Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden sofort jene schändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländische Republik einst ihre deutschen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die stati- stischen Hilfsmittel jener Zeit sehr mangelhaft waren und Hasselts geo- graphisches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, so liefen bei allen Gebietsverträgen des Congresses einzelne kleine Irrthümer mit unter, die bei einigem Anstandsgefühle der betheiligten Staaten nach- träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein solches Versehen geschah es auch, daß die beiden preußischen Straßen von Aachen nach Eupen und Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländisches Gebiet berührten; augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den preußischen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemischte Com- mission zusammentrat um die Grenze endgiltig festzustellen, da stritten die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes.*) Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man sich schlechterdings nicht einigen; dies berüchtigte "neutrale Gebiet" an der belgisch-preußi- schen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche Gesinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oranischer Dank- barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinschifffahrt ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald erkalten.
Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte seine thörichte Feindseligkeit bitter zu bereuen. Wenn irgend ein deutsches Fürstenhaus durch sein dynastisches Interesse auf Preußens Freundschaft angewiesen war, so doch sicherlich das durch die Hohenzollern so oft gerettete Haus Wittelsbach. Preußens Staatsmänner waren auch im Jahre 1814, ob- gleich sie ein wohlbegründetes Mißtrauen gegen Montgelas hegten, dem bairischen Staate keineswegs feindselig gesinnt. Das feste Mainz wollten sie freilich diesen unzuverlässigen Händen nicht anvertrauen; doch war Hardenberg in Paris geneigt, die badische und die linksrheinische Pfalz an Baiern zu geben, und noch in Wien rieth Humboldt, die Baiern durch Entgegenkommen zu gewinnen, wenn sie nur irgend guten Willen für den Deutschen Bund zeigten. Die schamlos undeutsche Gesinnung, welche von Montgelas' Genossen zur Schau getragen wurde, die prahle- rische Feindseligkeit Wredes und die unfläthigen Schimpfreden der "lite- rarischen Mordbrenner" des Münchener Hofes zwangen die Staatskanzlei zu einer veränderten Haltung. Montgelas war nicht nur durch alte Neigung und Gewohnheit an Frankreich gebunden und mit den Führern der norddeutschen Patrioten, namentlich mit Stein und Görres, persönlich verfeindet; er hoffte auch, durch seinen lärmenden Eifer für Friedrich August sich die Dankbarkeit Oesterreichs, Englands und Frankreichs zu sichern
*) So Sack in seinem Generalberichte vom 31. März 1816.
II. 1. Der Wiener Congreß.
Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden ſofort jene ſchändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländiſche Republik einſt ihre deutſchen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die ſtati- ſtiſchen Hilfsmittel jener Zeit ſehr mangelhaft waren und Haſſelts geo- graphiſches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, ſo liefen bei allen Gebietsverträgen des Congreſſes einzelne kleine Irrthümer mit unter, die bei einigem Anſtandsgefühle der betheiligten Staaten nach- träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein ſolches Verſehen geſchah es auch, daß die beiden preußiſchen Straßen von Aachen nach Eupen und Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländiſches Gebiet berührten; augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den preußiſchen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemiſchte Com- miſſion zuſammentrat um die Grenze endgiltig feſtzuſtellen, da ſtritten die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes.*) Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man ſich ſchlechterdings nicht einigen; dies berüchtigte „neutrale Gebiet“ an der belgiſch-preußi- ſchen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche Geſinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oraniſcher Dank- barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinſchifffahrt ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald erkalten.
Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte ſeine thörichte Feindſeligkeit bitter zu bereuen. Wenn irgend ein deutſches Fürſtenhaus durch ſein dynaſtiſches Intereſſe auf Preußens Freundſchaft angewieſen war, ſo doch ſicherlich das durch die Hohenzollern ſo oft gerettete Haus Wittelsbach. Preußens Staatsmänner waren auch im Jahre 1814, ob- gleich ſie ein wohlbegründetes Mißtrauen gegen Montgelas hegten, dem bairiſchen Staate keineswegs feindſelig geſinnt. Das feſte Mainz wollten ſie freilich dieſen unzuverläſſigen Händen nicht anvertrauen; doch war Hardenberg in Paris geneigt, die badiſche und die linksrheiniſche Pfalz an Baiern zu geben, und noch in Wien rieth Humboldt, die Baiern durch Entgegenkommen zu gewinnen, wenn ſie nur irgend guten Willen für den Deutſchen Bund zeigten. Die ſchamlos undeutſche Geſinnung, welche von Montgelas’ Genoſſen zur Schau getragen wurde, die prahle- riſche Feindſeligkeit Wredes und die unfläthigen Schimpfreden der „lite- rariſchen Mordbrenner“ des Münchener Hofes zwangen die Staatskanzlei zu einer veränderten Haltung. Montgelas war nicht nur durch alte Neigung und Gewohnheit an Frankreich gebunden und mit den Führern der norddeutſchen Patrioten, namentlich mit Stein und Görres, perſönlich verfeindet; er hoffte auch, durch ſeinen lärmenden Eifer für Friedrich Auguſt ſich die Dankbarkeit Oeſterreichs, Englands und Frankreichs zu ſichern
*) So Sack in ſeinem Generalberichte vom 31. März 1816.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0684"n="668"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> 1. Der Wiener Congreß.</fw><lb/>
Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden ſofort jene<lb/>ſchändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländiſche<lb/>
Republik einſt ihre deutſchen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die ſtati-<lb/>ſtiſchen Hilfsmittel jener Zeit ſehr mangelhaft waren und Haſſelts geo-<lb/>
graphiſches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, ſo<lb/>
liefen bei allen Gebietsverträgen des Congreſſes einzelne kleine Irrthümer<lb/>
mit unter, die bei einigem Anſtandsgefühle der betheiligten Staaten nach-<lb/>
träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein ſolches Verſehen geſchah<lb/>
es auch, daß die beiden preußiſchen Straßen von Aachen nach Eupen und<lb/>
Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländiſches Gebiet berührten;<lb/>
augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den<lb/>
preußiſchen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemiſchte Com-<lb/>
miſſion zuſammentrat um die Grenze endgiltig feſtzuſtellen, da ſtritten<lb/>
die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes.<noteplace="foot"n="*)">So Sack in ſeinem Generalberichte vom 31. März 1816.</note><lb/>
Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man ſich ſchlechterdings<lb/>
nicht einigen; dies berüchtigte „neutrale Gebiet“ an der belgiſch-preußi-<lb/>ſchen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche<lb/>
Geſinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oraniſcher Dank-<lb/>
barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinſchifffahrt<lb/>
ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald<lb/>
erkalten.</p><lb/><p>Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte ſeine thörichte<lb/>
Feindſeligkeit bitter zu bereuen. Wenn irgend ein deutſches Fürſtenhaus<lb/>
durch ſein dynaſtiſches Intereſſe auf Preußens Freundſchaft angewieſen<lb/>
war, ſo doch ſicherlich das durch die Hohenzollern ſo oft gerettete Haus<lb/>
Wittelsbach. Preußens Staatsmänner waren auch im Jahre 1814, ob-<lb/>
gleich ſie ein wohlbegründetes Mißtrauen gegen Montgelas hegten, dem<lb/>
bairiſchen Staate keineswegs feindſelig geſinnt. Das feſte Mainz wollten<lb/>ſie freilich dieſen unzuverläſſigen Händen nicht anvertrauen; doch war<lb/>
Hardenberg in Paris geneigt, die badiſche und die linksrheiniſche Pfalz<lb/>
an Baiern zu geben, und noch in Wien rieth Humboldt, die Baiern<lb/>
durch Entgegenkommen zu gewinnen, wenn ſie nur irgend guten Willen<lb/>
für den Deutſchen Bund zeigten. Die ſchamlos undeutſche Geſinnung,<lb/>
welche von Montgelas’ Genoſſen zur Schau getragen wurde, die prahle-<lb/>
riſche Feindſeligkeit Wredes und die unfläthigen Schimpfreden der „lite-<lb/>
rariſchen Mordbrenner“ des Münchener Hofes zwangen die Staatskanzlei<lb/>
zu einer veränderten Haltung. Montgelas war nicht nur durch alte<lb/>
Neigung und Gewohnheit an Frankreich gebunden und mit den Führern<lb/>
der norddeutſchen Patrioten, namentlich mit Stein und Görres, perſönlich<lb/>
verfeindet; er hoffte auch, durch ſeinen lärmenden Eifer für Friedrich Auguſt<lb/>ſich die Dankbarkeit Oeſterreichs, Englands und Frankreichs zu ſichern<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[668/0684]
