unzählige andere Angelegenheiten sollten den Bundestag beschäftigen, auf dessen Tische der entzückte Luxemburger schon Krone und Scepter liegen sah.*) Aber auch die Ruhigen in diesem kleinstaatlichen Kreise erfüllte ein unermeßlicher Dünkel. Der alte Wahn der deutschen Libertät schmückte sich mit neuen Federn. Durch die schrankenlose Souveränität waren Lippe, Lübeck und Preußen einander völlig gleichgestellt; kein Zweifel also, daß dies Nebeneinander von neununddreißig vollkommen gleichen und vollkommen selbständigen Staaten ganz von selbst, allein durch die Wunderkraft der Einigkeit, eine großartige politische Wirksamkeit entfalten mußte, wenn man nur jedem einzelnen Bundesgliede sorgsam verbot einen gefährlichen über- mächtigen Einfluß auszuüben!
Selbst der nüchterne Republikaner Smidt, der in allen Angelegen- heiten seines geliebten Bremens stets den sicheren und weiten Blick des echten Staatsmannes bewährte, selbst dieser bedeutendste Kopf der Frank- furter Versammlung lebte sich bald ein in die Traumwelt des Foederalismus und setzte den redlichen patriotischen Eifer, der ihn selber beseelte, arglos auch bei seinen Genossen voraus. Wie herrlich, daß nunmehr ganz Deutsch- land eine große Staatenrepublik bildete und die Souveränität von den Einzelnen ausging! Nur sollten diese souveränen Einzelnen auch nach re- publikanischer Art durchaus als Gleiche behandelt werden; denn warum konnte nicht auch in Deutschland "das Heil so gut von Nazareth wie von Jerusalem kommen"? Die souveränen Hansestädte mußten endlich "aus der Roture heraus", sie durften sich nicht mehr mit so bescheidenen Um- gangsformen begnügen, wie einst da sie noch den kaiserlichen Adler auf ihren Münzen führten; das ging doch nimmermehr an, daß der olden- burgische Nachbar einen Hohen Bremer Senat auch fürderhin im Rescrip- tenstile mit seinem unehrerbietigen "Wir Peter" anredete! Der Hoffnungs- volle sah in diesem Bunde der Gleichen das Mittel die deutschen Groß- mächte zur Gerechtigkeit zu erziehen und behauptete: "große Staaten bringen Kraft und Stärke in den Bund, die kleineren Liebe zur Gerechtigkeit und Constitutionsfähigkeit." Doch hütete er sich wohl, näher anzugeben, warum Mecklenburg constitutionsfähiger war als Preußen? und welche Art von Gerechtigkeit der König von Preußen bei dem hessischen Kurfüsten, dem hannoverschen Prinzregenten oder dem württembergischen Könige lernen sollte?
Ihren literarischen Widerhall fanden die Meinungen dieser wohlge- sinnten Foederalisten in der Schrift von Heeren "Der Deutsche Bund in seinem Verhältniß zu dem europäischen Staatensysteme". Der Göttinger Historiker, ein achtungswerther Vertreter der alten, dem Leben entfrem- deten Stubengelehrsamkeit, hatte sich kürzlich eine Weile in Frankfurt auf- gehalten, mit Smidt und den anderen Bundesgesandten viel verkehrt und
*) Gagern an Metternich und Hardenberg, 3. Mai. Hardenbergs Antwort 18. Juni 1816.
Die ehrlichen Foederaliſten.
unzählige andere Angelegenheiten ſollten den Bundestag beſchäftigen, auf deſſen Tiſche der entzückte Luxemburger ſchon Krone und Scepter liegen ſah.*) Aber auch die Ruhigen in dieſem kleinſtaatlichen Kreiſe erfüllte ein unermeßlicher Dünkel. Der alte Wahn der deutſchen Libertät ſchmückte ſich mit neuen Federn. Durch die ſchrankenloſe Souveränität waren Lippe, Lübeck und Preußen einander völlig gleichgeſtellt; kein Zweifel alſo, daß dies Nebeneinander von neununddreißig vollkommen gleichen und vollkommen ſelbſtändigen Staaten ganz von ſelbſt, allein durch die Wunderkraft der Einigkeit, eine großartige politiſche Wirkſamkeit entfalten mußte, wenn man nur jedem einzelnen Bundesgliede ſorgſam verbot einen gefährlichen über- mächtigen Einfluß auszuüben!
Selbſt der nüchterne Republikaner Smidt, der in allen Angelegen- heiten ſeines geliebten Bremens ſtets den ſicheren und weiten Blick des echten Staatsmannes bewährte, ſelbſt dieſer bedeutendſte Kopf der Frank- furter Verſammlung lebte ſich bald ein in die Traumwelt des Foederalismus und ſetzte den redlichen patriotiſchen Eifer, der ihn ſelber beſeelte, arglos auch bei ſeinen Genoſſen voraus. Wie herrlich, daß nunmehr ganz Deutſch- land eine große Staatenrepublik bildete und die Souveränität von den Einzelnen ausging! Nur ſollten dieſe ſouveränen Einzelnen auch nach re- publikaniſcher Art durchaus als Gleiche behandelt werden; denn warum konnte nicht auch in Deutſchland „das Heil ſo gut von Nazareth wie von Jeruſalem kommen“? Die ſouveränen Hanſeſtädte mußten endlich „aus der Roture heraus“, ſie durften ſich nicht mehr mit ſo beſcheidenen Um- gangsformen begnügen, wie einſt da ſie noch den kaiſerlichen Adler auf ihren Münzen führten; das ging doch nimmermehr an, daß der olden- burgiſche Nachbar einen Hohen Bremer Senat auch fürderhin im Reſcrip- tenſtile mit ſeinem unehrerbietigen „Wir Peter“ anredete! Der Hoffnungs- volle ſah in dieſem Bunde der Gleichen das Mittel die deutſchen Groß- mächte zur Gerechtigkeit zu erziehen und behauptete: „große Staaten bringen Kraft und Stärke in den Bund, die kleineren Liebe zur Gerechtigkeit und Conſtitutionsfähigkeit.“ Doch hütete er ſich wohl, näher anzugeben, warum Mecklenburg conſtitutionsfähiger war als Preußen? und welche Art von Gerechtigkeit der König von Preußen bei dem heſſiſchen Kurfüſten, dem hannoverſchen Prinzregenten oder dem württembergiſchen Könige lernen ſollte?
