den vertrauensvollen preußischen Freund so lange in seinem holden Wahne erhalten, bis Preußen sich mit Rußland überworfen habe und gänzlich ver- einzelt dastehe; darum war er geneigt, der vorläufigen Occupation von Sachsen zuzustimmen. Nach wenigen Tagen, am 14. October, wurde Gentz selber durch Castlereaghs Zureden zu der Ansicht seines ruhigeren Freundes bekehrt. Oesterreich genehmigte, daß preußische Truppen in Sachsen einrückten -- sans reconnaeitre le principe, wie Gentz befriedigt hinzufügt. Durch dies Zeichen des Wohlwollens bestärkte man den preu- ßischen Staatskanzler in seinem arglosen Vertrauen und behielt doch freie Hand für die letzte Entscheidung.
Um so schwieriger war die Erwiderung auf Hardenbergs drei Fragen; erst am 22. October kam Metternich damit zu Stande. Die zweite der preußischen Fragen -- wegen der Versetzung Friedrich Augusts nach den Legationen -- wurde in der k. k. Antwort mit keinem Worte erwähnt, was nach altem diplomatischen Brauche einer unbedingten Weigerung gleich kam. Die dritte -- wegen Mainz -- wurde entschieden verneint. Diesen Platz, welchen Kaiser Franz selber im Jahre 1797 gegen Venedig an die Franzosen preisgegeben, erklärte Metternich jetzt für die einzige Festung, die einen Marsch gegen die untere Donau verhindere, ja für den einzigen Handelsplatz, welcher Oesterreich den Zugang zu den nördlichen Meeren eröffne -- eine erstaunliche Behauptung, die sich nur aus den noch er- staunlicheren geographischen und volkswirthschaftlichen Kenntnissen des k. k. Staatsmanns erklären läßt. "Niemals wird der Kaiser darauf ver- zichten." Soll der Deutsche Bund unter dem gleichmäßigen Einfluß von Oesterreich und Preußen stehen und Süddeutschland in seinen gerechten Ansprüchen befriedigt werden, so darf Preußen das linke Moselufer nicht überschreiten. Also dem preußischen Freunde wurde jetzt selbst Koblenz abgesprochen und die unhaltbarste aller deutschen Flußgrenzen angeboten! Auf Hardenbergs erste Frage endlich erwiderte Metternich: sein Kaiser würde nur mit Schmerz die Entthronung eines der ältesten Geschlechter sehen; die Einverleibung widerspreche dem Interesse Oesterreichs, könne unter den deutschen Fürsten nur Mißtrauen gegen Preußen, Anklagen gegen Oesterreich hervorrufen; der Kaiser hoffe, Preußen werde dem ge- fangenen Könige mindestens ein Stück Landes an der böhmischen Grenze lassen. "Wenn aber die Gewalt der Umstände die Einverleibung Sachsens unvermeidlich machen sollte," dann behält sich Oesterreich Verabredungen über die Festungen und Grenzplätze, über Handel und Schifffahrt vor. Der Kaiser rechne auf "die unbedingte Uebereinstimmung des Vorgehens" der beiden Höfe in der polnischen Sache, auf eine Verständigung über die gemeinsame Ausführung der "lichtvollen" Castlereagh'schen Denkschrift. Metternich erlaubt sich dazu noch die unziemliche Bemerkung, die persön- lichen Gefühle des Königs Friedrich Wilhelm dürften einer gesunden Po- litik nicht im Wege stehen!
II. 1. Der Wiener Congreß.
den vertrauensvollen preußiſchen Freund ſo lange in ſeinem holden Wahne erhalten, bis Preußen ſich mit Rußland überworfen habe und gänzlich ver- einzelt daſtehe; darum war er geneigt, der vorläufigen Occupation von Sachſen zuzuſtimmen. Nach wenigen Tagen, am 14. October, wurde Gentz ſelber durch Caſtlereaghs Zureden zu der Anſicht ſeines ruhigeren Freundes bekehrt. Oeſterreich genehmigte, daß preußiſche Truppen in Sachſen einrückten — sans reconnaître le principe, wie Gentz befriedigt hinzufügt. Durch dies Zeichen des Wohlwollens beſtärkte man den preu- ßiſchen Staatskanzler in ſeinem argloſen Vertrauen und behielt doch freie Hand für die letzte Entſcheidung.
