riser Friedens, der jede Einmischung Frankreichs in die Gebietsfragen untersagte, schlossen Oesterreich und England ein Bündniß mit Frankreich! Der Vertrag sprach nur von einem Vertheidigungsbündniß; sein wirklicher Zweck war der Angriff. Denn wollte man jenen "neuerdings offenbarten Ansprüchen" entgegentreten, so mußte man zunächst den Besitzstand Preu- ßens in Sachsen angreifen. Ein geheimer Artikel enthielt überdies die verständliche Drohung: wenn Baiern, Hannover oder die Niederlande der Einladung nicht folgten, so würden sie "jedes Recht auf die Vortheile ver- lieren, welche sie kraft des gegenwärtigen Vertrages beanspruchen könnten."
Nach der Absicht seines eigentlichen Urhebers, Talleyrands, war der Bund unzweifelhaft dazu bestimmt, mit überlegener Macht das erschöpfte Preußen zu überfallen und von seiner neu errungenen Großmachtstellung wieder herabzustürzen. Der Franzose stand am Ziele seiner Wünsche; er rühmte sich mit vollem Rechte: "ich habe für Frankreich eine foedera- tive Stellung geschaffen, wie sie fünfzig Jahre glücklicher Unterhandlungen kaum hätten erreichen können," und ließ den General Ricard aus Paris kommen um mit Schwarzenberg und Wrede den Feldzugsplan für das Frühjahr zu verabreden. Bereits wurden in Böhmen Truppen zusam- mengezogen, Wrede verkündete prahlend den unzweifelhaften Sieg, Mün- ster aber zeichnete den Geist dieser unvergleichlich treulosen Politik mit dem frivolen Ausruf: "wir spielen eine Partie en trois; ist der Feind geschlagen, so geht es gegen den Freund." Stein hat seitdem nie wieder Vertrauen zu dem Welfen fassen wollen. In Friedrichsfelde athmete man auf. Der gefangene König gab seinem Bruder Anton Vollmacht, sofort beim Einmarsch des Heeres der Tripelallianz die Regentschaft in Sachsen zu übernehmen, und empfing von dem Prinzen die frohe Bot- schaft: "mein Schwager Franz wird unsern Nachbarn nicht sehr gnädig behandeln!" Graf Schulenburg sah schon die glücklichen Tage nahen, da Preußens Macht zerfallen und Hannover die Führerstellung im Norden übernehmen würde -- eine Weissagung, worin man leicht den Widerhall welfischer Prahlereien erkennt.
Der Vertrag vom 3. Januar ist von lang nachwirkenden mittelbaren Folgen gewesen. Er hat Frankreich wieder eingeführt in die Gemeinschaft der Staatengesellschaft und zwischen den Westmächten jene vielgerühmte entente cordiale begründet, welche seitdem, immer nur auf kurze Zeit unterbrochen, fortgewährt hat bis zum heutigen Tage. Er hat am Wiener Hofe den alten Choiseul'schen Gedanken des Bundes der katholischen Groß- mächte wieder belebt, eine Politik, der es fortan in der Hofburg niemals mehr an mächtigen Freunden fehlte. Er ließ zugleich eine natürliche Gruppirung der Mächte ahnen, die einer großen Zukunft sicher war: hier die Westmächte, Oesterreich und die Pforte; dort die jungen Staaten Preußen, Rußland und Nordamerika. Preußen lernte endlich, wessen man sich von Oesterreich selbst unter dem Segen des friedlichen Dualismus
Das Bündniß vom 3. Januar.
riſer Friedens, der jede Einmiſchung Frankreichs in die Gebietsfragen unterſagte, ſchloſſen Oeſterreich und England ein Bündniß mit Frankreich! Der Vertrag ſprach nur von einem Vertheidigungsbündniß; ſein wirklicher Zweck war der Angriff. Denn wollte man jenen „neuerdings offenbarten Anſprüchen“ entgegentreten, ſo mußte man zunächſt den Beſitzſtand Preu- ßens in Sachſen angreifen. Ein geheimer Artikel enthielt überdies die verſtändliche Drohung: wenn Baiern, Hannover oder die Niederlande der Einladung nicht folgten, ſo würden ſie „jedes Recht auf die Vortheile ver- lieren, welche ſie kraft des gegenwärtigen Vertrages beanſpruchen könnten.“
Nach der Abſicht ſeines eigentlichen Urhebers, Talleyrands, war der Bund unzweifelhaft dazu beſtimmt, mit überlegener Macht das erſchöpfte Preußen zu überfallen und von ſeiner neu errungenen Großmachtſtellung wieder herabzuſtürzen. Der Franzoſe ſtand am Ziele ſeiner Wünſche; er rühmte ſich mit vollem Rechte: „ich habe für Frankreich eine foedera- tive Stellung geſchaffen, wie ſie fünfzig Jahre glücklicher Unterhandlungen kaum hätten erreichen können,“ und ließ den General Ricard aus Paris kommen um mit Schwarzenberg und Wrede den Feldzugsplan für das Frühjahr zu verabreden. Bereits wurden in Böhmen Truppen zuſam- mengezogen, Wrede verkündete prahlend den unzweifelhaften Sieg, Mün- ſter aber zeichnete den Geiſt dieſer unvergleichlich treuloſen Politik mit dem frivolen Ausruf: „wir ſpielen eine Partie en trois; iſt der Feind geſchlagen, ſo geht es gegen den Freund.“ Stein hat ſeitdem nie wieder Vertrauen zu dem Welfen faſſen wollen. In Friedrichsfelde athmete man auf. Der gefangene König gab ſeinem Bruder Anton Vollmacht, ſofort beim Einmarſch des Heeres der Tripelallianz die Regentſchaft in Sachſen zu übernehmen, und empfing von dem Prinzen die frohe Bot- ſchaft: „mein Schwager Franz wird unſern Nachbarn nicht ſehr gnädig behandeln!“ Graf Schulenburg ſah ſchon die glücklichen Tage nahen, da Preußens Macht zerfallen und Hannover die Führerſtellung im Norden übernehmen würde — eine Weiſſagung, worin man leicht den Widerhall welfiſcher Prahlereien erkennt.
