Nach Friedrichs Tode vergingen noch zwei volle Jahrzehnte bis Preußen den geistigen Mächten des neuen Deutschlands eine gastliche Stätte be- reitete; und dann sind nochmals lange Jahrzehnte verflossen, bis die deutsche Wissenschaft erkannte, daß sie eines Blutes sei mit dem preußischen Staate, daß die staatenbildende Kraft unseres Volkes in demselben starken Idealismus wurzelte, der deutschen Forschermuth und Künstlerfleiß zu kühnem Wagen begeisterte.
Friedrichs Kaltsinn gegen die deutsche Bildung ist wohl die traurigste, die unnatürlichste Erscheinung in der langen Leidensgeschichte des neuen Deutschlands. Der erste Mann der Nation, der den Deutschen wieder den Muth erweckt hatte an sich selber zu glauben, stand den schönsten und eigensten Werken seines Volkes wie ein Fremdling gegenüber; an- schaulicher, erschütternder läßt sich's nicht aussprechen, wie schwer und langsam dies Volk die arge Erbschaft der dreißig Jahre, die Uebermacht unheimischer Gewalten, wieder abgeworfen hat. Friedrich war nicht, wie Heinrich IV. von Frankreich, ein getreuer Vertreter der nationalen Art und Unart, dem Volksgemüthe verständlich in jeder Wallung seiner Laune. In seiner Seele stritten zwei Naturen: der philosophische Schöngeist, der in den Klängen der Musik, in dem Wohllaut französischer Verse schwelgte, der den Dichterruhm für das höchste Glück der Erde hielt, der seinem Voltaire in ehrlicher Bewunderung zurief: "Mir schenkte das Geschick des Ranges leeren Schein, dir jegliches Talent; das beßre Theil ist dein" -- und der kernhafte norddeutsche Mann, der seine brandenburgischen Kerls mit grobem märkischen Jod anwetterte, dem harten Volke ein Vorbild kriegerischen Muthes, rastloser Arbeit, eiserner Strenge. Die französische Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts krankt an einer tiefen Unwahr- heit, sie besitzt weder die Lust noch die Kraft, das Leben in Einklang zu bringen mit der Idee: man schwärmt für die heilige Einfalt der Natur und gefällt sich doch unsäglich in den unnatürlichsten Sitten und Trachten, welche jemals die europäische Welt beherrschten; man spottet über den albernen Zufall der Geburt, träumt von der ursprünglichen Freiheit und Gleichheit und lebt doch lustig drauf los in der frechen Menschenverachtung und allen den süßen Sünden der alten höfischen Gesellschaft, befriedigt mit der Hoffnung, daß irgend einmal in einer fernen Zukunft über den Trümmern alles Bestehenden die Vernunft ihren Herrscherthron aufschlagen werde. Am preußischen Hofe war der geist- reich boshafte Prinz Heinrich ein getreuer Vertreter dieser neuen Bildung: theoretisch ein Verächter jenes leeren Rauches, der beim Pöbel Ruhm und Größe heißt, praktisch ein Mann der harten Staatsräson, skrupellos, aller Listen und Ränke kundig. Auch Friedrich hat in seiner Weise dies Doppelleben der Männer der französischen Aufklärung geführt. Ihm ward das tragische Schicksal, in zwei Sprachen zu denken und zu reden, von denen er keine ganz beherrschte. Das rohe Kauderwälsch, das
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 6
Friedrichs franzöſiſche Bildung.
Nach Friedrichs Tode vergingen noch zwei volle Jahrzehnte bis Preußen den geiſtigen Mächten des neuen Deutſchlands eine gaſtliche Stätte be- reitete; und dann ſind nochmals lange Jahrzehnte verfloſſen, bis die deutſche Wiſſenſchaft erkannte, daß ſie eines Blutes ſei mit dem preußiſchen Staate, daß die ſtaatenbildende Kraft unſeres Volkes in demſelben ſtarken Idealismus wurzelte, der deutſchen Forſchermuth und Künſtlerfleiß zu kühnem Wagen begeiſterte.
