verbündeten Staates erlaubte. Solche Fragen wurden stets nur in ver- traulichen Briefen an den zuverlässigsten der Berliner Freunde, den Fürsten Wittgenstein, oder auch bei den persönlichen Zusammenkünften der Monar- chen in freundschaftlichen Gesprächen behutsam berührt.
Diese wohlberechnete Zurückhaltung fiel dem klugen Manne nicht leicht; denn im Grunde des Herzens beunruhigten ihn die inneren Zustände Preußens noch weit mehr als die Lage Frankreichs. Er konnte sich nicht verhehlen, daß Preußen mit der bitteren Erinnerung an eine unverdiente diplomatische Niederlage die Waffen niederlegte, und sich mit der lächer- lichen Zerrissenheit seines Gebietes auf die Dauer nicht begnügen durfte. Er glaubte fest, daß die Centralverwaltung seines Todfeindes Stein die preußische Jugend mit gefährlichen Gedanken revolutionärer Eroberungslust erfüllt habe, und fand seinen Verdacht durch die Schriften Arndts und Görres' bestätigt. Am unheimlichsten blieb ihm doch die unerhörte Er- scheinung des preußischen Volksheeres; keiner der Staatsmänner der alten Schule wollte glauben, daß so viel rücksichtsloser Freimuth, so viel lär- mende vaterländische Begeisterung mit unverbrüchlicher Königstreue Hand in Hand gehen könne. Und allerdings verbargen die preußischen Offiziere ihr abschätziges Urtheil über Oesterreichs Heer und Heeresführung keines- wegs, und mancher dachte schon wie der tapfere General Steinmetz vom York'schen Corps, der zur Zeit des zweiten Pariser Friedens rundweg schrieb: Oesterreich sei kein deutsches Haus mehr, die Oberherrschaft in Deutschland gebühre den Preußen. Während der ersten zwei Jahre nach dem Friedens- schlusse quälte alle Höfe des Vierbundes beständig die Sorge, Preußen könne durch sein fanatisirtes Heer zu revolutionären Abenteuern fortge- rissen werden. Wellington äußerte, dieser Staat sei schlimmer daran als Frankreich, hier bestehe gar keine Autorität mehr. Czar Alexander ent- schuldigte seine Rüstungen mit der Nothwendigkeit, Deutschland gegen die Revolution zu beschützen; "Preußen insbesondere ist krank, sagte er zu Steigentesch, und der König von Preußen wird der Erste sein, dem ich Beistand werde leisten müssen."*)
In Wahrheit lag dem Berliner Hofe nichts ferner als der Ehrgeiz revolutionärer Kriegspolitik. Jedermann im Lande wußte, daß der König fest entschlossen war, wenn irgend möglich nie wieder das Schwert zu ziehen. Wohl fehlte es unter den jüngeren Beamten und Offizieren nicht an einzelnen weitschauenden Köpfen, welche die Unhaltbarkeit der Gestal- tung des Staatsgebietes erkannten und schleunige Abhilfe forderten. Der Präsident v. Motz in Erfurt führte in einer geistvollen Denkschrift aus: die von Hardenberg erstrebte Führerstellung im Norden könne nur dann gesichert werden, wenn Preußen für einige Striche seiner rheinisch-west- phälischen Provinzen Oberhessen und Fulda eintausche und also am Unter-
*) Krusemarks Bericht 17. April 1816.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 9
Preußens Verhältniß zum Deutſchen Bunde.
verbündeten Staates erlaubte. Solche Fragen wurden ſtets nur in ver- traulichen Briefen an den zuverläſſigſten der Berliner Freunde, den Fürſten Wittgenſtein, oder auch bei den perſönlichen Zuſammenkünften der Monar- chen in freundſchaftlichen Geſprächen behutſam berührt.
Dieſe wohlberechnete Zurückhaltung fiel dem klugen Manne nicht leicht; denn im Grunde des Herzens beunruhigten ihn die inneren Zuſtände Preußens noch weit mehr als die Lage Frankreichs. Er konnte ſich nicht verhehlen, daß Preußen mit der bitteren Erinnerung an eine unverdiente diplomatiſche Niederlage die Waffen niederlegte, und ſich mit der lächer- lichen Zerriſſenheit ſeines Gebietes auf die Dauer nicht begnügen durfte. Er glaubte feſt, daß die Centralverwaltung ſeines Todfeindes Stein die preußiſche Jugend mit gefährlichen Gedanken revolutionärer Eroberungsluſt erfüllt habe, und fand ſeinen Verdacht durch die Schriften Arndts und Görres’ beſtätigt. Am unheimlichſten blieb ihm doch die unerhörte Er- ſcheinung des preußiſchen Volksheeres; keiner der Staatsmänner der alten Schule wollte glauben, daß ſo viel rückſichtsloſer Freimuth, ſo viel lär- mende vaterländiſche Begeiſterung mit unverbrüchlicher Königstreue Hand in Hand gehen könne. Und allerdings verbargen die preußiſchen Offiziere ihr abſchätziges Urtheil über Oeſterreichs Heer und Heeresführung keines- wegs, und mancher dachte ſchon wie der tapfere General Steinmetz vom York’ſchen Corps, der zur Zeit des zweiten Pariſer Friedens rundweg ſchrieb: Oeſterreich ſei kein deutſches Haus mehr, die Oberherrſchaft in Deutſchland gebühre den Preußen. Während der erſten zwei Jahre nach dem Friedens- ſchluſſe quälte alle Höfe des Vierbundes beſtändig die Sorge, Preußen könne durch ſein fanatiſirtes Heer zu revolutionären Abenteuern fortge- riſſen werden. Wellington äußerte, dieſer Staat ſei ſchlimmer daran als Frankreich, hier beſtehe gar keine Autorität mehr. Czar Alexander ent- ſchuldigte ſeine Rüſtungen mit der Nothwendigkeit, Deutſchland gegen die Revolution zu beſchützen; „Preußen insbeſondere iſt krank, ſagte er zu Steigenteſch, und der König von Preußen wird der Erſte ſein, dem ich Beiſtand werde leiſten müſſen.“*)
