Volk den Abfall von der Sache der Nation auch dann als Felonie be- strafen darf, wenn der Verräther kein geschriebenes Recht verletzt hat; "die Gemeinschaft der Nationalität ist höher als die Staatsverhältnisse, welche die verschiedenen Völker eines Stammes vereinigen oder trennen." Als- dann sagt er mit der Sicherheit des Sehers voraus, daß die Tage der deutschen Kleinstaaterei gezählt sind: schwache Gemeinwesen, die sich nicht durch eigene Kraft behaupten können, "hören auf Staaten zu sein." Zu solchem Urtheil gelangte der conservative Denker, da er ein Jahr nach der Schlacht von Leipzig das deutsche Kleinfürstenthum wieder den Fahnen Frankreichs folgen sah. In dem vertrauten Briefwechsel der preußischen Diplomatie sprach sich der Unmuth über den wiederauflebenden Particu- larismus noch weit schärfer aus. "Die nämlichen Menschen -- schrieb Alopeus an Humboldt -- die nach der Schlacht von Leipzig ausriefen: ihm geschieht recht, bemitleiden jetzt den frommen König; und die Bour- bonen, die im Junimonat vollauf zu thun hatten sich selbst zu erhalten, haben es jetzt so weit gebracht, daß sie sich um die Erhaltung Anderer kräftig verwenden können. Freilich empört sich das Gefühl, wenn man es ansehen muß, daß der nämliche deutsche Kaiser, der von seinen Vasal- len schändlicherweise verlassen wurde, jetzt diese mit den Verbrechen des Hochverraths und der Felonie beschmutzten Vasallen schaarenweise in der Kaiserstadt mit allen den Souveränen gebührenden Ehrenbezeigungen auf- nimmt. Man frägt sich, welches der Endzweck einer solchen nicht von der Nothwendigkeit gebotenen Herablassung sein kann." --
Auf den Gang der Congreßverhandlungen übten natürlich weder solche Zornworte noch Niebuhrs und Hoffmanns Vernunftgründe irgend einen Einfluß. Oesterreich hatte gehofft, mit England und Preußen ver- eint den Czaren in die Enge zu treiben und dann über Preußens Kopf hinweg sich mit Rußland zu verständigen. Nun war dieser Plan durch das Eingreifen des Königs vereitelt, und sofort änderte Metternich seine Taktik. Auch ihm, wie den Franzosen, war die sächsische Frage ungleich wichtiger als die Zukunft Polens. Schon am 11. November, in einem Gespräche mit Castlereagh und Hardenberg, nahm er das dem Staats- kanzler gegebene Versprechen zurück und erklärte: der allgemeine Wider- stand gegen die Einverleibung Sachsens sei unüberwindlich, mindestens Dresden und der südliche Theil des Landes müßten dem gefangenen Fürsten wieder zufallen. So wurde der Gedanke der Theilung Sachsens, welchen Stadion schon im Sommer den Unterhändlern Friedrich Augusts ange- deutet hatte, endlich als das Ziel der österreichischen Politik ausgesprochen. Die willkürliche Zerreißung des alten sächsischen Gemeinwesens, die Zer- störung seines altgewohnten Verkehrs durch neue Zolllinien erregte der Hofburg kein Bedenken. Ihre Absicht war lediglich, das ergebene alber- tinische Haus wieder auf der für Preußen lästigsten Stelle anzusiedeln und zugleich dem preußischen Freunde eine Wunde an seinem Leibe offen zu
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Metternich beantragt die Theilung Sachſens.
Volk den Abfall von der Sache der Nation auch dann als Felonie be- ſtrafen darf, wenn der Verräther kein geſchriebenes Recht verletzt hat; „die Gemeinſchaft der Nationalität iſt höher als die Staatsverhältniſſe, welche die verſchiedenen Völker eines Stammes vereinigen oder trennen.“ Als- dann ſagt er mit der Sicherheit des Sehers voraus, daß die Tage der deutſchen Kleinſtaaterei gezählt ſind: ſchwache Gemeinweſen, die ſich nicht durch eigene Kraft behaupten können, „hören auf Staaten zu ſein.“ Zu ſolchem Urtheil gelangte der conſervative Denker, da er ein Jahr nach der Schlacht von Leipzig das deutſche Kleinfürſtenthum wieder den Fahnen Frankreichs folgen ſah. In dem vertrauten Briefwechſel der preußiſchen Diplomatie ſprach ſich der Unmuth über den wiederauflebenden Particu- larismus noch weit ſchärfer aus. „Die nämlichen Menſchen — ſchrieb Alopeus an Humboldt — die nach der Schlacht von Leipzig ausriefen: ihm geſchieht recht, bemitleiden jetzt den frommen König; und die Bour- bonen, die im Junimonat vollauf zu thun hatten ſich ſelbſt zu erhalten, haben es jetzt ſo weit gebracht, daß ſie ſich um die Erhaltung Anderer kräftig verwenden können. Freilich empört ſich das Gefühl, wenn man es anſehen muß, daß der nämliche deutſche Kaiſer, der von ſeinen Vaſal- len ſchändlicherweiſe verlaſſen wurde, jetzt dieſe mit den Verbrechen des Hochverraths und der Felonie beſchmutzten Vaſallen ſchaarenweiſe in der Kaiſerſtadt mit allen den Souveränen gebührenden Ehrenbezeigungen auf- nimmt. Man frägt ſich, welches der Endzweck einer ſolchen nicht von der Nothwendigkeit gebotenen Herablaſſung ſein kann.“ —
