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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Metternichs deutsche Politik.
sammt und sonders verhaßt, alle Italiener, "denen der Gedanke einer
selbständigen Nation anzugehören lieb war", grollten der neuen Regierung.
Aber die Ruhe war noch nirgends gestört, und Metternich erwiderte zu-
versichtlich, als Hardenberg ihm die Namen einiger verdächtigen italienischen
Patrioten mittheilen ließ: den Italienern fehle, trotz ihrer schlechten Ge-
sinnung, der Muth zu Verschwörungen.*) Was schien auch zu befürchten?
An allen Höfen der Halbinsel herrschte ein hart absolutistischer Geist, der
den Grundsätzen der Hofburg entsprach; die Bourbonen von Neapel hatten
sich überdies am 12. Juli 1815 durch einen geheimen Vertrag verpflichtet,
die alten monarchischen Institutionen aufrecht zu halten und dem Wiener
Hofe Alles mitzutheilen, was der Ruhe Italiens bedrohlich scheine.

Den deutschen Angelegenheiten stand die Hofburg zunächst noch ganz
planlos und gedankenlos gegenüber: genug wenn der Deutsche Bund noth-
dürftig zusammenhielt und im Kriegsfalle dem Hause Oesterreich Heeres-
folge leistete; dann mochten die Berathungen des Frankfurter Bundes-
tages wieder ebenso leer und nichtig verlaufen, wie einst die des Regens-
burger Reichstags. Metternich verachtete die kleinen deutschen Höfe aus
Herzensgrunde und rief stets unbedenklich den Czaren zu Hilfe, wenn
"einige deutsche Fürsten, die einen Seelenhandel zu machen haben", sich
über die Abwicklung ihrer Gebietsstreitigkeiten nicht einigen konnten. Aber
er wußte auch, daß diese kleinen Herren sich nur darum zur österreichischen
Partei hielten, weil sie die Hofburg als den wohlwollenden Beschützer ihrer
Souveränität verehrten. Daher dachte er sie möglichst frei gewähren zu
lassen; selbst der unbequemen Artikel 13 der Bundesakte, das Versprechen
der Landstände, schien vorerst nicht allzu gefährlich, da die Mehrzahl der
deutschen Höfe über jeden Verdacht liberaler Gesinnung erhaben war. Die
Nüchternheit des österreichischen Staatsmannes hatte sich nie darüber ge-
täuscht, daß sein Kaiserhaus an dem politischen Leben der deutschen Nation
nicht theilnehmen, für die Förderung deutschen Rechts und deutscher Wohl-
fahrt nichts leisten konnte. Noch in seinen Denkwürdigkeiten schrieb er
unbefangen: "in Bezug auf Oesterreich hatte der Ausdruck: deutscher Sinn
-- insbesondere in der Bedeutung, wie sich derselbe seit der Katastrophe
Preußens und der nördlichen Gebiete Deutschlands in den höheren Schich-
ten der dortigen Bevölkerung manifestirte -- lediglich den Werth einer
Mythe." Jede Regung nationaler Gedanken in Deutschland war ihm also
eine Gefahr für Oesterreichs Herrschaft. Kaiser Franz vollends bearg-
wöhnte den Patriotismus schlechthin als eine gefährliche revolutionäre Lei-
denschaft und wollte nicht einmal von einem österreichischen Vaterlande
hören, da doch alle staatliche Ordnung lediglich in dem Gehorsam der Unter-
thanen gegen die Person des Herrschers bestand; als man ihm den Ent-
wurf eines Dankschreibens an Schwarzenberg und das Heer vorlegte, strich

*) Krusemarks Bericht aus Mailand, 28. Febr., 8. März 1816; aus Wien, 4. Jan. 1817.

