Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Ständische Gliederung.
heimniß der fridericianischen Siege allein in den Handgriffen des Parade-
platzes. Unter den ausländischen Offizieren war mancher zweideutige
Abenteurer; man jagte nach Gunst und Gnade, für den stolzen Freimuth
eines York oder Blücher war kein Raum. Der König, minder bürger-
freundlich als sein Vater, glaubte, daß nur der Edelmann Ehre im Leibe
habe, entfernte die bürgerlichen Offiziere aus den meisten Truppentheilen.
In den adlichen Offizierscorps entstand ein Junkersinn, der dem
Volke bald noch unleidlicher wurde als die ungeschlachte Roheit früherer
Zeiten. Die geworbenen alten Soldaten endlich lebten bequem mit Weib
und Kind, in bürgerlicher Hantirung, und verabscheuten den Krieg für
ein Land, das ihnen fremd blieb. Schon im bairischen Erbfolgekriege
bemerkte Friedrich mit Befremden, wie wenig dies Heer leiste; den Grund
des Verfalls durchschaute er nicht. Der Eudämonismus seines Zeitalters
ließ ihn die sittlichen Kräfte des Heerwesens verkennen. Er hatte einst,
nach dem Brauche der Zeit, preußische Regimenter aus österreichischen
und sächsischen Kriegsgefangenen gebildet und selbst durch die massenhaften
Desertionen der Unglücklichen sich nicht belehren lassen; er hatte in den
letzten Jahren des Krieges genugsam erfahren, was ein Heer von Landes-
kindern vermochte, doch ein so gewaltsames Aufgebot der gesammten
Volkskraft blieb ihm stets nur ein Nothbehelf für verzweifelte Tage, "da
es auf den Schutz des Vaterlandes und eine presente Gefahr ankommt".
Unter seinen Staatsmännern hat allein Hertzberg die kühnen Ideen
Friedrich Wilhelms I. heilig gehalten; der wollte das Heer nach und nach
von allen Ausländern säubern: "dann werden wir unüberwindlich sein
wie die Griechen und Römer." Der alte König aber sah mit Genug-
thuung, wie sein unglückliches Land wirthschaftlich erstarkte, und bezeich-
nete jetzt das Ideal des Heerwesens mit den wunderlichen Worten: "Der
friedliche Bürger soll es gar nicht merken, wenn die Nation sich schlägt."
So gerieth eine der Säulen, welche diesen Staatsbau trugen, der Ge-
danke der allgemeinen Wehrpflicht, langsam ins Wanken.

Die überlieferte Gliederung der Stände und die hierauf beruhende
Organisation der Arbeit hielt der König noch strenger aufrecht als sein
Vater; er half durch Belehrung und rücksichtslosen Zwang, durch Ge-
schenke und Darlehen nach, so oft der Bauer, der Bürger, der Edelmann
der Rolle, die ihm im Haushalte der Nation vorgeschrieben war, nicht
mehr zu genügen schien. Der Adel sollte der erste Stand im Staate
bleiben, denn "ich brauche ihn für meine Armee und meine Staatsver-
waltung". Durch die Pfandbriefsanstalten und durch erhebliche Unter-
stützungen mit baarem Gelde erreichte Friedrich die "Conservirung" des
adlichen Großgrundbesitzes nach den Verwüstungen der Kriegsjahre. Darum
wagte er auch so wenig wie sein Vater, die Unfreiheit des Landvolks, die
seinen großen Sinn empörte, gänzlich aufzuheben. Durch das Allge-
meine Landrecht wurde zwar die rohe Form der Leibeigenschaft beseitigt,

Ständiſche Gliederung.
heimniß der fridericianiſchen Siege allein in den Handgriffen des Parade-
platzes. Unter den ausländiſchen Offizieren war mancher zweideutige
Abenteurer; man jagte nach Gunſt und Gnade, für den ſtolzen Freimuth
eines York oder Blücher war kein Raum. Der König, minder bürger-
freundlich als ſein Vater, glaubte, daß nur der Edelmann Ehre im Leibe
habe, entfernte die bürgerlichen Offiziere aus den meiſten Truppentheilen.
