die Religion nur als ein politisches Schlagwort, da nun einmal Deutsch- thum und Christenthum für gleichbedeutend galten, Einzelnen gar nur als ein Deckmantel für den Judenhaß, der zum guten Tone gehörte.
Gleichwohl lag ein gesunder Kern in der religiösen Schwärmerei des jungen Geschlechts. Die Deutschen erkannten endlich wieder, wie fest ihre ganze Gesittung mit dem Christenthum verwachsen war, und diese Erkennt- niß griff so unaufhaltsam um sich, daß eine unbefangen heidnische Gesin- nung, wie sie einst Winckelmann hegte, für die Söhne des neuen Zeitalters bald zur Unmöglichkeit wurde. Die Jugend drängte sich mit Vorliebe zu den Lehrern, welche für die Sehnsucht des gläubigen Gemüths ein Ver- ständniß zeigten. In Heidelberg fand der mit Creuzer eng befreundete ehrwürdige Daub, ein frommer geistvoller Mystiker, der das Dogma durch die Speculation wiederherzustellen suchte, bei den Studenten ungleich mehr Anklang, als die Rationalisten. Seine Anhänger verglichen ihn mit Ha- mann, nannten ihn den Magus des Südens. In Jena gewann Fries, ein Philosoph ohne Schärfe und Tiefsinn, trotzdem die Herzen der Jugend, weil er mit ehrlichem Patriotismus und wissenschaftlichem Ernst eine ebenso aufrichtige Frömmigkeit verband. Seine Dialoge "Julius und Euagoras" blieben einige Jahre lang das beliebte Erbauungsbuch der teutonischen Stu- denten, denn hier lag die Kantische Philosophie ganz ebenso harmlos und unvermittelt neben der herrnhutischen Glaubensinbrunst wie in den Köpfen der jungen Leser selber.
Fast in jeder deutschen Landschaft bestanden noch einzelne streng alt- gläubige Gemeinden, die mit zäher Treue an ihrem bibelfesten Geistlichen hingen und der Mißgunst der rationalistischen Consistorien einen stillen, unüberwindlichen Widerstand entgegenstemmten. So namentlich im Wup- perthale und unter den grüblerischen Schwaben, aber auch in Sachsen, in Pommern, in Altpreußen. In Breslau sammelten sich die Streng- gläubigen um Hendrik Steffens, den ehrlichen unsteten Schwärmer, der das harte Lutherthum seiner norwegischen Heimath mit den Phantasie- gebilden der deutschen romantischen Philosophie zu verschmelzen wußte. In der Berliner vornehmen Gesellschaft bildeten einige begabte junge Männer, die einst als Offiziere "im Kriege zum Herrn geführt wurden", einen gläubigen Freundeskreis: die Gebrüder Gerlach, Lancizolle, Le Coq, Thadden, Senfft-Pilsach, Goetze, Karl v. Röder u. A. Hier verlebte der Kronprinz erbauliche Stunden, die für seine kirchliche und politische Gesinnung verhängnißvoll werden sollten; hier empfing er Hilfe für seine unermüdliche Wohlthätigkeit, hier ward auch der Plan für die Begrün- dung des Berliner Missionsvereins zuerst besprochen. In allen Werken christlicher Barmherzigkeit zeigte sich die streng kirchliche Richtung dem erschlafften Rationalismus weit überlegen; zu ihr gehörte der Elsasser Oberlin, der unvergeßliche Wohlthäter des Steinthals, zu ihr Falk in Weimar, der zuerst eine Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder eröffnete.
Erwachen des religiöſen Gefühls.
die Religion nur als ein politiſches Schlagwort, da nun einmal Deutſch- thum und Chriſtenthum für gleichbedeutend galten, Einzelnen gar nur als ein Deckmantel für den Judenhaß, der zum guten Tone gehörte.
Gleichwohl lag ein geſunder Kern in der religiöſen Schwärmerei des jungen Geſchlechts. Die Deutſchen erkannten endlich wieder, wie feſt ihre ganze Geſittung mit dem Chriſtenthum verwachſen war, und dieſe Erkennt- niß griff ſo unaufhaltſam um ſich, daß eine unbefangen heidniſche Geſin- nung, wie ſie einſt Winckelmann hegte, für die Söhne des neuen Zeitalters bald zur Unmöglichkeit wurde. Die Jugend drängte ſich mit Vorliebe zu den Lehrern, welche für die Sehnſucht des gläubigen Gemüths ein Ver- ſtändniß zeigten. In Heidelberg fand der mit Creuzer eng befreundete ehrwürdige Daub, ein frommer geiſtvoller Myſtiker, der das Dogma durch die Speculation wiederherzuſtellen ſuchte, bei den Studenten ungleich mehr Anklang, als die Rationaliſten. Seine Anhänger verglichen ihn mit Ha- mann, nannten ihn den Magus des Südens. In Jena gewann Fries, ein Philoſoph ohne Schärfe und Tiefſinn, trotzdem die Herzen der Jugend, weil er mit ehrlichem Patriotismus und wiſſenſchaftlichem Ernſt eine ebenſo aufrichtige Frömmigkeit verband. Seine Dialoge „Julius und Euagoras“ blieben einige Jahre lang das beliebte Erbauungsbuch der teutoniſchen Stu- denten, denn hier lag die Kantiſche Philoſophie ganz ebenſo harmlos und unvermittelt neben der herrnhutiſchen Glaubensinbrunſt wie in den Köpfen der jungen Leſer ſelber.
