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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
Metternich die preußischen Vorschläge nicht annehmen wollte. Was blieb
übrig als den begangenen Fehler, an dem Hardenbergs Leichtgläubigkeit
kaum weniger Schuld trug, als Hänleins Ungeschick, sogleich zurückzu-
nehmen? Am 9. August wurde Hänlein abberufen. Sein erzürnter Chef
warf ihm vor, daß er durch irrige Berichte seinen Hof zu falschen Schritten
verleitet und dann durch öffentliche Behandlung der Sache ein höchst nach-
theiliges Aufsehen erregt habe: "der gute Erfolg des Bundes hängt von dem
vollkommensten Einverständniß zwischen Preußen und Oesterreich ab; Nie-
mand darf eine Divergenz der Meinungen zwischen beiden für das Wohl
Europas und Deutschlands eng verbündeten Höfen auch nur ahnen."*)
Gleichzeitig ward Humboldt mit der vorläufigen Vertretung der Bundes-
gesandtschaft beauftragt, und ihm gelang durch entschlossene Haltung das
erschütterte Ansehen Preußens so weit wieder herzustellen, daß Graf Buol
in den vorbereitenden Sitzungen des Bundestages keinen Schritt ohne
seine Zustimmung wagte. Aber die bösen Folgen der erlittenen Nieder-
lage wirkten lange nach. Preußen und das ländergierige Baiern wurden
noch drei Jahre lang allgemein als die ehrgeizigen Störenfriede des Bun-
des beargwöhnt; von einer preußischen Partei, die doch in Regensburg
niemals ganz gefehlt hatte, war in Frankfurt vorderhand keine Spur zu
finden, und der Einfluß der norddeutschen Großmacht auf die Bundes-
verhandlungen blieb so bescheiden, daß die süddeutschen Staatsmänner spä-
terhin diese ersten Jahre als die goldene Zeit des Bundestages zu be-
zeichnen pflegten.**)

Humboldt aber bildete sich schon aus den Erfahrungen dieser ersten
Wochen eine hoffnungslose, und leider vollkommen richtige Ansicht von
dem Deutschen Bunde und entwickelte sie in einer großen Denkschrift vom
30. September 1816, welche nachher der Instruktion des preußischen Bun-
desgesandten zu Grunde gelegt wurde.***) Hier ward das "höchst unförm-
liche, auf Nichts mit einiger Sicherheit ruhende Gebäude" der Bundes-
verfassung drastisch geschildert, dazu "die ungeheure Erschwerung" aller
Beschlüsse, also daß "man kaum begreift, wie über einige Punkte ein Be-
schluß möglich sei". Daraus folgt, daß Preußen zwar mit Oesterreich ein
gutes Verständniß bewahren, aber sich begnügen muß, am Bundestage nur
"eine allgemeine Sprache" zu führen. Die wirkliche Ausführung gemein-
nütziger Institutionen läßt sich nur erreichen "in dem einzelnen Verkehre
mit den deutschen Staaten selbst. Es muß in der Politik Preußens liegen,
diese Nachbarstaaten in sein politisches und selbst administratives System
bis zu einem gewissen Punkt zu verweben." Das ganze Programm der
preußischen Bundespolitik lag in diesen Worten. Noch bevor der Bundestag

*) Hänleins Bericht 2. Juli. Hardenbergs Antwort 9. August. Berstetts Bericht
1. Juli 1816.
**) So Blittersdorff in seiner Denkschrift über die Bundespolitik v. 18. Febr. 1822.
***) Veröffentlicht von C. Rößler, Zeitschrift für preußische Geschichte 1872.

II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Metternich die preußiſchen Vorſchläge nicht annehmen wollte. Was blieb
übrig als den begangenen Fehler, an dem Hardenbergs Leichtgläubigkeit
kaum weniger Schuld trug, als Hänleins Ungeſchick, ſogleich zurückzu-
nehmen? Am 9. Auguſt wurde Hänlein abberufen. Sein erzürnter Chef
warf ihm vor, daß er durch irrige Berichte ſeinen Hof zu falſchen Schritten
verleitet und dann durch öffentliche Behandlung der Sache ein höchſt nach-
theiliges Aufſehen erregt habe: „der gute Erfolg des Bundes hängt von dem
vollkommenſten Einverſtändniß zwiſchen Preußen und Oeſterreich ab; Nie-
mand darf eine Divergenz der Meinungen zwiſchen beiden für das Wohl
Europas und Deutſchlands eng verbündeten Höfen auch nur ahnen.“*)
Gleichzeitig ward Humboldt mit der vorläufigen Vertretung der Bundes-
geſandtſchaft beauftragt, und ihm gelang durch entſchloſſene Haltung das
erſchütterte Anſehen Preußens ſo weit wieder herzuſtellen, daß Graf Buol
in den vorbereitenden Sitzungen des Bundestages keinen Schritt ohne
ſeine Zuſtimmung wagte. Aber die böſen Folgen der erlittenen Nieder-
lage wirkten lange nach. Preußen und das ländergierige Baiern wurden
noch drei Jahre lang allgemein als die ehrgeizigen Störenfriede des Bun-
des beargwöhnt; von einer preußiſchen Partei, die doch in Regensburg
niemals ganz gefehlt hatte, war in Frankfurt vorderhand keine Spur zu
finden, und der Einfluß der norddeutſchen Großmacht auf die Bundes-
verhandlungen blieb ſo beſcheiden, daß die ſüddeutſchen Staatsmänner ſpä-
terhin dieſe erſten Jahre als die goldene Zeit des Bundestages zu be-
zeichnen pflegten.**)

