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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Erste Sitzungen des Bundestages.
fremden" -- ein unfreiwilliger Seherspruch, der sich vollständig verwirk-
lichen sollte. Politisch bedeutsam war an den leeren Worten nur die be-
stimmte Erklärung: der Deutsche Bund sei kein Bundesstaat, sondern ein
Staatenbund; denn Ersteres würde "dem unaufhaltbar nach höheren Rich-
tungen rollenden Laufe der Zeit widerstreiten"! Die Schlagwörter: Staa-
tenbund und Bundesstaat begannen eben jetzt in der Presse aufzutauchen,
ohne daß man noch einen bestimmten staatsrechtlichen Sinn damit ver-
bunden hätte. Wie weit war doch die politische Bildung der Nation hinter
dem Aufschwung der anderen Wissenschaften zurückgeblieben! Ueber die
Grundlagen des öffentlichen Rechts der Foederativstaaten hatte fast noch Nie-
mand ernstlich nachgedacht; das classische Buch der Amerikaner, das schon vor
einem Menschenalter diese Fragen geistvoll und sachkundig beleuchtet hatte, der
Foederalist von Hamilton, Madison und Jay, blieb in dem gelehrten Deutsch-
land so gut wie unbekannt. Selbst der wackere freimüthige J. L. Klüber,
der alsbald nach dem Zusammentritt des Bundestages sein "Oeffentliches
Recht des Deutschen Bundes" erscheinen ließ, wußte über den politischen
Charakter der verschiedenen Formen des bündischen Lebens wenig zu sagen.
Man dachte sich unter dem "Bundesstaate" irgend eine starke, hochange-
sehene Bundesgewalt, die dem deutschen Namen zur Ehre gereichen sollte;
die jungen Teutonen stimmten ihrem Lehrer Fries begeistert zu, als er
in seiner Schrift "Vom Deutschen Bunde und deutscher Staatsverfassung"
mit der Dreistigkeit des wohlmeinenden Dilettanten kurzerhand aussprach:
"wir wünschen keinen schlaffen Staatenbund, sondern einen fest vereinigten
Bundesstaat." Allen solchen unbestimmten Wünschen trat der österreichische
Gesandte jetzt offen entgegen, und er hatte Sinn und Wortlaut der Bun-
desakte auf seiner Seite. Da für jede Abänderung der Bundesakte Ein-
stimmigkeit erfordert wurde, so war die Weiterbildung der Bundesverfassung
von Haus aus unmöglich, und bereits vor der Eröffnung des Bundes-
tages begannen die Gesandten, die guten wie die schlechten, im Stillen
einzusehen, daß sogar die Abfassung der Grundgesetze des Bundes, welche
nach Art. 10 der Bundesakte das erste Geschäft des Bundestages sein
sollte, an dieser Klippe nothwendig scheitern mußte.

Schon nach der ersten Sitzung verließ Humboldt den Bundestag
und begab sich tief verstimmt erst nach Berlin zu den Sitzungen des
Staatsraths, dann als Gesandter nach London; der Pariser Posten, den
er sich gewünscht, mußte ihm versagt werden, da der scharfe Preuße seit
dem letzten Congresse bei den Bourbonen in üblem Rufe stand. An
seine Stelle trat in Frankfurt der Minister Graf v. d. Goltz, derselbe der
im Frühjahr 1813 an der Spitze jener unglücklichen Berliner Regie-
rungscommission gestanden hatte, ein pflichtgetreuer Beamter, freundlich
und gutmüthig, aber aller selbständigen Gedanken baar. Die Wahl be-
wies, wie wenig Hardenberg von der Scheinthätigkeit der Frankfurter Ver-
sammlung erwartete. Der persönliche Verkehr zwischen den Gesandten

