jedenfalls ehrenhafter und verständiger war als alle anderen Wiener Vor- schläge. Die beständig wechselnde Form ihrer Entwürfe war nicht ihre Schuld, sondern ergab sich unvermeidlich aus der Bedrängniß eines aus- sichtslosen Streites wider Gegner, die nicht durch das Wort, sondern allein durch den Schlag überzeugt werden konnten. Das Einzige, was den Beiden zur Last fiel, war das arglose Vertrauen zu den falschen Freunden Oesterreich und Hannover. Aber selbst ein vollkommener Staatsmann, der von solcher Schwäche frei blieb, konnte in diesem Kriege nicht siegen. Der gesammte Gang der deutschen Schicksale während der jüngsten Jahre führte unabwendbar zu der traurigen und doch noth- wendigen Folge, daß nach Napoleons Fall nicht sein tapferer Feind Preußen, sondern sein schwankender Gegner Oesterreich und seine Bun- desgenossen, die Rheinbündner über die Gestaltung unseres Staates ent- schieden.
Selbst der Czar äußerte seinen Unwillen über den kläglichen Aus- gang, und sogar Gentz hatte ein so lächerliches Machwerk doch nicht er- wartet. Gleichwohl besaß die neue Ordnung der deutschen Dinge drei folgenschwere Vorzüge. Die welthistorischen Wirkungen der Fürstenrevo- lution von 1803 blieben unverändert, das fratzenhafte theokratische Wesen kehrte nicht wieder; das neue Deutschland athmete in der gesunden Luft weltlichen Staatslebens. Sodann ward durch die Bundesverfassung die Entstehung eines neuen Rheinbundes zwar keineswegs verhindert aber wesentlich erschwert; deshalb allein, so gestanden Hardenberg und Hum- boldt oftmals, nahmen Preußens Staatsmänner ein Werk an, über dessen Mängel sie sich nicht täuschten. Preußen trat dem Bunde bei um die Mittelstaaten an wiederholtem Landesverrathe zu hindern, während diese und Oesterreich in der Bundesverfassung nur ein Bollwerk gegen den preußischen Ehrgeiz sahen. Endlich war der Deutsche Bund so locker und ohnmächtig, daß er den Staat Friedrichs in seiner inneren und äußeren Entwickelung kaum stören konnte. Sobald Preußen sich erst wieder auf sich selbst besann, bot ihm die schattenhafte Bundesverfassung tausend Mittel und Wege um die kleinen Staaten durch Sonderbünde an sich zu ketten und durch die That zu beweisen, daß Oesterreich für Deutschland nichts leisten, Preußen allein der Sehnsucht der Nation und dem recht verstandenen Interesse der kleinen Höfe selber gerecht werden konnte. Und dies bleibt für uns, die wir die abgeschlossene Laufbahn überschauen, der historische Ruhm des Deutschen Bundes: er besaß nicht die Kraft, das Erstarken des einzigen lebendigen deutschen Staates zu hindern -- des Staates, der berufen war dereinst ihn selber zu zerstören und diesem unglücklichen Volke eine neue, würdige Ordnung zu schenken. --
II. 1. Der Wiener Congreß.
jedenfalls ehrenhafter und verſtändiger war als alle anderen Wiener Vor- ſchläge. Die beſtändig wechſelnde Form ihrer Entwürfe war nicht ihre Schuld, ſondern ergab ſich unvermeidlich aus der Bedrängniß eines aus- ſichtsloſen Streites wider Gegner, die nicht durch das Wort, ſondern allein durch den Schlag überzeugt werden konnten. Das Einzige, was den Beiden zur Laſt fiel, war das argloſe Vertrauen zu den falſchen Freunden Oeſterreich und Hannover. Aber ſelbſt ein vollkommener Staatsmann, der von ſolcher Schwäche frei blieb, konnte in dieſem Kriege nicht ſiegen. Der geſammte Gang der deutſchen Schickſale während der jüngſten Jahre führte unabwendbar zu der traurigen und doch noth- wendigen Folge, daß nach Napoleons Fall nicht ſein tapferer Feind Preußen, ſondern ſein ſchwankender Gegner Oeſterreich und ſeine Bun- desgenoſſen, die Rheinbündner über die Geſtaltung unſeres Staates ent- ſchieden.
