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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 2. Belle Alliance.
allen den politischen Wirren, welche die rathlose Ueberraschung der
französischen Nation erklärten. Den Preußen war Frankreichs Volk ein-
fach eine Rotte von Verräthern, sein Heer eine eidvergessene Soldatesca,
die sich mit ihrem alten Räuberhauptmann zu neuen Plünderungszügen
verschwor. Und mit dem grimmigen Hasse verband sich diesmal ein
Gefühl freudigen Stolzes. Der alte Blücher sprach seinen Preußen wieder
aus der Seele, da er auf die erste Nachricht jubelnd rief: "das ist das
größte Glück für uns, nun kann die Armee wieder gut machen was die
Diplomaten verfehlten." Erst durch den Verlauf des Congresses und
Talleyrands feindselige Zettelungen hatte die Masse der Patrioten im
Norden klar erkannt, wie matt und schwächlich der Pariser Friedensschluß
gewesen und wie wenig gesichert unsere Westgrenze war. Sobald sich die
Aussicht auf einen neuen Krieg eröffnete, erhob die Presse, der Rheinische
Mercur voran, sofort den Ruf: jetzt endlich sei die Zeit gekommen dem
gallischen Raubthier die Zähne auszubrechen. In tausend Tönen, weit lauter
und bestimmter als ein Jahr zuvor, erklang die Forderung: heraus mit
dem alten Raube, heraus mit Elsaß und Lothringen!

Auch den Höfen war keinen Augenblick zweifelhaft, daß sie die Zer-
störung des Pariser Friedens nicht dulden durften. Schon am 8. März
schlug Stein die Aechtung des Friedensbrechers vor. Am 13. traten die
acht Mächte, welche den Friedensschluß unterzeichnet hatten, zusammen
und beschlossen eine öffentliche Erklärung, worin sie den Völkern Europas
verkündeten, daß Napoleon Buonaparte sich selber außerhalb des bürger-
lichen und politischen Rechts gestellt, als Feind und Störer der Ruhe
der Welt sich der öffentlichen Verfolgung preisgegeben habe. Die Bona-
partisten schrieen Zeter über diesen unerhörten, diesen menschenfresserischen
Beschluß; doch er sprach nur aus, was das empörte Gewissen aller Deut-
schen und Russen und der großen Mehrheit des englischen Volkes gebiete-
risch forderte. Am 25. März erneuerten die vier Verbündeten von Chau-
mont ihr altes Bündniß, boten dem Könige von Frankreich sowie jedem
anderen von Buonaparte angegriffenen Lande auf Verlangen ihren Beistand
an, luden alle Mächte Europas zum Beitritt ein und verpflichteten sich
die Waffen nicht eher niederzulegen als bis Buonaparte außer Stand
gesetzt sei neue Unruhen zu erregen und sich der Staatsgewalt in Frank-
reich abermals zu bemächtigen. Die Achtserklärung schloß eine Verände-
rung der französischen Grenzen nicht schlechthin aus, denn sie behielt
den Mächten ausdrücklich das Recht vor die Bestimmungen des Pariser
Friedens zu vervollständigen und zu verstärken. Aber sie beruhte wie
das Kriegsbündniß vom 25. März, auf einem verhängnißvollen thatsäch-
lichen Irrthum, auf der Annahme, daß die Bourbonen mindestens in
einem Theile Frankreichs sich behaupten und die verbündeten Heere als
Hilfstruppen der königlichen Armee auftreten würden.

Erst einige Tage später erfuhr man in Wien, daß König Ludwig sein

II. 2. Belle Alliance.
allen den politiſchen Wirren, welche die rathloſe Ueberraſchung der
franzöſiſchen Nation erklärten. Den Preußen war Frankreichs Volk ein-
fach eine Rotte von Verräthern, ſein Heer eine eidvergeſſene Soldatesca,
die ſich mit ihrem alten Räuberhauptmann zu neuen Plünderungszügen
verſchwor. Und mit dem grimmigen Haſſe verband ſich diesmal ein
Gefühl freudigen Stolzes. Der alte Blücher ſprach ſeinen Preußen wieder
aus der Seele, da er auf die erſte Nachricht jubelnd rief: „das iſt das
größte Glück für uns, nun kann die Armee wieder gut machen was die
Diplomaten verfehlten.“ Erſt durch den Verlauf des Congreſſes und
Talleyrands feindſelige Zettelungen hatte die Maſſe der Patrioten im
Norden klar erkannt, wie matt und ſchwächlich der Pariſer Friedensſchluß
geweſen und wie wenig geſichert unſere Weſtgrenze war. Sobald ſich die
Ausſicht auf einen neuen Krieg eröffnete, erhob die Preſſe, der Rheiniſche
Mercur voran, ſofort den Ruf: jetzt endlich ſei die Zeit gekommen dem
galliſchen Raubthier die Zähne auszubrechen. In tauſend Tönen, weit lauter
und beſtimmter als ein Jahr zuvor, erklang die Forderung: heraus mit
dem alten Raube, heraus mit Elſaß und Lothringen!

