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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Nachspiel der sächsischen Händel.
reden "des bei der Abfassung der Wiener Protokolle selbst mitgewirkten
Lords Castlereagh". Alles vergeblich; sogar der Name des selbst mit-
gewirkten Lords machte auf den Staatskanzler keinen Eindruck. Harden-
berg befahl, mit Strenge vorzugehen; die Theilung sei durch die Mächte
unwiderruflich beschlossen, von einer Rechenschaft über die Verwaltung
eines eroberten Landes "könne gar nicht die Rede sein"*). Das Land
blieb also vorläufig in Preußens Besitz, alle für die definitive Theilung
erforderlichen Vorbereitungen wurden vollzogen; das Zaudern des alten
Königs bewirkte nur einige unfruchtbare Zänkereien. Den sächsischen Le-
gitimisten aber ist niemals ein Schimmer der Selbsterkenntniß aufge-
gangen, auch als sie endlich die Früchte ihres Thuns vor Augen sahen;
sie haben nie begriffen, daß sie selber durch ihre Gehässigkeit gegen
Preußen redlich mitgeholfen hatten zu der vielbeweinten Theilung des
Landes.

Für die kleine sächsische Armee sollte der Starrsinn Friedrich Augusts
verhängnißvoll werden. Der Kriegsherr als Gefangener in Preußens
Händen, und seine Soldaten als Bundesgenossen im Lager der Alliirten:
in diesem schiefen und unwahren Verhältniß waren die bedauernswerthen
Regimenter durch anderthalb Jahre verblieben. Ihr Unstern wollte, daß
sie an dem Kriegsruhm der Verbündeten fast keinen Antheil gewannen;
die Anschauungen des preußischen Heeres blieben diesen altgedienten Be-
rufssoldaten ganz fremd, der Name Landwehr galt hier als Schimpfwort.
Nach dem Frieden standen sie lange in Westdeutschland, der Heimath
fern, doch von Dresden aus beständig durch Briefe und Sendboten be-
arbeitet. Die anhaltende Ungewißheit über die Zukunft des Landes rief
Parteiungen im Offizierscorps hervor. Eine Adresse zu Gunsten des ge-
fangenen Königs wurde eingereicht, unter lebhaftem Widerstreben der
preußischen Vorgesetzten. Die Legitimisten wollten das grüne Kreuz, eine
von dem russischen Gouvernement gestiftete Auszeichnung, nicht mehr auf
der Brust ihrer Kameraden dulden; in Coblenz kam es zu gewaltsamen
Auftritten zwischen Görres und sächsischen Offizieren. Die Mannschaft
begann irr zu werden an ihren Führern; sie fühlte sich wie verrathen
und verkauft, da selbst der gemeine Soldat merkte, daß die plötzliche Ver-
legung des Armeecorps in die Nähe preußischer Garnisonen politische Gründe
hatte. Aller Unsegen des Parteikampfes brach über die Truppen herein.
Wer billig urtheilt, wird sich nur darüber verwundern, daß in so unge-
sunden Zuständen die Bande der ehrenhaften deutschen Mannszucht nicht
schon früher zerrissen.

Die dienstliche Haltung der Regimenter blieb untadelhaft den Winter
über, obgleich die alten rheinbündischen Erinnerungen natürlich wieder le-
bendig wurden, da und dort in den Quartieren der sächsischen Soldaten

*) Weisungen an das General-Gouvernement v. 24. u. 27. März 1815.

Nachſpiel der ſächſiſchen Händel.
reden „des bei der Abfaſſung der Wiener Protokolle ſelbſt mitgewirkten
Lords Caſtlereagh“. Alles vergeblich; ſogar der Name des ſelbſt mit-
gewirkten Lords machte auf den Staatskanzler keinen Eindruck. Harden-
berg befahl, mit Strenge vorzugehen; die Theilung ſei durch die Mächte
unwiderruflich beſchloſſen, von einer Rechenſchaft über die Verwaltung
eines eroberten Landes „könne gar nicht die Rede ſein“*). Das Land
blieb alſo vorläufig in Preußens Beſitz, alle für die definitive Theilung
erforderlichen Vorbereitungen wurden vollzogen; das Zaudern des alten
Königs bewirkte nur einige unfruchtbare Zänkereien. Den ſächſiſchen Le-
gitimiſten aber iſt niemals ein Schimmer der Selbſterkenntniß aufge-
gangen, auch als ſie endlich die Früchte ihres Thuns vor Augen ſahen;
ſie haben nie begriffen, daß ſie ſelber durch ihre Gehäſſigkeit gegen
Preußen redlich mitgeholfen hatten zu der vielbeweinten Theilung des
Landes.

