nicht halten konnte und die Bundesgenossen durch seine Schuld eine Schlappe erlitten? Es waren ja doch nur Deutsche, und auf die fremden Nationen, mit denen ihn sein Kriegerleben zusammenführte, hatte er nie- mals Rücksicht genommen, mochten sie nun Hindus, Portugiesen oder Preußen heißen. Seine nächste Aufgabe war, das englische Heer zu er- halten -- so faßte er seine Pflichten auf; und wenn die Bundesgenossen den Hauptstoß der Feinde aufnahmen, so gewann er um so sicherer Zeit seine eigenen Truppen zu vereinigen. Der Herzog allein verschuldete -- erst durch die verspätete und verfehlte Versammlung seiner Streitkräfte, dann durch seine unhaltbare Zusage -- daß, statt einer Schlacht mit vereinten Kräften, zwei Schlachten zu gleicher Zeit und nur durch den Zwischenraum einer guten Meile getrennt, beide unter sehr ungünstigen Verhältnissen für die Alliirten, geschlagen werden mußten. *)
Der Imperator blieb noch am Vormittag des 16. in dem Wahne, daß die beiden Heere der Coalition sich nach Brüssel und Namur zurück- zögen, er gönnte daher seinen durch das gestrige Gefecht und die starken Märsche der letzten Tage ermüdeten Truppen eine sehr lange Rast. Erst um Mittag überzeugte er sich, daß die Preußen in der Position von Ligny und St. Amand la Haye Stand hielten und beschloß den Angriff mit der Hauptmasse seines Heeres, dem rechten Flügel und den Reserven. Ney aber, der mit dem linken Flügel bei Frasnes auf der Brüsseler Straße stand, erhielt Befehl rechts abzumarschiren und den Preußen in die rechte Flanke zu fallen; so konnte am Abend des langen Sommer- tages das Heer Blüchers vernichtet werden. Dieser Schlachtplan setzte freilich voraus, daß Ney auf der Brüsseler Straße nur eine schwache feindliche Macht antraf, daß die Engländer wirklich auf Brüssel zurück- gingen.
Napoleon hatte auf dem Schlachtfelde von Ligny etwa 75,000 Mann zur Stelle, Blücher 78--80,000 Mann. Die unglückliche hakenförmige Aufstellung der Preußen erlaubte aber dem Imperator fast seine ge- sammten Streitkräfte gegen La Haye und Ligny zu verwenden, wo die beiden Armeecorps von Zieten und Pirch, 56,000 Mann, allein den An- griff der Uebermacht aushalten mußten. Thielmann, durch den gewun- denen Lauf des Lignebachs von Ligny getrennt, wurde durch einige Schein- angriffe der Franzosen beschäftigt; er konnte wohl einige Truppentheile den beiden anderen Corps zu Hilfe senden, doch mit der Masse seines Corps nicht an dem Hauptkampfe theilnehmen. Die eigentliche Schlacht bewegte sich um den Besitz von La Haye und Ligny; hier auf diesem
*) So hat im Wesentlichen schon Clausewitz den Sachverhalt dargestellt, ohne daß der Herzog, in seiner bekannten Erwiderung auf das Buch des Generals, einen Wider- spruch versucht hätte. Was Clausewitz nur andeutete, ist jetzt im Einzelnen erwiesen durch die Untersuchungen von M. Lehmann (Historische Zeitschrift. Neue Folge II. S. 274) und H. Delbrück (Zeitschrift f. Preuß. Geschichte 1877. S. 645).
II. 2. Belle Alliance.
nicht halten konnte und die Bundesgenoſſen durch ſeine Schuld eine Schlappe erlitten? Es waren ja doch nur Deutſche, und auf die fremden Nationen, mit denen ihn ſein Kriegerleben zuſammenführte, hatte er nie- mals Rückſicht genommen, mochten ſie nun Hindus, Portugieſen oder Preußen heißen. Seine nächſte Aufgabe war, das engliſche Heer zu er- halten — ſo faßte er ſeine Pflichten auf; und wenn die Bundesgenoſſen den Hauptſtoß der Feinde aufnahmen, ſo gewann er um ſo ſicherer Zeit ſeine eigenen Truppen zu vereinigen. Der Herzog allein verſchuldete — erſt durch die verſpätete und verfehlte Verſammlung ſeiner Streitkräfte, dann durch ſeine unhaltbare Zuſage — daß, ſtatt einer Schlacht mit vereinten Kräften, zwei Schlachten zu gleicher Zeit und nur durch den Zwiſchenraum einer guten Meile getrennt, beide unter ſehr ungünſtigen Verhältniſſen für die Alliirten, geſchlagen werden mußten. *)
Der Imperator blieb noch am Vormittag des 16. in dem Wahne, daß die beiden Heere der Coalition ſich nach Brüſſel und Namur zurück- zögen, er gönnte daher ſeinen durch das geſtrige Gefecht und die ſtarken Märſche der letzten Tage ermüdeten Truppen eine ſehr lange Raſt. Erſt um Mittag überzeugte er ſich, daß die Preußen in der Poſition von Ligny und St. Amand la Haye Stand hielten und beſchloß den Angriff mit der Hauptmaſſe ſeines Heeres, dem rechten Flügel und den Reſerven. Ney aber, der mit dem linken Flügel bei Frasnes auf der Brüſſeler Straße ſtand, erhielt Befehl rechts abzumarſchiren und den Preußen in die rechte Flanke zu fallen; ſo konnte am Abend des langen Sommer- tages das Heer Blüchers vernichtet werden. Dieſer Schlachtplan ſetzte freilich voraus, daß Ney auf der Brüſſeler Straße nur eine ſchwache feindliche Macht antraf, daß die Engländer wirklich auf Brüſſel zurück- gingen.
