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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Wessenbergs Entwurf.
fahrt "sorgen" werde. -- Hier endlich bekannte die Hofburg Farbe; jene
Zwölf Artikel hatte sie im October nur deshalb angenommen, weil sie da-
mals Preußen noch bei guter Stimmung erhalten wollte. Metternichs wirk-
liche Meinung ging jetzt, wie schon in Teplitz, dahin, daß die Souveränität
der deutschen Staaten nur so weit beschränkt werden dürfe als erforderlich
war um die europäische Stellung des Hauses Oesterreich einigermaßen
sicher zu stellen. Von den drei Punkten, welche Preußen als die Funda-
mente der Bundesverfassung ansah, war der eine, das Bundesgericht,
in dem Wessenbergischen Plane gänzlich beseitigt; über die anderen beiden,
Kriegsgewalt und Landstände, schlüpfte der Vertraute Metternichs mit
einigen allgemeinen Redensarten hinweg. So weit gingen die Absichten
jener beiden Mächte auseinander, deren Interessen Hardenberg für har-
monisch hielt.

Die Wessenbergische Arbeit konnte ruhig ihrer Stunde harren, grade
weil sie der leerste und farbloseste von allen den bisherigen Entwürfen
war; sie wurde die Grundlage der deutschen Bundesverfassung, das Ei,
woraus der Kukuk des Frankfurter Bundestages auskroch. Vorderhand
hütete sich Metternich weislich das Werk seines Geheimen Raths schon
jetzt förmlich als k. k. Gegenentwurf vorzulegen, er begnügte sich die
beiden Pläne Humboldts für unausführbar zu erklären. Da die beiden
Vormächte sich über eine Vorlage nicht einigten, so konnten auch die ver-
heißenen Berathungen Aller nicht beginnen.

Um die Verwirrung zu vollenden warf jetzt Stein noch einen neuen
Zankapfel unter die Hadernden. Der Reichsritter konnte sich von dem
schönen Kaisertraume so schnell nicht trennen, allzu tief waren ihm die
grandiosen Bilder der Stauferzeiten ins treue Herz gegraben. Sobald er
gewahr wurde, daß auch die Kleinstaaten, mit den Lippen mindestens, die
Herstellung der Kaiserkrone forderten, nahm er seine Teplitzer Pläne wie-
der auf, und es gelang ihm diesmal sogar den Czaren zu überzeugen.
Alexander hatte aus den widrigen Erfahrungen der jüngsten Wochen ge-
lernt, wie leicht sich eine österreichisch-französische Allianz gegen Rußland
und Preußen bilden konnte, und gab sich der Hoffnung hin, der Besitz
der deutschen Kaiserkrone würde, wie vor Alters, der Hofburg die Annähe-
rung an die Tuilerien erschweren. Doch verfuhr er auch jetzt, wie immer
während des Wiener Congresses, als ein zuverlässiger Freund König
Friedrich Wilhelms und wollte den Kaiserplan nur dann unterstützen,
wenn Preußen von freien Stücken zustimme. So begann denn seit dem
9. Februar, zu Hardenbergs bitterem Aerger, ein lebhafter Notenwechsel
zwischen Stein und Kapodistrias einerseits, Humboldt andererseits. Aber-
mals führte Stein, wie einst in Teplitz, den verzwickten Gedanken aus:
weil Oesterreich kein rein deutscher Staat sei, darum müsse der Kaiser-
staat durch ein künstliches verfassungsmäßiges Band an Deutschland ange-
schlossen werden. Mit unbestreitbaren Gründen zeigten der Reichsritter

Weſſenbergs Entwurf.
fahrt „ſorgen“ werde. — Hier endlich bekannte die Hofburg Farbe; jene
Zwölf Artikel hatte ſie im October nur deshalb angenommen, weil ſie da-
mals Preußen noch bei guter Stimmung erhalten wollte. Metternichs wirk-
liche Meinung ging jetzt, wie ſchon in Teplitz, dahin, daß die Souveränität
der deutſchen Staaten nur ſo weit beſchränkt werden dürfe als erforderlich
war um die europäiſche Stellung des Hauſes Oeſterreich einigermaßen
ſicher zu ſtellen. Von den drei Punkten, welche Preußen als die Funda-
mente der Bundesverfaſſung anſah, war der eine, das Bundesgericht,
in dem Weſſenbergiſchen Plane gänzlich beſeitigt; über die anderen beiden,
Kriegsgewalt und Landſtände, ſchlüpfte der Vertraute Metternichs mit
einigen allgemeinen Redensarten hinweg. So weit gingen die Abſichten
jener beiden Mächte auseinander, deren Intereſſen Hardenberg für har-
moniſch hielt.

Die Weſſenbergiſche Arbeit konnte ruhig ihrer Stunde harren, grade
weil ſie der leerſte und farbloſeſte von allen den bisherigen Entwürfen
war; ſie wurde die Grundlage der deutſchen Bundesverfaſſung, das Ei,
woraus der Kukuk des Frankfurter Bundestages auskroch. Vorderhand
hütete ſich Metternich weislich das Werk ſeines Geheimen Raths ſchon
jetzt förmlich als k. k. Gegenentwurf vorzulegen, er begnügte ſich die
beiden Pläne Humboldts für unausführbar zu erklären. Da die beiden
Vormächte ſich über eine Vorlage nicht einigten, ſo konnten auch die ver-
heißenen Berathungen Aller nicht beginnen.

