führt, nur mit Bonaparte, folglich sei das Eroberungsrecht unanwendbar, wenn man nicht das legitime Königshaus dem Hasse preisgeben und in den Augen der Nachwelt alle Gräuel der Revolution rechtfertigen wolle. Darum einfache Wiederherstellung des Pariser Friedens und, für den Fall einer nochmaligen Revolution, Erneuerung des Bündnisses von Chaumont, endlich militärische Besetzung des Landes auf kurze Zeit, bis zur Ab- tragung einer Contribution, welche von den Nachbarstaaten Frankreichs wesentlich zur Anlegung von Grenzfestungen verwendet wird.
Diese Vorschläge schmückten sich mit dem wohllautenden Titel einer "Combination von moralischen und reellen Garantien", erregten jedoch im preußischen Lager lebhafte Entrüstung. Am 4. August schrieb Hum- boldt dem Staatskanzler: "Der russische Plan ist der verderblichste für Preußen, der hätte ersonnen werden können. Wenn er befolgt würde, so zöge Preußen von diesem ganzen Kriege, seinen Verlusten, seinen un- geheueren Aufopferungen keinen anderen Vortheil als einen Contribu- tionsantheil, den es noch größtentheils zur Anlegung fester Plätze gegen Frankreich aufwenden soll. Dagegen hätte es die wichtigen Nachtheile, die Mittel, die ihm der jetzige Krieg gebracht hätte, nicht auf die Er- leichterung des erschöpften Landes und die Sicherung seiner östlichen Grenzen wenden zu können, russische Truppen jahrelang durch seine Staaten und Deutschland ziehen zu sehen und in allen seinen Verhand- lungen mit Frankreich noch den Einfluß des russischen Hofes auf seinem Wege zu finden." Wir müssen um jeden Preis die Verbündeten zur Verengerung der Grenzen Frankreichs bewegen und darum "das An- sehen vermeiden, als spräche Preußen nur zu seinem eigenen Vortheil. In der That ist es auch Preußen in der jetzigen Lage mehr um Siche- rung seiner Grenzen als um Vergrößerung zu thun."*) In einer zweiten vertraulichen Denkschrift entwickelt er dann nochmals sein altes so oft mit Metternich besprochenes System des "intermediären Europas", der festen Vereinigung von England, Oesterreich und Preußen, welche die beiden drohenden Massen Frankreich und Rußland in Schranken halten soll; dies System ist schon in Wien erschüttert worden durch die allzu starke Vergrößerung Rußlands und wird vollends unhaltbar wenn Preußen mit ungesicherten Grenzen der tödlich erbitterten französischen Nation und den Bourbonen, die uns ihre Feindseligkeit schon genugsam gezeigt haben, gegenüber gestellt wird.**)
Sodann übergab Humboldt dem Comite der Vier eine schlagende Widerlegung der russischen Denkschrift; die Aufgabe war wie geschaffen für seine unbarmherzige Dialektik. Er zeigte, wie der Krieg zwar nicht zum Zwecke der Eroberung begonnen worden, jetzt aber thatsächlich der
*) Humboldt an Hardenberg 4. Aug. 1815.
**) Humboldt, Memoire tres-confidentiel, 4. Aug. 1815.
Rußland und England gegen Preußen.
führt, nur mit Bonaparte, folglich ſei das Eroberungsrecht unanwendbar, wenn man nicht das legitime Königshaus dem Haſſe preisgeben und in den Augen der Nachwelt alle Gräuel der Revolution rechtfertigen wolle. Darum einfache Wiederherſtellung des Pariſer Friedens und, für den Fall einer nochmaligen Revolution, Erneuerung des Bündniſſes von Chaumont, endlich militäriſche Beſetzung des Landes auf kurze Zeit, bis zur Ab- tragung einer Contribution, welche von den Nachbarſtaaten Frankreichs weſentlich zur Anlegung von Grenzfeſtungen verwendet wird.