Um ſo ſchwieriger war die Erwiderung auf Hardenbergs drei Fragen; erſt am 22. October kam Metternich damit zu Stande. Die zweite der preußiſchen Fragen — wegen der Verſetzung Friedrich Auguſts nach den Legationen — wurde in der k. k. Antwort mit keinem Worte erwähnt, was nach altem diplomatiſchen Brauche einer unbedingten Weigerung gleich kam. Die dritte — wegen Mainz — wurde entſchieden verneint. Dieſen Platz, welchen Kaiſer Franz ſelber im Jahre 1797 gegen Venedig an die Franzoſen preisgegeben, erklärte Metternich jetzt für die einzige Feſtung, die einen Marſch gegen die untere Donau verhindere, ja für den einzigen Handelsplatz, welcher Oeſterreich den Zugang zu den nördlichen Meeren eröffne — eine erſtaunliche Behauptung, die ſich nur aus den noch er- ſtaunlicheren geographiſchen und volkswirthſchaftlichen Kenntniſſen des k. k. Staatsmanns erklären läßt. „Niemals wird der Kaiſer darauf ver- zichten.“ Soll der Deutſche Bund unter dem gleichmäßigen Einfluß von Oeſterreich und Preußen ſtehen und Süddeutſchland in ſeinen gerechten Anſprüchen befriedigt werden, ſo darf Preußen das linke Moſelufer nicht überſchreiten. Alſo dem preußiſchen Freunde wurde jetzt ſelbſt Koblenz abgeſprochen und die unhaltbarſte aller deutſchen Flußgrenzen angeboten! Auf Hardenbergs erſte Frage endlich erwiderte Metternich: ſein Kaiſer würde nur mit Schmerz die Entthronung eines der älteſten Geſchlechter ſehen; die Einverleibung widerſpreche dem Intereſſe Oeſterreichs, könne unter den deutſchen Fürſten nur Mißtrauen gegen Preußen, Anklagen gegen Oeſterreich hervorrufen; der Kaiſer hoffe, Preußen werde dem ge- fangenen Könige mindeſtens ein Stück Landes an der böhmiſchen Grenze laſſen. „Wenn aber die Gewalt der Umſtände die Einverleibung Sachſens unvermeidlich machen ſollte,“ dann behält ſich Oeſterreich Verabredungen über die Feſtungen und Grenzplätze, über Handel und Schifffahrt vor. Der Kaiſer rechne auf „die unbedingte Uebereinſtimmung des Vorgehens“ der beiden Höfe in der polniſchen Sache, auf eine Verſtändigung über die gemeinſame Ausführung der „lichtvollen“ Caſtlereagh’ſchen Denkſchrift. Metternich erlaubt ſich dazu noch die unziemliche Bemerkung, die perſön- lichen Gefühle des Königs Friedrich Wilhelm dürften einer geſunden Po- litik nicht im Wege ſtehen!
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den vertrauensvollen preußiſchen Freund ſo lange in ſeinem holden Wahne
erhalten, bis Preußen ſich mit Rußland überworfen habe und gänzlich ver-
einzelt daſtehe; darum war er geneigt, der vorläufigen Occupation von
Sachſen zuzuſtimmen. Nach wenigen Tagen, am 14. October, wurde
Gentz ſelber durch Caſtlereaghs Zureden zu der Anſicht ſeines ruhigeren
Freundes bekehrt. Oeſterreich genehmigte, daß preußiſche Truppen in
Sachſen einrückten — sans reconnaître le principe, wie Gentz befriedigt
hinzufügt. Durch dies Zeichen des Wohlwollens beſtärkte man den preu-
ßiſchen Staatskanzler in ſeinem argloſen Vertrauen und behielt doch freie
Hand für die letzte Entſcheidung.
Um ſo ſchwieriger war die Erwiderung auf Hardenbergs drei Fragen;
erſt am 22. October kam Metternich damit zu Stande. Die zweite der
preußiſchen Fragen — wegen der Verſetzung Friedrich Auguſts nach den
Legationen — wurde in der k. k. Antwort mit keinem Worte erwähnt,
was nach altem diplomatiſchen Brauche einer unbedingten Weigerung
gleich kam. Die dritte — wegen Mainz — wurde entſchieden verneint.
Dieſen Platz, welchen Kaiſer Franz ſelber im Jahre 1797 gegen Venedig an
die Franzoſen preisgegeben, erklärte Metternich jetzt für die einzige Feſtung,
die einen Marſch gegen die untere Donau verhindere, ja für den einzigen
Handelsplatz, welcher Oeſterreich den Zugang zu den nördlichen Meeren
eröffne — eine erſtaunliche Behauptung, die ſich nur aus den noch er-
ſtaunlicheren geographiſchen und volkswirthſchaftlichen Kenntniſſen des
k. k. Staatsmanns erklären läßt. „Niemals wird der Kaiſer darauf ver-
zichten.“ Soll der Deutſche Bund unter dem gleichmäßigen Einfluß von
Oeſterreich und Preußen ſtehen und Süddeutſchland in ſeinen gerechten
Anſprüchen befriedigt werden, ſo darf Preußen das linke Moſelufer nicht
überſchreiten. Alſo dem preußiſchen Freunde wurde jetzt ſelbſt Koblenz
abgeſprochen und die unhaltbarſte aller deutſchen Flußgrenzen angeboten!
Auf Hardenbergs erſte Frage endlich erwiderte Metternich: ſein Kaiſer
würde nur mit Schmerz die Entthronung eines der älteſten Geſchlechter
ſehen; die Einverleibung widerſpreche dem Intereſſe Oeſterreichs, könne
unter den deutſchen Fürſten nur Mißtrauen gegen Preußen, Anklagen
gegen Oeſterreich hervorrufen; der Kaiſer hoffe, Preußen werde dem ge-
fangenen Könige mindeſtens ein Stück Landes an der böhmiſchen Grenze
laſſen. „Wenn aber die Gewalt der Umſtände die Einverleibung Sachſens
unvermeidlich machen ſollte,“ dann behält ſich Oeſterreich Verabredungen
über die Feſtungen und Grenzplätze, über Handel und Schifffahrt vor.
Der Kaiſer rechne auf „die unbedingte Uebereinſtimmung des Vorgehens“
der beiden Höfe in der polniſchen Sache, auf eine Verſtändigung über
die gemeinſame Ausführung der „lichtvollen“ Caſtlereagh’ſchen Denkſchrift.
Metternich erlaubt ſich dazu noch die unziemliche Bemerkung, die perſön-
lichen Gefühle des Königs Friedrich Wilhelm dürften einer geſunden Po-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/644>, abgerufen am 25.11.2024.
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