Ihren literariſchen Widerhall fanden die Meinungen dieſer wohlge- ſinnten Foederaliſten in der Schrift von Heeren „Der Deutſche Bund in ſeinem Verhältniß zu dem europäiſchen Staatenſyſteme“. Der Göttinger Hiſtoriker, ein achtungswerther Vertreter der alten, dem Leben entfrem- deten Stubengelehrſamkeit, hatte ſich kürzlich eine Weile in Frankfurt auf- gehalten, mit Smidt und den anderen Bundesgeſandten viel verkehrt und
*) Gagern an Metternich und Hardenberg, 3. Mai. Hardenbergs Antwort 18. Juni 1816.
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Die ehrlichen Foederaliſten.
unzählige andere Angelegenheiten ſollten den Bundestag beſchäftigen, auf
deſſen Tiſche der entzückte Luxemburger ſchon Krone und Scepter liegen
ſah. *) Aber auch die Ruhigen in dieſem kleinſtaatlichen Kreiſe erfüllte
ein unermeßlicher Dünkel. Der alte Wahn der deutſchen Libertät ſchmückte
ſich mit neuen Federn. Durch die ſchrankenloſe Souveränität waren Lippe,
Lübeck und Preußen einander völlig gleichgeſtellt; kein Zweifel alſo, daß
dies Nebeneinander von neununddreißig vollkommen gleichen und vollkommen
ſelbſtändigen Staaten ganz von ſelbſt, allein durch die Wunderkraft der
Einigkeit, eine großartige politiſche Wirkſamkeit entfalten mußte, wenn man
nur jedem einzelnen Bundesgliede ſorgſam verbot einen gefährlichen über-
mächtigen Einfluß auszuüben!
Selbſt der nüchterne Republikaner Smidt, der in allen Angelegen-
heiten ſeines geliebten Bremens ſtets den ſicheren und weiten Blick des
echten Staatsmannes bewährte, ſelbſt dieſer bedeutendſte Kopf der Frank-
furter Verſammlung lebte ſich bald ein in die Traumwelt des Foederalismus
und ſetzte den redlichen patriotiſchen Eifer, der ihn ſelber beſeelte, arglos
auch bei ſeinen Genoſſen voraus. Wie herrlich, daß nunmehr ganz Deutſch-
land eine große Staatenrepublik bildete und die Souveränität von den
Einzelnen ausging! Nur ſollten dieſe ſouveränen Einzelnen auch nach re-
publikaniſcher Art durchaus als Gleiche behandelt werden; denn warum
konnte nicht auch in Deutſchland „das Heil ſo gut von Nazareth wie von
Jeruſalem kommen“? Die ſouveränen Hanſeſtädte mußten endlich „aus
der Roture heraus“, ſie durften ſich nicht mehr mit ſo beſcheidenen Um-
gangsformen begnügen, wie einſt da ſie noch den kaiſerlichen Adler auf
ihren Münzen führten; das ging doch nimmermehr an, daß der olden-
burgiſche Nachbar einen Hohen Bremer Senat auch fürderhin im Reſcrip-
tenſtile mit ſeinem unehrerbietigen „Wir Peter“ anredete! Der Hoffnungs-
volle ſah in dieſem Bunde der Gleichen das Mittel die deutſchen Groß-
mächte zur Gerechtigkeit zu erziehen und behauptete: „große Staaten bringen
Kraft und Stärke in den Bund, die kleineren Liebe zur Gerechtigkeit und
Conſtitutionsfähigkeit.“ Doch hütete er ſich wohl, näher anzugeben, warum
Mecklenburg conſtitutionsfähiger war als Preußen? und welche Art von
Gerechtigkeit der König von Preußen bei dem heſſiſchen Kurfüſten, dem
hannoverſchen Prinzregenten oder dem württembergiſchen Könige lernen
ſollte?
Ihren literariſchen Widerhall fanden die Meinungen dieſer wohlge-
ſinnten Foederaliſten in der Schrift von Heeren „Der Deutſche Bund in
ſeinem Verhältniß zu dem europäiſchen Staatenſyſteme“. Der Göttinger
Hiſtoriker, ein achtungswerther Vertreter der alten, dem Leben entfrem-
deten Stubengelehrſamkeit, hatte ſich kürzlich eine Weile in Frankfurt auf-
gehalten, mit Smidt und den anderen Bundesgeſandten viel verkehrt und
*) Gagern an Metternich und Hardenberg, 3. Mai. Hardenbergs Antwort 18. Juni 1816.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/155>, abgerufen am 20.07.2024.
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