lichen Einfall, die Baireuther Angelegenheit wieder aufzunehmen, gab der Staatskanzler bald auf. Dagegen ließ Metternich die so lange und hart- näckig festgehaltene Moselgrenze fallen; Preußen erhielt Koblenz und das Gebirgsland zwischen Saar und Nahe. Die preußischen Staatsmänner verhehlten nicht, daß der König nur um Deutschlands, "nur um des all- gemeinen Wohles willen" den linksrheinischen Besitz übernehme; Preußen gelange dadurch in eine ähnlich bedrohte Stellung wie einst Oesterreich durch die Erwerbung Belgiens. Eben diese Bedrängniß des Nebenbuhlers war in Metternichs Augen der einzige Trost für das unwillkommene Vor- rücken Preußens gegen Süddeutschland hin; wie schön, meinte er zu seinen Vertrauten, daß man Preußen also mit Frankreich unmittelbar "compromittirt" habe! Uebrigens gönnte er dem preußischen Gebiete nicht einmal auf dem linken Rheinufer eine genügende Abrundung. Ein Stück des alten Saar-Departements wurde vorbehalten, um hier, dicht an der gefährdeten Grenze, die Ansprüche von Oldenburg, Coburg, Homburg, Strelitz und Pappenheim zu befriedigen. Nach Oesterreichs Ansicht war es ja ein Gebot weiser Politik, möglichst viele Kleinstaaten zur Verthei- digung der Rheingrenze zu nöthigen. Es war, als wollte die Hofburg die benachbarten Elsaß-Lothringer durch den täglichen Anblick des ganzen Elends deutscher Kleinstaaterei gründlich von dem Segen französischer Staatseinheit überzeugen. Sodann bewilligte Castlereagh, daß die Land- forderungen Hannovers und der Niederlande zu Preußens Vortheil etwas herabgesetzt wurden.
Auch die polnischen Händel kamen während der nächsten Wochen ins Gleiche. Durch den Vertrag vom 2. Mai 1815 wurde die neutrale Republik Krakau begründet. Eine Commission der drei Theilungsmächte -- für Preußen Jordan und Stägemann -- ging hinüber um die neue Verfassung einzurichten. Indeß fühlte man von vorn herein, wie lebens- unfähig diese lächerlichste von allen Kunstschöpfungen des Congresses war; schon die Instruction der Commissare drohte mit dem Einschreiten der drei Mächte, falls der junge Freistaat zu einem Heerde des Aufruhrs würde.
Der englische Bevollmächtigte ließ es sich nicht nehmen, noch einmal die der britischen Tugend so wohlthuende und dabei so wenig kostspielige Rolle des Protectors sarmatischer Freiheit zu spielen; so hoffte er zu- gleich den Zorn der Whigs über die Preisgebung Polens zu beschwichtigen. Er verlangte in einer phrasenhaften Circularnote vom 12. Januar: da ein unabhängiges Polen unter einem eigenen Herrscherhause leider unmög- lich sei, so sollten die drei Theilungsmächte sich mindestens verpflichten "die Polen als Polen zu behandeln". Die naive Unwissenheit des edlen Lords dachte die drei Theilungsmächte auf einen Fuß zu behandeln; wer hätte auch diesem Kopfe beibringen sollen, daß Preußen zu dem kleinen, schon theilweise germanisirten Posen ganz anders stand als Oesterreich zu
II. 1. Der Wiener Congreß.
lichen Einfall, die Baireuther Angelegenheit wieder aufzunehmen, gab der Staatskanzler bald auf. Dagegen ließ Metternich die ſo lange und hart- näckig feſtgehaltene Moſelgrenze fallen; Preußen erhielt Koblenz und das Gebirgsland zwiſchen Saar und Nahe. Die preußiſchen Staatsmänner verhehlten nicht, daß der König nur um Deutſchlands, „nur um des all- gemeinen Wohles willen“ den linksrheiniſchen Beſitz übernehme; Preußen gelange dadurch in eine ähnlich bedrohte Stellung wie einſt Oeſterreich durch die Erwerbung Belgiens. Eben dieſe Bedrängniß des Nebenbuhlers war in Metternichs Augen der einzige Troſt für das unwillkommene Vor- rücken Preußens gegen Süddeutſchland hin; wie ſchön, meinte er zu ſeinen Vertrauten, daß man Preußen alſo mit Frankreich unmittelbar „compromittirt“ habe! Uebrigens gönnte er dem preußiſchen Gebiete nicht einmal auf dem linken Rheinufer eine genügende Abrundung. Ein Stück des alten Saar-Departements wurde vorbehalten, um hier, dicht an der gefährdeten Grenze, die Anſprüche von Oldenburg, Coburg, Homburg, Strelitz und Pappenheim zu befriedigen. Nach Oeſterreichs Anſicht war es ja ein Gebot weiſer Politik, möglichſt viele Kleinſtaaten zur Verthei- digung der Rheingrenze zu nöthigen. Es war, als wollte die Hofburg die benachbarten Elſaß-Lothringer durch den täglichen Anblick des ganzen Elends deutſcher Kleinſtaaterei gründlich von dem Segen franzöſiſcher Staatseinheit überzeugen. Sodann bewilligte Caſtlereagh, daß die Land- forderungen Hannovers und der Niederlande zu Preußens Vortheil etwas herabgeſetzt wurden.
