reich, Frankreich und ihren kleinen Gesinnungsgenossen. Im Grunde ist es müßig, einen Charakter dieses Schlages nach seinen Beweggründen zu fragen. Der edle Lord war was seine Landsleute stubborn nennen; in blindem Eifer rannte der englische Stier auf das rothe Tuch der sächsi- schen Frage los, das ihm die gewandten Espadas Metternich und Talley- rand vorhielten; zudem war dem Lord soeben die Nachricht zugekommen, daß England in Gent mit Nordamerika Frieden geschlossen, also die Arme frei hatte. Irgend ein Interesse, das den englischen Staat zum Kriege wider Preußen treiben konnte, war freilich auf der weiten Welt nicht vorhanden; aber man hatte sich seit vielen Wochen in die Entrüstung wider den Staat, der die Sache Europas verrathen haben sollte, hinein- geredet, und einmal doch mußte das von "den Hunden Frankreichs" an- gefachte Feuer in hellen Flammen aufschlagen. Selbst Gagern wußte zur Entschuldigung der britischen Tollheit nur zu sagen: "der Topf lief über oder es war Vorwand."
Während Metternich mit den Vertretern der Westmächte den Angriff auf Preußen besprach, ging der gesellige Verkehr der diplomatischen Welt in ungetrübter Munterkeit weiter; mit der gewohnten treuherzigen Ge- müthlichkeit bewirthete der gute Kaiser Franz seine fürstlichen Gäste, denen er das Messer in den Rücken zu stoßen hoffte. Noch am 2. Januar schrieb Metternich "seinem theueren Fürsten" Hardenberg ein freundschaft- liches Billet, bat ihn wegen dringender Geschäfte die heutige Sitzung auf morgen zu verschieben *); einige Stunden nachher kam er selber zu dem Staatskanzler um Rücksprache zu nehmen wegen der Artikel über Thorn und Krakau. Von der Sitzung des 3. Januar berichten die Protokolle des Vierer-Ausschusses nur, daß Oesterreich, im Wesentlichen mit den russischen Vorschlägen einverstanden, eine Vergrößerung seines polnischen Antheils verlangt habe. An demselben Tage, der sich so friedlich anließ, unterzeichnete Metternich mit Castlereagh und Talleyrand das Kriegs- bündniß gegen Preußen und Rußland. Der Wortlaut dieses seltsamen Vertrages war ebenso dunkel wie die Absichten seiner Urheber; man hatte guten Grund das Licht zu scheuen. "In Folge neuerdings offenbarter Ansprüche" verpflichten sich die drei Mächte, einander gegenseitig mit minde- stens 150,000 Mann zu unterstützen, falls eine von ihnen wegen ihrer gemeinsam aufgestellten gerechten und billigen Vorschläge angegriffen oder bedroht werden sollte; ein Angriff auf Hannover oder die Niederlande gilt als ein Angriff auf England. Die drei Mächte haben zugleich "die Absicht, die Bestimmungen des Pariser Friedens in der seinem wahren Zwecke und Geiste möglichst entsprechenden Weise zu vervollständigen." Andere Mächte, namentlich Baiern, die Niederlande und Hannover, sollen zum Beitritt eingeladen werden. -- Also zur Vervollständigung des Pa-
*) Metternich an Hardenberg, 2. Jan. 1815.
II. 1. Der Wiener Congreß.
reich, Frankreich und ihren kleinen Geſinnungsgenoſſen. Im Grunde iſt es müßig, einen Charakter dieſes Schlages nach ſeinen Beweggründen zu fragen. Der edle Lord war was ſeine Landsleute stubborn nennen; in blindem Eifer rannte der engliſche Stier auf das rothe Tuch der ſächſi- ſchen Frage los, das ihm die gewandten Eſpadas Metternich und Talley- rand vorhielten; zudem war dem Lord ſoeben die Nachricht zugekommen, daß England in Gent mit Nordamerika Frieden geſchloſſen, alſo die Arme frei hatte. Irgend ein Intereſſe, das den engliſchen Staat zum Kriege wider Preußen treiben konnte, war freilich auf der weiten Welt nicht vorhanden; aber man hatte ſich ſeit vielen Wochen in die Entrüſtung wider den Staat, der die Sache Europas verrathen haben ſollte, hinein- geredet, und einmal doch mußte das von „den Hunden Frankreichs“ an- gefachte Feuer in hellen Flammen aufſchlagen. Selbſt Gagern wußte zur Entſchuldigung der britiſchen Tollheit nur zu ſagen: „der Topf lief über oder es war Vorwand.“
Während Metternich mit den Vertretern der Weſtmächte den Angriff auf Preußen beſprach, ging der geſellige Verkehr der diplomatiſchen Welt in ungetrübter Munterkeit weiter; mit der gewohnten treuherzigen Ge- müthlichkeit bewirthete der gute Kaiſer Franz ſeine fürſtlichen Gäſte, denen er das Meſſer in den Rücken zu ſtoßen hoffte. Noch am 2. Januar ſchrieb Metternich „ſeinem theueren Fürſten“ Hardenberg ein freundſchaft- liches Billet, bat ihn wegen dringender Geſchäfte die heutige Sitzung auf morgen zu verſchieben *); einige Stunden nachher kam er ſelber zu dem Staatskanzler um Rückſprache zu nehmen wegen der Artikel über Thorn und Krakau. Von der Sitzung des 3. Januar berichten die Protokolle des Vierer-Ausſchuſſes nur, daß Oeſterreich, im Weſentlichen mit den ruſſiſchen Vorſchlägen einverſtanden, eine Vergrößerung ſeines polniſchen Antheils verlangt habe. An demſelben Tage, der ſich ſo friedlich anließ, unterzeichnete Metternich mit Caſtlereagh und Talleyrand das Kriegs- bündniß gegen Preußen und Rußland. Der Wortlaut dieſes ſeltſamen Vertrages war ebenſo dunkel wie die Abſichten ſeiner Urheber; man hatte guten Grund das Licht zu ſcheuen. „In Folge neuerdings offenbarter Anſprüche“ verpflichten ſich die drei Mächte, einander gegenſeitig mit minde- ſtens 150,000 Mann zu unterſtützen, falls eine von ihnen wegen ihrer gemeinſam aufgeſtellten gerechten und billigen Vorſchläge angegriffen oder bedroht werden ſollte; ein Angriff auf Hannover oder die Niederlande gilt als ein Angriff auf England. Die drei Mächte haben zugleich „die Abſicht, die Beſtimmungen des Pariſer Friedens in der ſeinem wahren Zwecke und Geiſte möglichſt entſprechenden Weiſe zu vervollſtändigen.“ Andere Mächte, namentlich Baiern, die Niederlande und Hannover, ſollen zum Beitritt eingeladen werden. — Alſo zur Vervollſtändigung des Pa-
*) Metternich an Hardenberg, 2. Jan. 1815.
