So alltäglich es ist, daß kommende Ereignisse ihren Schatten voraus werfen, ebenso selten geschieht es, daß die Helden einer abgeschlossenen, überwundenen Vergangenheit wieder auf der verwandelten Bühne der Zeit erscheinen. An solcher Wiederkehr vergangener Größe haftet immer ein wunderbarer, traumhafter Zauber, weil sie dem nothwendigen ewigen Werden des historischen Lebens widerspricht. Phantastischer hat das Schicksal nie gewaltet als während jener hundert Tage, da mit einem male, wie ein Gespensterzug am hellen Mittag, die Männer und die Leidenschaften eines Zeitalters der Kriege wieder hereinbrachen über ein neues friedensfrohes Geschlecht und das grandiose Abenteuer des napo- leonischen Kaiserthums in einem stürmischen Nachspiele seinen würdigen Abschluß fand. Am 1. März landete Napoleon mit seinen neunhundert Getreuen an der Küste bei Cannes; am 20. Abends, am Geburtstage des Königs von Rom, fuhr sein bestaubter Reisewagen durch die schwei- gende Hauptstadt nach den Tuilerien, und ein Schwarm von Veteranen begrüßte freudetrunken den heimkehrenden Helden am Portale des ver- lassenen Königsschlosses. "Der Kaiser hat sich gezeigt, und die königliche Regierung besteht nicht mehr" -- schrieb er stolz an die Gesandten. Noch nie und nirgends hatten die dämonischen Mächte des Genies und des Ruhmes einen so glänzenden Triumph gefeiert; der unblutige Siegeszug schien wirklich, wie der Imperator den Fürsten Europas versicherte, "das Werk einer unwiderstehlichen Gewalt, des einstimmigen Willens einer großen Nation, die ihre Pflichten und ihre Rechte kennt."
Und doch ging diese wundergleiche Revolution fast allein von der Mannschaft des Heeres aus. Die alten Corporale und Sergeanten, die hier, wie in allen Berufsarmeen, den Geist des Heeres beherrschten, hingen mit abgöttischer Verehrung an dem Bilde des demokratischen Hel- den, sie waren die Apostel jener napoleonischen Religion, deren ungeheuer- liche Legenden das stolze Volk über seine Niederlagen trösteten. Wie hätte das vierte Artillerieregiment, in dessen Reihen einst der Leutnant Bonaparte gedient, der feurigen Anrede des gros papa widerstehen sollen,
Zweiter Abſchnitt. Belle Alliance.
So alltäglich es iſt, daß kommende Ereigniſſe ihren Schatten voraus werfen, ebenſo ſelten geſchieht es, daß die Helden einer abgeſchloſſenen, überwundenen Vergangenheit wieder auf der verwandelten Bühne der Zeit erſcheinen. An ſolcher Wiederkehr vergangener Größe haftet immer ein wunderbarer, traumhafter Zauber, weil ſie dem nothwendigen ewigen Werden des hiſtoriſchen Lebens widerſpricht. Phantaſtiſcher hat das Schickſal nie gewaltet als während jener hundert Tage, da mit einem male, wie ein Geſpenſterzug am hellen Mittag, die Männer und die Leidenſchaften eines Zeitalters der Kriege wieder hereinbrachen über ein neues friedensfrohes Geſchlecht und das grandioſe Abenteuer des napo- leoniſchen Kaiſerthums in einem ſtürmiſchen Nachſpiele ſeinen würdigen Abſchluß fand. Am 1. März landete Napoleon mit ſeinen neunhundert Getreuen an der Küſte bei Cannes; am 20. Abends, am Geburtstage des Königs von Rom, fuhr ſein beſtaubter Reiſewagen durch die ſchwei- gende Hauptſtadt nach den Tuilerien, und ein Schwarm von Veteranen begrüßte freudetrunken den heimkehrenden Helden am Portale des ver- laſſenen Königsſchloſſes. „Der Kaiſer hat ſich gezeigt, und die königliche Regierung beſteht nicht mehr“ — ſchrieb er ſtolz an die Geſandten. Noch nie und nirgends hatten die dämoniſchen Mächte des Genies und des Ruhmes einen ſo glänzenden Triumph gefeiert; der unblutige Siegeszug ſchien wirklich, wie der Imperator den Fürſten Europas verſicherte, „das Werk einer unwiderſtehlichen Gewalt, des einſtimmigen Willens einer großen Nation, die ihre Pflichten und ihre Rechte kennt.“
Und doch ging dieſe wundergleiche Revolution faſt allein von der Mannſchaft des Heeres aus. Die alten Corporale und Sergeanten, die hier, wie in allen Berufsarmeen, den Geiſt des Heeres beherrſchten, hingen mit abgöttiſcher Verehrung an dem Bilde des demokratiſchen Hel- den, ſie waren die Apoſtel jener napoleoniſchen Religion, deren ungeheuer- liche Legenden das ſtolze Volk über ſeine Niederlagen tröſteten. Wie hätte das vierte Artillerieregiment, in deſſen Reihen einſt der Leutnant Bonaparte gedient, der feurigen Anrede des gros papa widerſtehen ſollen,
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Zweiter Abſchnitt.