Humboldt aber bildete ſich ſchon aus den Erfahrungen dieſer erſten
Wochen eine hoffnungsloſe, und leider vollkommen richtige Anſicht von
dem Deutſchen Bunde und entwickelte ſie in einer großen Denkſchrift vom
30. September 1816, welche nachher der Inſtruktion des preußiſchen Bun-
desgeſandten zu Grunde gelegt wurde.***) Hier ward das „höchſt unförm-
liche, auf Nichts mit einiger Sicherheit ruhende Gebäude“ der Bundes-
verfaſſung draſtiſch geſchildert, dazu „die ungeheure Erſchwerung“ aller
Beſchlüſſe, alſo daß „man kaum begreift, wie über einige Punkte ein Be-
ſchluß möglich ſei“. Daraus folgt, daß Preußen zwar mit Oeſterreich ein
gutes Verſtändniß bewahren, aber ſich begnügen muß, am Bundestage nur
„eine allgemeine Sprache“ zu führen. Die wirkliche Ausführung gemein-
nütziger Inſtitutionen läßt ſich nur erreichen „in dem einzelnen Verkehre
mit den deutſchen Staaten ſelbſt. Es muß in der Politik Preußens liegen,
dieſe Nachbarſtaaten in ſein politiſches und ſelbſt adminiſtratives Syſtem
bis zu einem gewiſſen Punkt zu verweben.“ Das ganze Programm der
preußiſchen Bundespolitik lag in dieſen Worten. Noch bevor der Bundestag

*) Hänleins Bericht 2. Juli. Hardenbergs Antwort 9. Auguſt. Berſtetts Bericht
1. Juli 1816.
**) So Blittersdorff in ſeiner Denkſchrift über die Bundespolitik v. 18. Febr. 1822.
***) Veröffentlicht von C. Rößler, Zeitſchrift für preußiſche Geſchichte 1872.
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[144/0158] II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. Metternich die preußiſchen Vorſchläge nicht annehmen wollte. Was blieb übrig als den begangenen Fehler, an dem Hardenbergs Leichtgläubigkeit kaum weniger Schuld trug, als Hänleins Ungeſchick, ſogleich zurückzu- nehmen? Am 9. Auguſt wurde Hänlein abberufen. Sein erzürnter Chef warf ihm vor, daß er durch irrige Berichte ſeinen Hof zu falſchen Schritten verleitet und dann durch öffentliche Behandlung der Sache ein höchſt nach- theiliges Aufſehen erregt habe: „der gute Erfolg des Bundes hängt von dem vollkommenſten Einverſtändniß zwiſchen Preußen und Oeſterreich ab; Nie- mand darf eine Divergenz der Meinungen zwiſchen beiden für das Wohl Europas und Deutſchlands eng verbündeten Höfen auch nur ahnen.“ *) Gleichzeitig ward Humboldt mit der vorläufigen Vertretung der Bundes- geſandtſchaft beauftragt, und ihm gelang durch entſchloſſene Haltung das erſchütterte Anſehen Preußens ſo weit wieder herzuſtellen, daß Graf Buol in den vorbereitenden Sitzungen des Bundestages keinen Schritt ohne ſeine Zuſtimmung wagte. Aber die böſen Folgen der erlittenen Nieder- lage wirkten lange nach. Preußen und das ländergierige Baiern wurden noch drei Jahre lang allgemein als die ehrgeizigen Störenfriede des Bun- des beargwöhnt; von einer preußiſchen Partei, die doch in Regensburg niemals ganz gefehlt hatte, war in Frankfurt vorderhand keine Spur zu finden, und der Einfluß der norddeutſchen Großmacht auf die Bundes- verhandlungen blieb ſo beſcheiden, daß die ſüddeutſchen Staatsmänner ſpä- terhin dieſe erſten Jahre als die goldene Zeit des Bundestages zu be- zeichnen pflegten. **) Humboldt aber bildete ſich ſchon aus den Erfahrungen dieſer erſten Wochen eine hoffnungsloſe, und leider vollkommen richtige Anſicht von dem Deutſchen Bunde und entwickelte ſie in einer großen Denkſchrift vom 30. September 1816, welche nachher der Inſtruktion des preußiſchen Bun- desgeſandten zu Grunde gelegt wurde. ***) Hier ward das „höchſt unförm- liche, auf Nichts mit einiger Sicherheit ruhende Gebäude“ der Bundes- verfaſſung draſtiſch geſchildert, dazu „die ungeheure Erſchwerung“ aller Beſchlüſſe, alſo daß „man kaum begreift, wie über einige Punkte ein Be- ſchluß möglich ſei“. Daraus folgt, daß Preußen zwar mit Oeſterreich ein gutes Verſtändniß bewahren, aber ſich begnügen muß, am Bundestage nur „eine allgemeine Sprache“ zu führen. Die wirkliche Ausführung gemein- nütziger Inſtitutionen läßt ſich nur erreichen „in dem einzelnen Verkehre mit den deutſchen Staaten ſelbſt. Es muß in der Politik Preußens liegen, dieſe Nachbarſtaaten in ſein politiſches und ſelbſt adminiſtratives Syſtem bis zu einem gewiſſen Punkt zu verweben.“ Das ganze Programm der preußiſchen Bundespolitik lag in dieſen Worten. Noch bevor der Bundestag *) Hänleins Bericht 2. Juli. Hardenbergs Antwort 9. Auguſt. Berſtetts Bericht 1. Juli 1816. **) So Blittersdorff in ſeiner Denkſchrift über die Bundespolitik v. 18. Febr. 1822. ***) Veröffentlicht von C. Rößler, Zeitſchrift für preußiſche Geſchichte 1872.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/158>, abgerufen am 26.11.2024.