Napoleon hatte auf dem Schlachtfelde von Ligny etwa 75,000 Mann zur Stelle, Blücher 78—80,000 Mann. Die unglückliche hakenförmige Aufſtellung der Preußen erlaubte aber dem Imperator faſt ſeine ge- ſammten Streitkräfte gegen La Haye und Ligny zu verwenden, wo die beiden Armeecorps von Zieten und Pirch, 56,000 Mann, allein den An- griff der Uebermacht aushalten mußten. Thielmann, durch den gewun- denen Lauf des Lignebachs von Ligny getrennt, wurde durch einige Schein- angriffe der Franzoſen beſchäftigt; er konnte wohl einige Truppentheile den beiden anderen Corps zu Hilfe ſenden, doch mit der Maſſe ſeines Corps nicht an dem Hauptkampfe theilnehmen. Die eigentliche Schlacht bewegte ſich um den Beſitz von La Haye und Ligny; hier auf dieſem
*) So hat im Weſentlichen ſchon Clauſewitz den Sachverhalt dargeſtellt, ohne daß der Herzog, in ſeiner bekannten Erwiderung auf das Buch des Generals, einen Wider- ſpruch verſucht hätte. Was Clauſewitz nur andeutete, iſt jetzt im Einzelnen erwieſen durch die Unterſuchungen von M. Lehmann (Hiſtoriſche Zeitſchrift. Neue Folge II. S. 274) und H. Delbrück (Zeitſchrift f. Preuß. Geſchichte 1877. S. 645).
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nicht halten konnte und die Bundesgenoſſen durch ſeine Schuld eine
Schlappe erlitten? Es waren ja doch nur Deutſche, und auf die fremden
Nationen, mit denen ihn ſein Kriegerleben zuſammenführte, hatte er nie-
mals Rückſicht genommen, mochten ſie nun Hindus, Portugieſen oder
Preußen heißen. Seine nächſte Aufgabe war, das engliſche Heer zu er-
halten — ſo faßte er ſeine Pflichten auf; und wenn die Bundesgenoſſen
den Hauptſtoß der Feinde aufnahmen, ſo gewann er um ſo ſicherer Zeit
ſeine eigenen Truppen zu vereinigen. Der Herzog allein verſchuldete —
erſt durch die verſpätete und verfehlte Verſammlung ſeiner Streitkräfte,
dann durch ſeine unhaltbare Zuſage — daß, ſtatt einer Schlacht mit
vereinten Kräften, zwei Schlachten zu gleicher Zeit und nur durch den
Zwiſchenraum einer guten Meile getrennt, beide unter ſehr ungünſtigen
Verhältniſſen für die Alliirten, geſchlagen werden mußten. *)
Der Imperator blieb noch am Vormittag des 16. in dem Wahne,
daß die beiden Heere der Coalition ſich nach Brüſſel und Namur zurück-
zögen, er gönnte daher ſeinen durch das geſtrige Gefecht und die ſtarken
Märſche der letzten Tage ermüdeten Truppen eine ſehr lange Raſt. Erſt
um Mittag überzeugte er ſich, daß die Preußen in der Poſition von Ligny
und St. Amand la Haye Stand hielten und beſchloß den Angriff mit
der Hauptmaſſe ſeines Heeres, dem rechten Flügel und den Reſerven.
Ney aber, der mit dem linken Flügel bei Frasnes auf der Brüſſeler
Straße ſtand, erhielt Befehl rechts abzumarſchiren und den Preußen in
die rechte Flanke zu fallen; ſo konnte am Abend des langen Sommer-
tages das Heer Blüchers vernichtet werden. Dieſer Schlachtplan ſetzte
freilich voraus, daß Ney auf der Brüſſeler Straße nur eine ſchwache
feindliche Macht antraf, daß die Engländer wirklich auf Brüſſel zurück-
gingen.
Napoleon hatte auf dem Schlachtfelde von Ligny etwa 75,000 Mann
zur Stelle, Blücher 78—80,000 Mann. Die unglückliche hakenförmige
Aufſtellung der Preußen erlaubte aber dem Imperator faſt ſeine ge-
ſammten Streitkräfte gegen La Haye und Ligny zu verwenden, wo die
beiden Armeecorps von Zieten und Pirch, 56,000 Mann, allein den An-
griff der Uebermacht aushalten mußten. Thielmann, durch den gewun-
denen Lauf des Lignebachs von Ligny getrennt, wurde durch einige Schein-
angriffe der Franzoſen beſchäftigt; er konnte wohl einige Truppentheile
den beiden anderen Corps zu Hilfe ſenden, doch mit der Maſſe ſeines
Corps nicht an dem Hauptkampfe theilnehmen. Die eigentliche Schlacht
bewegte ſich um den Beſitz von La Haye und Ligny; hier auf dieſem
*) So hat im Weſentlichen ſchon Clauſewitz den Sachverhalt dargeſtellt, ohne daß
der Herzog, in ſeiner bekannten Erwiderung auf das Buch des Generals, einen Wider-
ſpruch verſucht hätte. Was Clauſewitz nur andeutete, iſt jetzt im Einzelnen erwieſen
durch die Unterſuchungen von M. Lehmann (Hiſtoriſche Zeitſchrift. Neue Folge II. S. 274)
und H. Delbrück (Zeitſchrift f. Preuß. Geſchichte 1877. S. 645).
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/754>, abgerufen am 23.07.2024.
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