Unter den 94,000 Mann seines Heeres waren 32,000, etwa ein Drittel, Engländer, 37,000 Deutsche, 25,000 Niederländer. Von den Deutschen waren nur die ruhmreichen Regimenter der Deutschen Legion, etwa 7000 Mann, ebenso kriegserfahren wie die wohlgedrillten englischen Veteranen, die Mannschaft weniger roh, die Offiziere nach deutscher Weise höher gebildet; auch die schwarze Schaar des Herzogs von Braunschweig bestand größtentheils aus geschulten Soldaten. Dagegen befand sich unter den Hannoveranern und Nassauern viel junge Mannschaft, desgleichen unter den neugebildeten niederländischen Regimentern; auf die französisch gesinnten Belgier war überdies kein Verlaß. Wellington betrachtete diese buntscheckige Armee mit geringem Zutrauen und suchte ihr mehr sittlichen Halt zu geben indem er die alten Regimenter mit den jungen Truppen durcheinander mischte. Auch von dem kriegerischen Werthe des preußischen Heeres dachte er nicht hoch. Wohl kamen Augenblicke, da Blüchers mächtige Persönlichkeit, der hohe Schwung der Seele, der aus den Worten und Blicken des Alten sprach, selbst diesen Nüchternen bezauberte; "was für ein schöner alter Knabe er doch ist," sagte er einmal mit ungewohnter Wärme, als er dem Davonreitenden nachblickte. Aber der "republikanische Geist" dieses Volksheeres blieb ihm unheimlich. War doch der stürmische nationale Stolz und Thatendrang der preußischen Armee jetzt schon allen Höfen verdächtig geworden; selbst der Czar meinte um jene Zeit, er werde wohl noch einst seinen preußischen Freund gegen dessen eigenes Heer beschützen müssen!
Obwohl Wellington, wie die meisten seiner Landsleute, im Stillen der Meinung war, daß der Sturz des Weltreichs eigentlich durch den spanischen Krieg bewirkt worden sei, so sah er doch nicht ohne Sorge dem Augenblicke des ersten persönlichen Zusammentreffens mit Napoleon selber entgegen. Der Gefahr einer Niederlage wollte und durfte er sich nicht aussetzen; denn wie sollte England die von den anderen Höfen nicht ge- wünschte Zurückführung der Bourbonen erwirken, wenn sein kleines Heer geschlagen wurde? Darum ging er mit höchster Vorsicht zu Werke. Sobald der Kriegsrath in Wien die Vertagung des Kampfes beschlossen hatte, fügte sich der englische Feldherr nach seiner Gewohnheit unweiger- lich dem Befehle und richtete sich auf eine behutsame Vertheidigung ein. Während Blücher durch die Schwierigkeiten der Verpflegung genöthigt ward, sein Heer nördlich der Sambre weit auseinanderzulegen -- doch immerhin noch nahe genug um die Armee bei der höchsten Pünktlichkeit allenfalls in starken vierundzwanzig Stunden versammeln zu können -- zerstreute Wellington seine Truppen ohne Noth, absichtlich über einen noch weit größeren Raum. Denn da er Napoleons Charakter und Kriegsweise nicht kannte, so nahm er an, die Franzosen würden in mehreren Colon- nen, an verschiedenen Stellen zugleich in Belgien einbrechen, und ver- theilte seine Armee, statt sie nahe an die Preußen heranzuschieben, auf
II. 2. Belle Alliance.
Unter den 94,000 Mann ſeines Heeres waren 32,000, etwa ein Drittel, Engländer, 37,000 Deutſche, 25,000 Niederländer. Von den Deutſchen waren nur die ruhmreichen Regimenter der Deutſchen Legion, etwa 7000 Mann, ebenſo kriegserfahren wie die wohlgedrillten engliſchen Veteranen, die Mannſchaft weniger roh, die Offiziere nach deutſcher Weiſe höher gebildet; auch die ſchwarze Schaar des Herzogs von Braunſchweig beſtand größtentheils aus geſchulten Soldaten. Dagegen befand ſich unter den Hannoveranern und Naſſauern viel junge Mannſchaft, desgleichen unter den neugebildeten niederländiſchen Regimentern; auf die franzöſiſch geſinnten Belgier war überdies kein Verlaß. Wellington betrachtete dieſe buntſcheckige Armee mit geringem Zutrauen und ſuchte ihr mehr ſittlichen Halt zu geben indem er die alten Regimenter mit den jungen Truppen durcheinander miſchte. Auch von dem kriegeriſchen Werthe des preußiſchen Heeres dachte er nicht hoch. Wohl kamen Augenblicke, da Blüchers mächtige Perſönlichkeit, der hohe Schwung der Seele, der aus den Worten und Blicken des Alten ſprach, ſelbſt dieſen Nüchternen bezauberte; „was für ein ſchöner alter Knabe er doch iſt,“ ſagte er einmal mit ungewohnter Wärme, als er dem Davonreitenden nachblickte. Aber der „republikaniſche Geiſt“ dieſes Volksheeres blieb ihm unheimlich. War doch der ſtürmiſche nationale Stolz und Thatendrang der preußiſchen Armee jetzt ſchon allen Höfen verdächtig geworden; ſelbſt der Czar meinte um jene Zeit, er werde wohl noch einſt ſeinen preußiſchen Freund gegen deſſen eigenes Heer beſchützen müſſen!