Auch den Höfen war keinen Augenblick zweifelhaft, daß ſie die Zer-
ſtörung des Pariſer Friedens nicht dulden durften. Schon am 8. März
ſchlug Stein die Aechtung des Friedensbrechers vor. Am 13. traten die
acht Mächte, welche den Friedensſchluß unterzeichnet hatten, zuſammen
und beſchloſſen eine öffentliche Erklärung, worin ſie den Völkern Europas
verkündeten, daß Napoleon Buonaparte ſich ſelber außerhalb des bürger-
lichen und politiſchen Rechts geſtellt, als Feind und Störer der Ruhe
der Welt ſich der öffentlichen Verfolgung preisgegeben habe. Die Bona-
partiſten ſchrieen Zeter über dieſen unerhörten, dieſen menſchenfreſſeriſchen
Beſchluß; doch er ſprach nur aus, was das empörte Gewiſſen aller Deut-
ſchen und Ruſſen und der großen Mehrheit des engliſchen Volkes gebiete-
riſch forderte. Am 25. März erneuerten die vier Verbündeten von Chau-
mont ihr altes Bündniß, boten dem Könige von Frankreich ſowie jedem
anderen von Buonaparte angegriffenen Lande auf Verlangen ihren Beiſtand
an, luden alle Mächte Europas zum Beitritt ein und verpflichteten ſich
die Waffen nicht eher niederzulegen als bis Buonaparte außer Stand
geſetzt ſei neue Unruhen zu erregen und ſich der Staatsgewalt in Frank-
reich abermals zu bemächtigen. Die Achtserklärung ſchloß eine Verände-
rung der franzöſiſchen Grenzen nicht ſchlechthin aus, denn ſie behielt
den Mächten ausdrücklich das Recht vor die Beſtimmungen des Pariſer
Friedens zu vervollſtändigen und zu verſtärken. Aber ſie beruhte wie
das Kriegsbündniß vom 25. März, auf einem verhängnißvollen thatſäch-
lichen Irrthum, auf der Annahme, daß die Bourbonen mindeſtens in
einem Theile Frankreichs ſich behaupten und die verbündeten Heere als
Hilfstruppen der königlichen Armee auftreten würden.

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[714/0730] II. 2. Belle Alliance. allen den politiſchen Wirren, welche die rathloſe Ueberraſchung der franzöſiſchen Nation erklärten. Den Preußen war Frankreichs Volk ein- fach eine Rotte von Verräthern, ſein Heer eine eidvergeſſene Soldatesca, die ſich mit ihrem alten Räuberhauptmann zu neuen Plünderungszügen verſchwor. Und mit dem grimmigen Haſſe verband ſich diesmal ein Gefühl freudigen Stolzes. Der alte Blücher ſprach ſeinen Preußen wieder aus der Seele, da er auf die erſte Nachricht jubelnd rief: „das iſt das größte Glück für uns, nun kann die Armee wieder gut machen was die Diplomaten verfehlten.“ Erſt durch den Verlauf des Congreſſes und Talleyrands feindſelige Zettelungen hatte die Maſſe der Patrioten im Norden klar erkannt, wie matt und ſchwächlich der Pariſer Friedensſchluß geweſen und wie wenig geſichert unſere Weſtgrenze war. Sobald ſich die Ausſicht auf einen neuen Krieg eröffnete, erhob die Preſſe, der Rheiniſche Mercur voran, ſofort den Ruf: jetzt endlich ſei die Zeit gekommen dem galliſchen Raubthier die Zähne auszubrechen. In tauſend Tönen, weit lauter und beſtimmter als ein Jahr zuvor, erklang die Forderung: heraus mit dem alten Raube, heraus mit Elſaß und Lothringen! Auch den Höfen war keinen Augenblick zweifelhaft, daß ſie die Zer- ſtörung des Pariſer Friedens nicht dulden durften. Schon am 8. März ſchlug Stein die Aechtung des Friedensbrechers vor. Am 13. traten die acht Mächte, welche den Friedensſchluß unterzeichnet hatten, zuſammen und beſchloſſen eine öffentliche Erklärung, worin ſie den Völkern Europas verkündeten, daß Napoleon Buonaparte ſich ſelber außerhalb des bürger- lichen und politiſchen Rechts geſtellt, als Feind und Störer der Ruhe der Welt ſich der öffentlichen Verfolgung preisgegeben habe. Die Bona- partiſten ſchrieen Zeter über dieſen unerhörten, dieſen menſchenfreſſeriſchen Beſchluß; doch er ſprach nur aus, was das empörte Gewiſſen aller Deut- ſchen und Ruſſen und der großen Mehrheit des engliſchen Volkes gebiete- riſch forderte. Am 25. März erneuerten die vier Verbündeten von Chau- mont ihr altes Bündniß, boten dem Könige von Frankreich ſowie jedem anderen von Buonaparte angegriffenen Lande auf Verlangen ihren Beiſtand an, luden alle Mächte Europas zum Beitritt ein und verpflichteten ſich die Waffen nicht eher niederzulegen als bis Buonaparte außer Stand geſetzt ſei neue Unruhen zu erregen und ſich der Staatsgewalt in Frank- reich abermals zu bemächtigen. Die Achtserklärung ſchloß eine Verände- rung der franzöſiſchen Grenzen nicht ſchlechthin aus, denn ſie behielt den Mächten ausdrücklich das Recht vor die Beſtimmungen des Pariſer Friedens zu vervollſtändigen und zu verſtärken. Aber ſie beruhte wie das Kriegsbündniß vom 25. März, auf einem verhängnißvollen thatſäch- lichen Irrthum, auf der Annahme, daß die Bourbonen mindeſtens in einem Theile Frankreichs ſich behaupten und die verbündeten Heere als Hilfstruppen der königlichen Armee auftreten würden. Erſt einige Tage ſpäter erfuhr man in Wien, daß König Ludwig ſein

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/730>, abgerufen am 22.11.2024.