In den adlichen Offizierscorps entſtand ein Junkerſinn, der dem
Volke bald noch unleidlicher wurde als die ungeſchlachte Roheit früherer
Zeiten. Die geworbenen alten Soldaten endlich lebten bequem mit Weib
und Kind, in bürgerlicher Hantirung, und verabſcheuten den Krieg für
ein Land, das ihnen fremd blieb. Schon im bairiſchen Erbfolgekriege
bemerkte Friedrich mit Befremden, wie wenig dies Heer leiſte; den Grund
des Verfalls durchſchaute er nicht. Der Eudämonismus ſeines Zeitalters
ließ ihn die ſittlichen Kräfte des Heerweſens verkennen. Er hatte einſt,
nach dem Brauche der Zeit, preußiſche Regimenter aus öſterreichiſchen
und ſächſiſchen Kriegsgefangenen gebildet und ſelbſt durch die maſſenhaften
Deſertionen der Unglücklichen ſich nicht belehren laſſen; er hatte in den
letzten Jahren des Krieges genugſam erfahren, was ein Heer von Landes-
kindern vermochte, doch ein ſo gewaltſames Aufgebot der geſammten
Volkskraft blieb ihm ſtets nur ein Nothbehelf für verzweifelte Tage, „da
es auf den Schutz des Vaterlandes und eine preſente Gefahr ankommt“.
Unter ſeinen Staatsmännern hat allein Hertzberg die kühnen Ideen
Friedrich Wilhelms I. heilig gehalten; der wollte das Heer nach und nach
von allen Ausländern ſäubern: „dann werden wir unüberwindlich ſein
wie die Griechen und Römer.“ Der alte König aber ſah mit Genug-
thuung, wie ſein unglückliches Land wirthſchaftlich erſtarkte, und bezeich-
nete jetzt das Ideal des Heerweſens mit den wunderlichen Worten: „Der
friedliche Bürger ſoll es gar nicht merken, wenn die Nation ſich ſchlägt.“
So gerieth eine der Säulen, welche dieſen Staatsbau trugen, der Ge-
danke der allgemeinen Wehrpflicht, langſam ins Wanken.

Die überlieferte Gliederung der Stände und die hierauf beruhende
Organiſation der Arbeit hielt der König noch ſtrenger aufrecht als ſein
Vater; er half durch Belehrung und rückſichtsloſen Zwang, durch Ge-
ſchenke und Darlehen nach, ſo oft der Bauer, der Bürger, der Edelmann
der Rolle, die ihm im Haushalte der Nation vorgeſchrieben war, nicht
mehr zu genügen ſchien. Der Adel ſollte der erſte Stand im Staate
bleiben, denn „ich brauche ihn für meine Armee und meine Staatsver-
waltung“. Durch die Pfandbriefsanſtalten und durch erhebliche Unter-
ſtützungen mit baarem Gelde erreichte Friedrich die „Conſervirung“ des
adlichen Großgrundbeſitzes nach den Verwüſtungen der Kriegsjahre. Darum
wagte er auch ſo wenig wie ſein Vater, die Unfreiheit des Landvolks, die
ſeinen großen Sinn empörte, gänzlich aufzuheben. Durch das Allge-
meine Landrecht wurde zwar die rohe Form der Leibeigenſchaft beſeitigt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0091" n="75"/><fw place="top" type="header">Ständi&#x017F;che Gliederung.</fw><lb/>
heimniß der fridericiani&#x017F;chen Siege allein in den Handgriffen des Parade-<lb/>
platzes. Unter den ausländi&#x017F;chen Offizieren war mancher zweideutige<lb/>
Abenteurer; man jagte nach Gun&#x017F;t und Gnade, für den &#x017F;tolzen Freimuth<lb/>
eines York oder Blücher war kein Raum. Der König, minder bürger-<lb/>
freundlich als &#x017F;ein Vater, glaubte, daß nur der Edelmann Ehre im Leibe<lb/>
habe, entfernte die bürgerlichen Offiziere aus den mei&#x017F;ten Truppentheilen.<lb/>
In den adlichen Offizierscorps ent&#x017F;tand ein Junker&#x017F;inn, der dem<lb/>
