I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
beengt ihn nicht in der Freiheit seiner europäischen Politik, sie gewährt ihm das Recht einzugreifen in die Geschicke des Reichs, darum will er den Fuß im Bügel des deutschen Rosses behalten. Noch weniger kommt ihm bei, selber nach der Kaiserkrone zu greifen. Seit den Weissagungen der Hofastrologen des großen Kurfürsten blieb in der Umgebung der Hohen- zollern immer die dunkle Ahnung lebendig, daß diesem Hause bestimmt sei dereinst noch Scepter und Schwert vom heiligen Reiche zu tragen; die Heißsporne Leopold von Dessau und Winterfeldt vermaßen sich zu- weilen ihren königlichen Helden als den deutschen Augustus zu begrüßen. Der aber wußte, daß sein weltlicher Staat die römische Krone nicht tragen konnte, daß sie den Emporkömmling unter den Mächten in aussichts- lose Händel verwickeln mußte, und meinte trocken: "für uns wäre sie nur eine Fessel."
Als er kaum den Thron bestiegen, trat jene große Wendung der deutschen Geschicke ein, welche schon Pufendorfs Seherblick als die ein- zig mögliche Gelegenheit zu einer durchgreifenden Reichsreform bezeichnet hatte. Das alte Kaiserhaus starb aus, und vor den flammenden Blicken des jungen Königs, der die einzige fest geordnete Kriegsmacht Deutsch- lands in seinen Händen hielt, erschloß sich eine Welt von lockenden Aus- sichten, die einen minder tiefen, minder gesammelten Geist zu über- schwänglichen Träumen begeistern mußte. Friedrich fühlte lebhaft den schweren Ernst der Stunde; "Tag und Nacht, so gestand er, liegt mir das Schicksal des Reichs auf dem Herzen, ich allein kann und soll es jetzt aufrecht halten." Das stand ihm fest, daß dieser große Augenblick nicht verfliegen durfte, ohne dem preußischen Staate die volle Freiheit der Bewegung, einen Platz im Rathe der großen Mächte zu schenken; doch er ahnte auch, wie unberechenbar, bei der Begehrlichkeit der aus- ländischen Nachbarn, bei der rathlosen Zwietracht des Reichs, die Lage Deutschlands sich verwirren mußte, sobald die Monarchie der Habsburger in Trümmer fiel. Darum will er Oesterreich schonen und begnügt sich aus der Masse der längst bedachtsam erwogenen alten Ansprüche seines Hauses den einen wichtigsten hervorzuholen. Allein, ohne die lauernden fremden Mächte nur eines Wortes zu würdigen, in überwältigendem Ansturm bricht er in Schlesien ein. Das an die feierlichen Bedenken und Gegenbedenken seiner Reichsjuristen gewöhnte Deutschland empfängt mit Erstaunen und Entrüstung die Lehre, daß die Rechte der Staaten nur durch die lebendige Macht behauptet werden. Dann erbietet sich der Eroberer, dem Gemahl Maria Theresias die Kaiserkrone zu verschaffen und für den Bestand Oesterreichs gegen Frankreich zu fechten. Erst der Widerstand der Hofburg treibt ihn weiter, zu umfassenden Plänen der Reichsreform, die an Waldecks verwegene Träume erinnern.
Nicht Friedrich hat den deutschen Dualismus geschaffen, wie Mit- und Nachwelt ihm vorwarf; der Dualismus bestand seit Karl V., und
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
beengt ihn nicht in der Freiheit ſeiner europäiſchen Politik, ſie gewährt ihm das Recht einzugreifen in die Geſchicke des Reichs, darum will er den Fuß im Bügel des deutſchen Roſſes behalten. Noch weniger kommt ihm bei, ſelber nach der Kaiſerkrone zu greifen. Seit den Weiſſagungen der Hofaſtrologen des großen Kurfürſten blieb in der Umgebung der Hohen- zollern immer die dunkle Ahnung lebendig, daß dieſem Hauſe beſtimmt ſei dereinſt noch Scepter und Schwert vom heiligen Reiche zu tragen; die Heißſporne Leopold von Deſſau und Winterfeldt vermaßen ſich zu- weilen ihren königlichen Helden als den deutſchen Auguſtus zu begrüßen. Der aber wußte, daß ſein weltlicher Staat die römiſche Krone nicht tragen konnte, daß ſie den Emporkömmling unter den Mächten in ausſichts- loſe Händel verwickeln mußte, und meinte trocken: „für uns wäre ſie nur eine Feſſel.“
Als er kaum den Thron beſtiegen, trat jene große Wendung der deutſchen Geſchicke ein, welche ſchon Pufendorfs Seherblick als die ein- zig mögliche Gelegenheit zu einer durchgreifenden Reichsreform bezeichnet hatte. Das alte Kaiſerhaus ſtarb aus, und vor den flammenden Blicken des jungen Königs, der die einzige feſt geordnete Kriegsmacht Deutſch- lands in ſeinen Händen hielt, erſchloß ſich eine Welt von lockenden Aus- ſichten, die einen minder tiefen, minder geſammelten Geiſt zu über- ſchwänglichen Träumen begeiſtern mußte. Friedrich fühlte lebhaft den ſchweren Ernſt der Stunde; „Tag und Nacht, ſo geſtand er, liegt mir das Schickſal des Reichs auf dem Herzen, ich allein kann und ſoll es jetzt aufrecht halten.“ Das ſtand ihm feſt, daß dieſer große Augenblick nicht verfliegen durfte, ohne dem preußiſchen Staate die volle Freiheit der Bewegung, einen Platz im Rathe der großen Mächte zu ſchenken; doch er ahnte auch, wie unberechenbar, bei der Begehrlichkeit der aus- ländiſchen Nachbarn, bei der rathloſen Zwietracht des Reichs, die Lage Deutſchlands ſich verwirren mußte, ſobald die Monarchie der Habsburger in Trümmer fiel. Darum will er Oeſterreich ſchonen und begnügt ſich aus der Maſſe der längſt bedachtſam erwogenen alten Anſprüche ſeines Hauſes den einen wichtigſten hervorzuholen. Allein, ohne die lauernden fremden Mächte nur eines Wortes zu würdigen, in überwältigendem Anſturm bricht er in Schleſien ein. Das an die feierlichen Bedenken und Gegenbedenken ſeiner Reichsjuriſten gewöhnte Deutſchland empfängt mit Erſtaunen und Entrüſtung die Lehre, daß die Rechte der Staaten nur durch die lebendige Macht behauptet werden. Dann erbietet ſich der Eroberer, dem Gemahl Maria Thereſias die Kaiſerkrone zu verſchaffen und für den Beſtand Oeſterreichs gegen Frankreich zu fechten. Erſt der Widerſtand der Hofburg treibt ihn weiter, zu umfaſſenden Plänen der Reichsreform, die an Waldecks verwegene Träume erinnern.
