II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
er den Unterschied von Staats- und Privatrecht und versicherte, jeder Staat setze sich in's Unendliche aus Staaten zusammen. Sein Ideal war der vernünftige Feudalismus; den Widerspruch zwischen Politik und Recht dachte er zu lösen durch die Macht des Glaubens, der zugleich Gesetz sei.
So ward denn Alles wieder in Frage gestellt, was die deutsche Staats- wissenschaft seit anderthalb Jahrhunderten gedacht hatte, seit Pufendorf sie von dem Joche der Theologen erlöste; die politische Doktrin sank zurück in die theokratischen Vorstellungen des Mittelalters. Friedrich Schlegel feierte die Kirche als die erste aller Innungen, nach ihrem Vorbilde sollten sich alle anderen Corporationen der bürgerlichen Gesellschaft neu gestalten. Baader nannte den Lehr-, Wehr- und Nährstand die drei Staaten jeder Nation und verwarf den Ausdruck "der Staat" als eine sündliche moderne Erfindung. "Corporation, nicht Association" -- so lautete das Schlagwort der politischen Romantiker; die meisten verbanden damit nur die unbestimmte Vorstellung einer schwachen Staatsgewalt, welche durch Zünfte, ritterliche Landtage, autonome Gemeinden eingeschränkt, durch die Kirche geistig be- herrscht werden sollte. Der nüchterne Gentz fühlte sich wildfremd und un- heimlich in dieser Traumwelt der theologisirenden Politik und gestand seinem Freunde Müller: hier vermisse er Alles, was die Wissenschaft ausmache, Klarheit, Methode, Zusammenhang. Sein weltlicher Sinn empörte sich, wenn ihm der Freund betheuerte, der Weltfriede hänge von der Erkenntniß der Menschwerdung Gottes ab. Erst als er die Vorboten der nahenden Revo- lution zu erkennen glaubte, da schrieb er in einem Anfall nervöser Angst: "Sie haben vollkommen Recht, Alles ist verloren, wenn nicht die Religion pas seulement comme foi mais comme loi hergestellt wird." Aber die Zerknirschung hielt nicht vor; der erste der deutschen Publicisten stand doch zu hoch um die Erkenntniß der weltlichen Natur des Staates auf die Dauer aufzugeben.
Eine Kluft von Jahrhunderten schien zwischen den romantischen Staatslehren und den liberalen Doktrinen zu liegen. Auf Seite der Con- servativen stand noch die große Mehrzahl der literarischen Talente, die Ueberlegenheit wissenschaftlicher Bildung; der Liberalismus zeigte trotz seiner jugendlichen Unreife doch mehr Sinn für die Bedürfnisse der Gegenwart, für die berechtigten Ansprüche der erstarkenden Mittelklassen. Wer zwi- schen diesen schroffen Gegensätzen zu vermitteln suchte, erregte nur Verdacht. Selbst der ehrliche Steffens kam in den Ruf reaktionärer Gesinnung, weil er in seinen geistreich verschwommenen politischen Schriften zwar land- ständische Verfassungen forderte, aber nach seiner phantastischen Art "die Gemeinschaft der Heiligen" für die Idee des Staates erklärte und den Vorzug des Adels in "der mystischen Tiefe aller irdischen Geburt" begründet fand. Den Patrioten klang es wie Hohn, wenn der vertrauensvolle Mann die charakterlose Buntheit des zerrissenen deutschen Staatslebens geradezu als einen Vorzug pries: jede Verfassung sei mangelhaft, erst die Vielheit
II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
er den Unterſchied von Staats- und Privatrecht und verſicherte, jeder Staat ſetze ſich in’s Unendliche aus Staaten zuſammen. Sein Ideal war der vernünftige Feudalismus; den Widerſpruch zwiſchen Politik und Recht dachte er zu löſen durch die Macht des Glaubens, der zugleich Geſetz ſei.
So ward denn Alles wieder in Frage geſtellt, was die deutſche Staats- wiſſenſchaft ſeit anderthalb Jahrhunderten gedacht hatte, ſeit Pufendorf ſie von dem Joche der Theologen erlöſte; die politiſche Doktrin ſank zurück in die theokratiſchen Vorſtellungen des Mittelalters. Friedrich Schlegel feierte die Kirche als die erſte aller Innungen, nach ihrem Vorbilde ſollten ſich alle anderen Corporationen der bürgerlichen Geſellſchaft neu geſtalten. Baader nannte den Lehr-, Wehr- und Nährſtand die drei Staaten jeder Nation und verwarf den Ausdruck „der Staat“ als eine ſündliche moderne Erfindung. „Corporation, nicht Aſſociation“ — ſo lautete das Schlagwort der politiſchen Romantiker; die meiſten verbanden damit nur die unbeſtimmte Vorſtellung einer ſchwachen Staatsgewalt, welche durch Zünfte, ritterliche Landtage, autonome Gemeinden eingeſchränkt, durch die Kirche geiſtig be- herrſcht werden ſollte. Der nüchterne Gentz fühlte ſich wildfremd und un- heimlich in dieſer Traumwelt der theologiſirenden Politik und geſtand ſeinem Freunde Müller: hier vermiſſe er Alles, was die Wiſſenſchaft ausmache, Klarheit, Methode, Zuſammenhang. Sein weltlicher Sinn empörte ſich, wenn ihm der Freund betheuerte, der Weltfriede hänge von der Erkenntniß der Menſchwerdung Gottes ab. Erſt als er die Vorboten der nahenden Revo- lution zu erkennen glaubte, da ſchrieb er in einem Anfall nervöſer Angſt: „Sie haben vollkommen Recht, Alles iſt verloren, wenn nicht die Religion pas seulement comme foi mais comme loi hergeſtellt wird.“ Aber die Zerknirſchung hielt nicht vor; der erſte der deutſchen Publiciſten ſtand doch zu hoch um die Erkenntniß der weltlichen Natur des Staates auf die Dauer aufzugeben.
