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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
schwer empfunden; sein Herz war geschworen von Haß "gegen die kaiserliche
Bande", die mit ihren Schlichen und Lügen ihm das Herz seines Vaters
verfeindet hatte. Sein unzähmbarer Stolz bäumte sich auf, wenn man
an dem väterlichen Hofe den vornehmen Ton kalter Abweisung gegen die
Zumuthungen Oesterreichs gar nicht finden wollte; dann schrieb er zornig,
ein König von Preußen solle dem edlen Palmbaum gleichen, von dem
der Dichter sage: "wenn du ihn fällen willst, so hebt er seinen stolzen
Wipfel." Zugleich war er mit wachsamen Augen der Verschiebung der
Machtverhältnisse im Staatensysteme gefolgt und zu der Einsicht gelangt,
daß die alte Politik des europäischen Gleichgewichts sich gänzlich überlebt
hatte: seit den Siegen des spanischen Erbfolgekrieges war es nicht mehr
an der Zeit, im Bunde mit Oesterreich und England die Bourbonen zu
bekämpfen; jetzt galt es, den neuen deutschen Staat "durch den Schrecken
seiner Waffen" auf eine solche Stufe der Macht emporzuheben, daß er
gegen jede Nachbarmacht, auch gegen das Kaiserhaus seinen freien Willen
behaupten durfte.

So erhält denn der viel mißbrauchte Ausdruck "deutsche Freiheit"
in Friedrichs Munde einen neuen, edleren Sinn. Er bedeutet nicht mehr
jene ehrlose Kleinfürstenpolitik, welche das Ausland gegen den Kaiser zu
Hilfe rief und die Marken des Reichs an die Fremden verrieth; er bedeu-
tet die Aufrichtung einer großen deutschen Macht, die das Vaterland im
Osten und im Westen mit starker Hand vertheidigt, aber nach ihrem
eigenen Willen, unabhängig von der Reichsgewalt. Seit hundert Jahren
galt die Regel, daß wer nicht gut österreichisch war gut schwedisch sein
mußte, wie Hippolithus a Lapide, oder gut französisch, wie die Fürsten des
Rheinbundes, oder gut englisch, wie die Sippe des Welfenhauses; selbst
der große Kurfürst konnte, in der furchtbaren Pressung zwischen über-
legenen Nachbarn, nur von Zeit zu Zeit eine selbständige Haltung be-
haupten. Es ist Friedrichs Werk, daß neben jenen beiden gleich verderb-
lichen Tendenzen der verhüllten und der unverhüllten Fremdherrschaft
eine dritte Richtung sich erhob, eine Politik, die nur preußisch war und
nichts weiter; ihr gehörte Deutschlands Zukunft.

Vom Vaterlande viel zu reden war nicht die Weise dieses Hassers der
Phrase; und doch lebte in seiner Seele ein reizbarer, schroff abweisender
Nationalstolz, unzertrennlich verwachsen mit seinem gewaltigen Selbstgefühle
und seinem Fürstenstolze. Daß fremde Nationen auf deutschem Boden die
Herren spielen sollten, erschien ihm wie eine Beleidigung seiner persönlichen
Ehre und des erlauchten Blutes in seinen Adern, das der philosophische
König, naiv wie der Genius ist, immer sehr hoch hielt. Wenn das wunderliche
Wirrsal der deutschen Dinge ihn zuweilen zum Bunde mit dem Auslande
zwang, niemals hat er fremden Mächten eine Scholle deutschen Landes ver-
heißen, niemals seinen Staat für ihre Zwecke mißbrauchen lassen. Sein
Leben lang ward er der treulosen Arglist geziehen, weil kein Vertrag

I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
ſchwer empfunden; ſein Herz war geſchworen von Haß „gegen die kaiſerliche
Bande“, die mit ihren Schlichen und Lügen ihm das Herz ſeines Vaters
verfeindet hatte. Sein unzähmbarer Stolz bäumte ſich auf, wenn man
an dem väterlichen Hofe den vornehmen Ton kalter Abweiſung gegen die
Zumuthungen Oeſterreichs gar nicht finden wollte; dann ſchrieb er zornig,
ein König von Preußen ſolle dem edlen Palmbaum gleichen, von dem
der Dichter ſage: „wenn du ihn fällen willſt, ſo hebt er ſeinen ſtolzen
Wipfel.“ Zugleich war er mit wachſamen Augen der Verſchiebung der
Machtverhältniſſe im Staatenſyſteme gefolgt und zu der Einſicht gelangt,
daß die alte Politik des europäiſchen Gleichgewichts ſich gänzlich überlebt
hatte: ſeit den Siegen des ſpaniſchen Erbfolgekrieges war es nicht mehr
an der Zeit, im Bunde mit Oeſterreich und England die Bourbonen zu
bekämpfen; jetzt galt es, den neuen deutſchen Staat „durch den Schrecken
ſeiner Waffen“ auf eine ſolche Stufe der Macht emporzuheben, daß er
gegen jede Nachbarmacht, auch gegen das Kaiſerhaus ſeinen freien Willen
behaupten durfte.