Friedrichs Kaltſinn gegen die deutſche Bildung iſt wohl die traurigſte, die unnatürlichſte Erſcheinung in der langen Leidensgeſchichte des neuen Deutſchlands. Der erſte Mann der Nation, der den Deutſchen wieder den Muth erweckt hatte an ſich ſelber zu glauben, ſtand den ſchönſten und eigenſten Werken ſeines Volkes wie ein Fremdling gegenüber; an- ſchaulicher, erſchütternder läßt ſich’s nicht ausſprechen, wie ſchwer und langſam dies Volk die arge Erbſchaft der dreißig Jahre, die Uebermacht unheimiſcher Gewalten, wieder abgeworfen hat. Friedrich war nicht, wie Heinrich IV. von Frankreich, ein getreuer Vertreter der nationalen Art und Unart, dem Volksgemüthe verſtändlich in jeder Wallung ſeiner Laune. In ſeiner Seele ſtritten zwei Naturen: der philoſophiſche Schöngeiſt, der in den Klängen der Muſik, in dem Wohllaut franzöſiſcher Verſe ſchwelgte, der den Dichterruhm für das höchſte Glück der Erde hielt, der ſeinem Voltaire in ehrlicher Bewunderung zurief: „Mir ſchenkte das Geſchick des Ranges leeren Schein, dir jegliches Talent; das beßre Theil iſt dein“ — und der kernhafte norddeutſche Mann, der ſeine brandenburgiſchen Kerls mit grobem märkiſchen Jod anwetterte, dem harten Volke ein Vorbild kriegeriſchen Muthes, raſtloſer Arbeit, eiſerner Strenge. Die franzöſiſche Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts krankt an einer tiefen Unwahr- heit, ſie beſitzt weder die Luſt noch die Kraft, das Leben in Einklang zu bringen mit der Idee: man ſchwärmt für die heilige Einfalt der Natur und gefällt ſich doch unſäglich in den unnatürlichſten Sitten und Trachten, welche jemals die europäiſche Welt beherrſchten; man ſpottet über den albernen Zufall der Geburt, träumt von der urſprünglichen Freiheit und Gleichheit und lebt doch luſtig drauf los in der frechen Menſchenverachtung und allen den ſüßen Sünden der alten höfiſchen Geſellſchaft, befriedigt mit der Hoffnung, daß irgend einmal in einer fernen Zukunft über den Trümmern alles Beſtehenden die Vernunft ihren Herrſcherthron aufſchlagen werde. Am preußiſchen Hofe war der geiſt- reich boshafte Prinz Heinrich ein getreuer Vertreter dieſer neuen Bildung: theoretiſch ein Verächter jenes leeren Rauches, der beim Pöbel Ruhm und Größe heißt, praktiſch ein Mann der harten Staatsräſon, ſkrupellos, aller Liſten und Ränke kundig. Auch Friedrich hat in ſeiner Weiſe dies Doppelleben der Männer der franzöſiſchen Aufklärung geführt. Ihm ward das tragiſche Schickſal, in zwei Sprachen zu denken und zu reden, von denen er keine ganz beherrſchte. Das rohe Kauderwälſch, das
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 6
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Friedrichs franzöſiſche Bildung.
Nach Friedrichs Tode vergingen noch zwei volle Jahrzehnte bis Preußen
den geiſtigen Mächten des neuen Deutſchlands eine gaſtliche Stätte be-
reitete; und dann ſind nochmals lange Jahrzehnte verfloſſen, bis die
deutſche Wiſſenſchaft erkannte, daß ſie eines Blutes ſei mit dem preußiſchen
Staate, daß die ſtaatenbildende Kraft unſeres Volkes in demſelben ſtarken
Idealismus wurzelte, der deutſchen Forſchermuth und Künſtlerfleiß zu
kühnem Wagen begeiſterte.
Friedrichs Kaltſinn gegen die deutſche Bildung iſt wohl die traurigſte,
die unnatürlichſte Erſcheinung in der langen Leidensgeſchichte des neuen
Deutſchlands. Der erſte Mann der Nation, der den Deutſchen wieder
den Muth erweckt hatte an ſich ſelber zu glauben, ſtand den ſchönſten
und eigenſten Werken ſeines Volkes wie ein Fremdling gegenüber; an-
ſchaulicher, erſchütternder läßt ſich’s nicht ausſprechen, wie ſchwer und
langſam dies Volk die arge Erbſchaft der dreißig Jahre, die Uebermacht
unheimiſcher Gewalten, wieder abgeworfen hat. Friedrich war nicht, wie
Heinrich IV. von Frankreich, ein getreuer Vertreter der nationalen Art
und Unart, dem Volksgemüthe verſtändlich in jeder Wallung ſeiner Laune.
In ſeiner Seele ſtritten zwei Naturen: der philoſophiſche Schöngeiſt, der
in den Klängen der Muſik, in dem Wohllaut franzöſiſcher Verſe ſchwelgte,
der den Dichterruhm für das höchſte Glück der Erde hielt, der ſeinem
Voltaire in ehrlicher Bewunderung zurief: „Mir ſchenkte das Geſchick des
Ranges leeren Schein, dir jegliches Talent; das beßre Theil iſt dein“ —
und der kernhafte norddeutſche Mann, der ſeine brandenburgiſchen Kerls
mit grobem märkiſchen Jod anwetterte, dem harten Volke ein Vorbild
kriegeriſchen Muthes, raſtloſer Arbeit, eiſerner Strenge. Die franzöſiſche
Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts krankt an einer tiefen Unwahr-
heit, ſie beſitzt weder die Luſt noch die Kraft, das Leben in Einklang
zu bringen mit der Idee: man ſchwärmt für die heilige Einfalt der
Natur und gefällt ſich doch unſäglich in den unnatürlichſten Sitten und
Trachten, welche jemals die europäiſche Welt beherrſchten; man ſpottet
über den albernen Zufall der Geburt, träumt von der urſprünglichen
Freiheit und Gleichheit und lebt doch luſtig drauf los in der frechen
Menſchenverachtung und allen den ſüßen Sünden der alten höfiſchen
Geſellſchaft, befriedigt mit der Hoffnung, daß irgend einmal in einer
fernen Zukunft über den Trümmern alles Beſtehenden die Vernunft ihren
Herrſcherthron aufſchlagen werde. Am preußiſchen Hofe war der geiſt-
reich boshafte Prinz Heinrich ein getreuer Vertreter dieſer neuen Bildung:
theoretiſch ein Verächter jenes leeren Rauches, der beim Pöbel Ruhm
und Größe heißt, praktiſch ein Mann der harten Staatsräſon, ſkrupellos,
aller Liſten und Ränke kundig. Auch Friedrich hat in ſeiner Weiſe
dies Doppelleben der Männer der franzöſiſchen Aufklärung geführt. Ihm
ward das tragiſche Schickſal, in zwei Sprachen zu denken und zu reden,
von denen er keine ganz beherrſchte. Das rohe Kauderwälſch, das
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/97>, abgerufen am 22.11.2024.
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