Volke bald noch unleidlicher wurde als die unge&#x017F;chlachte Roheit früherer<lb/>
Zeiten. Die geworbenen alten Soldaten endlich lebten bequem mit Weib<lb/>
und Kind, in bürgerlicher Hantirung, und verab&#x017F;cheuten den Krieg für<lb/>
ein Land, das ihnen fremd blieb. Schon im bairi&#x017F;chen Erbfolgekriege<lb/>
bemerkte Friedrich mit Befremden, wie wenig dies Heer lei&#x017F;te; den Grund<lb/>
des Verfalls durch&#x017F;chaute er nicht. Der Eudämonismus &#x017F;eines Zeitalters<lb/>
ließ ihn die &#x017F;ittlichen Kräfte des Heerwe&#x017F;ens verkennen. Er hatte ein&#x017F;t,<lb/>
nach dem Brauche der Zeit, preußi&#x017F;che Regimenter aus ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen<lb/>
und &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Kriegsgefangenen gebildet und &#x017F;elb&#x017F;t durch die ma&#x017F;&#x017F;enhaften<lb/>
De&#x017F;ertionen der Unglücklichen &#x017F;ich nicht belehren la&#x017F;&#x017F;en; er hatte in den<lb/>
letzten Jahren des Krieges genug&#x017F;am erfahren, was ein Heer von Landes-<lb/>
kindern vermochte, doch ein &#x017F;o gewalt&#x017F;ames Aufgebot der ge&#x017F;ammten<lb/>
Volkskraft blieb ihm &#x017F;tets nur ein Nothbehelf für verzweifelte Tage, &#x201E;da<lb/>
es auf den Schutz des Vaterlandes und eine pre&#x017F;ente Gefahr ankommt&#x201C;.<lb/>
Unter &#x017F;einen Staatsmännern hat allein Hertzberg die kühnen Ideen<lb/>
Friedrich Wilhelms <hi rendition="#aq">I.</hi> heilig gehalten; der wollte das Heer nach und nach<lb/>
von allen Ausländern &#x017F;äubern: &#x201E;dann werden wir unüberwindlich &#x017F;ein<lb/>
wie die Griechen und Römer.&#x201C; Der alte König aber &#x017F;ah mit Genug-<lb/>
thuung, wie &#x017F;ein unglückliches Land wirth&#x017F;chaftlich er&#x017F;tarkte, und bezeich-<lb/>
nete jetzt das Ideal des Heerwe&#x017F;ens mit den wunderlichen Worten: &#x201E;Der<lb/>
friedliche Bürger &#x017F;oll es gar nicht merken, wenn die Nation &#x017F;ich &#x017F;chlägt.&#x201C;<lb/>
So gerieth eine der Säulen, welche die&#x017F;en Staatsbau trugen, der Ge-<lb/>
danke der allgemeinen Wehrpflicht, lang&#x017F;am ins Wanken.</p><lb/>
            <p>Die überlieferte Gliederung der Stände und die hierauf beruhende<lb/>
Organi&#x017F;ation der Arbeit hielt der König noch &#x017F;trenger aufrecht als &#x017F;ein<lb/>
Vater; er half durch Belehrung und rück&#x017F;ichtslo&#x017F;en Zwang, durch Ge-<lb/>
&#x017F;chenke und Darlehen nach, &#x017F;o oft der Bauer, der Bürger, der Edelmann<lb/>
der Rolle, die ihm im Haushalte der Nation vorge&#x017F;chrieben war, nicht<lb/>
mehr zu genügen &#x017F;chien. Der Adel &#x017F;ollte der er&#x017F;te Stand im Staate<lb/>
bleiben, denn &#x201E;ich brauche ihn für meine Armee und meine Staatsver-<lb/>
waltung&#x201C;. Durch die Pfandbriefsan&#x017F;talten und durch erhebliche Unter-<lb/>
&#x017F;tützungen mit baarem Gelde erreichte Friedrich die &#x201E;Con&#x017F;ervirung&#x201C; des<lb/>
adlichen Großgrundbe&#x017F;itzes nach den Verwü&#x017F;tungen der Kriegsjahre. Darum<lb/>
wagte er auch &#x017F;o wenig wie &#x017F;ein Vater, die Unfreiheit des Landvolks, die<lb/>
&#x017F;einen großen Sinn empörte, gänzlich aufzuheben. Durch das Allge-<lb/>
