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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Deutscher Fürstenbund.
das alte reichsständisch-theokratische Deutschland aufrecht zu halten. Doch
wenn er dauerte, wenn Preußen seine Führerstellung an der Spitze der
großen Reichsstände behauptete, so mußten die alten Formen des
Reichsrechtes ihren Sinn verlieren; es eröffnete sich die Aussicht, das
österreichische System in seinen Grundlagen zu erschüttern, wie Graf
Hertzberg freudig ausrief, die Erzherzöge von den großen deutschen Stiftern
auszuschließen, bei der nächsten Wahl die Kaiserkrone auf ein anderes Haus
zu übertragen und die Leitung des Reichs in die Hände der mächtigsten
Stände zu legen. Der junge Karl August von Weimar schlug bereits
vor, jene alten Privilegien, welche dem Hause Oesterreich seine Sonder-
stellung sicherten, einer Prüfung von Reichswegen zu unterwerfen. Fast
schien es, als sollte das große Räthsel der deutschen Zukunft im Frieden
gelöst werden. Aber der Fürstenbund konnte nicht dauern; und am
wenigsten der nüchterne Sinn des alten Königs hat sich diese bittere
Wahrheit verborgen. Nur eine Verkettung zufälliger Umstände, nur der
Abfall Kaiser Josephs von den altbewährten Ueberlieferungen der öster-
reichischen Staatskunst hatte die kleinen Fürsten in Friedrichs Arme
hinübergescheucht; ihr Vertrauen zu Preußen reichte nicht weiter als
ihre Angst vor Oesterreich. Mit äußerstem Widerstreben fügte sich Kur-
sachsen der Führung des jüngeren und minder vornehmen Hauses Bran-
denburg, kaum weniger mißtrauisch zeigte sich Hannover; selbst die er-
gebensten und schwächsten der verbündeten Stände, Weimar und Dessau
beriethen insgeheim, so erzählt uns Goethe, wie man sich decken könne
gegen die Herrschsucht des preußischen Beschützers. Sobald die Hofburg ihre
begehrlichen Pläne fallen ließ, mußte sich auch die alte natürliche Partei-
bildung wiederherstellen; die geistlichen Fürsten, die jetzt in Berlin Hilfe
suchten, konnten in dem protestantischen Preußen nur den geschworenen
Feind ihrer Herrschaft sehen. Weil Friedrich dies wußte, weil er mit
seinem durchbohrenden Blicke den getreuen Bundesgenossen bis in Mark
und Nieren schaute, darum ließ er auch durch den Erfolg des Tages sich
nicht darüber täuschen, daß dieser neue schmalkaldische Bund nur ein Noth-
behelf war, nur ein Mittel zur Wahrung des augenblicklichen Gleichge-
wichts. Karl August entwarf in großherziger Schwärmerei kühne Pläne
für den Ausbau der neuen Reichsassociation, er dachte an einen Zoll-
verband, an Militär-Conventionen, an ein deutsches Gesetzbuch; Johannes
Müller verherrlichte den Fürstenbund in schwülstigen Pamphleten, Schubart
in schwungvollen lyrischen Ergüssen, und Dohm gelangte in einer geist-
reichen Flugschrift zu dem Schlusse: "Deutsches und preußisches Interesse
können sich nie im Wege stehen." Den überlegenen Verstand des greisen
Königs berührten solche Träume nicht; er wußte, daß nur ein ungeheurer
Krieg die Herrschaft Oesterreichs im Reiche brechen konnte; ihm genügte,
sie in den Schranken des Rechts zu halten, da er des Friedens für sein
Land bedurfte.

Deutſcher Fürſtenbund.
das alte reichsſtändiſch-theokratiſche Deutſchland aufrecht zu halten. Doch
wenn er dauerte, wenn Preußen ſeine Führerſtellung an der Spitze der
großen Reichsſtände behauptete, ſo mußten die alten Formen des
Reichsrechtes ihren Sinn verlieren; es eröffnete ſich die Ausſicht, das
öſterreichiſche Syſtem in ſeinen Grundlagen zu erſchüttern, wie Graf
Hertzberg freudig ausrief, die Erzherzöge von den großen deutſchen Stiftern
auszuſchließen, bei der nächſten Wahl die Kaiſerkrone auf ein anderes Haus
zu übertragen und die Leitung des Reichs in die Hände der mächtigſten
Stände zu legen. Der junge Karl Auguſt von Weimar ſchlug bereits
vor, jene alten Privilegien, welche dem Hauſe Oeſterreich ſeine Sonder-
ſtellung ſicherten, einer Prüfung von Reichswegen zu unterwerfen. Faſt
ſchien es, als ſollte das große Räthſel der deutſchen Zukunft im Frieden
gelöſt werden. Aber der Fürſtenbund konnte nicht dauern; und am
wenigſten der nüchterne Sinn des alten Königs hat ſich dieſe bittere
Wahrheit verborgen. Nur eine Verkettung zufälliger Umſtände, nur der
Abfall Kaiſer Joſephs von den altbewährten Ueberlieferungen der öſter-
reichiſchen Staatskunſt hatte die kleinen Fürſten in Friedrichs Arme
hinübergeſcheucht; ihr Vertrauen zu Preußen reichte nicht weiter als
ihre Angſt vor Oeſterreich. Mit äußerſtem Widerſtreben fügte ſich Kur-
ſachſen der Führung des jüngeren und minder vornehmen Hauſes Bran-
denburg, kaum weniger mißtrauiſch zeigte ſich Hannover; ſelbſt die er-
