Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Die Verfolgung. endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jenerentsetzlichen sieben Jahre! Es sang und klang in seiner Seele; er dachte an das herrlichste der fridericianischen Schlachtfelder, das er einst von seiner schlesischen Garnison aus so oft durchritten hatte. "Ist es nicht gerade wie bei Leuthen?" -- sagte er zu Bardeleben und sah ihn mit strahlenden Augen an. Und wirklich, wie einst bei Leuthen bliesen jetzt die Trompeter das Herr Gott Dich loben wir! und die Soldaten stimmten mit ein. Aber Gneisenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todes- angst eines geschlagenen Heeres, die dämonische Wirkung einer nächtlichen Verfolgung mit angesehen. Noch gründlicher als einst an der Katzbach, sollte heute der Sieg ausgebeutet werden. "Wir haben, rief er aus, gezeigt wie man siegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt." Er befahl Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben, immer aufs Gerathewohl in das Dunkel der Nacht hineinzuschießen, da- mit der Feind nirgends Ruhe fände. Er selber nahm was von Truppen zur Hand war mit sich, brandenburgische Uhlanen und Dragoner, Infanterie vom 15. und 25. und vom 1. pommerschen Regimente; Prinz Wilhelm der Aeltere, der die Reservereiterei des Bülow'schen Corps geführt, schloß sich ihm an. So brauste die wilde Jagd auf der Landstraße dahin; nirgends hielten Gneisenau aber und Prinz Wilhelm ritten nach kurzem Verschnaufen Die Verfolgung. endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jenerentſetzlichen ſieben Jahre! Es ſang und klang in ſeiner Seele; er dachte an das herrlichſte der fridericianiſchen Schlachtfelder, das er einſt von ſeiner ſchleſiſchen Garniſon aus ſo oft durchritten hatte. „Iſt es nicht gerade wie bei Leuthen?“ — ſagte er zu Bardeleben und ſah ihn mit ſtrahlenden Augen an. Und wirklich, wie einſt bei Leuthen blieſen jetzt die Trompeter das Herr Gott Dich loben wir! und die Soldaten ſtimmten mit ein. Aber Gneiſenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todes- angſt eines geſchlagenen Heeres, die dämoniſche Wirkung einer nächtlichen Verfolgung mit angeſehen. Noch gründlicher als einſt an der Katzbach, ſollte heute der Sieg ausgebeutet werden. „Wir haben, rief er aus, gezeigt wie man ſiegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt.“ Er befahl Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben, immer aufs Gerathewohl in das Dunkel der Nacht hineinzuſchießen, da- mit der Feind nirgends Ruhe fände. Er ſelber nahm was von Truppen zur Hand war mit ſich, brandenburgiſche Uhlanen und Dragoner, Infanterie vom 15. und 25. und vom 1. pommerſchen Regimente; Prinz Wilhelm der Aeltere, der die Reſervereiterei des Bülow’ſchen Corps geführt, ſchloß ſich ihm an. So brauſte die wilde Jagd auf der Landſtraße dahin; nirgends hielten Gneiſenau aber und Prinz Wilhelm ritten nach kurzem Verſchnaufen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0773" n="757"/><fw place="top" type="header">Die Verfolgung.</fw><lb/> endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jener<lb/> entſetzlichen ſieben Jahre! Es ſang und klang in ſeiner Seele; er dachte<lb/> an das herrlichſte der fridericianiſchen Schlachtfelder, das er einſt von<lb/> ſeiner ſchleſiſchen Garniſon aus ſo oft durchritten hatte. „Iſt es nicht<lb/> gerade wie bei Leuthen?“ — ſagte er zu Bardeleben und ſah ihn mit<lb/> ſtrahlenden Augen an. Und wirklich, wie einſt bei Leuthen blieſen jetzt die<lb/> Trompeter das Herr Gott Dich loben wir! und die Soldaten ſtimmten<lb/> mit ein. Aber Gneiſenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der<lb/> Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todes-<lb/> angſt eines geſchlagenen Heeres, die dämoniſche Wirkung einer nächtlichen<lb/> Verfolgung mit angeſehen. Noch gründlicher als einſt an der Katzbach,<lb/> ſollte heute der Sieg ausgebeutet werden. „Wir haben, rief er aus,<lb/> gezeigt wie man ſiegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt.“ Er befahl<lb/> Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben,<lb/> immer aufs Gerathewohl in das Dunkel der Nacht hineinzuſchießen, da-<lb/> mit der Feind nirgends Ruhe fände. Er ſelber nahm was von Truppen zur<lb/> Hand war mit ſich, brandenburgiſche Uhlanen und Dragoner, Infanterie<lb/> vom 15. und 25. und vom 1. pommerſchen Regimente; Prinz Wilhelm<lb/> der Aeltere, der die Reſervereiterei des Bülow’ſchen Corps geführt, ſchloß<lb/> ſich ihm an.</p><lb/> <p>So brauſte die wilde Jagd auf der Landſtraße dahin; nirgends hielten<lb/> die Flüchtigen Stand. 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Das prächtige Silbergeſchirr des Imperators behielten die<lb/> Offiziere der Fünfundzwanziger und ſchenkten es der Lieblingstochter ihres<lb/> Königs als Tafelſchmuck.</p><lb/> <p>Gneiſenau aber und Prinz Wilhelm ritten nach kurzem Verſchnaufen<lb/> raſtlos weiter. Drüben jenſeits der Dyle glaubten die Franzoſen ſicher zu<lb/> ſein und hatten ſich zur Beiwacht gelagert. Mindeſtens ſiebenmal wurden<lb/> ſie durch die nachſetzenden Preußen von ihren Feuern aufgeſcheucht. Als<lb/> ſein Fußvolk nicht mehr weiter konnte, ließ Gneiſenau einen Trommler auf<lb/> ein Beutepferd aufſitzen; der mußte ſchlagen was das Kalbfell aushalten<lb/> wollte, und weiter ging es mit den Uhlanen allein. Wie viele Schaaren<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [757/0773]
Die Verfolgung.
endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jener
entſetzlichen ſieben Jahre! Es ſang und klang in ſeiner Seele; er dachte
an das herrlichſte der fridericianiſchen Schlachtfelder, das er einſt von
ſeiner ſchleſiſchen Garniſon aus ſo oft durchritten hatte. „Iſt es nicht
gerade wie bei Leuthen?“ — ſagte er zu Bardeleben und ſah ihn mit
ſtrahlenden Augen an. Und wirklich, wie einſt bei Leuthen blieſen jetzt die
Trompeter das Herr Gott Dich loben wir! und die Soldaten ſtimmten
mit ein. Aber Gneiſenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der
Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todes-
angſt eines geſchlagenen Heeres, die dämoniſche Wirkung einer nächtlichen
Verfolgung mit angeſehen. Noch gründlicher als einſt an der Katzbach,
ſollte heute der Sieg ausgebeutet werden. „Wir haben, rief er aus,
gezeigt wie man ſiegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt.“ Er befahl
Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben,
immer aufs Gerathewohl in das Dunkel der Nacht hineinzuſchießen, da-
mit der Feind nirgends Ruhe fände. Er ſelber nahm was von Truppen zur
Hand war mit ſich, brandenburgiſche Uhlanen und Dragoner, Infanterie
vom 15. und 25. und vom 1. pommerſchen Regimente; Prinz Wilhelm
der Aeltere, der die Reſervereiterei des Bülow’ſchen Corps geführt, ſchloß
ſich ihm an.
So brauſte die wilde Jagd auf der Landſtraße dahin; nirgends hielten
die Flüchtigen Stand. Erſt bei Genappe, wo die Straße auf einer engen
Brücke das Thal der Dyle überſchreitet, verſuchten die Trümmer der
kaiſerlichen Garde den Uhlanen zu widerſtehen; doch kaum erklang, gegen
11 Uhr, der Sturmmarſch des preußiſchen Fußvolks, ſo brachen ſie ausein-
ander. General Lobau und mehr als 2000 Mann geriethen hier in Ge-
fangenſchaft; auch der Wagen Napoleons mit ſeinem Hut und Degen ward
erbeutet. Welche Ueberraſchung, als man die Sitzkiſſen aufhob; der große
Abenteurer hatte ſich die Mittel ſichern wollen für den Fall der Flucht,
den Wagen über und über mit Gold und Edelſteinen angefüllt. Die
armen pommerſchen Bauerburſchen ſtanden vor dem Glanze faſt ebenſo
rathlos wie einſt die Schweizer bei Nancy vor dem Juwelenſchatze des
Burgunderherzogs; Mancher verkaufte einen koſtbaren Stein für wenige
Groſchen. Das prächtige Silbergeſchirr des Imperators behielten die
Offiziere der Fünfundzwanziger und ſchenkten es der Lieblingstochter ihres
Königs als Tafelſchmuck.
Gneiſenau aber und Prinz Wilhelm ritten nach kurzem Verſchnaufen
raſtlos weiter. Drüben jenſeits der Dyle glaubten die Franzoſen ſicher zu
ſein und hatten ſich zur Beiwacht gelagert. Mindeſtens ſiebenmal wurden
ſie durch die nachſetzenden Preußen von ihren Feuern aufgeſcheucht. Als
ſein Fußvolk nicht mehr weiter konnte, ließ Gneiſenau einen Trommler auf
ein Beutepferd aufſitzen; der mußte ſchlagen was das Kalbfell aushalten
wollte, und weiter ging es mit den Uhlanen allein. Wie viele Schaaren
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