Selbſt der Czar äußerte ſeinen Unwillen über den kläglichen Aus- gang, und ſogar Gentz hatte ein ſo lächerliches Machwerk doch nicht er- wartet. Gleichwohl beſaß die neue Ordnung der deutſchen Dinge drei folgenſchwere Vorzüge. Die welthiſtoriſchen Wirkungen der Fürſtenrevo- lution von 1803 blieben unverändert, das fratzenhafte theokratiſche Weſen kehrte nicht wieder; das neue Deutſchland athmete in der geſunden Luft weltlichen Staatslebens. Sodann ward durch die Bundesverfaſſung die Entſtehung eines neuen Rheinbundes zwar keineswegs verhindert aber weſentlich erſchwert; deshalb allein, ſo geſtanden Hardenberg und Hum- boldt oftmals, nahmen Preußens Staatsmänner ein Werk an, über deſſen Mängel ſie ſich nicht täuſchten. Preußen trat dem Bunde bei um die Mittelſtaaten an wiederholtem Landesverrathe zu hindern, während dieſe und Oeſterreich in der Bundesverfaſſung nur ein Bollwerk gegen den preußiſchen Ehrgeiz ſahen. Endlich war der Deutſche Bund ſo locker und ohnmächtig, daß er den Staat Friedrichs in ſeiner inneren und äußeren Entwickelung kaum ſtören konnte. Sobald Preußen ſich erſt wieder auf ſich ſelbſt beſann, bot ihm die ſchattenhafte Bundesverfaſſung tauſend Mittel und Wege um die kleinen Staaten durch Sonderbünde an ſich zu ketten und durch die That zu beweiſen, daß Oeſterreich für Deutſchland nichts leiſten, Preußen allein der Sehnſucht der Nation und dem recht verſtandenen Intereſſe der kleinen Höfe ſelber gerecht werden konnte. Und dies bleibt für uns, die wir die abgeſchloſſene Laufbahn überſchauen, der hiſtoriſche Ruhm des Deutſchen Bundes: er beſaß nicht die Kraft, das Erſtarken des einzigen lebendigen deutſchen Staates zu hindern — des Staates, der berufen war dereinſt ihn ſelber zu zerſtören und dieſem unglücklichen Volke eine neue, würdige Ordnung zu ſchenken. —
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II. 1. Der Wiener Congreß.
jedenfalls ehrenhafter und verſtändiger war als alle anderen Wiener Vor-
ſchläge. Die beſtändig wechſelnde Form ihrer Entwürfe war nicht ihre
Schuld, ſondern ergab ſich unvermeidlich aus der Bedrängniß eines aus-
ſichtsloſen Streites wider Gegner, die nicht durch das Wort, ſondern
allein durch den Schlag überzeugt werden konnten. Das Einzige, was
den Beiden zur Laſt fiel, war das argloſe Vertrauen zu den falſchen
Freunden Oeſterreich und Hannover. Aber ſelbſt ein vollkommener
Staatsmann, der von ſolcher Schwäche frei blieb, konnte in dieſem Kriege
nicht ſiegen. Der geſammte Gang der deutſchen Schickſale während der
jüngſten Jahre führte unabwendbar zu der traurigen und doch noth-
wendigen Folge, daß nach Napoleons Fall nicht ſein tapferer Feind
Preußen, ſondern ſein ſchwankender Gegner Oeſterreich und ſeine Bun-
desgenoſſen, die Rheinbündner über die Geſtaltung unſeres Staates ent-
ſchieden.
Selbſt der Czar äußerte ſeinen Unwillen über den kläglichen Aus-
gang, und ſogar Gentz hatte ein ſo lächerliches Machwerk doch nicht er-
wartet. Gleichwohl beſaß die neue Ordnung der deutſchen Dinge drei
folgenſchwere Vorzüge. Die welthiſtoriſchen Wirkungen der Fürſtenrevo-
lution von 1803 blieben unverändert, das fratzenhafte theokratiſche Weſen
kehrte nicht wieder; das neue Deutſchland athmete in der geſunden Luft
weltlichen Staatslebens. Sodann ward durch die Bundesverfaſſung die
Entſtehung eines neuen Rheinbundes zwar keineswegs verhindert aber
weſentlich erſchwert; deshalb allein, ſo geſtanden Hardenberg und Hum-
boldt oftmals, nahmen Preußens Staatsmänner ein Werk an, über deſſen
Mängel ſie ſich nicht täuſchten. Preußen trat dem Bunde bei um die
Mittelſtaaten an wiederholtem Landesverrathe zu hindern, während dieſe
und Oeſterreich in der Bundesverfaſſung nur ein Bollwerk gegen den
preußiſchen Ehrgeiz ſahen. Endlich war der Deutſche Bund ſo locker
und ohnmächtig, daß er den Staat Friedrichs in ſeiner inneren und
äußeren Entwickelung kaum ſtören konnte. Sobald Preußen ſich erſt
wieder auf ſich ſelbſt beſann, bot ihm die ſchattenhafte Bundesverfaſſung
tauſend Mittel und Wege um die kleinen Staaten durch Sonderbünde
an ſich zu ketten und durch die That zu beweiſen, daß Oeſterreich für
Deutſchland nichts leiſten, Preußen allein der Sehnſucht der Nation und
dem recht verſtandenen Intereſſe der kleinen Höfe ſelber gerecht werden
konnte. Und dies bleibt für uns, die wir die abgeſchloſſene Laufbahn
überſchauen, der hiſtoriſche Ruhm des Deutſchen Bundes: er beſaß nicht
die Kraft, das Erſtarken des einzigen lebendigen deutſchen Staates zu
hindern — des Staates, der berufen war dereinſt ihn ſelber zu zerſtören
und dieſem unglücklichen Volke eine neue, würdige Ordnung zu ſchenken. —
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/724>, abgerufen am 25.11.2024.
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