Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Baiern droht auszutreten. Staaten das Gleiche zu thun. Er sagte jedoch keineswegs, wie Preußenverlangt hatte, daß der Bund auch ohne den Beitritt Aller zu Stande kommen werde, sondern stellte Jedem frei zu thun und zu lassen was ihm beliebe. Darauf traten auch Preußen, Hannover, Dänemark, Luxem- burg und einige Kleine bei. Die Meisten gaben nachher wehmüthige schriftliche Erklärungen hinzu. Preußen fügte sich nur, weil es immer noch besser sei "einen unvollkommenen Bund zu schließen als gar keinen", desgleichen Hannover nur weil es "wünschenswerther scheine einen un- vollkommenen Deutschen Bund als keinen einzugehen"; Luxemburg schloß "ein Band, das Zeit, Erfahrung und steigendes Zutrauen erst bessern müssen" -- und was der Klagen mehr war. Aber welch ein Aufruhr in der Versammlung, als Graf Rechberg jetzt trocken erklärte, er sehe sich genöthigt den Beitritt Baierns in diesem Augenblicke noch vorzubehalten! Er machte dann noch einige ernste, geheimnißvolle Andeutungen, woraus Jedermann schließen mußte, der Münchener Hof versage sich dem Bunde. Die Bestürzung war allgemein, und zu allem Unglück beging der gute Gagern noch eine folgenschwere Thorheit. Ohne reichspatriotische Phrasen ging es bei ihm niemals ab; daher fügte er, indem er den Beitritt Luxemburgs erklärte, noch die Bedingung hinzu: der Bund müsse das ganze Deutschland umfassen. Nassau schloß sich wie immer den oranischen Vettern an. Gagerns Vorbehalt entsprang allerdings zum Theil einer foederalistischen Schrulle; denn in einer erläuternden Note bemerkte der luxemburgische Gesandte: da sein König nur die Gesammtheit der deut- schen Staaten als Deutschen Bund gelten lasse, so dürfe die Besatzung der Bundesfestung Luxemburg auch nur vom Bunde, d. h. von allen Staaten abwechselnd gestellt werden. Gleichwohl war die Erklärung des redseligen Phantasten sicherlich nicht bös gemeint. Er ahnte nicht, welches arge Beispiel er gab. Welch eine Verwirrung mußte entstehen, wenn noch mehrere der übrigen Staaten erklärten: wir treten nur bei, falls alle Anderen beitreten! Und so geschah es in der That. Die Entscheidung über Deutschlands Zukunft ward im Submissionswege ausgeboten und schließlich denen zugeschlagen, die das Geringste für das Vaterland leisten wollten. In der Conferenz am 8. Juni, so war beschlossen, sollten die noch *) Humboldt, Entwurf für einen vorläufigen Vertrag zwischen den beitretenden
deutschen Staaten. Baiern droht auszutreten. Staaten das Gleiche zu thun. Er ſagte jedoch keineswegs, wie Preußenverlangt hatte, daß der Bund auch ohne den Beitritt Aller zu Stande kommen werde, ſondern ſtellte Jedem frei zu thun und zu laſſen was ihm beliebe. Darauf traten auch Preußen, Hannover, Dänemark, Luxem- burg und einige Kleine bei. Die Meiſten gaben nachher wehmüthige ſchriftliche Erklärungen hinzu. Preußen fügte ſich nur, weil es immer noch beſſer ſei „einen unvollkommenen Bund zu ſchließen als gar keinen“, desgleichen Hannover nur weil es „wünſchenswerther ſcheine einen un- vollkommenen Deutſchen Bund als keinen einzugehen“; Luxemburg ſchloß „ein Band, das Zeit, Erfahrung und ſteigendes Zutrauen erſt beſſern müſſen“ — und was der Klagen mehr war. Aber welch ein Aufruhr in der Verſammlung, als Graf Rechberg jetzt trocken erklärte, er ſehe ſich genöthigt den Beitritt Baierns in dieſem Augenblicke noch vorzubehalten! Er machte dann noch einige ernſte, geheimnißvolle Andeutungen, woraus Jedermann ſchließen mußte, der Münchener Hof verſage ſich dem Bunde. Die Beſtürzung war allgemein, und zu allem Unglück beging der gute Gagern noch eine folgenſchwere Thorheit. Ohne reichspatriotiſche Phraſen ging es bei ihm niemals ab; daher fügte er, indem er den Beitritt Luxemburgs erklärte, noch die Bedingung hinzu: der Bund müſſe das ganze Deutſchland umfaſſen. Naſſau ſchloß ſich wie immer den oraniſchen Vettern an. Gagerns Vorbehalt entſprang allerdings zum Theil einer foederaliſtiſchen Schrulle; denn in einer erläuternden Note bemerkte der luxemburgiſche Geſandte: da ſein König nur die Geſammtheit der deut- ſchen Staaten als Deutſchen Bund gelten laſſe, ſo dürfe die Beſatzung der Bundesfeſtung Luxemburg auch nur vom Bunde, d. h. von allen Staaten abwechſelnd geſtellt werden. Gleichwohl war die Erklärung des redſeligen Phantaſten ſicherlich nicht bös gemeint. Er ahnte nicht, welches arge Beiſpiel er gab. Welch eine Verwirrung mußte entſtehen, wenn noch mehrere der übrigen Staaten erklärten: wir treten nur bei, falls alle Anderen beitreten! Und ſo geſchah es in der That. Die Entſcheidung über Deutſchlands Zukunft ward im Submiſſionswege ausgeboten und ſchließlich denen zugeſchlagen, die das Geringſte für das Vaterland leiſten wollten. In der Conferenz am 8. Juni, ſo war beſchloſſen, ſollten die noch *) Humboldt, Entwurf für einen vorläufigen Vertrag zwiſchen den beitretenden
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Baiern droht auszutreten.