Eine Kluft von Jahrhunderten ſchien zwiſchen den romantiſchen Staatslehren und den liberalen Doktrinen zu liegen. Auf Seite der Con- ſervativen ſtand noch die große Mehrzahl der literariſchen Talente, die Ueberlegenheit wiſſenſchaftlicher Bildung; der Liberalismus zeigte trotz ſeiner jugendlichen Unreife doch mehr Sinn für die Bedürfniſſe der Gegenwart, für die berechtigten Anſprüche der erſtarkenden Mittelklaſſen. Wer zwi- ſchen dieſen ſchroffen Gegenſätzen zu vermitteln ſuchte, erregte nur Verdacht. Selbſt der ehrliche Steffens kam in den Ruf reaktionärer Geſinnung, weil er in ſeinen geiſtreich verſchwommenen politiſchen Schriften zwar land- ſtändiſche Verfaſſungen forderte, aber nach ſeiner phantaſtiſchen Art „die Gemeinſchaft der Heiligen“ für die Idee des Staates erklärte und den Vorzug des Adels in „der myſtiſchen Tiefe aller irdiſchen Geburt“ begründet fand. Den Patrioten klang es wie Hohn, wenn der vertrauensvolle Mann die charakterloſe Buntheit des zerriſſenen deutſchen Staatslebens geradezu als einen Vorzug pries: jede Verfaſſung ſei mangelhaft, erſt die Vielheit
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II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
er den Unterſchied von Staats- und Privatrecht und verſicherte, jeder Staat
ſetze ſich in’s Unendliche aus Staaten zuſammen. Sein Ideal war der
vernünftige Feudalismus; den Widerſpruch zwiſchen Politik und Recht dachte
er zu löſen durch die Macht des Glaubens, der zugleich Geſetz ſei.
So ward denn Alles wieder in Frage geſtellt, was die deutſche Staats-
wiſſenſchaft ſeit anderthalb Jahrhunderten gedacht hatte, ſeit Pufendorf ſie
von dem Joche der Theologen erlöſte; die politiſche Doktrin ſank zurück in die
theokratiſchen Vorſtellungen des Mittelalters. Friedrich Schlegel feierte
die Kirche als die erſte aller Innungen, nach ihrem Vorbilde ſollten ſich
alle anderen Corporationen der bürgerlichen Geſellſchaft neu geſtalten.
Baader nannte den Lehr-, Wehr- und Nährſtand die drei Staaten jeder
Nation und verwarf den Ausdruck „der Staat“ als eine ſündliche moderne
Erfindung. „Corporation, nicht Aſſociation“ — ſo lautete das Schlagwort der
politiſchen Romantiker; die meiſten verbanden damit nur die unbeſtimmte
Vorſtellung einer ſchwachen Staatsgewalt, welche durch Zünfte, ritterliche
Landtage, autonome Gemeinden eingeſchränkt, durch die Kirche geiſtig be-
herrſcht werden ſollte. Der nüchterne Gentz fühlte ſich wildfremd und un-
heimlich in dieſer Traumwelt der theologiſirenden Politik und geſtand ſeinem
Freunde Müller: hier vermiſſe er Alles, was die Wiſſenſchaft ausmache,
Klarheit, Methode, Zuſammenhang. Sein weltlicher Sinn empörte ſich, wenn
ihm der Freund betheuerte, der Weltfriede hänge von der Erkenntniß der
Menſchwerdung Gottes ab. Erſt als er die Vorboten der nahenden Revo-
lution zu erkennen glaubte, da ſchrieb er in einem Anfall nervöſer Angſt:
„Sie haben vollkommen Recht, Alles iſt verloren, wenn nicht die Religion
pas seulement comme foi mais comme loi hergeſtellt wird.“ Aber die
Zerknirſchung hielt nicht vor; der erſte der deutſchen Publiciſten ſtand
doch zu hoch um die Erkenntniß der weltlichen Natur des Staates auf
die Dauer aufzugeben.
Eine Kluft von Jahrhunderten ſchien zwiſchen den romantiſchen
Staatslehren und den liberalen Doktrinen zu liegen. Auf Seite der Con-
ſervativen ſtand noch die große Mehrzahl der literariſchen Talente, die
Ueberlegenheit wiſſenſchaftlicher Bildung; der Liberalismus zeigte trotz ſeiner
jugendlichen Unreife doch mehr Sinn für die Bedürfniſſe der Gegenwart,
für die berechtigten Anſprüche der erſtarkenden Mittelklaſſen. Wer zwi-
ſchen dieſen ſchroffen Gegenſätzen zu vermitteln ſuchte, erregte nur Verdacht.
Selbſt der ehrliche Steffens kam in den Ruf reaktionärer Geſinnung,
weil er in ſeinen geiſtreich verſchwommenen politiſchen Schriften zwar land-
ſtändiſche Verfaſſungen forderte, aber nach ſeiner phantaſtiſchen Art „die
Gemeinſchaft der Heiligen“ für die Idee des Staates erklärte und den
Vorzug des Adels in „der myſtiſchen Tiefe aller irdiſchen Geburt“ begründet
fand. Den Patrioten klang es wie Hohn, wenn der vertrauensvolle Mann
die charakterloſe Buntheit des zerriſſenen deutſchen Staatslebens geradezu
als einen Vorzug pries: jede Verfaſſung ſei mangelhaft, erſt die Vielheit
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/128>, abgerufen am 29.11.2024.
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