über die Friedensbedingungen, sowie die Mehrzahl der deutschen Zeitungen nahmen den Gedankengang Arndts wieder auf und forderten die Sprach- grenze als ein natürliches Recht der Nation. Bei der freundlichen Ge- sinnung hüben und drüben stand auch ein ernster Streit über die Ver- theilung der Beute nicht zu befürchten, wenn nur erst der Rückfall des Elsasses an den Deutschen Bund gesichert war. Aber diese Entscheidung lag allein in der Hand der Großmächte, und nur zu bald zeigte sich in Paris, wie vor Kurzem in Wien, daß Humboldts Traum vom "inter- mediären Europa" ein leeres Phantasiegebilde war. England und Oester- reich, die er für Preußens natürliche Bundesgenossen ansah, verhielten sich gegen die deutschen Forderungen ebenso ablehnend wie Rußland und Frankreich.
Am 6. August ließ sich Metternich zum ersten male vernehmen und erklärte feierlich, dieser Krieg sei gegen das bewaffnete Jacobinerthum geführt worden und dürfe nicht in einen Eroberungskrieg ausarten. Darum suchte er die Bürgschaften der europäischen Ruhe vornehmlich in einer ver- ständigen Ordnung der inneren Angelegenheiten Frankreichs und in einer vorübergehenden militärischen Besetzung; außerdem sollten die Festungen der vordersten Linie entweder an die Nachbarstaaten abgetreten "oder wenigstens geschleift werden". Alsdann führte er näher aus, wie Deutsch- land nur der Festung Landau bedürfe, zum Ersatz für das zerstörte Philippsburg; im Uebrigen genüge es, wenn die Festungen im Elsaß ge- schleift würden und Straßburg nur seine Citadelle behielte. Den ge- wiegten Diplomaten des Viererausschusses mußte sofort einleuchten, daß jenes "oder wenigstens", gleich beim Beginne der Verhandlungen ausge- sprochen, die wirkliche Meinung Metternichs kundgab; bei dem Systeme der Arrondirungspolitik, das er nun seit drei Jahren unbeirrt verfolgte, durfte er den Rückfall des Elsasses nicht wünschen. Nur die preußischen Staatsmänner, immer geneigt von dem österreichischen Freunde das Beste zu vermuthen, wollten den eigentlichen Sinn der k. k. Denkschrift nicht begreifen; sie bedauerten nur "die schwankende Haltung" des Wiener Hofes, während die russischen wie die englischen Minister sofort erkannten, daß Oesterreich sich von der gemeinsamen Sache Deutschlands lossagte, und darum nur noch von "den preußischen Forderungen" sprachen.
Auch auf England hoffte Hardenberg noch eine Zeit lang; war doch allbekannt, daß die Haltung Castlereaghs und Wellingtons den Wünschen ihres Landes keineswegs entsprach. Die Londoner Presse forderte laut ent- schlossene Ausbeutung des Sieges; Castlereaghs Parteigenossen, die Torys, von jeher die entschiedensten Gegner Frankreichs, eiferten am Lebhaftesten gegen jede falsche Großmuth. Lord Liverpool selbst schrieb im Namen des Cabinets, man könne diese offenbare Gesinnung der Nation nicht übersehen. Sogar der Prinzregent sprach sich für die deutschen Ansprüche aus und folgte den Rathschlägen des Grafen Münster, der in Paris, zu
II. 2. Belle Alliance.
über die Friedensbedingungen, ſowie die Mehrzahl der deutſchen Zeitungen nahmen den Gedankengang Arndts wieder auf und forderten die Sprach- grenze als ein natürliches Recht der Nation. Bei der freundlichen Ge- ſinnung hüben und drüben ſtand auch ein ernſter Streit über die Ver- theilung der Beute nicht zu befürchten, wenn nur erſt der Rückfall des Elſaſſes an den Deutſchen Bund geſichert war. Aber dieſe Entſcheidung lag allein in der Hand der Großmächte, und nur zu bald zeigte ſich in Paris, wie vor Kurzem in Wien, daß Humboldts Traum vom „inter- mediären Europa“ ein leeres Phantaſiegebilde war. England und Oeſter- reich, die er für Preußens natürliche Bundesgenoſſen anſah, verhielten ſich gegen die deutſchen Forderungen ebenſo ablehnend wie Rußland und Frankreich.
Am 6. Auguſt ließ ſich Metternich zum erſten male vernehmen und erklärte feierlich, dieſer Krieg ſei gegen das bewaffnete Jacobinerthum geführt worden und dürfe nicht in einen Eroberungskrieg ausarten. Darum ſuchte er die Bürgſchaften der europäiſchen Ruhe vornehmlich in einer ver- ſtändigen Ordnung der inneren Angelegenheiten Frankreichs und in einer vorübergehenden militäriſchen Beſetzung; außerdem ſollten die Feſtungen der vorderſten Linie entweder an die Nachbarſtaaten abgetreten „oder wenigſtens geſchleift werden“. Alsdann führte er näher aus, wie Deutſch- land nur der Feſtung Landau bedürfe, zum Erſatz für das zerſtörte Philippsburg; im Uebrigen genüge es, wenn die Feſtungen im Elſaß ge- ſchleift würden und Straßburg nur ſeine Citadelle behielte. Den ge- wiegten Diplomaten des Viererausſchuſſes mußte ſofort einleuchten, daß jenes „oder wenigſtens“, gleich beim Beginne der Verhandlungen ausge- ſprochen, die wirkliche Meinung Metternichs kundgab; bei dem Syſteme der Arrondirungspolitik, das er nun ſeit drei Jahren unbeirrt verfolgte, durfte er den Rückfall des Elſaſſes nicht wünſchen. Nur die preußiſchen Staatsmänner, immer geneigt von dem öſterreichiſchen Freunde das Beſte zu vermuthen, wollten den eigentlichen Sinn der k. k. Denkſchrift nicht begreifen; ſie bedauerten nur „die ſchwankende Haltung“ des Wiener Hofes, während die ruſſiſchen wie die engliſchen Miniſter ſofort erkannten, daß Oeſterreich ſich von der gemeinſamen Sache Deutſchlands losſagte, und darum nur noch von „den preußiſchen Forderungen“ ſprachen.