Obwohl Wellington, wie die meiſten ſeiner Landsleute, im Stillen der Meinung war, daß der Sturz des Weltreichs eigentlich durch den ſpaniſchen Krieg bewirkt worden ſei, ſo ſah er doch nicht ohne Sorge dem Augenblicke des erſten perſönlichen Zuſammentreffens mit Napoleon ſelber entgegen. Der Gefahr einer Niederlage wollte und durfte er ſich nicht ausſetzen; denn wie ſollte England die von den anderen Höfen nicht ge- wünſchte Zurückführung der Bourbonen erwirken, wenn ſein kleines Heer geſchlagen wurde? Darum ging er mit höchſter Vorſicht zu Werke. Sobald der Kriegsrath in Wien die Vertagung des Kampfes beſchloſſen hatte, fügte ſich der engliſche Feldherr nach ſeiner Gewohnheit unweiger- lich dem Befehle und richtete ſich auf eine behutſame Vertheidigung ein. Während Blücher durch die Schwierigkeiten der Verpflegung genöthigt ward, ſein Heer nördlich der Sambre weit auseinanderzulegen — doch immerhin noch nahe genug um die Armee bei der höchſten Pünktlichkeit allenfalls in ſtarken vierundzwanzig Stunden verſammeln zu können — zerſtreute Wellington ſeine Truppen ohne Noth, abſichtlich über einen noch weit größeren Raum. Denn da er Napoleons Charakter und Kriegsweiſe nicht kannte, ſo nahm er an, die Franzoſen würden in mehreren Colon- nen, an verſchiedenen Stellen zugleich in Belgien einbrechen, und ver- theilte ſeine Armee, ſtatt ſie nahe an die Preußen heranzuſchieben, auf
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II. 2. Belle Alliance.
Unter den 94,000 Mann ſeines Heeres waren 32,000, etwa ein
Drittel, Engländer, 37,000 Deutſche, 25,000 Niederländer. Von den
Deutſchen waren nur die ruhmreichen Regimenter der Deutſchen Legion,
etwa 7000 Mann, ebenſo kriegserfahren wie die wohlgedrillten engliſchen
Veteranen, die Mannſchaft weniger roh, die Offiziere nach deutſcher Weiſe
höher gebildet; auch die ſchwarze Schaar des Herzogs von Braunſchweig
beſtand größtentheils aus geſchulten Soldaten. Dagegen befand ſich unter
den Hannoveranern und Naſſauern viel junge Mannſchaft, desgleichen
unter den neugebildeten niederländiſchen Regimentern; auf die franzöſiſch
geſinnten Belgier war überdies kein Verlaß. Wellington betrachtete dieſe
buntſcheckige Armee mit geringem Zutrauen und ſuchte ihr mehr ſittlichen
Halt zu geben indem er die alten Regimenter mit den jungen Truppen
durcheinander miſchte. Auch von dem kriegeriſchen Werthe des preußiſchen
Heeres dachte er nicht hoch. Wohl kamen Augenblicke, da Blüchers mächtige
Perſönlichkeit, der hohe Schwung der Seele, der aus den Worten und
Blicken des Alten ſprach, ſelbſt dieſen Nüchternen bezauberte; „was für
ein ſchöner alter Knabe er doch iſt,“ ſagte er einmal mit ungewohnter
Wärme, als er dem Davonreitenden nachblickte. Aber der „republikaniſche
Geiſt“ dieſes Volksheeres blieb ihm unheimlich. War doch der ſtürmiſche
nationale Stolz und Thatendrang der preußiſchen Armee jetzt ſchon allen
Höfen verdächtig geworden; ſelbſt der Czar meinte um jene Zeit, er
werde wohl noch einſt ſeinen preußiſchen Freund gegen deſſen eigenes
Heer beſchützen müſſen!
Obwohl Wellington, wie die meiſten ſeiner Landsleute, im Stillen
der Meinung war, daß der Sturz des Weltreichs eigentlich durch den
ſpaniſchen Krieg bewirkt worden ſei, ſo ſah er doch nicht ohne Sorge dem
Augenblicke des erſten perſönlichen Zuſammentreffens mit Napoleon ſelber
entgegen. Der Gefahr einer Niederlage wollte und durfte er ſich nicht
ausſetzen; denn wie ſollte England die von den anderen Höfen nicht ge-
wünſchte Zurückführung der Bourbonen erwirken, wenn ſein kleines
Heer geſchlagen wurde? Darum ging er mit höchſter Vorſicht zu Werke.
Sobald der Kriegsrath in Wien die Vertagung des Kampfes beſchloſſen
hatte, fügte ſich der engliſche Feldherr nach ſeiner Gewohnheit unweiger-
lich dem Befehle und richtete ſich auf eine behutſame Vertheidigung ein.
Während Blücher durch die Schwierigkeiten der Verpflegung genöthigt
ward, ſein Heer nördlich der Sambre weit auseinanderzulegen — doch
immerhin noch nahe genug um die Armee bei der höchſten Pünktlichkeit
allenfalls in ſtarken vierundzwanzig Stunden verſammeln zu können —
zerſtreute Wellington ſeine Truppen ohne Noth, abſichtlich über einen noch
weit größeren Raum. Denn da er Napoleons Charakter und Kriegsweiſe
nicht kannte, ſo nahm er an, die Franzoſen würden in mehreren Colon-
nen, an verſchiedenen Stellen zugleich in Belgien einbrechen, und ver-
theilte ſeine Armee, ſtatt ſie nahe an die Preußen heranzuſchieben, auf
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/744>, abgerufen am 25.11.2024.
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