schaft, alle Ausdauer gegenüber einer Aufgabe, die schon völlig unlösbar geworden war durch den Dualismus der Großmächte, durch den bösen Willen der Rheinbundshöfe und nicht am Wenigsten durch die allgemeine, auch von Stein selber getheilte politische Unklarheit der Zeit?
Sobald der Reichsritter sich überzeugte, daß Oesterreich die Wieder- annahme der Kaiserwürde hartnäckig abwies, ließ er seine Teplitzer Pläne fallen und arbeitete, noch in Chaumont am 10. März 1814, einen neuen Bundesentwurf aus, welcher die executive Gewalt den vier größten deut- schen Staaten zuwies. Sein Augenmerk war jetzt vornehmlich auf die Beschränkung des "Sultanismus" der kleinen Despoten gerichtet; darum Grundrechte, "Rechte der Deutschheit," von Bundeswegen jedem Deutschen gewährleistet, und ein aus Abgeordneten der Fürsten und der Landtage gemischter Bundestag. Im nächsten Sommer ward dieser Entwurf von Neuem umgestaltet und im Juli, bei einer Zusammenkunft in Frankfurt, mit dem Staatskanzler und dem Grafen Solms-Laubach eingehend be- rathen. Widerstrebend ergab sich der Freiherr jetzt darein, die Abgeord- neten der Landtage aus dem Bundestage auszuschließen; bildet man den Bundestag allein aus Fürsten, meinte er bitter, so vertraut man den Schutz der landständischen Rechte gerade denen an, welche ein Interesse haben sie zu untergraben! Aber die Unmöglichkeit, bei Oesterreich und den Rheinbundshöfen ein deutsches Parlament durchzusetzen sprang in die Augen, desgleichen die unbehilfliche Schwerfälligkeit einer allzu zahl- reichen Bundesversammlung ohne Haupt; auch schien es bei der Macht, welche die Landesherren besaßen, in der That unziemlich, ihre Vertreter unter der Ueberzahl der Volksabgeordneten verschwinden zu lassen. Der so naheliegende Gedanke, ein Staatenhaus für die Fürsten, ein Volkshaus für die Vertreter der Nation zu bilden, tauchte noch nirgends auf; um die Verfassung der nordamerikanischen Union hatte sich noch Niemand in Deutschland ernstlich bekümmert.
Den also umgebildeten Entwurf legte Hardenberg im September, gleich nach seiner Ankunft in Wien, dem österreichischen Minister vor, und seltsam genug war das Werk gerathen. Wie wunderlich hatten sich doch diese wohlmeinenden norddeutschen Patrioten gedreht und gewendet um die Quadratur des Cirkels zu finden und das kaum halbdeutsche Oester- reich mit dem eigentlichen Deutschland unter einen Hut zu bringen. Sie erkannten richtig, daß Oesterreich sich einer irgend kraftvollen Bundesge- walt nicht fügen konnte; jedoch da sie von der völligen Gleichheit Oester- reichs und Preußens wie von einem unantastbaren Glaubenssatze aus- gingen, so verlangten sie für das Haus Lothringen nicht jene privilegirte Sonderstellung zurück, welche die kaiserlichen Erblande im alten Reiche seit Jahrhunderten eingenommen hatten, sondern schlugen vor: Oesterreich solle nur mit den Ländern westlich des Inns, Preußen nur mit den Pro- vinzen links der Elbe in den engeren Bund eintreten, beide Mächte aber
Steins erſte Bundespläne.
ſchaft, alle Ausdauer gegenüber einer Aufgabe, die ſchon völlig unlösbar geworden war durch den Dualismus der Großmächte, durch den böſen Willen der Rheinbundshöfe und nicht am Wenigſten durch die allgemeine, auch von Stein ſelber getheilte politiſche Unklarheit der Zeit?
Sobald der Reichsritter ſich überzeugte, daß Oeſterreich die Wieder- annahme der Kaiſerwürde hartnäckig abwies, ließ er ſeine Teplitzer Pläne fallen und arbeitete, noch in Chaumont am 10. März 1814, einen neuen Bundesentwurf aus, welcher die executive Gewalt den vier größten deut- ſchen Staaten zuwies. Sein Augenmerk war jetzt vornehmlich auf die Beſchränkung des „Sultanismus“ der kleinen Despoten gerichtet; darum Grundrechte, „Rechte der Deutſchheit,“ von Bundeswegen jedem Deutſchen gewährleiſtet, und ein aus Abgeordneten der Fürſten und der Landtage gemiſchter Bundestag. Im nächſten Sommer ward dieſer Entwurf von Neuem umgeſtaltet und im Juli, bei einer Zuſammenkunft in Frankfurt, mit dem Staatskanzler und dem Grafen Solms-Laubach eingehend be- rathen. Widerſtrebend ergab ſich der Freiherr jetzt darein, die Abgeord- neten der Landtage aus dem Bundestage auszuſchließen; bildet man den Bundestag allein aus Fürſten, meinte er bitter, ſo vertraut man den Schutz der landſtändiſchen Rechte gerade denen an, welche ein Intereſſe haben ſie zu untergraben! Aber die Unmöglichkeit, bei Oeſterreich und den Rheinbundshöfen ein deutſches Parlament durchzuſetzen ſprang in die Augen, desgleichen die unbehilfliche Schwerfälligkeit einer allzu zahl- reichen Bundesverſammlung ohne Haupt; auch ſchien es bei der Macht, welche die Landesherren beſaßen, in der That unziemlich, ihre Vertreter unter der Ueberzahl der Volksabgeordneten verſchwinden zu laſſen. Der ſo naheliegende Gedanke, ein Staatenhaus für die Fürſten, ein Volkshaus für die Vertreter der Nation zu bilden, tauchte noch nirgends auf; um die Verfaſſung der nordamerikaniſchen Union hatte ſich noch Niemand in Deutſchland ernſtlich bekümmert.