Metternichs deutſche Politik.
ſammt und ſonders verhaßt, alle Italiener, „denen der Gedanke einer
ſelbſtändigen Nation anzugehören lieb war“, grollten der neuen Regierung.
Aber die Ruhe war noch nirgends geſtört, und Metternich erwiderte zu-
verſichtlich, als Hardenberg ihm die Namen einiger verdächtigen italieniſchen
Patrioten mittheilen ließ: den Italienern fehle, trotz ihrer ſchlechten Ge-
ſinnung, der Muth zu Verſchwörungen.*) Was ſchien auch zu befürchten?
An allen Höfen der Halbinſel herrſchte ein hart abſolutiſtiſcher Geiſt, der
den Grundſätzen der Hofburg entſprach; die Bourbonen von Neapel hatten
ſich überdies am 12. Juli 1815 durch einen geheimen Vertrag verpflichtet,
die alten monarchiſchen Inſtitutionen aufrecht zu halten und dem Wiener
Hofe Alles mitzutheilen, was der Ruhe Italiens bedrohlich ſcheine.

Den deutſchen Angelegenheiten ſtand die Hofburg zunächſt noch ganz
planlos und gedankenlos gegenüber: genug wenn der Deutſche Bund noth-
dürftig zuſammenhielt und im Kriegsfalle dem Hauſe Oeſterreich Heeres-
folge leiſtete; dann mochten die Berathungen des Frankfurter Bundes-
tages wieder ebenſo leer und nichtig verlaufen, wie einſt die des Regens-
burger Reichstags. Metternich verachtete die kleinen deutſchen Höfe aus
Herzensgrunde und rief ſtets unbedenklich den Czaren zu Hilfe, wenn
„einige deutſche Fürſten, die einen Seelenhandel zu machen haben“, ſich
über die Abwicklung ihrer Gebietsſtreitigkeiten nicht einigen konnten. Aber
er wußte auch, daß dieſe kleinen Herren ſich nur darum zur öſterreichiſchen
Partei hielten, weil ſie die Hofburg als den wohlwollenden Beſchützer ihrer
Souveränität verehrten. Daher dachte er ſie möglichſt frei gewähren zu
laſſen; ſelbſt der unbequemen Artikel 13 der Bundesakte, das Verſprechen
der Landſtände, ſchien vorerſt nicht allzu gefährlich, da die Mehrzahl der
deutſchen Höfe über jeden Verdacht liberaler Geſinnung erhaben war. Die
Nüchternheit des öſterreichiſchen Staatsmannes hatte ſich nie darüber ge-
täuſcht, daß ſein Kaiſerhaus an dem politiſchen Leben der deutſchen Nation
nicht theilnehmen, für die Förderung deutſchen Rechts und deutſcher Wohl-
fahrt nichts leiſten konnte. Noch in ſeinen Denkwürdigkeiten ſchrieb er
unbefangen: „in Bezug auf Oeſterreich hatte der Ausdruck: deutſcher Sinn
— insbeſondere in der Bedeutung, wie ſich derſelbe ſeit der Kataſtrophe
Preußens und der nördlichen Gebiete Deutſchlands in den höheren Schich-
ten der dortigen Bevölkerung manifeſtirte — lediglich den Werth einer
Mythe.“ Jede Regung nationaler Gedanken in Deutſchland war ihm alſo
eine Gefahr für Oeſterreichs Herrſchaft. Kaiſer Franz vollends bearg-
wöhnte den Patriotismus ſchlechthin als eine gefährliche revolutionäre Lei-
denſchaft und wollte nicht einmal von einem öſterreichiſchen Vaterlande
hören, da doch alle ſtaatliche Ordnung lediglich in dem Gehorſam der Unter-
thanen gegen die Perſon des Herrſchers beſtand; als man ihm den Ent-
wurf eines Dankſchreibens an Schwarzenberg und das Heer vorlegte, ſtrich