Dieſe Vorſchläge ſchmückten ſich mit dem wohllautenden Titel einer „Combination von moraliſchen und reellen Garantien“, erregten jedoch im preußiſchen Lager lebhafte Entrüſtung. Am 4. Auguſt ſchrieb Hum- boldt dem Staatskanzler: „Der ruſſiſche Plan iſt der verderblichſte für Preußen, der hätte erſonnen werden können. Wenn er befolgt würde, ſo zöge Preußen von dieſem ganzen Kriege, ſeinen Verluſten, ſeinen un- geheueren Aufopferungen keinen anderen Vortheil als einen Contribu- tionsantheil, den es noch größtentheils zur Anlegung feſter Plätze gegen Frankreich aufwenden ſoll. Dagegen hätte es die wichtigen Nachtheile, die Mittel, die ihm der jetzige Krieg gebracht hätte, nicht auf die Er- leichterung des erſchöpften Landes und die Sicherung ſeiner öſtlichen Grenzen wenden zu können, ruſſiſche Truppen jahrelang durch ſeine Staaten und Deutſchland ziehen zu ſehen und in allen ſeinen Verhand- lungen mit Frankreich noch den Einfluß des ruſſiſchen Hofes auf ſeinem Wege zu finden.“ Wir müſſen um jeden Preis die Verbündeten zur Verengerung der Grenzen Frankreichs bewegen und darum „das An- ſehen vermeiden, als ſpräche Preußen nur zu ſeinem eigenen Vortheil. In der That iſt es auch Preußen in der jetzigen Lage mehr um Siche- rung ſeiner Grenzen als um Vergrößerung zu thun.“*) In einer zweiten vertraulichen Denkſchrift entwickelt er dann nochmals ſein altes ſo oft mit Metternich beſprochenes Syſtem des „intermediären Europas“, der feſten Vereinigung von England, Oeſterreich und Preußen, welche die beiden drohenden Maſſen Frankreich und Rußland in Schranken halten ſoll; dies Syſtem iſt ſchon in Wien erſchüttert worden durch die allzu ſtarke Vergrößerung Rußlands und wird vollends unhaltbar wenn Preußen mit ungeſicherten Grenzen der tödlich erbitterten franzöſiſchen Nation und den Bourbonen, die uns ihre Feindſeligkeit ſchon genugſam gezeigt haben, gegenüber geſtellt wird.**)
Sodann übergab Humboldt dem Comité der Vier eine ſchlagende Widerlegung der ruſſiſchen Denkſchrift; die Aufgabe war wie geſchaffen für ſeine unbarmherzige Dialektik. Er zeigte, wie der Krieg zwar nicht zum Zwecke der Eroberung begonnen worden, jetzt aber thatſächlich der
*) Humboldt an Hardenberg 4. Aug. 1815.
**) Humboldt, Mémoire très-confidentiel, 4. Aug. 1815.
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Rußland und England gegen Preußen.
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wenn man nicht das legitime Königshaus dem Haſſe preisgeben und in
den Augen der Nachwelt alle Gräuel der Revolution rechtfertigen wolle.
Darum einfache Wiederherſtellung des Pariſer Friedens und, für den Fall
einer nochmaligen Revolution, Erneuerung des Bündniſſes von Chaumont,
endlich militäriſche Beſetzung des Landes auf kurze Zeit, bis zur Ab-
tragung einer Contribution, welche von den Nachbarſtaaten Frankreichs
weſentlich zur Anlegung von Grenzfeſtungen verwendet wird.
Dieſe Vorſchläge ſchmückten ſich mit dem wohllautenden Titel einer
„Combination von moraliſchen und reellen Garantien“, erregten jedoch
im preußiſchen Lager lebhafte Entrüſtung. Am 4. Auguſt ſchrieb Hum-
boldt dem Staatskanzler: „Der ruſſiſche Plan iſt der verderblichſte für
Preußen, der hätte erſonnen werden können. Wenn er befolgt würde,
ſo zöge Preußen von dieſem ganzen Kriege, ſeinen Verluſten, ſeinen un-
geheueren Aufopferungen keinen anderen Vortheil als einen Contribu-
tionsantheil, den es noch größtentheils zur Anlegung feſter Plätze gegen
Frankreich aufwenden ſoll. Dagegen hätte es die wichtigen Nachtheile,
die Mittel, die ihm der jetzige Krieg gebracht hätte, nicht auf die Er-
leichterung des erſchöpften Landes und die Sicherung ſeiner öſtlichen
Grenzen wenden zu können, ruſſiſche Truppen jahrelang durch ſeine
Staaten und Deutſchland ziehen zu ſehen und in allen ſeinen Verhand-
lungen mit Frankreich noch den Einfluß des ruſſiſchen Hofes auf ſeinem
Wege zu finden.“ Wir müſſen um jeden Preis die Verbündeten zur
Verengerung der Grenzen Frankreichs bewegen und darum „das An-
ſehen vermeiden, als ſpräche Preußen nur zu ſeinem eigenen Vortheil.
In der That iſt es auch Preußen in der jetzigen Lage mehr um Siche-
rung ſeiner Grenzen als um Vergrößerung zu thun.“ *) In einer zweiten
vertraulichen Denkſchrift entwickelt er dann nochmals ſein altes ſo oft
mit Metternich beſprochenes Syſtem des „intermediären Europas“, der
feſten Vereinigung von England, Oeſterreich und Preußen, welche die
beiden drohenden Maſſen Frankreich und Rußland in Schranken halten
ſoll; dies Syſtem iſt ſchon in Wien erſchüttert worden durch die allzu
ſtarke Vergrößerung Rußlands und wird vollends unhaltbar wenn Preußen
mit ungeſicherten Grenzen der tödlich erbitterten franzöſiſchen Nation und
den Bourbonen, die uns ihre Feindſeligkeit ſchon genugſam gezeigt haben,
gegenüber geſtellt wird. **)
Sodann übergab Humboldt dem Comité der Vier eine ſchlagende
Widerlegung der ruſſiſchen Denkſchrift; die Aufgabe war wie geſchaffen
für ſeine unbarmherzige Dialektik. Er zeigte, wie der Krieg zwar nicht
zum Zwecke der Eroberung begonnen worden, jetzt aber thatſächlich der
*) Humboldt an Hardenberg 4. Aug. 1815.
**) Humboldt, Mémoire très-confidentiel, 4. Aug. 1815.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 773. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/789>, abgerufen am 22.11.2024.
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