durch mehrfache Entsendungen geschwächt, zählte nur 16,000 Mann, halb so viel wie vor drei Tagen; die Soldaten fühlten sich tödlich er- schöpft, und zudem wußte man nichts Sicheres über Grouchys Stellung. Was Wunder, daß der Nachtmarsch nur langsam von statten ging? Aber bei größerer Rührigkeit seines Generalstabs mußte der General am 19. er- fahren, wo Grouchy zu finden sei. Dies ward versäumt. Erst am 20. kam die Nachricht, daß der Marschall in der Nacht, ohne einen Schuß zu thun, unweit der Vorposten nach der Sambre zu vorübergezogen und also den beiden Corps von Pirch und Thielmann glücklich entschlüpft war. Pirch eilte sofort nach, traf die Nachhut bei Namur, nahm die Stadt nach einem blutigen Gefechte an den Thoren, aber die Hauptmacht Grouchys war schon in Sicherheit. So geschah es, daß den Franzosen vorläufig noch ein leidlich geordnetes Heer von 30,000 Mann übrig blieb, das vielleicht den Kern für eine neue Armee bilden konnte.
Die beiden Feldherren verständigten sich schnell über den gemeinsamen Einmarsch in das Innere Frankreichs, wobei die Preußen wieder die Spitze nehmen sollten; nur gingen Beide von grundverschiedenen Absichten aus. Blücher wollte einfach die Unterwerfung des verhaßten Landes vollenden bis die Monarchen das Weitere verfügten; Wellington wünschte den legi- timen König schleunig in die Tuilerien zurückzuführen. Und wie viel vortheilhafter war die politische Stellung des Briten! Während Blücher, ohne Kenntniß von den Plänen seines Hofes, sich begnügen mußte seinen Generalen jeden amtlichen Verkehr mit den Bourbonen zu verbieten, ging Wellington, unbekümmert um die Wünsche der Bundesgenossen, ruhig auf sein sicheres Ziel los, forderte den Genter Hof auf, dem englischen Heere nachzuziehen.
Die Entscheidung des Krieges fiel so wunderbar rasch, daß jene Mächte, welche eine neue Restauration nicht wünschten, sich gar nicht auf die veränderte Lage vorbereiten konnten. König Ludwig war noch der von allen Mächten anerkannte König von Frankreich, das gesammte diplo- matische Corps hatte ihn nach Gent begleitet, und den Vorstellungen der fremden Staatsmänner glückte es, den gefährlichen Einfluß des Grafen Blacas zu beseitigen, den König für eine gemäßigtere Richtung zu ge- winnen. Einer ersten, unklugen und übermüthigen Proclamation folgte schon am 28. Juni eine zweite voll freundlicher Verheißungen. Der Bour- bone versprach, sich abermals zwischen die alliirten und die französischen Armeen zu stellen, "in der Hoffnung, daß die Rücksichten, welche man mir zollt, zu Frankreichs Heile dienen werden;" er verwahrte sich feierlich gegen die Wiederherstellung der Zehnten und grundherrlichen Rechte, gegen die Rückforderung der Nationalgüter. Wellington trug kein Bedenken, den Friedensdeputationen, welche ihm die Hauptstadt zusendete, zu er- klären, die Bedingungen der Sieger würden um Vieles härter werden, wenn die Nation ihren König nicht zurückriefe. Und seltsam, der russische Ge-
II. 2. Belle Alliance.
durch mehrfache Entſendungen geſchwächt, zählte nur 16,000 Mann, halb ſo viel wie vor drei Tagen; die Soldaten fühlten ſich tödlich er- ſchöpft, und zudem wußte man nichts Sicheres über Grouchys Stellung. Was Wunder, daß der Nachtmarſch nur langſam von ſtatten ging? Aber bei größerer Rührigkeit ſeines Generalſtabs mußte der General am 19. er- fahren, wo Grouchy zu finden ſei. Dies ward verſäumt. Erſt am 20. kam die Nachricht, daß der Marſchall in der Nacht, ohne einen Schuß zu thun, unweit der Vorpoſten nach der Sambre zu vorübergezogen und alſo den beiden Corps von Pirch und Thielmann glücklich entſchlüpft war. Pirch eilte ſofort nach, traf die Nachhut bei Namur, nahm die Stadt nach einem blutigen Gefechte an den Thoren, aber die Hauptmacht Grouchys war ſchon in Sicherheit. So geſchah es, daß den Franzoſen vorläufig noch ein leidlich geordnetes Heer von 30,000 Mann übrig blieb, das vielleicht den Kern für eine neue Armee bilden konnte.
Die beiden Feldherren verſtändigten ſich ſchnell über den gemeinſamen Einmarſch in das Innere Frankreichs, wobei die Preußen wieder die Spitze nehmen ſollten; nur gingen Beide von grundverſchiedenen Abſichten aus. Blücher wollte einfach die Unterwerfung des verhaßten Landes vollenden bis die Monarchen das Weitere verfügten; Wellington wünſchte den legi- timen König ſchleunig in die Tuilerien zurückzuführen. Und wie viel vortheilhafter war die politiſche Stellung des Briten! Während Blücher, ohne Kenntniß von den Plänen ſeines Hofes, ſich begnügen mußte ſeinen Generalen jeden amtlichen Verkehr mit den Bourbonen zu verbieten, ging Wellington, unbekümmert um die Wünſche der Bundesgenoſſen, ruhig auf ſein ſicheres Ziel los, forderte den Genter Hof auf, dem engliſchen Heere nachzuziehen.