So erhält denn der viel mißbrauchte Ausdruck „deutſche Freiheit“
in Friedrichs Munde einen neuen, edleren Sinn. Er bedeutet nicht mehr
jene ehrloſe Kleinfürſtenpolitik, welche das Ausland gegen den Kaiſer zu
Hilfe rief und die Marken des Reichs an die Fremden verrieth; er bedeu-
tet die Aufrichtung einer großen deutſchen Macht, die das Vaterland im
Oſten und im Weſten mit ſtarker Hand vertheidigt, aber nach ihrem
eigenen Willen, unabhängig von der Reichsgewalt. Seit hundert Jahren
galt die Regel, daß wer nicht gut öſterreichiſch war gut ſchwediſch ſein
mußte, wie Hippolithus a Lapide, oder gut franzöſiſch, wie die Fürſten des
Rheinbundes, oder gut engliſch, wie die Sippe des Welfenhauſes; ſelbſt
der große Kurfürſt konnte, in der furchtbaren Preſſung zwiſchen über-
legenen Nachbarn, nur von Zeit zu Zeit eine ſelbſtändige Haltung be-
haupten. Es iſt Friedrichs Werk, daß neben jenen beiden gleich verderb-
lichen Tendenzen der verhüllten und der unverhüllten Fremdherrſchaft
eine dritte Richtung ſich erhob, eine Politik, die nur preußiſch war und
nichts weiter; ihr gehörte Deutſchlands Zukunft.

Vom Vaterlande viel zu reden war nicht die Weiſe dieſes Haſſers der
Phraſe; und doch lebte in ſeiner Seele ein reizbarer, ſchroff abweiſender
Nationalſtolz, unzertrennlich verwachſen mit ſeinem gewaltigen Selbſtgefühle
und ſeinem Fürſtenſtolze. Daß fremde Nationen auf deutſchem Boden die
Herren ſpielen ſollten, erſchien ihm wie eine Beleidigung ſeiner perſönlichen
Ehre und des erlauchten Blutes in ſeinen Adern, das der philoſophiſche
König, naiv wie der Genius iſt, immer ſehr hoch hielt. Wenn das wunderliche
Wirrſal der deutſchen Dinge ihn zuweilen zum Bunde mit dem Auslande
zwang, niemals hat er fremden Mächten eine Scholle deutſchen Landes ver-
heißen, niemals ſeinen Staat für ihre Zwecke mißbrauchen laſſen. Sein
Leben lang ward er der treuloſen Argliſt geziehen, weil kein Vertrag

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[52/0068] I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. ſchwer empfunden; ſein Herz war geſchworen von Haß „gegen die kaiſerliche Bande“, die mit ihren Schlichen und Lügen ihm das Herz ſeines Vaters verfeindet hatte. Sein unzähmbarer Stolz bäumte ſich auf, wenn man an dem väterlichen Hofe den vornehmen Ton kalter Abweiſung gegen die Zumuthungen Oeſterreichs gar nicht finden wollte; dann ſchrieb er zornig, ein König von Preußen ſolle dem edlen Palmbaum gleichen, von dem der Dichter ſage: „wenn du ihn fällen willſt, ſo hebt er ſeinen ſtolzen Wipfel.“ Zugleich war er mit wachſamen Augen der Verſchiebung der Machtverhältniſſe im Staatenſyſteme gefolgt und zu der Einſicht gelangt, daß die alte Politik des europäiſchen Gleichgewichts ſich gänzlich überlebt hatte: ſeit den Siegen des ſpaniſchen Erbfolgekrieges war es nicht mehr an der Zeit, im Bunde mit Oeſterreich und England die Bourbonen zu bekämpfen; jetzt galt es, den neuen deutſchen Staat „durch den Schrecken ſeiner Waffen“ auf eine ſolche Stufe der Macht emporzuheben, daß er gegen jede Nachbarmacht, auch gegen das Kaiſerhaus ſeinen freien Willen behaupten durfte. So erhält denn der viel mißbrauchte Ausdruck „deutſche Freiheit“ in Friedrichs Munde einen neuen, edleren Sinn. Er bedeutet nicht mehr jene ehrloſe Kleinfürſtenpolitik, welche das Ausland gegen den Kaiſer zu Hilfe rief und die Marken des Reichs an die Fremden verrieth; er bedeu- tet die Aufrichtung einer großen deutſchen Macht, die das Vaterland im Oſten und im Weſten mit ſtarker Hand vertheidigt, aber nach ihrem eigenen Willen, unabhängig von der Reichsgewalt. Seit hundert Jahren galt die Regel, daß wer nicht gut öſterreichiſch war gut ſchwediſch ſein mußte, wie Hippolithus a Lapide, oder gut franzöſiſch, wie die Fürſten des Rheinbundes, oder gut engliſch, wie die Sippe des Welfenhauſes; ſelbſt der große Kurfürſt konnte, in der furchtbaren Preſſung zwiſchen über- legenen Nachbarn, nur von Zeit zu Zeit eine ſelbſtändige Haltung be- haupten. Es iſt Friedrichs Werk, daß neben jenen beiden gleich verderb- lichen Tendenzen der verhüllten und der unverhüllten Fremdherrſchaft eine dritte Richtung ſich erhob, eine Politik, die nur preußiſch war und nichts weiter; ihr gehörte Deutſchlands Zukunft. Vom Vaterlande viel zu reden war nicht die Weiſe dieſes Haſſers der Phraſe; und doch lebte in ſeiner Seele ein reizbarer, ſchroff abweiſender Nationalſtolz, unzertrennlich verwachſen mit ſeinem gewaltigen Selbſtgefühle und ſeinem Fürſtenſtolze. Daß fremde Nationen auf deutſchem Boden die Herren ſpielen ſollten, erſchien ihm wie eine Beleidigung ſeiner perſönlichen Ehre und des erlauchten Blutes in ſeinen Adern, das der philoſophiſche König, naiv wie der Genius iſt, immer ſehr hoch hielt. Wenn das wunderliche Wirrſal der deutſchen Dinge ihn zuweilen zum Bunde mit dem Auslande zwang, niemals hat er fremden Mächten eine Scholle deutſchen Landes ver- heißen, niemals ſeinen Staat für ihre Zwecke mißbrauchen laſſen. Sein Leben lang ward er der treuloſen Argliſt geziehen, weil kein Vertrag

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/68>, abgerufen am 22.11.2024.