II. 1. Der Wiener Congreß.
Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden ſofort jene
ſchändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländiſche
Republik einſt ihre deutſchen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die ſtati-
ſtiſchen Hilfsmittel jener Zeit ſehr mangelhaft waren und Haſſelts geo-
graphiſches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, ſo
liefen bei allen Gebietsverträgen des Congreſſes einzelne kleine Irrthümer
mit unter, die bei einigem Anſtandsgefühle der betheiligten Staaten nach-
träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein ſolches Verſehen geſchah
es auch, daß die beiden preußiſchen Straßen von Aachen nach Eupen und
Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländiſches Gebiet berührten;
augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den
preußiſchen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemiſchte Com-
miſſion zuſammentrat um die Grenze endgiltig feſtzuſtellen, da ſtritten
die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes. *)
Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man ſich ſchlechterdings
nicht einigen; dies berüchtigte „neutrale Gebiet“ an der belgiſch-preußi-
ſchen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche
Geſinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oraniſcher Dank-
barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinſchifffahrt
ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald
erkalten.
Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte ſeine thörichte
Feindſeligkeit bitter zu bereuen. Wenn irgend ein deutſches Fürſtenhaus
durch ſein dynaſtiſches Intereſſe auf Preußens Freundſchaft angewieſen
war, ſo doch ſicherlich das durch die Hohenzollern ſo oft gerettete Haus
Wittelsbach. Preußens Staatsmänner waren auch im Jahre 1814, ob-
gleich ſie ein wohlbegründetes Mißtrauen gegen Montgelas hegten, dem
bairiſchen Staate keineswegs feindſelig geſinnt. Das feſte Mainz wollten
ſie freilich dieſen unzuverläſſigen Händen nicht anvertrauen; doch war
Hardenberg in Paris geneigt, die badiſche und die linksrheiniſche Pfalz
an Baiern zu geben, und noch in Wien rieth Humboldt, die Baiern
durch Entgegenkommen zu gewinnen, wenn ſie nur irgend guten Willen
für den Deutſchen Bund zeigten. Die ſchamlos undeutſche Geſinnung,
welche von Montgelas’ Genoſſen zur Schau getragen wurde, die prahle-
riſche Feindſeligkeit Wredes und die unfläthigen Schimpfreden der „lite-
rariſchen Mordbrenner“ des Münchener Hofes zwangen die Staatskanzlei
zu einer veränderten Haltung. Montgelas war nicht nur durch alte
Neigung und Gewohnheit an Frankreich gebunden und mit den Führern
der norddeutſchen Patrioten, namentlich mit Stein und Görres, perſönlich
verfeindet; er hoffte auch, durch ſeinen lärmenden Eifer für Friedrich Auguſt
ſich die Dankbarkeit Oeſterreichs, Englands und Frankreichs zu ſichern
*) So Sack in ſeinem Generalberichte vom 31. März 1816.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/684>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.