Auf den Gang der Congreßverhandlungen übten natürlich weder ſolche Zornworte noch Niebuhrs und Hoffmanns Vernunftgründe irgend einen Einfluß. Oeſterreich hatte gehofft, mit England und Preußen ver- eint den Czaren in die Enge zu treiben und dann über Preußens Kopf hinweg ſich mit Rußland zu verſtändigen. Nun war dieſer Plan durch das Eingreifen des Königs vereitelt, und ſofort änderte Metternich ſeine Taktik. Auch ihm, wie den Franzoſen, war die ſächſiſche Frage ungleich wichtiger als die Zukunft Polens. Schon am 11. November, in einem Geſpräche mit Caſtlereagh und Hardenberg, nahm er das dem Staats- kanzler gegebene Verſprechen zurück und erklärte: der allgemeine Wider- ſtand gegen die Einverleibung Sachſens ſei unüberwindlich, mindeſtens Dresden und der ſüdliche Theil des Landes müßten dem gefangenen Fürſten wieder zufallen. So wurde der Gedanke der Theilung Sachſens, welchen Stadion ſchon im Sommer den Unterhändlern Friedrich Auguſts ange- deutet hatte, endlich als das Ziel der öſterreichiſchen Politik ausgeſprochen. Die willkürliche Zerreißung des alten ſächſiſchen Gemeinweſens, die Zer- ſtörung ſeines altgewohnten Verkehrs durch neue Zolllinien erregte der Hofburg kein Bedenken. Ihre Abſicht war lediglich, das ergebene alber- tiniſche Haus wieder auf der für Preußen läſtigſten Stelle anzuſiedeln und zugleich dem preußiſchen Freunde eine Wunde an ſeinem Leibe offen zu
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Metternich beantragt die Theilung Sachſens.
Volk den Abfall von der Sache der Nation auch dann als Felonie be-
ſtrafen darf, wenn der Verräther kein geſchriebenes Recht verletzt hat; „die
Gemeinſchaft der Nationalität iſt höher als die Staatsverhältniſſe, welche
die verſchiedenen Völker eines Stammes vereinigen oder trennen.“ Als-
dann ſagt er mit der Sicherheit des Sehers voraus, daß die Tage der
deutſchen Kleinſtaaterei gezählt ſind: ſchwache Gemeinweſen, die ſich nicht
durch eigene Kraft behaupten können, „hören auf Staaten zu ſein.“ Zu
ſolchem Urtheil gelangte der conſervative Denker, da er ein Jahr nach
der Schlacht von Leipzig das deutſche Kleinfürſtenthum wieder den Fahnen
Frankreichs folgen ſah. In dem vertrauten Briefwechſel der preußiſchen
Diplomatie ſprach ſich der Unmuth über den wiederauflebenden Particu-
larismus noch weit ſchärfer aus. „Die nämlichen Menſchen — ſchrieb
Alopeus an Humboldt — die nach der Schlacht von Leipzig ausriefen:
ihm geſchieht recht, bemitleiden jetzt den frommen König; und die Bour-
bonen, die im Junimonat vollauf zu thun hatten ſich ſelbſt zu erhalten,
haben es jetzt ſo weit gebracht, daß ſie ſich um die Erhaltung Anderer
kräftig verwenden können. Freilich empört ſich das Gefühl, wenn man
es anſehen muß, daß der nämliche deutſche Kaiſer, der von ſeinen Vaſal-
len ſchändlicherweiſe verlaſſen wurde, jetzt dieſe mit den Verbrechen des
Hochverraths und der Felonie beſchmutzten Vaſallen ſchaarenweiſe in der
Kaiſerſtadt mit allen den Souveränen gebührenden Ehrenbezeigungen auf-
nimmt. Man frägt ſich, welches der Endzweck einer ſolchen nicht von der
Nothwendigkeit gebotenen Herablaſſung ſein kann.“ —
Auf den Gang der Congreßverhandlungen übten natürlich weder
ſolche Zornworte noch Niebuhrs und Hoffmanns Vernunftgründe irgend
einen Einfluß. Oeſterreich hatte gehofft, mit England und Preußen ver-
eint den Czaren in die Enge zu treiben und dann über Preußens Kopf
hinweg ſich mit Rußland zu verſtändigen. Nun war dieſer Plan durch
das Eingreifen des Königs vereitelt, und ſofort änderte Metternich ſeine
Taktik. Auch ihm, wie den Franzoſen, war die ſächſiſche Frage ungleich
wichtiger als die Zukunft Polens. Schon am 11. November, in einem
Geſpräche mit Caſtlereagh und Hardenberg, nahm er das dem Staats-
kanzler gegebene Verſprechen zurück und erklärte: der allgemeine Wider-
ſtand gegen die Einverleibung Sachſens ſei unüberwindlich, mindeſtens
Dresden und der ſüdliche Theil des Landes müßten dem gefangenen Fürſten
wieder zufallen. So wurde der Gedanke der Theilung Sachſens, welchen
Stadion ſchon im Sommer den Unterhändlern Friedrich Auguſts ange-
deutet hatte, endlich als das Ziel der öſterreichiſchen Politik ausgeſprochen.
Die willkürliche Zerreißung des alten ſächſiſchen Gemeinweſens, die Zer-
ſtörung ſeines altgewohnten Verkehrs durch neue Zolllinien erregte der
Hofburg kein Bedenken. Ihre Abſicht war lediglich, das ergebene alber-
tiniſche Haus wieder auf der für Preußen läſtigſten Stelle anzuſiedeln und
zugleich dem preußiſchen Freunde eine Wunde an ſeinem Leibe offen zu
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/659>, abgerufen am 16.02.2025.
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