Die Entſcheidung des Krieges fiel ſo wunderbar raſch, daß jene Mächte, welche eine neue Reſtauration nicht wünſchten, ſich gar nicht auf die veränderte Lage vorbereiten konnten. König Ludwig war noch der von allen Mächten anerkannte König von Frankreich, das geſammte diplo- matiſche Corps hatte ihn nach Gent begleitet, und den Vorſtellungen der fremden Staatsmänner glückte es, den gefährlichen Einfluß des Grafen Blacas zu beſeitigen, den König für eine gemäßigtere Richtung zu ge- winnen. Einer erſten, unklugen und übermüthigen Proclamation folgte ſchon am 28. Juni eine zweite voll freundlicher Verheißungen. Der Bour- bone verſprach, ſich abermals zwiſchen die alliirten und die franzöſiſchen Armeen zu ſtellen, „in der Hoffnung, daß die Rückſichten, welche man mir zollt, zu Frankreichs Heile dienen werden;“ er verwahrte ſich feierlich gegen die Wiederherſtellung der Zehnten und grundherrlichen Rechte, gegen die Rückforderung der Nationalgüter. Wellington trug kein Bedenken, den Friedensdeputationen, welche ihm die Hauptſtadt zuſendete, zu er- klären, die Bedingungen der Sieger würden um Vieles härter werden, wenn die Nation ihren König nicht zurückriefe. Und ſeltſam, der ruſſiſche Ge-
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II. 2. Belle Alliance.
durch mehrfache Entſendungen geſchwächt, zählte nur 16,000 Mann,
halb ſo viel wie vor drei Tagen; die Soldaten fühlten ſich tödlich er-
ſchöpft, und zudem wußte man nichts Sicheres über Grouchys Stellung.
Was Wunder, daß der Nachtmarſch nur langſam von ſtatten ging? Aber
bei größerer Rührigkeit ſeines Generalſtabs mußte der General am 19. er-
fahren, wo Grouchy zu finden ſei. Dies ward verſäumt. Erſt am 20. kam
die Nachricht, daß der Marſchall in der Nacht, ohne einen Schuß zu thun,
unweit der Vorpoſten nach der Sambre zu vorübergezogen und alſo den
beiden Corps von Pirch und Thielmann glücklich entſchlüpft war. Pirch
eilte ſofort nach, traf die Nachhut bei Namur, nahm die Stadt nach einem
blutigen Gefechte an den Thoren, aber die Hauptmacht Grouchys war
ſchon in Sicherheit. So geſchah es, daß den Franzoſen vorläufig noch
ein leidlich geordnetes Heer von 30,000 Mann übrig blieb, das vielleicht
den Kern für eine neue Armee bilden konnte.
Die beiden Feldherren verſtändigten ſich ſchnell über den gemeinſamen
Einmarſch in das Innere Frankreichs, wobei die Preußen wieder die Spitze
nehmen ſollten; nur gingen Beide von grundverſchiedenen Abſichten aus.
Blücher wollte einfach die Unterwerfung des verhaßten Landes vollenden
bis die Monarchen das Weitere verfügten; Wellington wünſchte den legi-
timen König ſchleunig in die Tuilerien zurückzuführen. Und wie viel
vortheilhafter war die politiſche Stellung des Briten! Während Blücher,
ohne Kenntniß von den Plänen ſeines Hofes, ſich begnügen mußte ſeinen
Generalen jeden amtlichen Verkehr mit den Bourbonen zu verbieten, ging
Wellington, unbekümmert um die Wünſche der Bundesgenoſſen, ruhig auf
ſein ſicheres Ziel los, forderte den Genter Hof auf, dem engliſchen Heere
nachzuziehen.
Die Entſcheidung des Krieges fiel ſo wunderbar raſch, daß jene
Mächte, welche eine neue Reſtauration nicht wünſchten, ſich gar nicht auf
die veränderte Lage vorbereiten konnten. König Ludwig war noch der von
allen Mächten anerkannte König von Frankreich, das geſammte diplo-
matiſche Corps hatte ihn nach Gent begleitet, und den Vorſtellungen der
fremden Staatsmänner glückte es, den gefährlichen Einfluß des Grafen
Blacas zu beſeitigen, den König für eine gemäßigtere Richtung zu ge-
winnen. Einer erſten, unklugen und übermüthigen Proclamation folgte
ſchon am 28. Juni eine zweite voll freundlicher Verheißungen. Der Bour-
bone verſprach, ſich abermals zwiſchen die alliirten und die franzöſiſchen
Armeen zu ſtellen, „in der Hoffnung, daß die Rückſichten, welche man
mir zollt, zu Frankreichs Heile dienen werden;“ er verwahrte ſich feierlich
gegen die Wiederherſtellung der Zehnten und grundherrlichen Rechte, gegen
die Rückforderung der Nationalgüter. Wellington trug kein Bedenken,
den Friedensdeputationen, welche ihm die Hauptſtadt zuſendete, zu er-
klären, die Bedingungen der Sieger würden um Vieles härter werden, wenn
die Nation ihren König nicht zurückriefe. Und ſeltſam, der ruſſiſche Ge-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/776>, abgerufen am 25.11.2024.
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