Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. mögen! Für diese Sprache des geraden Menschenverstandes hatte die ver-bissene Parteigesinnung der Liberalen kein Ohr; der Name Freischaar klang ihnen so unwiderstehlich wie das Wort Freistaat. Man dachte sich jene unbedeutenden preußischen Freicorps den spanischen Guerillas ähnlich und betrachtete die "heiligen Schaaren" als die eigentlichen Besieger Na- poleons. Die feurigen Verse von Lützows wilder Jagd, welche der junge Dichter einst arglos aus der Fülle seines begeisterten Herzens heraus ge- schaffen hatte, erhielten allmählich den Sinn eines Parteigesanges. Man wiederholte das Lied herausfordernd wie um die Linientruppen zu verhöhnen, und König Friedrich Wilhelm mochte bald die frischen Klänge gar nicht mehr hören weil sie ihm wie eine Kränkung seines tapferen Heeres er- schienen. Dies verstimmte Geschlecht schien gar nicht mehr im Stande, sich der Großthaten der vaterländischen Geschichte unschuldig zu erfreuen. Die ganze Verbitterung des Liberalismus entlud sich in Rottecks Schrift Mit solcher Verblendung äußerte sich die Selbstüberhebung des klein- II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. mögen! Für dieſe Sprache des geraden Menſchenverſtandes hatte die ver-biſſene Parteigeſinnung der Liberalen kein Ohr; der Name Freiſchaar klang ihnen ſo unwiderſtehlich wie das Wort Freiſtaat. Man dachte ſich jene unbedeutenden preußiſchen Freicorps den ſpaniſchen Guerillas ähnlich und betrachtete die „heiligen Schaaren“ als die eigentlichen Beſieger Na- poleons. Die feurigen Verſe von Lützows wilder Jagd, welche der junge Dichter einſt arglos aus der Fülle ſeines begeiſterten Herzens heraus ge- ſchaffen hatte, erhielten allmählich den Sinn eines Parteigeſanges. Man wiederholte das Lied herausfordernd wie um die Linientruppen zu verhöhnen, und König Friedrich Wilhelm mochte bald die friſchen Klänge gar nicht mehr hören weil ſie ihm wie eine Kränkung ſeines tapferen Heeres er- ſchienen. Dies verſtimmte Geſchlecht ſchien gar nicht mehr im Stande, ſich der Großthaten der vaterländiſchen Geſchichte unſchuldig zu erfreuen. Die ganze Verbitterung des Liberalismus entlud ſich in Rottecks Schrift Mit ſolcher Verblendung äußerte ſich die Selbſtüberhebung des klein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0118" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.</fw><lb/> mögen! Für dieſe Sprache des geraden Menſchenverſtandes hatte die ver-<lb/> biſſene Parteigeſinnung der Liberalen kein Ohr; der Name Freiſchaar<lb/> klang ihnen ſo unwiderſtehlich wie das Wort Freiſtaat. 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Mit fanatiſchem Grimme wendete<lb/> er ſich gegen das preußiſche Wehrgeſetz und erklärte, kaum ein Jahr nach-<lb/> dem Linie und Landwehr bei Belle Alliance ſo ruhmvoll zuſammengewirkt,<lb/> voll dreiſter Zuverſicht: „welcher Staat durch ein ſtehendes Heer ſtark ſein<lb/> will, derſelbe thut Verzicht auf eine kräftige Landwehr.“ Er ſchilderte das<lb/> ſtehende Heer als die Stütze des Despotismus; er behauptete: „wenn alle<lb/> Jünglinge zum Heere berufen werden, ſo wird die ganze Nation von den<lb/> Geſinnungen des Miethlings durchdrungen ſein;“ er forderte endlich kurz-<lb/> weg Abſchaffung der ſtehenden Heere, dergeſtalt daß im Frieden nur eine<lb/> kleine geworbene Truppe unterhalten, die Landwehr aber einige Wochen<lb/> lang nothdürftig ausgebildet würde. 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II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
mögen! Für dieſe Sprache des geraden Menſchenverſtandes hatte die ver-
biſſene Parteigeſinnung der Liberalen kein Ohr; der Name Freiſchaar
klang ihnen ſo unwiderſtehlich wie das Wort Freiſtaat. Man dachte ſich
jene unbedeutenden preußiſchen Freicorps den ſpaniſchen Guerillas ähnlich
und betrachtete die „heiligen Schaaren“ als die eigentlichen Beſieger Na-
poleons. Die feurigen Verſe von Lützows wilder Jagd, welche der junge
Dichter einſt arglos aus der Fülle ſeines begeiſterten Herzens heraus ge-
ſchaffen hatte, erhielten allmählich den Sinn eines Parteigeſanges. Man
wiederholte das Lied herausfordernd wie um die Linientruppen zu verhöhnen,
und König Friedrich Wilhelm mochte bald die friſchen Klänge gar nicht
mehr hören weil ſie ihm wie eine Kränkung ſeines tapferen Heeres er-
ſchienen. Dies verſtimmte Geſchlecht ſchien gar nicht mehr im Stande,
ſich der Großthaten der vaterländiſchen Geſchichte unſchuldig zu erfreuen.
