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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Preußische Verordnung über die Volksrepräsentation.
längst gewöhnt, sich durch hochtönende Versprechungen mit den harten
Pflichten des Gesetzgebers abzufinden. Auch der König war seit Ende
1808 für die constitutionellen Gedanken gewonnen und wünschte seinem
treuen Volke sogleich ein Zeichen dankbaren Vertrauens zu geben. Aber
mit welcher frevelhaften Fahrlässigkeit ging der Staatskanzler wieder zu
Werke! Er ließ den König versprechen, daß die Provinzialstände wieder-
hergestellt oder, wo sie nicht mehr beständen, neu eingeführt werden und
aus ihnen durch Wahl die allgemeine Landesrepräsentation hervorgehen
solle. So band er der absoluten Krone im Voraus die Hände, und dies
in einem Augenblicke, da er selber über die provinzialständischen Rechte
jenes bunten Ländergemischs, das in den preußischen Staat neu eintrat,
nicht einmal oberflächlich unterrichtet war! Die öffentliche Meinung, dank-
bar für Alles was freisinnig hieß, nahm die königliche Verheißung mit
heller Freude auf, vornehmlich gefiel ihr die der Modeansicht entsprechende
Zusage einer schriftlichen Verfassungsurkunde. Bald genug sollte sich
herausstellen, daß Hardenberg einen schweren politischen Fehler begangen,
daß er das Unmögliche versprochen hatte. --

Dem tragischen Niedergange unserer vaterländischen Hoffnungen
durfte auch der Humor nicht fehlen. Das durch sieben Monate ver-
schleppte deutsche Verfassungswerk mußte zuletzt in athemloser, unbedachter
Hast übers Knie gebrochen werden. Als die so oft verheißenen Berathun-
gen Aller endlich eröffnet wurden, da hatte Gentz die Redaction der Schluß-
acte des Congresses schon nahezu beendigt; es galt zu eilen, wenn die
deutsche Bundesacte darin noch Platz finden sollte. So wurde denn
zwischen dem 23. Mai und dem 10. Juni, in elf kurzen Conferenzen,
wovon zwei nur den Ceremonien der Eröffnung und des Schlusses galten,
die schwerste aller europäischen Fragen abgethan. Frivoler ward niemals
mit dem Schicksal eines großen Volks gespielt. Bei der Eröffnung fehlte
Württemberg. Freiherr von Linden entschuldigte sein Ausbleiben in einem
französischen Billet mit einer Landpartie, sein Amtsgenosse Wintzingerode
schützte Unpäßlichkeit vor, und auch allen folgenden Sitzungen blieben die
Württemberger fern. Für die bereits abgereisten badischen Minister war
zwar ein Stellvertreter anwesend, er hatte jedoch keine Vollmacht und
erklärte nach einigen Tagen seinen Austritt. Die Uebrigen erschienen.
Die Kleinstaaten waren Anfangs nur durch fünf Bevollmächtigte vertreten,
setzten aber durch, daß von der dritten Sitzung an jeder Staat seinen
eigenen Vertreter sendete.

Am 26. Mai begann die eigentliche Berathung. Baiern verlangte
sogleich, gegen den lebhaften Widerspruch der Preußen, daß der Ausdruck
"souveräne" Fürsten in den Eingang der Bundesacte aufgenommen werde.
Als man sodann den Entwurf im Einzelnen durchging, da erhob sich
bei jedem Artikel ein so heilloser Wirrwarr grundverschiedener Forderungen,
und auf dem Tische des Vorsitzenden häufte sich ein solcher Berg von

Preußiſche Verordnung über die Volksrepräſentation.
längſt gewöhnt, ſich durch hochtönende Verſprechungen mit den harten
Pflichten des Geſetzgebers abzufinden. Auch der König war ſeit Ende
1808 für die conſtitutionellen Gedanken gewonnen und wünſchte ſeinem
treuen Volke ſogleich ein Zeichen dankbaren Vertrauens zu geben. Aber
mit welcher frevelhaften Fahrläſſigkeit ging der Staatskanzler wieder zu
Werke! Er ließ den König verſprechen, daß die Provinzialſtände wieder-
hergeſtellt oder, wo ſie nicht mehr beſtänden, neu eingeführt werden und
aus ihnen durch Wahl die allgemeine Landesrepräſentation hervorgehen
ſolle. So band er der abſoluten Krone im Voraus die Hände, und dies
in einem Augenblicke, da er ſelber über die provinzialſtändiſchen Rechte
jenes bunten Ländergemiſchs, das in den preußiſchen Staat neu eintrat,
nicht einmal oberflächlich unterrichtet war! Die öffentliche Meinung, dank-
bar für Alles was freiſinnig hieß, nahm die königliche Verheißung mit
heller Freude auf, vornehmlich gefiel ihr die der Modeanſicht entſprechende
Zuſage einer ſchriftlichen Verfaſſungsurkunde. Bald genug ſollte ſich
herausſtellen, daß Hardenberg einen ſchweren politiſchen Fehler begangen,
daß er das Unmögliche verſprochen hatte. —