meine Landrecht wurde zwar die rohe Form der Leibeigen&#x017F;chaft be&#x017F;eitigt,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0091] Ständiſche Gliederung. heimniß der fridericianiſchen Siege allein in den Handgriffen des Parade- platzes. Unter den ausländiſchen Offizieren war mancher zweideutige Abenteurer; man jagte nach Gunſt und Gnade, für den ſtolzen Freimuth eines York oder Blücher war kein Raum. Der König, minder bürger- freundlich als ſein Vater, glaubte, daß nur der Edelmann Ehre im Leibe habe, entfernte die bürgerlichen Offiziere aus den meiſten Truppentheilen. In den adlichen Offizierscorps entſtand ein Junkerſinn, der dem Volke bald noch unleidlicher wurde als die ungeſchlachte Roheit früherer Zeiten. Die geworbenen alten Soldaten endlich lebten bequem mit Weib und Kind, in bürgerlicher Hantirung, und verabſcheuten den Krieg für ein Land, das ihnen fremd blieb. Schon im bairiſchen Erbfolgekriege bemerkte Friedrich mit Befremden, wie wenig dies Heer leiſte; den Grund des Verfalls durchſchaute er nicht. Der Eudämonismus ſeines Zeitalters ließ ihn die ſittlichen Kräfte des Heerweſens verkennen. Er hatte einſt, nach dem Brauche der Zeit, preußiſche Regimenter aus öſterreichiſchen und ſächſiſchen Kriegsgefangenen gebildet und ſelbſt durch die maſſenhaften Deſertionen der Unglücklichen ſich nicht belehren laſſen; er hatte in den letzten Jahren des Krieges genugſam erfahren, was ein Heer von Landes- kindern vermochte, doch ein ſo gewaltſames Aufgebot der geſammten Volkskraft blieb ihm ſtets nur ein Nothbehelf für verzweifelte Tage, „da es auf den Schutz des Vaterlandes und eine preſente Gefahr ankommt“. Unter ſeinen Staatsmännern hat allein Hertzberg die kühnen Ideen Friedrich Wilhelms I. heilig gehalten; der wollte das Heer nach und nach von allen Ausländern ſäubern: „dann werden wir unüberwindlich ſein wie die Griechen und Römer.“ Der alte König aber ſah mit Genug- thuung, wie ſein unglückliches Land wirthſchaftlich erſtarkte, und bezeich- nete jetzt das Ideal des Heerweſens mit den wunderlichen Worten: „Der friedliche Bürger ſoll es gar nicht merken, wenn die Nation ſich ſchlägt.“ So gerieth eine der Säulen, welche dieſen Staatsbau trugen, der Ge- danke der allgemeinen Wehrpflicht, langſam ins Wanken. Die überlieferte Gliederung der Stände und die hierauf beruhende Organiſation der Arbeit hielt der König noch ſtrenger aufrecht als ſein Vater; er half durch Belehrung und rückſichtsloſen Zwang, durch Ge- ſchenke und Darlehen nach, ſo oft der Bauer, der Bürger, der Edelmann der Rolle, die ihm im Haushalte der Nation vorgeſchrieben war, nicht mehr zu genügen ſchien. Der Adel ſollte der erſte Stand im Staate bleiben, denn „ich brauche ihn für meine Armee und meine Staatsver- waltung“. Durch die Pfandbriefsanſtalten und durch erhebliche Unter- ſtützungen mit baarem Gelde erreichte Friedrich die „Conſervirung“ des adlichen Großgrundbeſitzes nach den Verwüſtungen der Kriegsjahre. Darum wagte er auch ſo wenig wie ſein Vater, die Unfreiheit des Landvolks, die ſeinen großen Sinn empörte, gänzlich aufzuheben. Durch das Allge- meine Landrecht wurde zwar die rohe Form der Leibeigenſchaft beſeitigt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/91
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/91>, abgerufen am 22.11.2024.