Auch die polniſchen Händel kamen während der nächſten Wochen ins Gleiche. Durch den Vertrag vom 2. Mai 1815 wurde die neutrale Republik Krakau begründet. Eine Commiſſion der drei Theilungsmächte — für Preußen Jordan und Stägemann — ging hinüber um die neue Verfaſſung einzurichten. Indeß fühlte man von vorn herein, wie lebens- unfähig dieſe lächerlichſte von allen Kunſtſchöpfungen des Congreſſes war; ſchon die Inſtruction der Commiſſare drohte mit dem Einſchreiten der drei Mächte, falls der junge Freiſtaat zu einem Heerde des Aufruhrs würde.
Der engliſche Bevollmächtigte ließ es ſich nicht nehmen, noch einmal die der britiſchen Tugend ſo wohlthuende und dabei ſo wenig koſtſpielige Rolle des Protectors ſarmatiſcher Freiheit zu ſpielen; ſo hoffte er zu- gleich den Zorn der Whigs über die Preisgebung Polens zu beſchwichtigen. Er verlangte in einer phraſenhaften Circularnote vom 12. Januar: da ein unabhängiges Polen unter einem eigenen Herrſcherhauſe leider unmög- lich ſei, ſo ſollten die drei Theilungsmächte ſich mindeſtens verpflichten „die Polen als Polen zu behandeln“. Die naive Unwiſſenheit des edlen Lords dachte die drei Theilungsmächte auf einen Fuß zu behandeln; wer hätte auch dieſem Kopfe beibringen ſollen, daß Preußen zu dem kleinen, ſchon theilweiſe germaniſirten Poſen ganz anders ſtand als Oeſterreich zu
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lichen Einfall, die Baireuther Angelegenheit wieder aufzunehmen, gab der
Staatskanzler bald auf. Dagegen ließ Metternich die ſo lange und hart-
näckig feſtgehaltene Moſelgrenze fallen; Preußen erhielt Koblenz und das
Gebirgsland zwiſchen Saar und Nahe. Die preußiſchen Staatsmänner
verhehlten nicht, daß der König nur um Deutſchlands, „nur um des all-
gemeinen Wohles willen“ den linksrheiniſchen Beſitz übernehme; Preußen
gelange dadurch in eine ähnlich bedrohte Stellung wie einſt Oeſterreich
durch die Erwerbung Belgiens. Eben dieſe Bedrängniß des Nebenbuhlers
war in Metternichs Augen der einzige Troſt für das unwillkommene Vor-
rücken Preußens gegen Süddeutſchland hin; wie ſchön, meinte er zu
ſeinen Vertrauten, daß man Preußen alſo mit Frankreich unmittelbar
„compromittirt“ habe! Uebrigens gönnte er dem preußiſchen Gebiete nicht
einmal auf dem linken Rheinufer eine genügende Abrundung. Ein Stück
des alten Saar-Departements wurde vorbehalten, um hier, dicht an der
gefährdeten Grenze, die Anſprüche von Oldenburg, Coburg, Homburg,
Strelitz und Pappenheim zu befriedigen. Nach Oeſterreichs Anſicht war
es ja ein Gebot weiſer Politik, möglichſt viele Kleinſtaaten zur Verthei-
digung der Rheingrenze zu nöthigen. Es war, als wollte die Hofburg
die benachbarten Elſaß-Lothringer durch den täglichen Anblick des ganzen
Elends deutſcher Kleinſtaaterei gründlich von dem Segen franzöſiſcher
Staatseinheit überzeugen. Sodann bewilligte Caſtlereagh, daß die Land-
forderungen Hannovers und der Niederlande zu Preußens Vortheil etwas
herabgeſetzt wurden.
Auch die polniſchen Händel kamen während der nächſten Wochen ins
Gleiche. Durch den Vertrag vom 2. Mai 1815 wurde die neutrale
Republik Krakau begründet. Eine Commiſſion der drei Theilungsmächte
— für Preußen Jordan und Stägemann — ging hinüber um die neue
Verfaſſung einzurichten. Indeß fühlte man von vorn herein, wie lebens-
unfähig dieſe lächerlichſte von allen Kunſtſchöpfungen des Congreſſes war;
ſchon die Inſtruction der Commiſſare drohte mit dem Einſchreiten der
drei Mächte, falls der junge Freiſtaat zu einem Heerde des Aufruhrs
würde.
Der engliſche Bevollmächtigte ließ es ſich nicht nehmen, noch einmal
die der britiſchen Tugend ſo wohlthuende und dabei ſo wenig koſtſpielige
Rolle des Protectors ſarmatiſcher Freiheit zu ſpielen; ſo hoffte er zu-
gleich den Zorn der Whigs über die Preisgebung Polens zu beſchwichtigen.
Er verlangte in einer phraſenhaften Circularnote vom 12. Januar: da
ein unabhängiges Polen unter einem eigenen Herrſcherhauſe leider unmög-
lich ſei, ſo ſollten die drei Theilungsmächte ſich mindeſtens verpflichten
„die Polen als Polen zu behandeln“. Die naive Unwiſſenheit des edlen
Lords dachte die drei Theilungsmächte auf einen Fuß zu behandeln; wer
hätte auch dieſem Kopfe beibringen ſollen, daß Preußen zu dem kleinen,
ſchon theilweiſe germaniſirten Poſen ganz anders ſtand als Oeſterreich zu
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/674>, abgerufen am 16.02.2025.
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