In Wahrheit lag dem Berliner Hofe nichts ferner als der Ehrgeiz revolutionärer Kriegspolitik. Jedermann im Lande wußte, daß der König feſt entſchloſſen war, wenn irgend möglich nie wieder das Schwert zu ziehen. Wohl fehlte es unter den jüngeren Beamten und Offizieren nicht an einzelnen weitſchauenden Köpfen, welche die Unhaltbarkeit der Geſtal- tung des Staatsgebietes erkannten und ſchleunige Abhilfe forderten. Der Präſident v. Motz in Erfurt führte in einer geiſtvollen Denkſchrift aus: die von Hardenberg erſtrebte Führerſtellung im Norden könne nur dann geſichert werden, wenn Preußen für einige Striche ſeiner rheiniſch-weſt- phäliſchen Provinzen Oberheſſen und Fulda eintauſche und alſo am Unter-
*) Kruſemarks Bericht 17. April 1816.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 9
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Preußens Verhältniß zum Deutſchen Bunde.
verbündeten Staates erlaubte. Solche Fragen wurden ſtets nur in ver-
traulichen Briefen an den zuverläſſigſten der Berliner Freunde, den Fürſten
Wittgenſtein, oder auch bei den perſönlichen Zuſammenkünften der Monar-
chen in freundſchaftlichen Geſprächen behutſam berührt.
Dieſe wohlberechnete Zurückhaltung fiel dem klugen Manne nicht leicht;
denn im Grunde des Herzens beunruhigten ihn die inneren Zuſtände
Preußens noch weit mehr als die Lage Frankreichs. Er konnte ſich nicht
verhehlen, daß Preußen mit der bitteren Erinnerung an eine unverdiente
diplomatiſche Niederlage die Waffen niederlegte, und ſich mit der lächer-
lichen Zerriſſenheit ſeines Gebietes auf die Dauer nicht begnügen durfte.
Er glaubte feſt, daß die Centralverwaltung ſeines Todfeindes Stein die
preußiſche Jugend mit gefährlichen Gedanken revolutionärer Eroberungsluſt
erfüllt habe, und fand ſeinen Verdacht durch die Schriften Arndts und
Görres’ beſtätigt. Am unheimlichſten blieb ihm doch die unerhörte Er-
ſcheinung des preußiſchen Volksheeres; keiner der Staatsmänner der alten
Schule wollte glauben, daß ſo viel rückſichtsloſer Freimuth, ſo viel lär-
mende vaterländiſche Begeiſterung mit unverbrüchlicher Königstreue Hand
in Hand gehen könne. Und allerdings verbargen die preußiſchen Offiziere
ihr abſchätziges Urtheil über Oeſterreichs Heer und Heeresführung keines-
wegs, und mancher dachte ſchon wie der tapfere General Steinmetz vom
York’ſchen Corps, der zur Zeit des zweiten Pariſer Friedens rundweg ſchrieb:
Oeſterreich ſei kein deutſches Haus mehr, die Oberherrſchaft in Deutſchland
gebühre den Preußen. Während der erſten zwei Jahre nach dem Friedens-
ſchluſſe quälte alle Höfe des Vierbundes beſtändig die Sorge, Preußen
könne durch ſein fanatiſirtes Heer zu revolutionären Abenteuern fortge-
riſſen werden. Wellington äußerte, dieſer Staat ſei ſchlimmer daran als
Frankreich, hier beſtehe gar keine Autorität mehr. Czar Alexander ent-
ſchuldigte ſeine Rüſtungen mit der Nothwendigkeit, Deutſchland gegen die
Revolution zu beſchützen; „Preußen insbeſondere iſt krank, ſagte er zu
Steigenteſch, und der König von Preußen wird der Erſte ſein, dem ich
Beiſtand werde leiſten müſſen.“ *)
In Wahrheit lag dem Berliner Hofe nichts ferner als der Ehrgeiz
revolutionärer Kriegspolitik. Jedermann im Lande wußte, daß der König
feſt entſchloſſen war, wenn irgend möglich nie wieder das Schwert zu
ziehen. Wohl fehlte es unter den jüngeren Beamten und Offizieren nicht
an einzelnen weitſchauenden Köpfen, welche die Unhaltbarkeit der Geſtal-
tung des Staatsgebietes erkannten und ſchleunige Abhilfe forderten. Der
Präſident v. Motz in Erfurt führte in einer geiſtvollen Denkſchrift aus:
die von Hardenberg erſtrebte Führerſtellung im Norden könne nur dann
geſichert werden, wenn Preußen für einige Striche ſeiner rheiniſch-weſt-
phäliſchen Provinzen Oberheſſen und Fulda eintauſche und alſo am Unter-
*) Kruſemarks Bericht 17. April 1816.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 9
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/143>, abgerufen am 28.11.2024.
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