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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 2. Belle Alliance.
sätzen, welche den englischen Staat in die Zeiten Cromwells und der
Rundköpfe zurückschleudern würden. Der wahre Beweggrund der Hoch-
torys war aber nicht die Rücksicht auf das Parlament, mit dem sie schon
fertig zu werden verstanden, sondern das Mißtrauen gegen Rußland und
die Sorge für den Sultan, der in der That durch den Abschluß der
heiligen Allianz lebhaft beunruhigt wurde. Die wunderliche Episode ist
nicht ohne culturhistorisches Interesse, da sich die romantischen Stimmungen
und das lebendige europäische Gemeingefühl des Zeitalters darin wider-
spiegeln. Eine politische Bedeutung dagegen hat der heilige Bund nie
gehabt; sie ward ihm nur angedichtet durch die Oppositionspresse aller
Länder, die sich bald gewöhnte von "dem System der heiligen Allianz" zu
sprechen und ihre Anklagen gegen die Politik der Ostmächte an diese
imaginäre Adresse richtete.

Am 20. November ward endlich der Frieden unterzeichnet. Aber
auch dieser Vertrag brachte den Deutschen noch nicht den endgiltigen
Abschluß ihrer inneren Gebietsstreitigkeiten. Landau ward an Oester-
reich und von diesem an Baiern abgetreten, doch damit war den For-
derungen der Wittelsbacher noch nicht Genüge geleistet. Da Oesterreich
die Wiedererwerbung des Elsasses verschmäht und also das einfachste
Mittel zur gänzlichen Befriedigung des Münchener Hofes aufgegeben hatte,
so ließ sich Metternich, um doch ein Unterhandlungsmittel in Händen zu
haben, von den großen Mächten den dereinstigen "Heimfall" des Breis-
gaus und der badischen Pfalz zusichern -- eine völlig rechtswidrige Ver-
abredung -- und der unselige Gebietsstreit zwischen Baiern und Oe-
sterreich blieb vorläufig unerledigt. Glücklicher war England. Außer der
Abschaffung des Negerhandels, die dem britischen Volke bereits zu einem
Gegenstande der nationalen Eitelkeit, des allgemeinen Sports geworden
war, erlangten die Torys auch die Schirmherrschaft über die ionischen
Inseln; die mediterranische Machtstellung des Inselreichs war nunmehr
fester denn je begründet. Frankreich mußte, je nach seinem Wohlverhalten,
drei bis fünf Jahre lang die militärische Besetzung seiner Nordostprovinzen
ertragen und 700 Mill. Kriegsentschädigung zahlen. 500 Mill. wurden
zu je einem Fünftel unter die vier Großmächte und die Gesammtheit
der Kleinstaaten vertheilt; England und Preußen erhielten außerdem
noch je 25 Mill. für die Einnahme von Paris. Der Rest ward für
die Befestigung der an Frankreich angrenzenden Landstriche bestimmt, der-
gestalt daß Baiern 15 Mill., der Deutsche Bund 25 Mill. für die rheini-
schen Festungen erhielt; Preußen mußte sich mit 20 Mill. begnügen, da
ihm Saarlouis und das Besatzungsrecht in Luxemburg abgetreten wurde.

Am nämlichen Tage erneuerten die vier Mächte ihr altes Bündniß.
England hatte die einfache Verlängerung des Chaumonter Vertrages auf
zwanzig Jahre gewünscht. Aber Rußland hielt entgegen, daß man Frank-
reich doch nur während des Ausnahmezustandes der Occupationszeit als

II. 2. Belle Alliance.
ſätzen, welche den engliſchen Staat in die Zeiten Cromwells und der
Rundköpfe zurückſchleudern würden. Der wahre Beweggrund der Hoch-
torys war aber nicht die Rückſicht auf das Parlament, mit dem ſie ſchon
fertig zu werden verſtanden, ſondern das Mißtrauen gegen Rußland und
die Sorge für den Sultan, der in der That durch den Abſchluß der
heiligen Allianz lebhaft beunruhigt wurde. Die wunderliche Epiſode iſt
nicht ohne culturhiſtoriſches Intereſſe, da ſich die romantiſchen Stimmungen
und das lebendige europäiſche Gemeingefühl des Zeitalters darin wider-
ſpiegeln. Eine politiſche Bedeutung dagegen hat der heilige Bund nie
gehabt; ſie ward ihm nur angedichtet durch die Oppoſitionspreſſe aller
Länder, die ſich bald gewöhnte von „dem Syſtem der heiligen Allianz“ zu
ſprechen und ihre Anklagen gegen die Politik der Oſtmächte an dieſe
imaginäre Adreſſe richtete.