10*

Erſte Sitzungen des Bundestages.
fremden“ — ein unfreiwilliger Seherſpruch, der ſich vollſtändig verwirk-
lichen ſollte. Politiſch bedeutſam war an den leeren Worten nur die be-
ſtimmte Erklärung: der Deutſche Bund ſei kein Bundesſtaat, ſondern ein
Staatenbund; denn Erſteres würde „dem unaufhaltbar nach höheren Rich-
tungen rollenden Laufe der Zeit widerſtreiten“! Die Schlagwörter: Staa-
tenbund und Bundesſtaat begannen eben jetzt in der Preſſe aufzutauchen,
ohne daß man noch einen beſtimmten ſtaatsrechtlichen Sinn damit ver-
bunden hätte. Wie weit war doch die politiſche Bildung der Nation hinter
dem Aufſchwung der anderen Wiſſenſchaften zurückgeblieben! Ueber die
Grundlagen des öffentlichen Rechts der Foederativſtaaten hatte faſt noch Nie-
mand ernſtlich nachgedacht; das claſſiſche Buch der Amerikaner, das ſchon vor
einem Menſchenalter dieſe Fragen geiſtvoll und ſachkundig beleuchtet hatte, der
Foederaliſt von Hamilton, Madiſon und Jay, blieb in dem gelehrten Deutſch-
land ſo gut wie unbekannt. Selbſt der wackere freimüthige J. L. Klüber,
der alsbald nach dem Zuſammentritt des Bundestages ſein „Oeffentliches
Recht des Deutſchen Bundes“ erſcheinen ließ, wußte über den politiſchen
Charakter der verſchiedenen Formen des bündiſchen Lebens wenig zu ſagen.
Man dachte ſich unter dem „Bundesſtaate“ irgend eine ſtarke, hochange-
ſehene Bundesgewalt, die dem deutſchen Namen zur Ehre gereichen ſollte;
die jungen Teutonen ſtimmten ihrem Lehrer Fries begeiſtert zu, als er
in ſeiner Schrift „Vom Deutſchen Bunde und deutſcher Staatsverfaſſung“
mit der Dreiſtigkeit des wohlmeinenden Dilettanten kurzerhand ausſprach:
„wir wünſchen keinen ſchlaffen Staatenbund, ſondern einen feſt vereinigten
Bundesſtaat.“ Allen ſolchen unbeſtimmten Wünſchen trat der öſterreichiſche
Geſandte jetzt offen entgegen, und er hatte Sinn und Wortlaut der Bun-
desakte auf ſeiner Seite. Da für jede Abänderung der Bundesakte Ein-
ſtimmigkeit erfordert wurde, ſo war die Weiterbildung der Bundesverfaſſung
von Haus aus unmöglich, und bereits vor der Eröffnung des Bundes-
tages begannen die Geſandten, die guten wie die ſchlechten, im Stillen
einzuſehen, daß ſogar die Abfaſſung der Grundgeſetze des Bundes, welche
nach Art. 10 der Bundesakte das erſte Geſchäft des Bundestages ſein
ſollte, an dieſer Klippe nothwendig ſcheitern mußte.

Schon nach der erſten Sitzung verließ Humboldt den Bundestag
und begab ſich tief verſtimmt erſt nach Berlin zu den Sitzungen des
Staatsraths, dann als Geſandter nach London; der Pariſer Poſten, den
er ſich gewünſcht, mußte ihm verſagt werden, da der ſcharfe Preuße ſeit
dem letzten Congreſſe bei den Bourbonen in üblem Rufe ſtand. An
ſeine Stelle trat in Frankfurt der Miniſter Graf v. d. Goltz, derſelbe der
im Frühjahr 1813 an der Spitze jener unglücklichen Berliner Regie-
rungscommiſſion geſtanden hatte, ein pflichtgetreuer Beamter, freundlich
und gutmüthig, aber aller ſelbſtändigen Gedanken baar. Die Wahl be-
wies, wie wenig Hardenberg von der Scheinthätigkeit der Frankfurter Ver-
ſammlung erwartete. Der perſönliche Verkehr zwiſchen den Geſandten