Belle Alliance.
So alltäglich es iſt, daß kommende Ereigniſſe ihren Schatten voraus
werfen, ebenſo ſelten geſchieht es, daß die Helden einer abgeſchloſſenen,
überwundenen Vergangenheit wieder auf der verwandelten Bühne der
Zeit erſcheinen. An ſolcher Wiederkehr vergangener Größe haftet immer
ein wunderbarer, traumhafter Zauber, weil ſie dem nothwendigen ewigen
Werden des hiſtoriſchen Lebens widerſpricht. Phantaſtiſcher hat das
Schickſal nie gewaltet als während jener hundert Tage, da mit einem
male, wie ein Geſpenſterzug am hellen Mittag, die Männer und die
Leidenſchaften eines Zeitalters der Kriege wieder hereinbrachen über ein
neues friedensfrohes Geſchlecht und das grandioſe Abenteuer des napo-
leoniſchen Kaiſerthums in einem ſtürmiſchen Nachſpiele ſeinen würdigen
Abſchluß fand. Am 1. März landete Napoleon mit ſeinen neunhundert
Getreuen an der Küſte bei Cannes; am 20. Abends, am Geburtstage
des Königs von Rom, fuhr ſein beſtaubter Reiſewagen durch die ſchwei-
gende Hauptſtadt nach den Tuilerien, und ein Schwarm von Veteranen
begrüßte freudetrunken den heimkehrenden Helden am Portale des ver-
laſſenen Königsſchloſſes. „Der Kaiſer hat ſich gezeigt, und die königliche
Regierung beſteht nicht mehr“ — ſchrieb er ſtolz an die Geſandten. Noch
nie und nirgends hatten die dämoniſchen Mächte des Genies und des
Ruhmes einen ſo glänzenden Triumph gefeiert; der unblutige Siegeszug
ſchien wirklich, wie der Imperator den Fürſten Europas verſicherte, „das
Werk einer unwiderſtehlichen Gewalt, des einſtimmigen Willens einer
großen Nation, die ihre Pflichten und ihre Rechte kennt.“
Und doch ging dieſe wundergleiche Revolution faſt allein von der
Mannſchaft des Heeres aus. Die alten Corporale und Sergeanten, die
hier, wie in allen Berufsarmeen, den Geiſt des Heeres beherrſchten,
hingen mit abgöttiſcher Verehrung an dem Bilde des demokratiſchen Hel-
den, ſie waren die Apoſtel jener napoleoniſchen Religion, deren ungeheuer-
liche Legenden das ſtolze Volk über ſeine Niederlagen tröſteten. Wie
hätte das vierte Artillerieregiment, in deſſen Reihen einſt der Leutnant
Bonaparte gedient, der feurigen Anrede des gros papa widerſtehen ſollen,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. [709]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/725>, abgerufen am 24.11.2024.
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