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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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F. Schlegel. Steffens. Ancillon.
der Verfassungen gebe eine höhere geistige Einheit! Noch weniger ver-
mochte Ancillon die erbitterten Gemüther zu beschwichtigen. Seine zahlrei-
chen staatswissenschaftlichen Bücher blickten mit vornehmer Geringschätzung
auf die seichten Vergötterer des Zeitgeistes hernieder und offenbarten doch
eine Gedankenarmuth, woneben Rottecks Wasserklarheit wie sprudelnde
Genialität erschien, dazu eine schillernde Unbestimmtheit des Ausdrucks und
der Ideen, die sich überall eine Hinterthür offen hielt. Wenn er in tiefer
Unterthänigkeit die Heilige Allianz als die Versöhnung von Politik und Mo-
ral feierte oder mit salbungsvoller Breite bewies, zwischen berathenden und
beschließenden Landständen bestehe eigentlich kein Unterschied, dann zürnten
die Liberalen um so heftiger, da sie wußten, daß der behutsam vermit-
telnde Schriftsteller am preußischen Hofe stets die Bestrebungen der streng
reaktionären Partei unterstützte. --

Noch bevor die siegreichen Heere heimkehrten, hatte ein an sich gering-
fügiger häßlicher Vorfall den Gegensatz der politischen Meinungen krank-
haft verschärft, das kaum erwachende Parteileben auf lange hinaus ver-
giftet. Seit Jahren waren die napoleonischen Märchen von dem Tugend-
bunde und den jacobinischen Umtrieben der preußischen Patrioten in der
Hofburg wie in den rheinbündischen Cabinetten geschäftig umhergetragen
worden; auch die wohlmeinenden kleinen Höfe erschraken über die lär-
mende terroristische Sprache der teutonischen Wortführer; alle Regierungen
fühlten sich unsicher, sie empfanden selber, wie wenig der Friedensschluß
und die Bundesakte den Wünschen der Nation genügen konnten. Auch
in Preußen begannen die alten Gegner Steins und des schlesischen Haupt-
quartiers sich wieder zu rühren. Schon während des Wiener Congresses
verdächtigte ein Hofrath Janke "das wilde Freiheitsgeschrei" von Arndt
und Görres bei dem Staatskanzler. Als die Monarchen zum zweiten
male in Paris versammelt waren, veröffentlichte der Berliner Professor
Schmalz eine Flugschrift: "Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Ven-
turinischen Chronik vom Jahre 1808." Jene Stelle war schon vor Jahren
auf Schmalz's Verlangen von dem Herausgeber selbst berichtigt worden;
Schmalz benutzte nur den Vorwand um, anknüpfend an die Geschichte des
alten Tugendbundes, von dem unterirdischen Treiben der geheimen Ver-
eine, welche "vielleicht" aus jenem Bunde hervorgegangen seien, ein unheim-
liches Schreckensbild zu entwerfen. Er war ein Schwager Scharnhorsts,
hatte mit dem General stets in gutem Einvernehmen gelebt, in der Zeit
der französischen Herrschaft seinen patriotischen Muth bewährt, auch an
der Begründung der Berliner Universität rührig mitgearbeitet. In der
Unzahl seiner staatswissenschaftlichen Schriften zeigte sich ein beschränkter,
harter Kopf, der die Ideen der Revolution haßte, ohne doch ihre Grundlage,
die Lehre des Naturrechts wissenschaftlich überwinden zu können; an seinem
Rufe haftete bisher kein Makel. Welch ein Aergerniß nun, als dieser ge-
achtete Patriot plötzlich eine lange Reihe wüthender Anklagen gegen das

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F. Schlegel. Steffens. Ancillon.
der Verfaſſungen gebe eine höhere geiſtige Einheit! Noch weniger ver-
mochte Ancillon die erbitterten Gemüther zu beſchwichtigen. Seine zahlrei-
chen ſtaatswiſſenſchaftlichen Bücher blickten mit vornehmer Geringſchätzung
auf die ſeichten Vergötterer des Zeitgeiſtes hernieder und offenbarten doch
eine Gedankenarmuth, woneben Rottecks Waſſerklarheit wie ſprudelnde
Genialität erſchien, dazu eine ſchillernde Unbeſtimmtheit des Ausdrucks und
der Ideen, die ſich überall eine Hinterthür offen hielt. Wenn er in tiefer
Unterthänigkeit die Heilige Allianz als die Verſöhnung von Politik und Mo-
ral feierte oder mit ſalbungsvoller Breite bewies, zwiſchen berathenden und
beſchließenden Landſtänden beſtehe eigentlich kein Unterſchied, dann zürnten
die Liberalen um ſo heftiger, da ſie wußten, daß der behutſam vermit-
telnde Schriftſteller am preußiſchen Hofe ſtets die Beſtrebungen der ſtreng
reaktionären Partei unterſtützte. —