*) Kruſemarks Bericht aus Mailand, 28. Febr., 8. März 1816; aus Wien, 4. Jan. 1817.
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[127/0141] Metternichs deutſche Politik. ſammt und ſonders verhaßt, alle Italiener, „denen der Gedanke einer ſelbſtändigen Nation anzugehören lieb war“, grollten der neuen Regierung. Aber die Ruhe war noch nirgends geſtört, und Metternich erwiderte zu- verſichtlich, als Hardenberg ihm die Namen einiger verdächtigen italieniſchen Patrioten mittheilen ließ: den Italienern fehle, trotz ihrer ſchlechten Ge- ſinnung, der Muth zu Verſchwörungen. *) Was ſchien auch zu befürchten? An allen Höfen der Halbinſel herrſchte ein hart abſolutiſtiſcher Geiſt, der den Grundſätzen der Hofburg entſprach; die Bourbonen von Neapel hatten ſich überdies am 12. Juli 1815 durch einen geheimen Vertrag verpflichtet, die alten monarchiſchen Inſtitutionen aufrecht zu halten und dem Wiener Hofe Alles mitzutheilen, was der Ruhe Italiens bedrohlich ſcheine. Den deutſchen Angelegenheiten ſtand die Hofburg zunächſt noch ganz planlos und gedankenlos gegenüber: genug wenn der Deutſche Bund noth- dürftig zuſammenhielt und im Kriegsfalle dem Hauſe Oeſterreich Heeres- folge leiſtete; dann mochten die Berathungen des Frankfurter Bundes- tages wieder ebenſo leer und nichtig verlaufen, wie einſt die des Regens- burger Reichstags. Metternich verachtete die kleinen deutſchen Höfe aus Herzensgrunde und rief ſtets unbedenklich den Czaren zu Hilfe, wenn „einige deutſche Fürſten, die einen Seelenhandel zu machen haben“, ſich über die Abwicklung ihrer Gebietsſtreitigkeiten nicht einigen konnten. Aber er wußte auch, daß dieſe kleinen Herren ſich nur darum zur öſterreichiſchen Partei hielten, weil ſie die Hofburg als den wohlwollenden Beſchützer ihrer Souveränität verehrten. Daher dachte er ſie möglichſt frei gewähren zu laſſen; ſelbſt der unbequemen Artikel 13 der Bundesakte, das Verſprechen der Landſtände, ſchien vorerſt nicht allzu gefährlich, da die Mehrzahl der deutſchen Höfe über jeden Verdacht liberaler Geſinnung erhaben war. Die Nüchternheit des öſterreichiſchen Staatsmannes hatte ſich nie darüber ge- täuſcht, daß ſein Kaiſerhaus an dem politiſchen Leben der deutſchen Nation nicht theilnehmen, für die Förderung deutſchen Rechts und deutſcher Wohl- fahrt nichts leiſten konnte. Noch in ſeinen Denkwürdigkeiten ſchrieb er unbefangen: „in Bezug auf Oeſterreich hatte der Ausdruck: deutſcher Sinn — insbeſondere in der Bedeutung, wie ſich derſelbe ſeit der Kataſtrophe Preußens und der nördlichen Gebiete Deutſchlands in den höheren Schich- ten der dortigen Bevölkerung manifeſtirte — lediglich den Werth einer Mythe.“ Jede Regung nationaler Gedanken in Deutſchland war ihm alſo eine Gefahr für Oeſterreichs Herrſchaft. Kaiſer Franz vollends bearg- wöhnte den Patriotismus ſchlechthin als eine gefährliche revolutionäre Lei- denſchaft und wollte nicht einmal von einem öſterreichiſchen Vaterlande hören, da doch alle ſtaatliche Ordnung lediglich in dem Gehorſam der Unter- thanen gegen die Perſon des Herrſchers beſtand; als man ihm den Ent- wurf eines Dankſchreibens an Schwarzenberg und das Heer vorlegte, ſtrich *) Kruſemarks Bericht aus Mailand, 28. Febr., 8. März 1816; aus Wien, 4. Jan. 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/141>, abgerufen am 28.11.2024.