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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Theilung Sachsens.
den Kürzeren gezogen, wenn man nicht doch noch zum Degen greifen
wollte. Jetzt aber zeigten sich die vortheilhaften Folgen jener vielgescholtenen
Schwenkung des Königs. Der Czar unterstützte fest und nachdrücklich
jeden Anspruch seines Freundes, und da die Gegner, mit einziger Aus-
nahme Frankreichs, den Krieg nicht ernstlich wollten, so haben sie schließ-
lich den meisten der preußisch-russischen Forderungen nachgegeben. Talley-
rands Muse schwelgte wieder in freien Erfindungen, um die feste Eintracht
der beiden Mächte zu zersprengen. Da sollte Alexander ärgerlich ausge-
rufen haben: "Ach, wenn ich mich nur nicht so tief eingelassen hätte!
Wenn ich nur mein Wort nicht gegeben hätte!" -- und was der Anek-
doten mehr war. Sehr möglich, daß Czartoryski seinem kaiserlichen Freunde
rieth die Preußen preiszugeben. Aber die Interessen, welche die russische
mit der preußischen Politik verbunden, waren stärker als Alexanders Launen
oder der Deutschenhaß seines sarmatischen Rathgebers: wurde Preußen
nicht vollständig entschädigt, so konnte Rußland die ersehnte Prosnagrenze
nicht erlangen. Darum hielt der Czar treu zu seinem Freunde und
betrieb, wie Gentz erbost an Karadja schrieb, die preußischen Forderungen
ganz so eifrig wie seine eigenen. In dem gesammten Verlaufe dieser
letzten Verhandlungen ist es nicht ein einziges mal geschehen, daß Ruß-
land sich von Preußen getrennt hätte. Wenn der Czar schließlich aus dem
Streite größeren Vortheil zog als sein Verbündeter, so lag der Grund
nicht in irgend einer Treulosigkeit der Russen, sondern in der Thatsache,
daß jetzt nur noch die preußischen, nicht mehr die russischen Ansprüche
durch Oesterreich und die Westmächte bestritten wurden. Lediglich der
verständigen Politik des Königs war es zu verdanken, daß nach peinlichem
Streite die Saalepässe und die nordthüringischen Lutherlande, die Festungen
der Elblinie und Görlitz an Preußen kamen. Nur Leipzig wurde durch
die englische Handelspolitik hartnäckig vertheidigt. Als alle Einigungsver-
suche scheiterten, da entschloß sich Alexander endlich zu einem "Opfer",
das ihm hart ankam: er bot (8. Februar) zum Ersatz das feste Thorn
und dessen Umgebungen.

Es war eine kümmerliche Entschädigung und doch ein Beweis für
Alexanders guten Willen. Seine Russen hatten sich in der Weichselfestung
längst häuslich eingerichtet und wollten dem Czaren diese Nachgiebigkeit
lange nicht verzeihen. Alles in Allem war das für das sächsische Volk
so schmerzliche Compromiß der Theilung des streitigen Landes, bei der
annähernden Gleichheit der Kräfte beider Parteien, das einzig mögliche
Ergebniß, da man hüben wie drüben den Krieg scheute; und daß die
Theilung für Preußen so günstig ausfiel, daß der Albertiner die größere
Hälfte seines Gebietes abtreten mußte, ward allein möglich durch Rußlands
Beistand. --

Nunmehr galt es, an anderen Stellen Deutschlands die zu Preußens
voller Entschädigung noch fehlenden Landstriche zu suchen. Den unglück-

Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 42

Theilung Sachſens.
den Kürzeren gezogen, wenn man nicht doch noch zum Degen greifen
wollte. Jetzt aber zeigten ſich die vortheilhaften Folgen jener vielgeſcholtenen
Schwenkung des Königs. Der Czar unterſtützte feſt und nachdrücklich
jeden Anſpruch ſeines Freundes, und da die Gegner, mit einziger Aus-
nahme Frankreichs, den Krieg nicht ernſtlich wollten, ſo haben ſie ſchließ-
lich den meiſten der preußiſch-ruſſiſchen Forderungen nachgegeben. Talley-
rands Muſe ſchwelgte wieder in freien Erfindungen, um die feſte Eintracht
der beiden Mächte zu zerſprengen. Da ſollte Alexander ärgerlich ausge-
rufen haben: „Ach, wenn ich mich nur nicht ſo tief eingelaſſen hätte!
Wenn ich nur mein Wort nicht gegeben hätte!“ — und was der Anek-
doten mehr war. Sehr möglich, daß Czartoryski ſeinem kaiſerlichen Freunde
rieth die Preußen preiszugeben. Aber die Intereſſen, welche die ruſſiſche
mit der preußiſchen Politik verbunden, waren ſtärker als Alexanders Launen
oder der Deutſchenhaß ſeines ſarmatiſchen Rathgebers: wurde Preußen
nicht vollſtändig entſchädigt, ſo konnte Rußland die erſehnte Prosnagrenze
nicht erlangen. Darum hielt der Czar treu zu ſeinem Freunde und
betrieb, wie Gentz erboſt an Karadja ſchrieb, die preußiſchen Forderungen
ganz ſo eifrig wie ſeine eigenen. In dem geſammten Verlaufe dieſer
letzten Verhandlungen iſt es nicht ein einziges mal geſchehen, daß Ruß-
land ſich von Preußen getrennt hätte. Wenn der Czar ſchließlich aus dem
Streite größeren Vortheil zog als ſein Verbündeter, ſo lag der Grund
nicht in irgend einer Treuloſigkeit der Ruſſen, ſondern in der Thatſache,
daß jetzt nur noch die preußiſchen, nicht mehr die ruſſiſchen Anſprüche
durch Oeſterreich und die Weſtmächte beſtritten wurden. Lediglich der
verſtändigen Politik des Königs war es zu verdanken, daß nach peinlichem
Streite die Saalepäſſe und die nordthüringiſchen Lutherlande, die Feſtungen
der Elblinie und Görlitz an Preußen kamen. Nur Leipzig wurde durch
die engliſche Handelspolitik hartnäckig vertheidigt. Als alle Einigungsver-
ſuche ſcheiterten, da entſchloß ſich Alexander endlich zu einem „Opfer“,
das ihm hart ankam: er bot (8. Februar) zum Erſatz das feſte Thorn
und deſſen Umgebungen.