Die ganze Verbitterung des Liberalismus entlud ſich in Rottecks Schrift
„über ſtehende Heere und Nationalmiliz“ (1816). Welch ein Gegenſatz zu
jenem patriotiſchen Buche Rühle von Lilienſterns „vom Kriege“! Der preu-
ßiſche Offizier dachte mit ſtaatsmänniſcher Mäßigung die Heere zu natio-
naliſiren und die Völker zu militariſiren; der Parteimann Rotteck ſtellte
ſogleich ſein radikales Entweder — oder: „wollen wir die Nation ſelbſt zum
Heer oder die Soldaten zu Bürgern machen?“ Das ſei die große Frage
dieſes verhängnißſchweren Augenblicks. Mit fanatiſchem Grimme wendete
er ſich gegen das preußiſche Wehrgeſetz und erklärte, kaum ein Jahr nach-
dem Linie und Landwehr bei Belle Alliance ſo ruhmvoll zuſammengewirkt,
voll dreiſter Zuverſicht: „welcher Staat durch ein ſtehendes Heer ſtark ſein
will, derſelbe thut Verzicht auf eine kräftige Landwehr.“ Er ſchilderte das
ſtehende Heer als die Stütze des Despotismus; er behauptete: „wenn alle
Jünglinge zum Heere berufen werden, ſo wird die ganze Nation von den
Geſinnungen des Miethlings durchdrungen ſein;“ er forderte endlich kurz-
weg Abſchaffung der ſtehenden Heere, dergeſtalt daß im Frieden nur eine
kleine geworbene Truppe unterhalten, die Landwehr aber einige Wochen
lang nothdürftig ausgebildet würde. Während er alſo in radikalen Schlag-
worten ſchwelgte, verlangte er zugleich mit naiver Standesſelbſtſucht die Ein-
führung der Stellvertretung bei ſeiner Landwehr; ganze Klaſſen, namentlich
die Studenten ſollten befreit ſein. Den Schluß bildete die ſtolze Weiſſagung:
welcher Fürſt das vollbringt, der wird in ganz eigener Glorie glänzen und,
wäre er ein Deutſcher, der erſte ſein!
Mit ſolcher Verblendung äußerte ſich die Selbſtüberhebung des klein-
ſtaatlichen Liberalismus ſchon in ſeinen erſten Anfängen: Deutſchlands
Fürſten ſollten ſich, wetteifernd in liberalen Thaten, bei den alleinigen
Vertretern des gebietenden Zeitgeiſtes demüthig um die Krone des künf-
tigen Reiches bewerben. Als faſt zur ſelben Zeit Herzog Karl Auguſt
das weimariſche Kriegsheer auflöſte und ſich mit einigen Wachmannſchaften
begnügte, ward er mit Lobſprüchen überhäuft, und die Allgemeine Zeitung
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