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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
formen, liegt schon das Gepräge und der Grundcharakter desselben als
Volk. Das Nationalbedürfniß sei die Schöpferin und der Leitstern bei
allen nationellen Formen, und alsdann geht man verbürgt zum wahren,
zum höchsten Ziel!" Die Rede schilderte darauf den Verfall Deutschlands
während der letzten Jahrhunderte: "ich fahre fort den Weg zu verfolgen,
wohin mich der berührte neigende Gipfel geschwächter Nationalität führt."
Sie rühmte darauf, Dank dem Deutschen Bunde erscheine Deutschland
jetzt wieder "als Macht in der Reihe der Völker. In dieser Art halten
wir uns fest auf dem Gipfel, wo ein großes Volk in der Mannichfaltigkeit
seiner bürgerlichen Formen der großen Bestimmung der Menschheit und
seiner Entwickelung frei entgegengeht, zugleich aber ein einziges Ganzes
in nationeller Beziehung ausmacht!" Zum Schluß betheuerte der Ge-
sandte inbrünstig "die Deutschheit seiner Gesinnungen"; er versicherte noch-
mals, sein Kaiser betrachte sich "als vollkommen gleiches Bundesglied",
und erinnerte -- mit einem freundschaftlichen Seitenhiebe gegen Preußen,
der sogleich von allen Seiten verstanden wurde -- an "jene glückliche, zum
gegenseitigen Vertrauen berechtigende Lage, daß Oesterreich auf deutschem
Boden ebensowenig eine Eroberung als eine eigenmächtige Erweiterung
seines Standpunktes im Deutschen Bunde beabsichtigen will oder auch nur
beabsichtigen kann"!

Hierauf erwiderte Humboldt kurz und würdig. Die meisten anderen
Gesandten empfahlen sich lediglich der Gewogenheit der Anwesenden oder
sie sprachen die kühne Hoffnung aus, "daß der heutige Tag schon über's
Jahr und bis in späte Zeiten den für das Gesammtvaterland erfreulichsten
möge beigezählt werden". Nur Gagern konnte sich nicht enthalten, in
längerer Rede die deutsche Gesinnung des oranischen Hauses zu feiern und
zu versprechen, daß Luxemburg immerdar der natürliche Vermittler in
Deutschland sein werde. Auch hielt er für angemessen, "in diesem er-
lauchten deutschen Senate, fast nach Art jenes merkwürdigen alten Volkes,
ein Todtengericht zu halten"; so sprach er denn in schwungvollen Worten
von dem Fürsten von Nassau-Weilburg, von den für Deutschland gefallenen
Welfen und "damit man mir nicht vorwerfe, daß ich der Fürstlichkeit allein
huldige", auch von Andreas Hofer und Palm. Zum Schlusse rief er be-
geistert sein unvermeidliches: Je maintiendray! -- Es war eine unbe-
schreiblich abgeschmackte Feier, die würdige Eröffnung eines politischen Possen-
spiels, von dem sich bald die gesammte Nation mit Abscheu abwenden sollte.

Sechs Tage nachher hielt Graf Buol seinen ersten Präsidialvortrag
und zählte pathetisch alle die Wohlthaten auf, welche den Deutschen aus
der Verwirklichung der unbestimmten Zusagen der Bundesakte erwachsen
könnten. Von dem Artikel 19, der die Regelung der nationalen Verkehrs-
verhältnisse versprach, rühmte der Oesterreicher in seinem wunderbaren
Deutsch: dieser Artikel "bezweckt, die deutschen Bundesstaaten selbst in Hin-
sicht des Handels und Verkehrs sowie der Schifffahrt einander zu ent-

II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
formen, liegt ſchon das Gepräge und der Grundcharakter deſſelben als
Volk. Das Nationalbedürfniß ſei die Schöpferin und der Leitſtern bei
allen nationellen Formen, und alsdann geht man verbürgt zum wahren,
zum höchſten Ziel!“ Die Rede ſchilderte darauf den Verfall Deutſchlands
während der letzten Jahrhunderte: „ich fahre fort den Weg zu verfolgen,
wohin mich der berührte neigende Gipfel geſchwächter Nationalität führt.“
Sie rühmte darauf, Dank dem Deutſchen Bunde erſcheine Deutſchland
jetzt wieder „als Macht in der Reihe der Völker. In dieſer Art halten
wir uns feſt auf dem Gipfel, wo ein großes Volk in der Mannichfaltigkeit
ſeiner bürgerlichen Formen der großen Beſtimmung der Menſchheit und
ſeiner Entwickelung frei entgegengeht, zugleich aber ein einziges Ganzes
in nationeller Beziehung ausmacht!“ Zum Schluß betheuerte der Ge-
ſandte inbrünſtig „die Deutſchheit ſeiner Geſinnungen“; er verſicherte noch-
mals, ſein Kaiſer betrachte ſich „als vollkommen gleiches Bundesglied“,
und erinnerte — mit einem freundſchaftlichen Seitenhiebe gegen Preußen,
der ſogleich von allen Seiten verſtanden wurde — an „jene glückliche, zum
gegenſeitigen Vertrauen berechtigende Lage, daß Oeſterreich auf deutſchem
Boden ebenſowenig eine Eroberung als eine eigenmächtige Erweiterung
ſeines Standpunktes im Deutſchen Bunde beabſichtigen will oder auch nur
beabſichtigen kann“!