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reich, Frankreich und ihren kleinen Geſinnungsgenoſſen. Im Grunde iſt
es müßig, einen Charakter dieſes Schlages nach ſeinen Beweggründen zu
fragen. Der edle Lord war was ſeine Landsleute stubborn nennen; in
blindem Eifer rannte der engliſche Stier auf das rothe Tuch der ſächſi-
ſchen Frage los, das ihm die gewandten Eſpadas Metternich und Talley-
rand vorhielten; zudem war dem Lord ſoeben die Nachricht zugekommen,
daß England in Gent mit Nordamerika Frieden geſchloſſen, alſo die Arme
frei hatte. Irgend ein Intereſſe, das den engliſchen Staat zum Kriege
wider Preußen treiben konnte, war freilich auf der weiten Welt nicht
vorhanden; aber man hatte ſich ſeit vielen Wochen in die Entrüſtung
wider den Staat, der die Sache Europas verrathen haben ſollte, hinein-
geredet, und einmal doch mußte das von „den Hunden Frankreichs“ an-
gefachte Feuer in hellen Flammen aufſchlagen. Selbſt Gagern wußte
zur Entſchuldigung der britiſchen Tollheit nur zu ſagen: „der Topf lief
über oder es war Vorwand.“
Während Metternich mit den Vertretern der Weſtmächte den Angriff
auf Preußen beſprach, ging der geſellige Verkehr der diplomatiſchen Welt
in ungetrübter Munterkeit weiter; mit der gewohnten treuherzigen Ge-
müthlichkeit bewirthete der gute Kaiſer Franz ſeine fürſtlichen Gäſte, denen
er das Meſſer in den Rücken zu ſtoßen hoffte. Noch am 2. Januar
ſchrieb Metternich „ſeinem theueren Fürſten“ Hardenberg ein freundſchaft-
liches Billet, bat ihn wegen dringender Geſchäfte die heutige Sitzung auf
morgen zu verſchieben *); einige Stunden nachher kam er ſelber zu dem
Staatskanzler um Rückſprache zu nehmen wegen der Artikel über Thorn
und Krakau. Von der Sitzung des 3. Januar berichten die Protokolle
des Vierer-Ausſchuſſes nur, daß Oeſterreich, im Weſentlichen mit den
ruſſiſchen Vorſchlägen einverſtanden, eine Vergrößerung ſeines polniſchen
Antheils verlangt habe. An demſelben Tage, der ſich ſo friedlich anließ,
unterzeichnete Metternich mit Caſtlereagh und Talleyrand das Kriegs-
bündniß gegen Preußen und Rußland. Der Wortlaut dieſes ſeltſamen
Vertrages war ebenſo dunkel wie die Abſichten ſeiner Urheber; man hatte
guten Grund das Licht zu ſcheuen. „In Folge neuerdings offenbarter
Anſprüche“ verpflichten ſich die drei Mächte, einander gegenſeitig mit minde-
ſtens 150,000 Mann zu unterſtützen, falls eine von ihnen wegen ihrer
gemeinſam aufgeſtellten gerechten und billigen Vorſchläge angegriffen oder
bedroht werden ſollte; ein Angriff auf Hannover oder die Niederlande
gilt als ein Angriff auf England. Die drei Mächte haben zugleich „die
Abſicht, die Beſtimmungen des Pariſer Friedens in der ſeinem wahren
Zwecke und Geiſte möglichſt entſprechenden Weiſe zu vervollſtändigen.“
Andere Mächte, namentlich Baiern, die Niederlande und Hannover, ſollen
zum Beitritt eingeladen werden. — Alſo zur Vervollſtändigung des Pa-
*) Metternich an Hardenberg, 2. Jan. 1815.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/668>, abgerufen am 22.11.2024.
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