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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
Landes, ein Stück der Lausitz mit etwas über 400,000 Einwohner: erhalte
der Albertiner seine Krone nicht wieder, so komme der Deutsche Bund
nicht zu Stande und Frankreich übernehme wieder das Protectorat der
Kleinstaaten. Während er also die Preußen vor den französischen Ränken
warnte, übergab er selbst (16. Dec.) diese seine vertrauliche Note an Talley-
rand, auf Befehl des Kaisers Franz, damit König Ludwig ersehe, welche
"vollkommene Uebereinstimmung der Ansichten" zwischen Oesterreich und
Frankreich in der sächsischen Frage bestehe! Die Treulosigkeit der Hofburg
enthüllte sich so ungescheut, daß der ehrliche Görres entrüstet schrieb:
Preußen braucht nur die beiden k. k. Noten vom 22. Oct. und 10. Dec.
neben einander drucken zu lassen, um in den Augen aller rechtschaffenen
Leute Recht zu behalten. Hardenberg war wie aus den Wolken gefallen;
"non fidem servavit" schrieb er verzweifelnd in sein Tagebuch, als er das
Eintreffen jener "ganz und gar unerwarteten" Antwort verzeichnete. *)
Doch sah er wohl, daß auf die Meinung der rechtschaffenen Leute in
diesem Machtkampfe gar nichts ankam; er sprach dem Oesterreicher (in
einer mit Alexander vereinbarten Note vom 16. Dec.) sein schmerzliches
Befremden aus über den Gesinnungswechsel der Hofburg und bot, da
sein westphälischer Entschädigungsplan keinen Anklang gefunden, jetzt ein
Stück des linksrheinischen Landes, mit Trier und Bonn, zur Versorgung
Friedrich Augusts an. Die Verkehrtheit dieses nur durch die letzte pein-
liche Verlegenheit abgedrungenen Gedankens leuchtet heute Jedem ein: den
Albertiner dicht neben der französischen Grenze ansiedeln hieß geradezu
den Franzosen ein bequemes Ausfallsthor gegen Deutschland öffnen. Wenn
aber Metternich die schwache Seite des preußischen Vorschlags sofort er-
spähte und salbungsvoll erwiderte: nimmermehr dürfe das linke Rheinufer
also den Franzosen bloß gestellt werden -- so führte er nur sein unred-
liches Spiel weiter, denn mit diesem gefürchteten Frankreich stand er selber
bereits in herzlichem Einverständniß. Um die Gegner zu theilen, forderte
Hardenberg zugleich die fränkischen Markgrafschaften von Baiern zurück.
Es war ein unglücklicher Schachzug, obschon die polternde Gehässigkeit der
bairischen Staatsmänner wohl eine Züchtigung verdiente. Der Staats-
kanzler hatte Ansbach-Baireuth zwar noch nicht in einem förmlichen Ver-
trage abgetreten, doch mehrmals mündlich sich bereit erklärt, das Herzog-
thum Berg als Entschädigung anzunehmen; wenn er jetzt ohne Aussicht
auf Erfolg den alten Streit wieder aufrührte, so gab er nur den Met-
ternich, Wrede und Talleyrand willkommenen Anlaß, die "preußischen Kniffe"
vor der diplomatischen Welt zu verklagen. Er schloß seine Note mit der
Versicherung, daß Preußen noch immer zumeist auf Rußlands und Oester-
reichs Beistand baue.

In Wahrheit begann man auf beiden Seiten bereits die Möglich-

*) Hardenbergs Tagebuch 10. 12. Dec. 1814.

II. 1. Der Wiener Congreß.
Landes, ein Stück der Lauſitz mit etwas über 400,000 Einwohner: erhalte
der Albertiner ſeine Krone nicht wieder, ſo komme der Deutſche Bund
nicht zu Stande und Frankreich übernehme wieder das Protectorat der
Kleinſtaaten. Während er alſo die Preußen vor den franzöſiſchen Ränken
warnte, übergab er ſelbſt (16. Dec.) dieſe ſeine vertrauliche Note an Talley-
rand, auf Befehl des Kaiſers Franz, damit König Ludwig erſehe, welche
„vollkommene Uebereinſtimmung der Anſichten“ zwiſchen Oeſterreich und
Frankreich in der ſächſiſchen Frage beſtehe! Die Treuloſigkeit der Hofburg
enthüllte ſich ſo ungeſcheut, daß der ehrliche Görres entrüſtet ſchrieb:
Preußen braucht nur die beiden k. k. Noten vom 22. Oct. und 10. Dec.
neben einander drucken zu laſſen, um in den Augen aller rechtſchaffenen
Leute Recht zu behalten. Hardenberg war wie aus den Wolken gefallen;
„non fidem servavit“ ſchrieb er verzweifelnd in ſein Tagebuch, als er das
Eintreffen jener „ganz und gar unerwarteten“ Antwort verzeichnete. *)
Doch ſah er wohl, daß auf die Meinung der rechtſchaffenen Leute in
dieſem Machtkampfe gar nichts ankam; er ſprach dem Oeſterreicher (in
einer mit Alexander vereinbarten Note vom 16. Dec.) ſein ſchmerzliches
Befremden aus über den Geſinnungswechſel der Hofburg und bot, da
ſein weſtphäliſcher Entſchädigungsplan keinen Anklang gefunden, jetzt ein
Stück des linksrheiniſchen Landes, mit Trier und Bonn, zur Verſorgung
Friedrich Auguſts an. Die Verkehrtheit dieſes nur durch die letzte pein-
liche Verlegenheit abgedrungenen Gedankens leuchtet heute Jedem ein: den
Albertiner dicht neben der franzöſiſchen Grenze anſiedeln hieß geradezu
den Franzoſen ein bequemes Ausfallsthor gegen Deutſchland öffnen. Wenn
aber Metternich die ſchwache Seite des preußiſchen Vorſchlags ſofort er-
ſpähte und ſalbungsvoll erwiderte: nimmermehr dürfe das linke Rheinufer
alſo den Franzoſen bloß geſtellt werden — ſo führte er nur ſein unred-
liches Spiel weiter, denn mit dieſem gefürchteten Frankreich ſtand er ſelber
bereits in herzlichem Einverſtändniß. Um die Gegner zu theilen, forderte
Hardenberg zugleich die fränkiſchen Markgrafſchaften von Baiern zurück.
Es war ein unglücklicher Schachzug, obſchon die polternde Gehäſſigkeit der
bairiſchen Staatsmänner wohl eine Züchtigung verdiente. Der Staats-
kanzler hatte Ansbach-Baireuth zwar noch nicht in einem förmlichen Ver-
trage abgetreten, doch mehrmals mündlich ſich bereit erklärt, das Herzog-
thum Berg als Entſchädigung anzunehmen; wenn er jetzt ohne Ausſicht
auf Erfolg den alten Streit wieder aufrührte, ſo gab er nur den Met-
ternich, Wrede und Talleyrand willkommenen Anlaß, die „preußiſchen Kniffe“
vor der diplomatiſchen Welt zu verklagen. Er ſchloß ſeine Note mit der
Verſicherung, daß Preußen noch immer zumeiſt auf Rußlands und Oeſter-
reichs Beiſtand baue.