Hierauf erwiderte Humboldt kurz und würdig. Die meiſten anderen
Geſandten empfahlen ſich lediglich der Gewogenheit der Anweſenden oder
ſie ſprachen die kühne Hoffnung aus, „daß der heutige Tag ſchon über’s
Jahr und bis in ſpäte Zeiten den für das Geſammtvaterland erfreulichſten
möge beigezählt werden“. Nur Gagern konnte ſich nicht enthalten, in
längerer Rede die deutſche Geſinnung des oraniſchen Hauſes zu feiern und
zu verſprechen, daß Luxemburg immerdar der natürliche Vermittler in
Deutſchland ſein werde. Auch hielt er für angemeſſen, „in dieſem er-
lauchten deutſchen Senate, faſt nach Art jenes merkwürdigen alten Volkes,
ein Todtengericht zu halten“; ſo ſprach er denn in ſchwungvollen Worten
von dem Fürſten von Naſſau-Weilburg, von den für Deutſchland gefallenen
Welfen und „damit man mir nicht vorwerfe, daß ich der Fürſtlichkeit allein
huldige“, auch von Andreas Hofer und Palm. Zum Schluſſe rief er be-
geiſtert ſein unvermeidliches: Je maintiendray! — Es war eine unbe-
ſchreiblich abgeſchmackte Feier, die würdige Eröffnung eines politiſchen Poſſen-
ſpiels, von dem ſich bald die geſammte Nation mit Abſcheu abwenden ſollte.

Sechs Tage nachher hielt Graf Buol ſeinen erſten Präſidialvortrag
und zählte pathetiſch alle die Wohlthaten auf, welche den Deutſchen aus
der Verwirklichung der unbeſtimmten Zuſagen der Bundesakte erwachſen
könnten. Von dem Artikel 19, der die Regelung der nationalen Verkehrs-
verhältniſſe verſprach, rühmte der Oeſterreicher in ſeinem wunderbaren
Deutſch: dieſer Artikel „bezweckt, die deutſchen Bundesſtaaten ſelbſt in Hin-
ſicht des Handels und Verkehrs ſowie der Schifffahrt einander zu ent-

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[146/0160] II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. formen, liegt ſchon das Gepräge und der Grundcharakter deſſelben als Volk. Das Nationalbedürfniß ſei die Schöpferin und der Leitſtern bei allen nationellen Formen, und alsdann geht man verbürgt zum wahren, zum höchſten Ziel!“ Die Rede ſchilderte darauf den Verfall Deutſchlands während der letzten Jahrhunderte: „ich fahre fort den Weg zu verfolgen, wohin mich der berührte neigende Gipfel geſchwächter Nationalität führt.“ Sie rühmte darauf, Dank dem Deutſchen Bunde erſcheine Deutſchland jetzt wieder „als Macht in der Reihe der Völker. In dieſer Art halten wir uns feſt auf dem Gipfel, wo ein großes Volk in der Mannichfaltigkeit ſeiner bürgerlichen Formen der großen Beſtimmung der Menſchheit und ſeiner Entwickelung frei entgegengeht, zugleich aber ein einziges Ganzes in nationeller Beziehung ausmacht!“ Zum Schluß betheuerte der Ge- ſandte inbrünſtig „die Deutſchheit ſeiner Geſinnungen“; er verſicherte noch- mals, ſein Kaiſer betrachte ſich „als vollkommen gleiches Bundesglied“, und erinnerte — mit einem freundſchaftlichen Seitenhiebe gegen Preußen, der ſogleich von allen Seiten verſtanden wurde — an „jene glückliche, zum gegenſeitigen Vertrauen berechtigende Lage, daß Oeſterreich auf deutſchem Boden ebenſowenig eine Eroberung als eine eigenmächtige Erweiterung ſeines Standpunktes im Deutſchen Bunde beabſichtigen will oder auch nur beabſichtigen kann“! Hierauf erwiderte Humboldt kurz und würdig. Die meiſten anderen Geſandten empfahlen ſich lediglich der Gewogenheit der Anweſenden oder ſie ſprachen die kühne Hoffnung aus, „daß der heutige Tag ſchon über’s Jahr und bis in ſpäte Zeiten den für das Geſammtvaterland erfreulichſten möge beigezählt werden“. Nur Gagern konnte ſich nicht enthalten, in längerer Rede die deutſche Geſinnung des oraniſchen Hauſes zu feiern und zu verſprechen, daß Luxemburg immerdar der natürliche Vermittler in Deutſchland ſein werde. Auch hielt er für angemeſſen, „in dieſem er- lauchten deutſchen Senate, faſt nach Art jenes merkwürdigen alten Volkes, ein Todtengericht zu halten“; ſo ſprach er denn in ſchwungvollen Worten von dem Fürſten von Naſſau-Weilburg, von den für Deutſchland gefallenen Welfen und „damit man mir nicht vorwerfe, daß ich der Fürſtlichkeit allein huldige“, auch von Andreas Hofer und Palm. Zum Schluſſe rief er be- geiſtert ſein unvermeidliches: Je maintiendray! — Es war eine unbe- ſchreiblich abgeſchmackte Feier, die würdige Eröffnung eines politiſchen Poſſen- ſpiels, von dem ſich bald die geſammte Nation mit Abſcheu abwenden ſollte. Sechs Tage nachher hielt Graf Buol ſeinen erſten Präſidialvortrag und zählte pathetiſch alle die Wohlthaten auf, welche den Deutſchen aus der Verwirklichung der unbeſtimmten Zuſagen der Bundesakte erwachſen könnten. Von dem Artikel 19, der die Regelung der nationalen Verkehrs- verhältniſſe verſprach, rühmte der Oeſterreicher in ſeinem wunderbaren Deutſch: dieſer Artikel „bezweckt, die deutſchen Bundesſtaaten ſelbſt in Hin- ſicht des Handels und Verkehrs ſowie der Schifffahrt einander zu ent-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/160>, abgerufen am 26.11.2024.