Staaten das Gleiche zu thun. Er ſagte jedoch keineswegs, wie Preußen
verlangt hatte, daß der Bund auch ohne den Beitritt Aller zu Stande
kommen werde, ſondern ſtellte Jedem frei zu thun und zu laſſen was
ihm beliebe. Darauf traten auch Preußen, Hannover, Dänemark, Luxem-
burg und einige Kleine bei. Die Meiſten gaben nachher wehmüthige
ſchriftliche Erklärungen hinzu. Preußen fügte ſich nur, weil es immer
noch beſſer ſei „einen unvollkommenen Bund zu ſchließen als gar keinen“,
desgleichen Hannover nur weil es „wünſchenswerther ſcheine einen un-
vollkommenen Deutſchen Bund als keinen einzugehen“; Luxemburg ſchloß
„ein Band, das Zeit, Erfahrung und ſteigendes Zutrauen erſt beſſern
müſſen“ — und was der Klagen mehr war. Aber welch ein Aufruhr
in der Verſammlung, als Graf Rechberg jetzt trocken erklärte, er ſehe ſich
genöthigt den Beitritt Baierns in dieſem Augenblicke noch vorzubehalten!
Er machte dann noch einige ernſte, geheimnißvolle Andeutungen, woraus
Jedermann ſchließen mußte, der Münchener Hof verſage ſich dem Bunde.
Die Beſtürzung war allgemein, und zu allem Unglück beging der gute
Gagern noch eine folgenſchwere Thorheit. Ohne reichspatriotiſche Phraſen
ging es bei ihm niemals ab; daher fügte er, indem er den Beitritt
Luxemburgs erklärte, noch die Bedingung hinzu: der Bund müſſe das
ganze Deutſchland umfaſſen. Naſſau ſchloß ſich wie immer den oraniſchen
Vettern an. Gagerns Vorbehalt entſprang allerdings zum Theil einer
foederaliſtiſchen Schrulle; denn in einer erläuternden Note bemerkte der
luxemburgiſche Geſandte: da ſein König nur die Geſammtheit der deut-
ſchen Staaten als Deutſchen Bund gelten laſſe, ſo dürfe die Beſatzung
der Bundesfeſtung Luxemburg auch nur vom Bunde, d. h. von allen
Staaten abwechſelnd geſtellt werden. Gleichwohl war die Erklärung des
redſeligen Phantaſten ſicherlich nicht bös gemeint. Er ahnte nicht, welches
arge Beiſpiel er gab. Welch eine Verwirrung mußte entſtehen, wenn noch
mehrere der übrigen Staaten erklärten: wir treten nur bei, falls alle
Anderen beitreten! Und ſo geſchah es in der That. Die Entſcheidung
über Deutſchlands Zukunft ward im Submiſſionswege ausgeboten und
ſchließlich denen zugeſchlagen, die das Geringſte für das Vaterland leiſten
wollten.
In der Conferenz am 8. Juni, ſo war beſchloſſen, ſollten die noch
ausſtehenden Beitrittserklärungen verleſen und das Werk beendet werden.
Die zwei Tage bis dahin vergingen in banger Aufregung, in peinlicher
Angſt. Graf Rechberg ließ nichts von ſich hören; allgemein ward ver-
ſichert, Baiern trete nicht bei. Selbſt der kaltblütige Humboldt war wie
vernichtet, nach Allem was er in dieſer Geſellſchaft hatte erleben müſſen.
Völlig entmuthigt entwarf er bereits den Plan für einen proviſoriſchen
Bund ohne Baiern. *) Unterdeſſen trug Gagerns Fehler ſeine Früchte.
*) Humboldt, Entwurf für einen vorläufigen Vertrag zwiſchen den beitretenden
deutſchen Staaten.
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