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[147/0161] Erſte Sitzungen des Bundestages. fremden“ — ein unfreiwilliger Seherſpruch, der ſich vollſtändig verwirk- lichen ſollte. Politiſch bedeutſam war an den leeren Worten nur die be- ſtimmte Erklärung: der Deutſche Bund ſei kein Bundesſtaat, ſondern ein Staatenbund; denn Erſteres würde „dem unaufhaltbar nach höheren Rich- tungen rollenden Laufe der Zeit widerſtreiten“! Die Schlagwörter: Staa- tenbund und Bundesſtaat begannen eben jetzt in der Preſſe aufzutauchen, ohne daß man noch einen beſtimmten ſtaatsrechtlichen Sinn damit ver- bunden hätte. Wie weit war doch die politiſche Bildung der Nation hinter dem Aufſchwung der anderen Wiſſenſchaften zurückgeblieben! Ueber die Grundlagen des öffentlichen Rechts der Foederativſtaaten hatte faſt noch Nie- mand ernſtlich nachgedacht; das claſſiſche Buch der Amerikaner, das ſchon vor einem Menſchenalter dieſe Fragen geiſtvoll und ſachkundig beleuchtet hatte, der Foederaliſt von Hamilton, Madiſon und Jay, blieb in dem gelehrten Deutſch- land ſo gut wie unbekannt. Selbſt der wackere freimüthige J. L. Klüber, der alsbald nach dem Zuſammentritt des Bundestages ſein „Oeffentliches Recht des Deutſchen Bundes“ erſcheinen ließ, wußte über den politiſchen Charakter der verſchiedenen Formen des bündiſchen Lebens wenig zu ſagen. Man dachte ſich unter dem „Bundesſtaate“ irgend eine ſtarke, hochange- ſehene Bundesgewalt, die dem deutſchen Namen zur Ehre gereichen ſollte; die jungen Teutonen ſtimmten ihrem Lehrer Fries begeiſtert zu, als er in ſeiner Schrift „Vom Deutſchen Bunde und deutſcher Staatsverfaſſung“ mit der Dreiſtigkeit des wohlmeinenden Dilettanten kurzerhand ausſprach: „wir wünſchen keinen ſchlaffen Staatenbund, ſondern einen feſt vereinigten Bundesſtaat.“ Allen ſolchen unbeſtimmten Wünſchen trat der öſterreichiſche Geſandte jetzt offen entgegen, und er hatte Sinn und Wortlaut der Bun- desakte auf ſeiner Seite. Da für jede Abänderung der Bundesakte Ein- ſtimmigkeit erfordert wurde, ſo war die Weiterbildung der Bundesverfaſſung von Haus aus unmöglich, und bereits vor der Eröffnung des Bundes- tages begannen die Geſandten, die guten wie die ſchlechten, im Stillen einzuſehen, daß ſogar die Abfaſſung der Grundgeſetze des Bundes, welche nach Art. 10 der Bundesakte das erſte Geſchäft des Bundestages ſein ſollte, an dieſer Klippe nothwendig ſcheitern mußte. Schon nach der erſten Sitzung verließ Humboldt den Bundestag und begab ſich tief verſtimmt erſt nach Berlin zu den Sitzungen des Staatsraths, dann als Geſandter nach London; der Pariſer Poſten, den er ſich gewünſcht, mußte ihm verſagt werden, da der ſcharfe Preuße ſeit dem letzten Congreſſe bei den Bourbonen in üblem Rufe ſtand. An ſeine Stelle trat in Frankfurt der Miniſter Graf v. d. Goltz, derſelbe der im Frühjahr 1813 an der Spitze jener unglücklichen Berliner Regie- rungscommiſſion geſtanden hatte, ein pflichtgetreuer Beamter, freundlich und gutmüthig, aber aller ſelbſtändigen Gedanken baar. Die Wahl be- wies, wie wenig Hardenberg von der Scheinthätigkeit der Frankfurter Ver- ſammlung erwartete. Der perſönliche Verkehr zwiſchen den Geſandten 10*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/161>, abgerufen am 26.11.2024.