Um die Verwirrung zu vollenden warf jetzt Stein noch einen neuen
Zankapfel unter die Hadernden. Der Reichsritter konnte ſich von dem
ſchönen Kaiſertraume ſo ſchnell nicht trennen, allzu tief waren ihm die
grandioſen Bilder der Stauferzeiten ins treue Herz gegraben. Sobald er
gewahr wurde, daß auch die Kleinſtaaten, mit den Lippen mindeſtens, die
Herſtellung der Kaiſerkrone forderten, nahm er ſeine Teplitzer Pläne wie-
der auf, und es gelang ihm diesmal ſogar den Czaren zu überzeugen.
Alexander hatte aus den widrigen Erfahrungen der jüngſten Wochen ge-
lernt, wie leicht ſich eine öſterreichiſch-franzöſiſche Allianz gegen Rußland
und Preußen bilden konnte, und gab ſich der Hoffnung hin, der Beſitz
der deutſchen Kaiſerkrone würde, wie vor Alters, der Hofburg die Annähe-
rung an die Tuilerien erſchweren. Doch verfuhr er auch jetzt, wie immer
während des Wiener Congreſſes, als ein zuverläſſiger Freund König
Friedrich Wilhelms und wollte den Kaiſerplan nur dann unterſtützen,
wenn Preußen von freien Stücken zuſtimme. So begann denn ſeit dem
9. Februar, zu Hardenbergs bitterem Aerger, ein lebhafter Notenwechſel
zwiſchen Stein und Kapodiſtrias einerſeits, Humboldt andererſeits. Aber-
mals führte Stein, wie einſt in Teplitz, den verzwickten Gedanken aus:
weil Oeſterreich kein rein deutſcher Staat ſei, darum müſſe der Kaiſer-
ſtaat durch ein künſtliches verfaſſungsmäßiges Band an Deutſchland ange-
ſchloſſen werden. Mit unbeſtreitbaren Gründen zeigten der Reichsritter

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[693/0709] Weſſenbergs Entwurf. fahrt „ſorgen“ werde. — Hier endlich bekannte die Hofburg Farbe; jene Zwölf Artikel hatte ſie im October nur deshalb angenommen, weil ſie da- mals Preußen noch bei guter Stimmung erhalten wollte. Metternichs wirk- liche Meinung ging jetzt, wie ſchon in Teplitz, dahin, daß die Souveränität der deutſchen Staaten nur ſo weit beſchränkt werden dürfe als erforderlich war um die europäiſche Stellung des Hauſes Oeſterreich einigermaßen ſicher zu ſtellen. Von den drei Punkten, welche Preußen als die Funda- mente der Bundesverfaſſung anſah, war der eine, das Bundesgericht, in dem Weſſenbergiſchen Plane gänzlich beſeitigt; über die anderen beiden, Kriegsgewalt und Landſtände, ſchlüpfte der Vertraute Metternichs mit einigen allgemeinen Redensarten hinweg. So weit gingen die Abſichten jener beiden Mächte auseinander, deren Intereſſen Hardenberg für har- moniſch hielt. Die Weſſenbergiſche Arbeit konnte ruhig ihrer Stunde harren, grade weil ſie der leerſte und farbloſeſte von allen den bisherigen Entwürfen war; ſie wurde die Grundlage der deutſchen Bundesverfaſſung, das Ei, woraus der Kukuk des Frankfurter Bundestages auskroch. Vorderhand hütete ſich Metternich weislich das Werk ſeines Geheimen Raths ſchon jetzt förmlich als k. k. Gegenentwurf vorzulegen, er begnügte ſich die beiden Pläne Humboldts für unausführbar zu erklären. Da die beiden Vormächte ſich über eine Vorlage nicht einigten, ſo konnten auch die ver- heißenen Berathungen Aller nicht beginnen. Um die Verwirrung zu vollenden warf jetzt Stein noch einen neuen Zankapfel unter die Hadernden. Der Reichsritter konnte ſich von dem ſchönen Kaiſertraume ſo ſchnell nicht trennen, allzu tief waren ihm die grandioſen Bilder der Stauferzeiten ins treue Herz gegraben. Sobald er gewahr wurde, daß auch die Kleinſtaaten, mit den Lippen mindeſtens, die Herſtellung der Kaiſerkrone forderten, nahm er ſeine Teplitzer Pläne wie- der auf, und es gelang ihm diesmal ſogar den Czaren zu überzeugen. Alexander hatte aus den widrigen Erfahrungen der jüngſten Wochen ge- lernt, wie leicht ſich eine öſterreichiſch-franzöſiſche Allianz gegen Rußland und Preußen bilden konnte, und gab ſich der Hoffnung hin, der Beſitz der deutſchen Kaiſerkrone würde, wie vor Alters, der Hofburg die Annähe- rung an die Tuilerien erſchweren. Doch verfuhr er auch jetzt, wie immer während des Wiener Congreſſes, als ein zuverläſſiger Freund König Friedrich Wilhelms und wollte den Kaiſerplan nur dann unterſtützen, wenn Preußen von freien Stücken zuſtimme. So begann denn ſeit dem 9. Februar, zu Hardenbergs bitterem Aerger, ein lebhafter Notenwechſel zwiſchen Stein und Kapodiſtrias einerſeits, Humboldt andererſeits. Aber- mals führte Stein, wie einſt in Teplitz, den verzwickten Gedanken aus: weil Oeſterreich kein rein deutſcher Staat ſei, darum müſſe der Kaiſer- ſtaat durch ein künſtliches verfaſſungsmäßiges Band an Deutſchland ange- ſchloſſen werden. Mit unbeſtreitbaren Gründen zeigten der Reichsritter

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/709>, abgerufen am 22.11.2024.