Auch auf England hoffte Hardenberg noch eine Zeit lang; war doch allbekannt, daß die Haltung Caſtlereaghs und Wellingtons den Wünſchen ihres Landes keineswegs entſprach. Die Londoner Preſſe forderte laut ent- ſchloſſene Ausbeutung des Sieges; Caſtlereaghs Parteigenoſſen, die Torys, von jeher die entſchiedenſten Gegner Frankreichs, eiferten am Lebhafteſten gegen jede falſche Großmuth. Lord Liverpool ſelbſt ſchrieb im Namen des Cabinets, man könne dieſe offenbare Geſinnung der Nation nicht überſehen. Sogar der Prinzregent ſprach ſich für die deutſchen Anſprüche aus und folgte den Rathſchlägen des Grafen Münſter, der in Paris, zu
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II. 2. Belle Alliance.
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nahmen den Gedankengang Arndts wieder auf und forderten die Sprach-
grenze als ein natürliches Recht der Nation. Bei der freundlichen Ge-
ſinnung hüben und drüben ſtand auch ein ernſter Streit über die Ver-
theilung der Beute nicht zu befürchten, wenn nur erſt der Rückfall des
Elſaſſes an den Deutſchen Bund geſichert war. Aber dieſe Entſcheidung
lag allein in der Hand der Großmächte, und nur zu bald zeigte ſich in
Paris, wie vor Kurzem in Wien, daß Humboldts Traum vom „inter-
mediären Europa“ ein leeres Phantaſiegebilde war. England und Oeſter-
reich, die er für Preußens natürliche Bundesgenoſſen anſah, verhielten
ſich gegen die deutſchen Forderungen ebenſo ablehnend wie Rußland und
Frankreich.
Am 6. Auguſt ließ ſich Metternich zum erſten male vernehmen und
erklärte feierlich, dieſer Krieg ſei gegen das bewaffnete Jacobinerthum geführt
worden und dürfe nicht in einen Eroberungskrieg ausarten. Darum
ſuchte er die Bürgſchaften der europäiſchen Ruhe vornehmlich in einer ver-
ſtändigen Ordnung der inneren Angelegenheiten Frankreichs und in einer
vorübergehenden militäriſchen Beſetzung; außerdem ſollten die Feſtungen
der vorderſten Linie entweder an die Nachbarſtaaten abgetreten „oder
wenigſtens geſchleift werden“. Alsdann führte er näher aus, wie Deutſch-
land nur der Feſtung Landau bedürfe, zum Erſatz für das zerſtörte
Philippsburg; im Uebrigen genüge es, wenn die Feſtungen im Elſaß ge-
ſchleift würden und Straßburg nur ſeine Citadelle behielte. Den ge-
wiegten Diplomaten des Viererausſchuſſes mußte ſofort einleuchten, daß
jenes „oder wenigſtens“, gleich beim Beginne der Verhandlungen ausge-
ſprochen, die wirkliche Meinung Metternichs kundgab; bei dem Syſteme
der Arrondirungspolitik, das er nun ſeit drei Jahren unbeirrt verfolgte,
durfte er den Rückfall des Elſaſſes nicht wünſchen. Nur die preußiſchen
Staatsmänner, immer geneigt von dem öſterreichiſchen Freunde das Beſte
zu vermuthen, wollten den eigentlichen Sinn der k. k. Denkſchrift nicht
begreifen; ſie bedauerten nur „die ſchwankende Haltung“ des Wiener
Hofes, während die ruſſiſchen wie die engliſchen Miniſter ſofort erkannten,
daß Oeſterreich ſich von der gemeinſamen Sache Deutſchlands losſagte,
und darum nur noch von „den preußiſchen Forderungen“ ſprachen.
Auch auf England hoffte Hardenberg noch eine Zeit lang; war doch
allbekannt, daß die Haltung Caſtlereaghs und Wellingtons den Wünſchen
ihres Landes keineswegs entſprach. Die Londoner Preſſe forderte laut ent-
ſchloſſene Ausbeutung des Sieges; Caſtlereaghs Parteigenoſſen, die Torys,
von jeher die entſchiedenſten Gegner Frankreichs, eiferten am Lebhafteſten
gegen jede falſche Großmuth. Lord Liverpool ſelbſt ſchrieb im Namen
des Cabinets, man könne dieſe offenbare Geſinnung der Nation nicht
überſehen. Sogar der Prinzregent ſprach ſich für die deutſchen Anſprüche
aus und folgte den Rathſchlägen des Grafen Münſter, der in Paris, zu
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 776. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/792>, abgerufen am 25.11.2024.
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