirte
Angeſichts dieſer ſtillvergnügten Nichtigkeit fielen manche politiſche Be- ſorgniſſe, welche Hardenberg anfangs gehegt hatte, von ſelbſt hinweg. Der Staatskanzler gab ſeinen Widerſpruch gegen die Anweſenheit auswärtiger Diplomaten bald auf, als er den Charakter des Bundestages kennen ge- lernt hatte; denn was ſtand von den Agenten des Auslandes bei einer ſo ohnmächtigen Verſammlung zu befürchten? und was ſollte man den großen Mächten antworten, als ſie zur Abwendung möglicher Kriegsge- fahren die Zulaſſung ihrer Geſandten forderten, da die Bundesakte denn doch dem Bundestage das Recht der Kriegserklärung gewährt hatte? In der That fanden die Geſandten der Großmächte in Frankfurt vorderhand gar nichts zu thun. Was verſchlug es, wenn die kleinen Diplomaten in dem Rothen Hauſe, dem Malepartus des ſchlauen Ruſſen Anſtett, viel- geſchäftig aus- und eingingen? Ernſthafte Fragen, bei denen der Einfluß des Auslandes ſchädlich wirken konnte, traten in dieſen ſtillen erſten zwei Jahren noch nicht an den Bundestag heran. Auch die anfangs allgemein verbreitete Furcht vor einem geheimen Sonderbunde der alten rheinbün- diſchen Kernlande erwies ſich noch als verfrüht. Wohl war König Friedrich von Württemberg, auf die Nachricht von Hänleins Auftreten, alsbald nach Karlsruhe hinübergereiſt, um den Großherzog von Baden und den König von Baiern, der in Baden weilte, für eine gemeinſame ſüddeutſche Politik, zum Schutze der ungeſchmälerten Souveränität, zu gewinnen; aber Baiern und Baden lebten in bitterer Feindſchaft, und Beide mißtrauten dem würt- tembergiſchen Nachbarn. Der Verſuch mißlang vollſtändig*), und als König Friedrich bald nachher ſtarb, war von dieſen rheinbündiſchen Plänen eine Zeit lang nicht mehr die Rede. Auch der ſächſiſche Bundestagsgeſandte, der ſteife alte Graf Görtz bewährte durchweg eine untadelhafte Harmloſigkeit, da ſein König dem Hauſe Oeſterreich nie zu widerſprechen wagte.
Der Bundestag konnte indeſſen ſelbſt jene unſchuldigen Reclamations- Angelegenheiten nicht erledigen, ohne mit dem Dünkel der kleinfürſtlichen Souveränität heftig zuſammenzuſtoßen. Schon beim Beginn der Ver- handlungen ſprach Baiern das Bedenken aus, ob die Bundesverſammlung überhaupt befugt ſei, Beſchwerden deutſcher Unterthanen gegen ihre Lan- desherren anzunehmen; doch wurde das bairiſche Votum vorläufig in einem geheimen Protokolle vergraben. Als aber der Bundestag ſich bald nach- her unterſtand, eine Beſchwerde ſolcher Art vor ſein Forum zu ziehen, ward ihm ungeſtraft eine ſchnöde Beleidigung geboten. Aus keinem Lande waren ſo viele Klagen und Bitten eingelaufen, wie aus dem unglücklichen Kurheſſen, das unter ſeinem heiß erſehnten alten Kurfürſten ein Regiment ſchamloſer Willkür und Habſucht ertragen mußte. Unter den Unzähligen, denen der Kurfürſt ihr gutes Recht vorenthielt, befand ſich auch ein Guts- beſitzer Hofmann. Der Mann hatte von der Kronkaſſe einige ſeculariſirte
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II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Angeſichts dieſer ſtillvergnügten Nichtigkeit fielen manche politiſche Be-
ſorgniſſe, welche Hardenberg anfangs gehegt hatte, von ſelbſt hinweg. Der
Staatskanzler gab ſeinen Widerſpruch gegen die Anweſenheit auswärtiger
Diplomaten bald auf, als er den Charakter des Bundestages kennen ge-
lernt hatte; denn was ſtand von den Agenten des Auslandes bei einer
ſo ohnmächtigen Verſammlung zu befürchten? und was ſollte man den
großen Mächten antworten, als ſie zur Abwendung möglicher Kriegsge-
fahren die Zulaſſung ihrer Geſandten forderten, da die Bundesakte denn
doch dem Bundestage das Recht der Kriegserklärung gewährt hatte? In
der That fanden die Geſandten der Großmächte in Frankfurt vorderhand
gar nichts zu thun. Was verſchlug es, wenn die kleinen Diplomaten in
dem Rothen Hauſe, dem Malepartus des ſchlauen Ruſſen Anſtett, viel-
geſchäftig aus- und eingingen? Ernſthafte Fragen, bei denen der Einfluß
des Auslandes ſchädlich wirken konnte, traten in dieſen ſtillen erſten zwei
Jahren noch nicht an den Bundestag heran. Auch die anfangs allgemein
verbreitete Furcht vor einem geheimen Sonderbunde der alten rheinbün-
diſchen Kernlande erwies ſich noch als verfrüht. Wohl war König Friedrich
von Württemberg, auf die Nachricht von Hänleins Auftreten, alsbald nach
Karlsruhe hinübergereiſt, um den Großherzog von Baden und den König
von Baiern, der in Baden weilte, für eine gemeinſame ſüddeutſche Politik,
zum Schutze der ungeſchmälerten Souveränität, zu gewinnen; aber Baiern
und Baden lebten in bitterer Feindſchaft, und Beide mißtrauten dem würt-
tembergiſchen Nachbarn. Der Verſuch mißlang vollſtändig *), und als
König Friedrich bald nachher ſtarb, war von dieſen rheinbündiſchen Plänen
eine Zeit lang nicht mehr die Rede. Auch der ſächſiſche Bundestagsgeſandte,
der ſteife alte Graf Görtz bewährte durchweg eine untadelhafte Harmloſigkeit,
da ſein König dem Hauſe Oeſterreich nie zu widerſprechen wagte.
Der Bundestag konnte indeſſen ſelbſt jene unſchuldigen Reclamations-
Angelegenheiten nicht erledigen, ohne mit dem Dünkel der kleinfürſtlichen
Souveränität heftig zuſammenzuſtoßen. Schon beim Beginn der Ver-
handlungen ſprach Baiern das Bedenken aus, ob die Bundesverſammlung
überhaupt befugt ſei, Beſchwerden deutſcher Unterthanen gegen ihre Lan-
desherren anzunehmen; doch wurde das bairiſche Votum vorläufig in einem
geheimen Protokolle vergraben. Als aber der Bundestag ſich bald nach-
her unterſtand, eine Beſchwerde ſolcher Art vor ſein Forum zu ziehen,
ward ihm ungeſtraft eine ſchnöde Beleidigung geboten. Aus keinem Lande
waren ſo viele Klagen und Bitten eingelaufen, wie aus dem unglücklichen
Kurheſſen, das unter ſeinem heiß erſehnten alten Kurfürſten ein Regiment
ſchamloſer Willkür und Habſucht ertragen mußte. Unter den Unzähligen,
denen der Kurfürſt ihr gutes Recht vorenthielt, befand ſich auch ein Guts-
beſitzer Hofmann. Der Mann hatte von der Kronkaſſe einige ſeculariſirte
*) Jouffroys Bericht, Stuttgart, 20. Juli. Küſters Bericht, Baden, 25. Juli 1816.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/164>, abgerufen am 26.11.2024.
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