Es war eine kümmerliche Entſchädigung und doch ein Beweis für
Alexanders guten Willen. Seine Ruſſen hatten ſich in der Weichſelfeſtung
längſt häuslich eingerichtet und wollten dem Czaren dieſe Nachgiebigkeit
lange nicht verzeihen. Alles in Allem war das für das ſächſiſche Volk
ſo ſchmerzliche Compromiß der Theilung des ſtreitigen Landes, bei der
annähernden Gleichheit der Kräfte beider Parteien, das einzig mögliche
Ergebniß, da man hüben wie drüben den Krieg ſcheute; und daß die
Theilung für Preußen ſo günſtig ausfiel, daß der Albertiner die größere
Hälfte ſeines Gebietes abtreten mußte, ward allein möglich durch Rußlands
Beiſtand. —

Nunmehr galt es, an anderen Stellen Deutſchlands die zu Preußens
voller Entſchädigung noch fehlenden Landſtriche zu ſuchen. Den unglück-

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 42
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[657/0673] Theilung Sachſens. den Kürzeren gezogen, wenn man nicht doch noch zum Degen greifen wollte. Jetzt aber zeigten ſich die vortheilhaften Folgen jener vielgeſcholtenen Schwenkung des Königs. Der Czar unterſtützte feſt und nachdrücklich jeden Anſpruch ſeines Freundes, und da die Gegner, mit einziger Aus- nahme Frankreichs, den Krieg nicht ernſtlich wollten, ſo haben ſie ſchließ- lich den meiſten der preußiſch-ruſſiſchen Forderungen nachgegeben. Talley- rands Muſe ſchwelgte wieder in freien Erfindungen, um die feſte Eintracht der beiden Mächte zu zerſprengen. Da ſollte Alexander ärgerlich ausge- rufen haben: „Ach, wenn ich mich nur nicht ſo tief eingelaſſen hätte! Wenn ich nur mein Wort nicht gegeben hätte!“ — und was der Anek- doten mehr war. Sehr möglich, daß Czartoryski ſeinem kaiſerlichen Freunde rieth die Preußen preiszugeben. Aber die Intereſſen, welche die ruſſiſche mit der preußiſchen Politik verbunden, waren ſtärker als Alexanders Launen oder der Deutſchenhaß ſeines ſarmatiſchen Rathgebers: wurde Preußen nicht vollſtändig entſchädigt, ſo konnte Rußland die erſehnte Prosnagrenze nicht erlangen. Darum hielt der Czar treu zu ſeinem Freunde und betrieb, wie Gentz erboſt an Karadja ſchrieb, die preußiſchen Forderungen ganz ſo eifrig wie ſeine eigenen. In dem geſammten Verlaufe dieſer letzten Verhandlungen iſt es nicht ein einziges mal geſchehen, daß Ruß- land ſich von Preußen getrennt hätte. Wenn der Czar ſchließlich aus dem Streite größeren Vortheil zog als ſein Verbündeter, ſo lag der Grund nicht in irgend einer Treuloſigkeit der Ruſſen, ſondern in der Thatſache, daß jetzt nur noch die preußiſchen, nicht mehr die ruſſiſchen Anſprüche durch Oeſterreich und die Weſtmächte beſtritten wurden. Lediglich der verſtändigen Politik des Königs war es zu verdanken, daß nach peinlichem Streite die Saalepäſſe und die nordthüringiſchen Lutherlande, die Feſtungen der Elblinie und Görlitz an Preußen kamen. Nur Leipzig wurde durch die engliſche Handelspolitik hartnäckig vertheidigt. Als alle Einigungsver- ſuche ſcheiterten, da entſchloß ſich Alexander endlich zu einem „Opfer“, das ihm hart ankam: er bot (8. Februar) zum Erſatz das feſte Thorn und deſſen Umgebungen. Es war eine kümmerliche Entſchädigung und doch ein Beweis für Alexanders guten Willen. Seine Ruſſen hatten ſich in der Weichſelfeſtung längſt häuslich eingerichtet und wollten dem Czaren dieſe Nachgiebigkeit lange nicht verzeihen. Alles in Allem war das für das ſächſiſche Volk ſo ſchmerzliche Compromiß der Theilung des ſtreitigen Landes, bei der annähernden Gleichheit der Kräfte beider Parteien, das einzig mögliche Ergebniß, da man hüben wie drüben den Krieg ſcheute; und daß die Theilung für Preußen ſo günſtig ausfiel, daß der Albertiner die größere Hälfte ſeines Gebietes abtreten mußte, ward allein möglich durch Rußlands Beiſtand. — Nunmehr galt es, an anderen Stellen Deutſchlands die zu Preußens voller Entſchädigung noch fehlenden Landſtriche zu ſuchen. Den unglück- Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 42

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/673>, abgerufen am 22.11.2024.