gebenſten und ſchwächſten der verbündeten Stände, Weimar und Deſſau
beriethen insgeheim, ſo erzählt uns Goethe, wie man ſich decken könne
gegen die Herrſchſucht des preußiſchen Beſchützers. Sobald die Hofburg ihre
begehrlichen Pläne fallen ließ, mußte ſich auch die alte natürliche Partei-
bildung wiederherſtellen; die geiſtlichen Fürſten, die jetzt in Berlin Hilfe
ſuchten, konnten in dem proteſtantiſchen Preußen nur den geſchworenen
Feind ihrer Herrſchaft ſehen. Weil Friedrich dies wußte, weil er mit
ſeinem durchbohrenden Blicke den getreuen Bundesgenoſſen bis in Mark
und Nieren ſchaute, darum ließ er auch durch den Erfolg des Tages ſich
nicht darüber täuſchen, daß dieſer neue ſchmalkaldiſche Bund nur ein Noth-
behelf war, nur ein Mittel zur Wahrung des augenblicklichen Gleichge-
wichts. Karl Auguſt entwarf in großherziger Schwärmerei kühne Pläne
für den Ausbau der neuen Reichsaſſociation, er dachte an einen Zoll-
verband, an Militär-Conventionen, an ein deutſches Geſetzbuch; Johannes
Müller verherrlichte den Fürſtenbund in ſchwülſtigen Pamphleten, Schubart
in ſchwungvollen lyriſchen Ergüſſen, und Dohm gelangte in einer geiſt-
reichen Flugſchrift zu dem Schluſſe: „Deutſches und preußiſches Intereſſe
können ſich nie im Wege ſtehen.“ Den überlegenen Verſtand des greiſen
Königs berührten ſolche Träume nicht; er wußte, daß nur ein ungeheurer
Krieg die Herrſchaft Oeſterreichs im Reiche brechen konnte; ihm genügte,
ſie in den Schranken des Rechts zu halten, da er des Friedens für ſein
Land bedurfte.

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[69/0085] Deutſcher Fürſtenbund. das alte reichsſtändiſch-theokratiſche Deutſchland aufrecht zu halten. Doch wenn er dauerte, wenn Preußen ſeine Führerſtellung an der Spitze der großen Reichsſtände behauptete, ſo mußten die alten Formen des Reichsrechtes ihren Sinn verlieren; es eröffnete ſich die Ausſicht, das öſterreichiſche Syſtem in ſeinen Grundlagen zu erſchüttern, wie Graf Hertzberg freudig ausrief, die Erzherzöge von den großen deutſchen Stiftern auszuſchließen, bei der nächſten Wahl die Kaiſerkrone auf ein anderes Haus zu übertragen und die Leitung des Reichs in die Hände der mächtigſten Stände zu legen. Der junge Karl Auguſt von Weimar ſchlug bereits vor, jene alten Privilegien, welche dem Hauſe Oeſterreich ſeine Sonder- ſtellung ſicherten, einer Prüfung von Reichswegen zu unterwerfen. Faſt ſchien es, als ſollte das große Räthſel der deutſchen Zukunft im Frieden gelöſt werden. Aber der Fürſtenbund konnte nicht dauern; und am wenigſten der nüchterne Sinn des alten Königs hat ſich dieſe bittere Wahrheit verborgen. Nur eine Verkettung zufälliger Umſtände, nur der Abfall Kaiſer Joſephs von den altbewährten Ueberlieferungen der öſter- reichiſchen Staatskunſt hatte die kleinen Fürſten in Friedrichs Arme hinübergeſcheucht; ihr Vertrauen zu Preußen reichte nicht weiter als ihre Angſt vor Oeſterreich. Mit äußerſtem Widerſtreben fügte ſich Kur- ſachſen der Führung des jüngeren und minder vornehmen Hauſes Bran- denburg, kaum weniger mißtrauiſch zeigte ſich Hannover; ſelbſt die er- gebenſten und ſchwächſten der verbündeten Stände, Weimar und Deſſau beriethen insgeheim, ſo erzählt uns Goethe, wie man ſich decken könne gegen die Herrſchſucht des preußiſchen Beſchützers. Sobald die Hofburg ihre begehrlichen Pläne fallen ließ, mußte ſich auch die alte natürliche Partei- bildung wiederherſtellen; die geiſtlichen Fürſten, die jetzt in Berlin Hilfe ſuchten, konnten in dem proteſtantiſchen Preußen nur den geſchworenen Feind ihrer Herrſchaft ſehen. Weil Friedrich dies wußte, weil er mit ſeinem durchbohrenden Blicke den getreuen Bundesgenoſſen bis in Mark und Nieren ſchaute, darum ließ er auch durch den Erfolg des Tages ſich nicht darüber täuſchen, daß dieſer neue ſchmalkaldiſche Bund nur ein Noth- behelf war, nur ein Mittel zur Wahrung des augenblicklichen Gleichge- wichts. Karl Auguſt entwarf in großherziger Schwärmerei kühne Pläne für den Ausbau der neuen Reichsaſſociation, er dachte an einen Zoll- verband, an Militär-Conventionen, an ein deutſches Geſetzbuch; Johannes Müller verherrlichte den Fürſtenbund in ſchwülſtigen Pamphleten, Schubart in ſchwungvollen lyriſchen Ergüſſen, und Dohm gelangte in einer geiſt- reichen Flugſchrift zu dem Schluſſe: „Deutſches und preußiſches Intereſſe können ſich nie im Wege ſtehen.“ Den überlegenen Verſtand des greiſen Königs berührten ſolche Träume nicht; er wußte, daß nur ein ungeheurer Krieg die Herrſchaft Oeſterreichs im Reiche brechen konnte; ihm genügte, ſie in den Schranken des Rechts zu halten, da er des Friedens für ſein Land bedurfte.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/85>, abgerufen am 22.11.2024.