Für die kleine ſächſiſche Armee ſollte der Starrſinn Friedrich Auguſts
verhängnißvoll werden. Der Kriegsherr als Gefangener in Preußens
Händen, und ſeine Soldaten als Bundesgenoſſen im Lager der Alliirten:
in dieſem ſchiefen und unwahren Verhältniß waren die bedauernswerthen
Regimenter durch anderthalb Jahre verblieben. Ihr Unſtern wollte, daß
ſie an dem Kriegsruhm der Verbündeten faſt keinen Antheil gewannen;
die Anſchauungen des preußiſchen Heeres blieben dieſen altgedienten Be-
rufsſoldaten ganz fremd, der Name Landwehr galt hier als Schimpfwort.
Nach dem Frieden ſtanden ſie lange in Weſtdeutſchland, der Heimath
fern, doch von Dresden aus beſtändig durch Briefe und Sendboten be-
arbeitet. Die anhaltende Ungewißheit über die Zukunft des Landes rief
Parteiungen im Offizierscorps hervor. Eine Adreſſe zu Gunſten des ge-
fangenen Königs wurde eingereicht, unter lebhaftem Widerſtreben der
preußiſchen Vorgeſetzten. Die Legitimiſten wollten das grüne Kreuz, eine
von dem ruſſiſchen Gouvernement geſtiftete Auszeichnung, nicht mehr auf
der Bruſt ihrer Kameraden dulden; in Coblenz kam es zu gewaltſamen
Auftritten zwiſchen Görres und ſächſiſchen Offizieren. Die Mannſchaft
begann irr zu werden an ihren Führern; ſie fühlte ſich wie verrathen
und verkauft, da ſelbſt der gemeine Soldat merkte, daß die plötzliche Ver-
legung des Armeecorps in die Nähe preußiſcher Garniſonen politiſche Gründe
hatte. Aller Unſegen des Parteikampfes brach über die Truppen herein.
Wer billig urtheilt, wird ſich nur darüber verwundern, daß in ſo unge-
ſunden Zuſtänden die Bande der ehrenhaften deutſchen Mannszucht nicht
ſchon früher zerriſſen.

Die dienſtliche Haltung der Regimenter blieb untadelhaft den Winter
über, obgleich die alten rheinbündiſchen Erinnerungen natürlich wieder le-
bendig wurden, da und dort in den Quartieren der ſächſiſchen Soldaten

*) Weiſungen an das General-Gouvernement v. 24. u. 27. März 1815.
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[731/0747] Nachſpiel der ſächſiſchen Händel. reden „des bei der Abfaſſung der Wiener Protokolle ſelbſt mitgewirkten Lords Caſtlereagh“. Alles vergeblich; ſogar der Name des ſelbſt mit- gewirkten Lords machte auf den Staatskanzler keinen Eindruck. Harden- berg befahl, mit Strenge vorzugehen; die Theilung ſei durch die Mächte unwiderruflich beſchloſſen, von einer Rechenſchaft über die Verwaltung eines eroberten Landes „könne gar nicht die Rede ſein“ *). Das Land blieb alſo vorläufig in Preußens Beſitz, alle für die definitive Theilung erforderlichen Vorbereitungen wurden vollzogen; das Zaudern des alten Königs bewirkte nur einige unfruchtbare Zänkereien. Den ſächſiſchen Le- gitimiſten aber iſt niemals ein Schimmer der Selbſterkenntniß aufge- gangen, auch als ſie endlich die Früchte ihres Thuns vor Augen ſahen; ſie haben nie begriffen, daß ſie ſelber durch ihre Gehäſſigkeit gegen Preußen redlich mitgeholfen hatten zu der vielbeweinten Theilung des Landes. Für die kleine ſächſiſche Armee ſollte der Starrſinn Friedrich Auguſts verhängnißvoll werden. Der Kriegsherr als Gefangener in Preußens Händen, und ſeine Soldaten als Bundesgenoſſen im Lager der Alliirten: in dieſem ſchiefen und unwahren Verhältniß waren die bedauernswerthen Regimenter durch anderthalb Jahre verblieben. Ihr Unſtern wollte, daß ſie an dem Kriegsruhm der Verbündeten faſt keinen Antheil gewannen; die Anſchauungen des preußiſchen Heeres blieben dieſen altgedienten Be- rufsſoldaten ganz fremd, der Name Landwehr galt hier als Schimpfwort. Nach dem Frieden ſtanden ſie lange in Weſtdeutſchland, der Heimath fern, doch von Dresden aus beſtändig durch Briefe und Sendboten be- arbeitet. Die anhaltende Ungewißheit über die Zukunft des Landes rief Parteiungen im Offizierscorps hervor. Eine Adreſſe zu Gunſten des ge- fangenen Königs wurde eingereicht, unter lebhaftem Widerſtreben der preußiſchen Vorgeſetzten. Die Legitimiſten wollten das grüne Kreuz, eine von dem ruſſiſchen Gouvernement geſtiftete Auszeichnung, nicht mehr auf der Bruſt ihrer Kameraden dulden; in Coblenz kam es zu gewaltſamen Auftritten zwiſchen Görres und ſächſiſchen Offizieren. Die Mannſchaft begann irr zu werden an ihren Führern; ſie fühlte ſich wie verrathen und verkauft, da ſelbſt der gemeine Soldat merkte, daß die plötzliche Ver- legung des Armeecorps in die Nähe preußiſcher Garniſonen politiſche Gründe hatte. Aller Unſegen des Parteikampfes brach über die Truppen herein. Wer billig urtheilt, wird ſich nur darüber verwundern, daß in ſo unge- ſunden Zuſtänden die Bande der ehrenhaften deutſchen Mannszucht nicht ſchon früher zerriſſen. Die dienſtliche Haltung der Regimenter blieb untadelhaft den Winter über, obgleich die alten rheinbündiſchen Erinnerungen natürlich wieder le- bendig wurden, da und dort in den Quartieren der ſächſiſchen Soldaten *) Weiſungen an das General-Gouvernement v. 24. u. 27. März 1815.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 731. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/747>, abgerufen am 22.11.2024.