Der Vertrag vom 3. Januar iſt von lang nachwirkenden mittelbaren Folgen geweſen. Er hat Frankreich wieder eingeführt in die Gemeinſchaft der Staatengeſellſchaft und zwiſchen den Weſtmächten jene vielgerühmte entente cordiale begründet, welche ſeitdem, immer nur auf kurze Zeit unterbrochen, fortgewährt hat bis zum heutigen Tage. Er hat am Wiener Hofe den alten Choiſeul’ſchen Gedanken des Bundes der katholiſchen Groß- mächte wieder belebt, eine Politik, der es fortan in der Hofburg niemals mehr an mächtigen Freunden fehlte. Er ließ zugleich eine natürliche Gruppirung der Mächte ahnen, die einer großen Zukunft ſicher war: hier die Weſtmächte, Oeſterreich und die Pforte; dort die jungen Staaten Preußen, Rußland und Nordamerika. Preußen lernte endlich, weſſen man ſich von Oeſterreich ſelbſt unter dem Segen des friedlichen Dualismus
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Das Bündniß vom 3. Januar.
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Der Vertrag ſprach nur von einem Vertheidigungsbündniß; ſein wirklicher
Zweck war der Angriff. Denn wollte man jenen „neuerdings offenbarten
Anſprüchen“ entgegentreten, ſo mußte man zunächſt den Beſitzſtand Preu-
ßens in Sachſen angreifen. Ein geheimer Artikel enthielt überdies die
verſtändliche Drohung: wenn Baiern, Hannover oder die Niederlande der
Einladung nicht folgten, ſo würden ſie „jedes Recht auf die Vortheile ver-
lieren, welche ſie kraft des gegenwärtigen Vertrages beanſpruchen könnten.“
Nach der Abſicht ſeines eigentlichen Urhebers, Talleyrands, war der
Bund unzweifelhaft dazu beſtimmt, mit überlegener Macht das erſchöpfte
Preußen zu überfallen und von ſeiner neu errungenen Großmachtſtellung
wieder herabzuſtürzen. Der Franzoſe ſtand am Ziele ſeiner Wünſche;
er rühmte ſich mit vollem Rechte: „ich habe für Frankreich eine foedera-
tive Stellung geſchaffen, wie ſie fünfzig Jahre glücklicher Unterhandlungen
kaum hätten erreichen können,“ und ließ den General Ricard aus Paris
kommen um mit Schwarzenberg und Wrede den Feldzugsplan für das
Frühjahr zu verabreden. Bereits wurden in Böhmen Truppen zuſam-
mengezogen, Wrede verkündete prahlend den unzweifelhaften Sieg, Mün-
ſter aber zeichnete den Geiſt dieſer unvergleichlich treuloſen Politik mit
dem frivolen Ausruf: „wir ſpielen eine Partie en trois; iſt der Feind
geſchlagen, ſo geht es gegen den Freund.“ Stein hat ſeitdem nie wieder
Vertrauen zu dem Welfen faſſen wollen. In Friedrichsfelde athmete
man auf. Der gefangene König gab ſeinem Bruder Anton Vollmacht,
ſofort beim Einmarſch des Heeres der Tripelallianz die Regentſchaft in
Sachſen zu übernehmen, und empfing von dem Prinzen die frohe Bot-
ſchaft: „mein Schwager Franz wird unſern Nachbarn nicht ſehr gnädig
behandeln!“ Graf Schulenburg ſah ſchon die glücklichen Tage nahen, da
Preußens Macht zerfallen und Hannover die Führerſtellung im Norden
übernehmen würde — eine Weiſſagung, worin man leicht den Widerhall
welfiſcher Prahlereien erkennt.
Der Vertrag vom 3. Januar iſt von lang nachwirkenden mittelbaren
Folgen geweſen. Er hat Frankreich wieder eingeführt in die Gemeinſchaft
der Staatengeſellſchaft und zwiſchen den Weſtmächten jene vielgerühmte
entente cordiale begründet, welche ſeitdem, immer nur auf kurze Zeit
unterbrochen, fortgewährt hat bis zum heutigen Tage. Er hat am Wiener
Hofe den alten Choiſeul’ſchen Gedanken des Bundes der katholiſchen Groß-
mächte wieder belebt, eine Politik, der es fortan in der Hofburg niemals
mehr an mächtigen Freunden fehlte. Er ließ zugleich eine natürliche
Gruppirung der Mächte ahnen, die einer großen Zukunft ſicher war: hier
die Weſtmächte, Oeſterreich und die Pforte; dort die jungen Staaten
Preußen, Rußland und Nordamerika. Preußen lernte endlich, weſſen
man ſich von Oeſterreich ſelbſt unter dem Segen des friedlichen Dualismus
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/669>, abgerufen am 22.11.2024.
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