Noch bevor die ſiegreichen Heere heimkehrten, hatte ein an ſich gering-
fügiger häßlicher Vorfall den Gegenſatz der politiſchen Meinungen krank-
haft verſchärft, das kaum erwachende Parteileben auf lange hinaus ver-
giftet. Seit Jahren waren die napoleoniſchen Märchen von dem Tugend-
bunde und den jacobiniſchen Umtrieben der preußiſchen Patrioten in der
Hofburg wie in den rheinbündiſchen Cabinetten geſchäftig umhergetragen
worden; auch die wohlmeinenden kleinen Höfe erſchraken über die lär-
mende terroriſtiſche Sprache der teutoniſchen Wortführer; alle Regierungen
fühlten ſich unſicher, ſie empfanden ſelber, wie wenig der Friedensſchluß
und die Bundesakte den Wünſchen der Nation genügen konnten. Auch
in Preußen begannen die alten Gegner Steins und des ſchleſiſchen Haupt-
quartiers ſich wieder zu rühren. Schon während des Wiener Congreſſes
verdächtigte ein Hofrath Janke „das wilde Freiheitsgeſchrei“ von Arndt
und Görres bei dem Staatskanzler. Als die Monarchen zum zweiten
male in Paris verſammelt waren, veröffentlichte der Berliner Profeſſor
Schmalz eine Flugſchrift: „Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Ven-
turiniſchen Chronik vom Jahre 1808.“ Jene Stelle war ſchon vor Jahren
auf Schmalz’s Verlangen von dem Herausgeber ſelbſt berichtigt worden;
Schmalz benutzte nur den Vorwand um, anknüpfend an die Geſchichte des
alten Tugendbundes, von dem unterirdiſchen Treiben der geheimen Ver-
eine, welche „vielleicht“ aus jenem Bunde hervorgegangen ſeien, ein unheim-
liches Schreckensbild zu entwerfen. Er war ein Schwager Scharnhorſts,
hatte mit dem General ſtets in gutem Einvernehmen gelebt, in der Zeit
der franzöſiſchen Herrſchaft ſeinen patriotiſchen Muth bewährt, auch an
der Begründung der Berliner Univerſität rührig mitgearbeitet. In der
Unzahl ſeiner ſtaatswiſſenſchaftlichen Schriften zeigte ſich ein beſchränkter,
harter Kopf, der die Ideen der Revolution haßte, ohne doch ihre Grundlage,
die Lehre des Naturrechts wiſſenſchaftlich überwinden zu können; an ſeinem
Rufe haftete bisher kein Makel. Welch ein Aergerniß nun, als dieſer ge-
achtete Patriot plötzlich eine lange Reihe wüthender Anklagen gegen das

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[115/0129] F. Schlegel. Steffens. Ancillon. der Verfaſſungen gebe eine höhere geiſtige Einheit! Noch weniger ver- mochte Ancillon die erbitterten Gemüther zu beſchwichtigen. Seine zahlrei- chen ſtaatswiſſenſchaftlichen Bücher blickten mit vornehmer Geringſchätzung auf die ſeichten Vergötterer des Zeitgeiſtes hernieder und offenbarten doch eine Gedankenarmuth, woneben Rottecks Waſſerklarheit wie ſprudelnde Genialität erſchien, dazu eine ſchillernde Unbeſtimmtheit des Ausdrucks und der Ideen, die ſich überall eine Hinterthür offen hielt. Wenn er in tiefer Unterthänigkeit die Heilige Allianz als die Verſöhnung von Politik und Mo- ral feierte oder mit ſalbungsvoller Breite bewies, zwiſchen berathenden und beſchließenden Landſtänden beſtehe eigentlich kein Unterſchied, dann zürnten die Liberalen um ſo heftiger, da ſie wußten, daß der behutſam vermit- telnde Schriftſteller am preußiſchen Hofe ſtets die Beſtrebungen der ſtreng reaktionären Partei unterſtützte. — Noch bevor die ſiegreichen Heere heimkehrten, hatte ein an ſich gering- fügiger häßlicher Vorfall den Gegenſatz der politiſchen Meinungen krank- haft verſchärft, das kaum erwachende Parteileben auf lange hinaus ver- giftet. Seit Jahren waren die napoleoniſchen Märchen von dem Tugend- bunde und den jacobiniſchen Umtrieben der preußiſchen Patrioten in der Hofburg wie in den rheinbündiſchen Cabinetten geſchäftig umhergetragen worden; auch die wohlmeinenden kleinen Höfe erſchraken über die lär- mende terroriſtiſche Sprache der teutoniſchen Wortführer; alle Regierungen fühlten ſich unſicher, ſie empfanden ſelber, wie wenig der Friedensſchluß und die Bundesakte den Wünſchen der Nation genügen konnten. Auch in Preußen begannen die alten Gegner Steins und des ſchleſiſchen Haupt- quartiers ſich wieder zu rühren. Schon während des Wiener Congreſſes verdächtigte ein Hofrath Janke „das wilde Freiheitsgeſchrei“ von Arndt und Görres bei dem Staatskanzler. Als die Monarchen zum zweiten male in Paris verſammelt waren, veröffentlichte der Berliner Profeſſor Schmalz eine Flugſchrift: „Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Ven- turiniſchen Chronik vom Jahre 1808.“ Jene Stelle war ſchon vor Jahren auf Schmalz’s Verlangen von dem Herausgeber ſelbſt berichtigt worden; Schmalz benutzte nur den Vorwand um, anknüpfend an die Geſchichte des alten Tugendbundes, von dem unterirdiſchen Treiben der geheimen Ver- eine, welche „vielleicht“ aus jenem Bunde hervorgegangen ſeien, ein unheim- liches Schreckensbild zu entwerfen. Er war ein Schwager Scharnhorſts, hatte mit dem General ſtets in gutem Einvernehmen gelebt, in der Zeit der franzöſiſchen Herrſchaft ſeinen patriotiſchen Muth bewährt, auch an der Begründung der Berliner Univerſität rührig mitgearbeitet. In der Unzahl ſeiner ſtaatswiſſenſchaftlichen Schriften zeigte ſich ein beſchränkter, harter Kopf, der die Ideen der Revolution haßte, ohne doch ihre Grundlage, die Lehre des Naturrechts wiſſenſchaftlich überwinden zu können; an ſeinem Rufe haftete bisher kein Makel. Welch ein Aergerniß nun, als dieſer ge- achtete Patriot plötzlich eine lange Reihe wüthender Anklagen gegen das 8*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/129>, abgerufen am 29.11.2024.