Faſt in jeder deutſchen Landſchaft beſtanden noch einzelne ſtreng alt- gläubige Gemeinden, die mit zäher Treue an ihrem bibelfeſten Geiſtlichen hingen und der Mißgunſt der rationaliſtiſchen Conſiſtorien einen ſtillen, unüberwindlichen Widerſtand entgegenſtemmten. So namentlich im Wup- perthale und unter den grübleriſchen Schwaben, aber auch in Sachſen, in Pommern, in Altpreußen. In Breslau ſammelten ſich die Streng- gläubigen um Hendrik Steffens, den ehrlichen unſteten Schwärmer, der das harte Lutherthum ſeiner norwegiſchen Heimath mit den Phantaſie- gebilden der deutſchen romantiſchen Philoſophie zu verſchmelzen wußte. In der Berliner vornehmen Geſellſchaft bildeten einige begabte junge Männer, die einſt als Offiziere „im Kriege zum Herrn geführt wurden“, einen gläubigen Freundeskreis: die Gebrüder Gerlach, Lancizolle, Le Coq, Thadden, Senfft-Pilſach, Goetze, Karl v. Röder u. A. Hier verlebte der Kronprinz erbauliche Stunden, die für ſeine kirchliche und politiſche Geſinnung verhängnißvoll werden ſollten; hier empfing er Hilfe für ſeine unermüdliche Wohlthätigkeit, hier ward auch der Plan für die Begrün- dung des Berliner Miſſionsvereins zuerſt beſprochen. In allen Werken chriſtlicher Barmherzigkeit zeigte ſich die ſtreng kirchliche Richtung dem erſchlafften Rationalismus weit überlegen; zu ihr gehörte der Elſaſſer Oberlin, der unvergeßliche Wohlthäter des Steinthals, zu ihr Falk in Weimar, der zuerſt eine Rettungsanſtalt für verwahrloſte Kinder eröffnete.
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Erwachen des religiöſen Gefühls.
die Religion nur als ein politiſches Schlagwort, da nun einmal Deutſch-
thum und Chriſtenthum für gleichbedeutend galten, Einzelnen gar nur
als ein Deckmantel für den Judenhaß, der zum guten Tone gehörte.
Gleichwohl lag ein geſunder Kern in der religiöſen Schwärmerei des
jungen Geſchlechts. Die Deutſchen erkannten endlich wieder, wie feſt ihre
ganze Geſittung mit dem Chriſtenthum verwachſen war, und dieſe Erkennt-
niß griff ſo unaufhaltſam um ſich, daß eine unbefangen heidniſche Geſin-
nung, wie ſie einſt Winckelmann hegte, für die Söhne des neuen Zeitalters
bald zur Unmöglichkeit wurde. Die Jugend drängte ſich mit Vorliebe zu
den Lehrern, welche für die Sehnſucht des gläubigen Gemüths ein Ver-
ſtändniß zeigten. In Heidelberg fand der mit Creuzer eng befreundete
ehrwürdige Daub, ein frommer geiſtvoller Myſtiker, der das Dogma durch
die Speculation wiederherzuſtellen ſuchte, bei den Studenten ungleich mehr
Anklang, als die Rationaliſten. Seine Anhänger verglichen ihn mit Ha-
mann, nannten ihn den Magus des Südens. In Jena gewann Fries,
ein Philoſoph ohne Schärfe und Tiefſinn, trotzdem die Herzen der Jugend,
weil er mit ehrlichem Patriotismus und wiſſenſchaftlichem Ernſt eine ebenſo
aufrichtige Frömmigkeit verband. Seine Dialoge „Julius und Euagoras“
blieben einige Jahre lang das beliebte Erbauungsbuch der teutoniſchen Stu-
denten, denn hier lag die Kantiſche Philoſophie ganz ebenſo harmlos und
unvermittelt neben der herrnhutiſchen Glaubensinbrunſt wie in den Köpfen
der jungen Leſer ſelber.
Faſt in jeder deutſchen Landſchaft beſtanden noch einzelne ſtreng alt-
gläubige Gemeinden, die mit zäher Treue an ihrem bibelfeſten Geiſtlichen
hingen und der Mißgunſt der rationaliſtiſchen Conſiſtorien einen ſtillen,
unüberwindlichen Widerſtand entgegenſtemmten. So namentlich im Wup-
perthale und unter den grübleriſchen Schwaben, aber auch in Sachſen,
in Pommern, in Altpreußen. In Breslau ſammelten ſich die Streng-
gläubigen um Hendrik Steffens, den ehrlichen unſteten Schwärmer, der
das harte Lutherthum ſeiner norwegiſchen Heimath mit den Phantaſie-
gebilden der deutſchen romantiſchen Philoſophie zu verſchmelzen wußte.
In der Berliner vornehmen Geſellſchaft bildeten einige begabte junge
Männer, die einſt als Offiziere „im Kriege zum Herrn geführt wurden“,
einen gläubigen Freundeskreis: die Gebrüder Gerlach, Lancizolle, Le Coq,
Thadden, Senfft-Pilſach, Goetze, Karl v. Röder u. A. Hier verlebte
der Kronprinz erbauliche Stunden, die für ſeine kirchliche und politiſche
Geſinnung verhängnißvoll werden ſollten; hier empfing er Hilfe für ſeine
unermüdliche Wohlthätigkeit, hier ward auch der Plan für die Begrün-
dung des Berliner Miſſionsvereins zuerſt beſprochen. In allen Werken
chriſtlicher Barmherzigkeit zeigte ſich die ſtreng kirchliche Richtung dem
erſchlafften Rationalismus weit überlegen; zu ihr gehörte der Elſaſſer
Oberlin, der unvergeßliche Wohlthäter des Steinthals, zu ihr Falk in
Weimar, der zuerſt eine Rettungsanſtalt für verwahrloſte Kinder eröffnete.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/105>, abgerufen am 27.11.2024.
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