Nicht Friedrich hat den deutſchen Dualismus geſchaffen, wie Mit- und Nachwelt ihm vorwarf; der Dualismus beſtand ſeit Karl V., und
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
beengt ihn nicht in der Freiheit ſeiner europäiſchen Politik, ſie gewährt
ihm das Recht einzugreifen in die Geſchicke des Reichs, darum will er
den Fuß im Bügel des deutſchen Roſſes behalten. Noch weniger kommt
ihm bei, ſelber nach der Kaiſerkrone zu greifen. Seit den Weiſſagungen der
Hofaſtrologen des großen Kurfürſten blieb in der Umgebung der Hohen-
zollern immer die dunkle Ahnung lebendig, daß dieſem Hauſe beſtimmt
ſei dereinſt noch Scepter und Schwert vom heiligen Reiche zu tragen;
die Heißſporne Leopold von Deſſau und Winterfeldt vermaßen ſich zu-
weilen ihren königlichen Helden als den deutſchen Auguſtus zu begrüßen.
Der aber wußte, daß ſein weltlicher Staat die römiſche Krone nicht
tragen konnte, daß ſie den Emporkömmling unter den Mächten in ausſichts-
loſe Händel verwickeln mußte, und meinte trocken: „für uns wäre ſie
nur eine Feſſel.“
Als er kaum den Thron beſtiegen, trat jene große Wendung der
deutſchen Geſchicke ein, welche ſchon Pufendorfs Seherblick als die ein-
zig mögliche Gelegenheit zu einer durchgreifenden Reichsreform bezeichnet
hatte. Das alte Kaiſerhaus ſtarb aus, und vor den flammenden Blicken
des jungen Königs, der die einzige feſt geordnete Kriegsmacht Deutſch-
lands in ſeinen Händen hielt, erſchloß ſich eine Welt von lockenden Aus-
ſichten, die einen minder tiefen, minder geſammelten Geiſt zu über-
ſchwänglichen Träumen begeiſtern mußte. Friedrich fühlte lebhaft den
ſchweren Ernſt der Stunde; „Tag und Nacht, ſo geſtand er, liegt mir
das Schickſal des Reichs auf dem Herzen, ich allein kann und ſoll es
jetzt aufrecht halten.“ Das ſtand ihm feſt, daß dieſer große Augenblick
nicht verfliegen durfte, ohne dem preußiſchen Staate die volle Freiheit
der Bewegung, einen Platz im Rathe der großen Mächte zu ſchenken;
doch er ahnte auch, wie unberechenbar, bei der Begehrlichkeit der aus-
ländiſchen Nachbarn, bei der rathloſen Zwietracht des Reichs, die Lage
Deutſchlands ſich verwirren mußte, ſobald die Monarchie der Habsburger
in Trümmer fiel. Darum will er Oeſterreich ſchonen und begnügt ſich
aus der Maſſe der längſt bedachtſam erwogenen alten Anſprüche ſeines
Hauſes den einen wichtigſten hervorzuholen. Allein, ohne die lauernden
fremden Mächte nur eines Wortes zu würdigen, in überwältigendem
Anſturm bricht er in Schleſien ein. Das an die feierlichen Bedenken
und Gegenbedenken ſeiner Reichsjuriſten gewöhnte Deutſchland empfängt
mit Erſtaunen und Entrüſtung die Lehre, daß die Rechte der Staaten
nur durch die lebendige Macht behauptet werden. Dann erbietet ſich der
Eroberer, dem Gemahl Maria Thereſias die Kaiſerkrone zu verſchaffen
und für den Beſtand Oeſterreichs gegen Frankreich zu fechten. Erſt der
Widerſtand der Hofburg treibt ihn weiter, zu umfaſſenden Plänen der
Reichsreform, die an Waldecks verwegene Träume erinnern.
Nicht Friedrich hat den deutſchen Dualismus geſchaffen, wie Mit-
und Nachwelt ihm vorwarf; der Dualismus beſtand ſeit Karl V., und
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/70>, abgerufen am 22.11.2024.
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