Den alſo umgebildeten Entwurf legte Hardenberg im September, gleich nach ſeiner Ankunft in Wien, dem öſterreichiſchen Miniſter vor, und ſeltſam genug war das Werk gerathen. Wie wunderlich hatten ſich doch dieſe wohlmeinenden norddeutſchen Patrioten gedreht und gewendet um die Quadratur des Cirkels zu finden und das kaum halbdeutſche Oeſter- reich mit dem eigentlichen Deutſchland unter einen Hut zu bringen. Sie erkannten richtig, daß Oeſterreich ſich einer irgend kraftvollen Bundesge- walt nicht fügen konnte; jedoch da ſie von der völligen Gleichheit Oeſter- reichs und Preußens wie von einem unantaſtbaren Glaubensſatze aus- gingen, ſo verlangten ſie für das Haus Lothringen nicht jene privilegirte Sonderſtellung zurück, welche die kaiſerlichen Erblande im alten Reiche ſeit Jahrhunderten eingenommen hatten, ſondern ſchlugen vor: Oeſterreich ſolle nur mit den Ländern weſtlich des Inns, Preußen nur mit den Pro- vinzen links der Elbe in den engeren Bund eintreten, beide Mächte aber
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Steins erſte Bundespläne.
ſchaft, alle Ausdauer gegenüber einer Aufgabe, die ſchon völlig unlösbar
geworden war durch den Dualismus der Großmächte, durch den böſen
Willen der Rheinbundshöfe und nicht am Wenigſten durch die allgemeine,
auch von Stein ſelber getheilte politiſche Unklarheit der Zeit?
Sobald der Reichsritter ſich überzeugte, daß Oeſterreich die Wieder-
annahme der Kaiſerwürde hartnäckig abwies, ließ er ſeine Teplitzer Pläne
fallen und arbeitete, noch in Chaumont am 10. März 1814, einen neuen
Bundesentwurf aus, welcher die executive Gewalt den vier größten deut-
ſchen Staaten zuwies. Sein Augenmerk war jetzt vornehmlich auf die
Beſchränkung des „Sultanismus“ der kleinen Despoten gerichtet; darum
Grundrechte, „Rechte der Deutſchheit,“ von Bundeswegen jedem Deutſchen
gewährleiſtet, und ein aus Abgeordneten der Fürſten und der Landtage
gemiſchter Bundestag. Im nächſten Sommer ward dieſer Entwurf von
Neuem umgeſtaltet und im Juli, bei einer Zuſammenkunft in Frankfurt,
mit dem Staatskanzler und dem Grafen Solms-Laubach eingehend be-
rathen. Widerſtrebend ergab ſich der Freiherr jetzt darein, die Abgeord-
neten der Landtage aus dem Bundestage auszuſchließen; bildet man den
Bundestag allein aus Fürſten, meinte er bitter, ſo vertraut man den
Schutz der landſtändiſchen Rechte gerade denen an, welche ein Intereſſe
haben ſie zu untergraben! Aber die Unmöglichkeit, bei Oeſterreich und
den Rheinbundshöfen ein deutſches Parlament durchzuſetzen ſprang in
die Augen, desgleichen die unbehilfliche Schwerfälligkeit einer allzu zahl-
reichen Bundesverſammlung ohne Haupt; auch ſchien es bei der Macht,
welche die Landesherren beſaßen, in der That unziemlich, ihre Vertreter
unter der Ueberzahl der Volksabgeordneten verſchwinden zu laſſen. Der
ſo naheliegende Gedanke, ein Staatenhaus für die Fürſten, ein Volkshaus
für die Vertreter der Nation zu bilden, tauchte noch nirgends auf; um
die Verfaſſung der nordamerikaniſchen Union hatte ſich noch Niemand in
Deutſchland ernſtlich bekümmert.
Den alſo umgebildeten Entwurf legte Hardenberg im September,
gleich nach ſeiner Ankunft in Wien, dem öſterreichiſchen Miniſter vor, und
ſeltſam genug war das Werk gerathen. Wie wunderlich hatten ſich doch
dieſe wohlmeinenden norddeutſchen Patrioten gedreht und gewendet um
die Quadratur des Cirkels zu finden und das kaum halbdeutſche Oeſter-
reich mit dem eigentlichen Deutſchland unter einen Hut zu bringen. Sie
erkannten richtig, daß Oeſterreich ſich einer irgend kraftvollen Bundesge-
walt nicht fügen konnte; jedoch da ſie von der völligen Gleichheit Oeſter-
reichs und Preußens wie von einem unantaſtbaren Glaubensſatze aus-
gingen, ſo verlangten ſie für das Haus Lothringen nicht jene privilegirte
Sonderſtellung zurück, welche die kaiſerlichen Erblande im alten Reiche
ſeit Jahrhunderten eingenommen hatten, ſondern ſchlugen vor: Oeſterreich
ſolle nur mit den Ländern weſtlich des Inns, Preußen nur mit den Pro-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/695>, abgerufen am 22.11.2024.
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