Am 20. November ward endlich der Frieden unterzeichnet. Aber
auch dieſer Vertrag brachte den Deutſchen noch nicht den endgiltigen
Abſchluß ihrer inneren Gebietsſtreitigkeiten. Landau ward an Oeſter-
reich und von dieſem an Baiern abgetreten, doch damit war den For-
derungen der Wittelsbacher noch nicht Genüge geleiſtet. Da Oeſterreich
die Wiedererwerbung des Elſaſſes verſchmäht und alſo das einfachſte
Mittel zur gänzlichen Befriedigung des Münchener Hofes aufgegeben hatte,
ſo ließ ſich Metternich, um doch ein Unterhandlungsmittel in Händen zu
haben, von den großen Mächten den dereinſtigen „Heimfall“ des Breis-
gaus und der badiſchen Pfalz zuſichern — eine völlig rechtswidrige Ver-
abredung — und der unſelige Gebietsſtreit zwiſchen Baiern und Oe-
ſterreich blieb vorläufig unerledigt. Glücklicher war England. Außer der
Abſchaffung des Negerhandels, die dem britiſchen Volke bereits zu einem
Gegenſtande der nationalen Eitelkeit, des allgemeinen Sports geworden
war, erlangten die Torys auch die Schirmherrſchaft über die ioniſchen
Inſeln; die mediterraniſche Machtſtellung des Inſelreichs war nunmehr
feſter denn je begründet. Frankreich mußte, je nach ſeinem Wohlverhalten,
drei bis fünf Jahre lang die militäriſche Beſetzung ſeiner Nordoſtprovinzen
ertragen und 700 Mill. Kriegsentſchädigung zahlen. 500 Mill. wurden
zu je einem Fünftel unter die vier Großmächte und die Geſammtheit
der Kleinſtaaten vertheilt; England und Preußen erhielten außerdem
noch je 25 Mill. für die Einnahme von Paris. Der Reſt ward für
die Befeſtigung der an Frankreich angrenzenden Landſtriche beſtimmt, der-
geſtalt daß Baiern 15 Mill., der Deutſche Bund 25 Mill. für die rheini-
ſchen Feſtungen erhielt; Preußen mußte ſich mit 20 Mill. begnügen, da
ihm Saarlouis und das Beſatzungsrecht in Luxemburg abgetreten wurde.

Am nämlichen Tage erneuerten die vier Mächte ihr altes Bündniß.
England hatte die einfache Verlängerung des Chaumonter Vertrages auf
zwanzig Jahre gewünſcht. Aber Rußland hielt entgegen, daß man Frank-
reich doch nur während des Ausnahmezuſtandes der Occupationszeit als

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[786/0802] II. 2. Belle Alliance. ſätzen, welche den engliſchen Staat in die Zeiten Cromwells und der Rundköpfe zurückſchleudern würden. Der wahre Beweggrund der Hoch- torys war aber nicht die Rückſicht auf das Parlament, mit dem ſie ſchon fertig zu werden verſtanden, ſondern das Mißtrauen gegen Rußland und die Sorge für den Sultan, der in der That durch den Abſchluß der heiligen Allianz lebhaft beunruhigt wurde. Die wunderliche Epiſode iſt nicht ohne culturhiſtoriſches Intereſſe, da ſich die romantiſchen Stimmungen und das lebendige europäiſche Gemeingefühl des Zeitalters darin wider- ſpiegeln. Eine politiſche Bedeutung dagegen hat der heilige Bund nie gehabt; ſie ward ihm nur angedichtet durch die Oppoſitionspreſſe aller Länder, die ſich bald gewöhnte von „dem Syſtem der heiligen Allianz“ zu ſprechen und ihre Anklagen gegen die Politik der Oſtmächte an dieſe imaginäre Adreſſe richtete. Am 20. November ward endlich der Frieden unterzeichnet. Aber auch dieſer Vertrag brachte den Deutſchen noch nicht den endgiltigen Abſchluß ihrer inneren Gebietsſtreitigkeiten. Landau ward an Oeſter- reich und von dieſem an Baiern abgetreten, doch damit war den For- derungen der Wittelsbacher noch nicht Genüge geleiſtet. Da Oeſterreich die Wiedererwerbung des Elſaſſes verſchmäht und alſo das einfachſte Mittel zur gänzlichen Befriedigung des Münchener Hofes aufgegeben hatte, ſo ließ ſich Metternich, um doch ein Unterhandlungsmittel in Händen zu haben, von den großen Mächten den dereinſtigen „Heimfall“ des Breis- gaus und der badiſchen Pfalz zuſichern — eine völlig rechtswidrige Ver- abredung — und der unſelige Gebietsſtreit zwiſchen Baiern und Oe- ſterreich blieb vorläufig unerledigt. Glücklicher war England. Außer der Abſchaffung des Negerhandels, die dem britiſchen Volke bereits zu einem Gegenſtande der nationalen Eitelkeit, des allgemeinen Sports geworden war, erlangten die Torys auch die Schirmherrſchaft über die ioniſchen Inſeln; die mediterraniſche Machtſtellung des Inſelreichs war nunmehr feſter denn je begründet. Frankreich mußte, je nach ſeinem Wohlverhalten, drei bis fünf Jahre lang die militäriſche Beſetzung ſeiner Nordoſtprovinzen ertragen und 700 Mill. Kriegsentſchädigung zahlen. 500 Mill. wurden zu je einem Fünftel unter die vier Großmächte und die Geſammtheit der Kleinſtaaten vertheilt; England und Preußen erhielten außerdem noch je 25 Mill. für die Einnahme von Paris. Der Reſt ward für die Befeſtigung der an Frankreich angrenzenden Landſtriche beſtimmt, der- geſtalt daß Baiern 15 Mill., der Deutſche Bund 25 Mill. für die rheini- ſchen Feſtungen erhielt; Preußen mußte ſich mit 20 Mill. begnügen, da ihm Saarlouis und das Beſatzungsrecht in Luxemburg abgetreten wurde. Am nämlichen Tage erneuerten die vier Mächte ihr altes Bündniß. England hatte die einfache Verlängerung des Chaumonter Vertrages auf zwanzig Jahre gewünſcht. Aber Rußland hielt entgegen, daß man Frank- reich doch nur während des Ausnahmezuſtandes der Occupationszeit als

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 786. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/802>, abgerufen am 22.11.2024.