Dem tragiſchen Niedergange unſerer vaterländiſchen Hoffnungen
durfte auch der Humor nicht fehlen. Das durch ſieben Monate ver-
ſchleppte deutſche Verfaſſungswerk mußte zuletzt in athemloſer, unbedachter
Haſt übers Knie gebrochen werden. Als die ſo oft verheißenen Berathun-
gen Aller endlich eröffnet wurden, da hatte Gentz die Redaction der Schluß-
acte des Congreſſes ſchon nahezu beendigt; es galt zu eilen, wenn die
deutſche Bundesacte darin noch Platz finden ſollte. So wurde denn
zwiſchen dem 23. Mai und dem 10. Juni, in elf kurzen Conferenzen,
wovon zwei nur den Ceremonien der Eröffnung und des Schluſſes galten,
die ſchwerſte aller europäiſchen Fragen abgethan. Frivoler ward niemals
mit dem Schickſal eines großen Volks geſpielt. Bei der Eröffnung fehlte
Württemberg. Freiherr von Linden entſchuldigte ſein Ausbleiben in einem
franzöſiſchen Billet mit einer Landpartie, ſein Amtsgenoſſe Wintzingerode
ſchützte Unpäßlichkeit vor, und auch allen folgenden Sitzungen blieben die
Württemberger fern. Für die bereits abgereiſten badiſchen Miniſter war
zwar ein Stellvertreter anweſend, er hatte jedoch keine Vollmacht und
erklärte nach einigen Tagen ſeinen Austritt. Die Uebrigen erſchienen.
Die Kleinſtaaten waren Anfangs nur durch fünf Bevollmächtigte vertreten,
ſetzten aber durch, daß von der dritten Sitzung an jeder Staat ſeinen
eigenen Vertreter ſendete.

Am 26. Mai begann die eigentliche Berathung. Baiern verlangte
ſogleich, gegen den lebhaften Widerſpruch der Preußen, daß der Ausdruck
„ſouveräne“ Fürſten in den Eingang der Bundesacte aufgenommen werde.
Als man ſodann den Entwurf im Einzelnen durchging, da erhob ſich
bei jedem Artikel ein ſo heilloſer Wirrwarr grundverſchiedener Forderungen,
und auf dem Tiſche des Vorſitzenden häufte ſich ein ſolcher Berg von

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[697/0713] Preußiſche Verordnung über die Volksrepräſentation. längſt gewöhnt, ſich durch hochtönende Verſprechungen mit den harten Pflichten des Geſetzgebers abzufinden. Auch der König war ſeit Ende 1808 für die conſtitutionellen Gedanken gewonnen und wünſchte ſeinem treuen Volke ſogleich ein Zeichen dankbaren Vertrauens zu geben. Aber mit welcher frevelhaften Fahrläſſigkeit ging der Staatskanzler wieder zu Werke! Er ließ den König verſprechen, daß die Provinzialſtände wieder- hergeſtellt oder, wo ſie nicht mehr beſtänden, neu eingeführt werden und aus ihnen durch Wahl die allgemeine Landesrepräſentation hervorgehen ſolle. So band er der abſoluten Krone im Voraus die Hände, und dies in einem Augenblicke, da er ſelber über die provinzialſtändiſchen Rechte jenes bunten Ländergemiſchs, das in den preußiſchen Staat neu eintrat, nicht einmal oberflächlich unterrichtet war! Die öffentliche Meinung, dank- bar für Alles was freiſinnig hieß, nahm die königliche Verheißung mit heller Freude auf, vornehmlich gefiel ihr die der Modeanſicht entſprechende Zuſage einer ſchriftlichen Verfaſſungsurkunde. Bald genug ſollte ſich herausſtellen, daß Hardenberg einen ſchweren politiſchen Fehler begangen, daß er das Unmögliche verſprochen hatte. — Dem tragiſchen Niedergange unſerer vaterländiſchen Hoffnungen durfte auch der Humor nicht fehlen. Das durch ſieben Monate ver- ſchleppte deutſche Verfaſſungswerk mußte zuletzt in athemloſer, unbedachter Haſt übers Knie gebrochen werden. Als die ſo oft verheißenen Berathun- gen Aller endlich eröffnet wurden, da hatte Gentz die Redaction der Schluß- acte des Congreſſes ſchon nahezu beendigt; es galt zu eilen, wenn die deutſche Bundesacte darin noch Platz finden ſollte. So wurde denn zwiſchen dem 23. Mai und dem 10. Juni, in elf kurzen Conferenzen, wovon zwei nur den Ceremonien der Eröffnung und des Schluſſes galten, die ſchwerſte aller europäiſchen Fragen abgethan. Frivoler ward niemals mit dem Schickſal eines großen Volks geſpielt. Bei der Eröffnung fehlte Württemberg. Freiherr von Linden entſchuldigte ſein Ausbleiben in einem franzöſiſchen Billet mit einer Landpartie, ſein Amtsgenoſſe Wintzingerode ſchützte Unpäßlichkeit vor, und auch allen folgenden Sitzungen blieben die Württemberger fern. Für die bereits abgereiſten badiſchen Miniſter war zwar ein Stellvertreter anweſend, er hatte jedoch keine Vollmacht und erklärte nach einigen Tagen ſeinen Austritt. Die Uebrigen erſchienen. Die Kleinſtaaten waren Anfangs nur durch fünf Bevollmächtigte vertreten, ſetzten aber durch, daß von der dritten Sitzung an jeder Staat ſeinen eigenen Vertreter ſendete. Am 26. Mai begann die eigentliche Berathung. Baiern verlangte ſogleich, gegen den lebhaften Widerſpruch der Preußen, daß der Ausdruck „ſouveräne“ Fürſten in den Eingang der Bundesacte aufgenommen werde. Als man ſodann den Entwurf im Einzelnen durchging, da erhob ſich bei jedem Artikel ein ſo heilloſer Wirrwarr grundverſchiedener Forderungen, und auf dem Tiſche des Vorſitzenden häufte ſich ein ſolcher Berg von

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/713>, abgerufen am 22.11.2024.