In Wahrheit begann man auf beiden Seiten bereits die Möglich-

*) Hardenbergs Tagebuch 10. 12. Dec. 1814.
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[648/0664] II. 1. Der Wiener Congreß. Landes, ein Stück der Lauſitz mit etwas über 400,000 Einwohner: erhalte der Albertiner ſeine Krone nicht wieder, ſo komme der Deutſche Bund nicht zu Stande und Frankreich übernehme wieder das Protectorat der Kleinſtaaten. Während er alſo die Preußen vor den franzöſiſchen Ränken warnte, übergab er ſelbſt (16. Dec.) dieſe ſeine vertrauliche Note an Talley- rand, auf Befehl des Kaiſers Franz, damit König Ludwig erſehe, welche „vollkommene Uebereinſtimmung der Anſichten“ zwiſchen Oeſterreich und Frankreich in der ſächſiſchen Frage beſtehe! Die Treuloſigkeit der Hofburg enthüllte ſich ſo ungeſcheut, daß der ehrliche Görres entrüſtet ſchrieb: Preußen braucht nur die beiden k. k. Noten vom 22. Oct. und 10. Dec. neben einander drucken zu laſſen, um in den Augen aller rechtſchaffenen Leute Recht zu behalten. Hardenberg war wie aus den Wolken gefallen; „non fidem servavit“ ſchrieb er verzweifelnd in ſein Tagebuch, als er das Eintreffen jener „ganz und gar unerwarteten“ Antwort verzeichnete. *) Doch ſah er wohl, daß auf die Meinung der rechtſchaffenen Leute in dieſem Machtkampfe gar nichts ankam; er ſprach dem Oeſterreicher (in einer mit Alexander vereinbarten Note vom 16. Dec.) ſein ſchmerzliches Befremden aus über den Geſinnungswechſel der Hofburg und bot, da ſein weſtphäliſcher Entſchädigungsplan keinen Anklang gefunden, jetzt ein Stück des linksrheiniſchen Landes, mit Trier und Bonn, zur Verſorgung Friedrich Auguſts an. Die Verkehrtheit dieſes nur durch die letzte pein- liche Verlegenheit abgedrungenen Gedankens leuchtet heute Jedem ein: den Albertiner dicht neben der franzöſiſchen Grenze anſiedeln hieß geradezu den Franzoſen ein bequemes Ausfallsthor gegen Deutſchland öffnen. Wenn aber Metternich die ſchwache Seite des preußiſchen Vorſchlags ſofort er- ſpähte und ſalbungsvoll erwiderte: nimmermehr dürfe das linke Rheinufer alſo den Franzoſen bloß geſtellt werden — ſo führte er nur ſein unred- liches Spiel weiter, denn mit dieſem gefürchteten Frankreich ſtand er ſelber bereits in herzlichem Einverſtändniß. Um die Gegner zu theilen, forderte Hardenberg zugleich die fränkiſchen Markgrafſchaften von Baiern zurück. Es war ein unglücklicher Schachzug, obſchon die polternde Gehäſſigkeit der bairiſchen Staatsmänner wohl eine Züchtigung verdiente. Der Staats- kanzler hatte Ansbach-Baireuth zwar noch nicht in einem förmlichen Ver- trage abgetreten, doch mehrmals mündlich ſich bereit erklärt, das Herzog- thum Berg als Entſchädigung anzunehmen; wenn er jetzt ohne Ausſicht auf Erfolg den alten Streit wieder aufrührte, ſo gab er nur den Met- ternich, Wrede und Talleyrand willkommenen Anlaß, die „preußiſchen Kniffe“ vor der diplomatiſchen Welt zu verklagen. Er ſchloß ſeine Note mit der Verſicherung, daß Preußen noch immer zumeiſt auf Rußlands und Oeſter- reichs Beiſtand baue. In Wahrheit begann man auf beiden Seiten bereits die Möglich- *) Hardenbergs Tagebuch 10. 12. Dec. 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/664>, abgerufen am 22.11.2024.